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  • 18.11.2016 · IWW-Abrufnummer 189998

    Landesarbeitsgericht Hamburg: Urteil vom 31.08.2016 – 5 Sa 6/16

    Wenn ein vertraglich in Bezug genommenes Tarifwerk auf einen nicht identischen normativ geltenden Tarifvertrag trifft, wird die Kollision nicht nach den allgemeinen Grundsätzen der Tarifkonkurrenz (Spezialitätsgrundsatz) aufgelöst. Vielmehr greift das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG , es ist also der für den Arbeitnehmer günstigere Tarifvertrag anzuwenden.

    Bei einem Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 3 TVG sind danach alle Regelungen miteinander zu vergleichen, die in einem sachlichen Zusammenhang stehen (st. Rspr., vgl. nur BAG 14.12.2011 - 4 AZR 180/10 -; 12.10.2010 - 9 AZR 522/09 ).


    Tenor:

    Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 08. Dezember 2015 - 11 Ca 26/15 - abgeändert:

    Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der kirchliche Arbeitnehmerinnentarifvertrag, abgeschlossen zwischen dem Verband kirchlicher und diakonischer Anstellungsträger Nordelbien sowie der Gewerkschaft Kirche und Diakonie und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Landesbezirke Hamburg und Nord andererseits vom 01.01.2006 Anwendung findet.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

    Die Revision wird zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten über die Frage, ob auf ihr Arbeitsverhältnis der kirchliche Arbeitnehmerinnentarifvertrag, abgeschlossen zwischen dem Verband kirchlicher und diakonischer Anstellungsträger Nordelbien sowie der Gewerkschaft Kirche und Diakonie und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Landesbezirke Hamburg und Nord vom 01.12.2006 (KAT) oder aber der kirchliche Tarifvertrag Diakonie vom 15.08.2002 (KTD) Anwendung findet.



    Die am ...1956 geborene Klägerin war zunächst bei der S. - Alten- und Pflegeheim auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 05.02.1997 (Anlage K 1 zur Klagschrift vom 30.01.2015 - Bl. 5 d. A.) seit dem 01.04.1997 als Krankenpflegehelferin beschäftigt. In § 2 dieses Arbeitsvertrages war vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen richtet.



    Unter dem 13.12.2000 (Anlage zur Klagschrift vom 30.01.2015 - Bl. 6 d. A.) vereinbarten die Parteien, dass sich das Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 01.01.2001 einzelvertraglich nach dem kirchlichen Angestelltentarifvertrag für die nordelbische Ev.-Luth. Kirche (KAT-NEK) vom 15.01.1982 und den sich diesem Tarifvertrag anschließenden Tarifverträgen richtet. Unter dem 22.11.2002 (Anlage K 2 zur Klagschrift vom 30.01.2015 - Bl. 7/8 d. A.) schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, nach dem die Klägerin gemäß § 1 mit Wirkung vom 22.11.2002 unbefristet für den Dienst als Altenpflegerin im Angestelltenverhältnis eingestellt wurde unter Wegfall der Probezeit. In § 2 wurde festgehalten, dass sich das Arbeitsverhältnis einzelvertraglich nach dem KAT-NEK richte und den sich diesem Tarifvertrag anschließenden Tarifverträgen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die genannte Anlage verwiesen.



    Unter dem 10. Januar 2007 wurde der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten in den Kirchlichen Arbeitnehmerinnentarifvertrag (TVÜ-KAT) zwischen dem Verband kirchlicher und diakonischer Anstellungsträger Nordelbien (VKDA-NEK) sowie der Gewerkschaft Kirche und Diakonie - VKM-NE und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Landesbezirke Hamburg und Nord abgeschlossen. Nach § 1 dieses Tarifvertrages sollte dieser für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des § 1 KAT gelten und nach § 2 ersetzte der KAT den KAT-NEK vom 15. Januar 1982.



    In der Folgezeit wurde das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des KAT geführt.



    Mit Wirkung zum 01.01.2015 trat die Beklagte den für den kirchlich-diakonischen Bereich zuständigen Arbeitgeberverband, dem VKDA, bei mit dem Zweck, die Arbeitsbedingungen für sämtliche Mitarbeitende der Beklagten zu vereinheitlichen und diese Arbeitsbedingungen über die Geltung des KTD dem für die Einrichtung der Diakonie geschaffenen und auf deren Tätigkeitsfelder zugeschnittenen tarifvertraglichen Regelungswerk zu unterwerfen.



    Der VKDA schloss mit den im kirchlich-diakonischen Bereich zuständigen Gewerkschaften, nämlich der Kirchengewerkschaft - Landesverband Nord - und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft - Landesbezirke Hamburg und Nord den "Tarifvertrag zur Einführung des kirchlichen Tarifvertrages Diakonie (KTD) in der Diakoniestiftung A.". Dieser Tarifvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:



    § 1



    Geltungsbereich



    Dieser Tarifvertrag gilt für alle Arbeitnehmerinnen im Sinne des § 1 und 2 KTD, die in einem Arbeitsverhältnis mit der Diakoniestiftung A. stehen.



    § 2



    Ersetzung



    Der kirchliche Tarifvertrag Diakonie (KTD) ersetzt den kirchlichen Arbeitnehmerinnen-Tarifvertrag (KAT).



    ...



    § 6



    In-Kraft-Treten



    Dieser Tarifvertrag tritt am 1. Januar 2015 in Kraft.



    Die Klägerin war von Anbeginn ihrer Tätigkeit an Mitglied einer der Gewerkschaften, die Vertragspartnerin der zuvor genannten Tarifverträge war.



    Mit Schreiben vom 21.12.2014 (Anlage K 3 zur Klagschrift vom 30.01.2015 - Bl. 9/10 d. A.) informierte die Beklagte die Klägerin, dass aufgrund ihrer Verbandszugehörigkeit und der sich daraus ergebenden Tarifgebundenheit der KTD mit den ihn ergänzenden und ändernden Tarifverträgen unmittelbar zur Geltung komme.



    Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass dem TVÜ-KAT folgend der KAT auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung finde. Der KAT sei der Tarifvertrag, der sich entsprechend der arbeitsvertraglichen Regelung an den KAT-NEK "anschließe" und somit Geltung habe. Der KTD finde auf das Arbeitsverhältnis nicht kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung, da es sich nicht um einen Tarifvertrag handele, der sich den im ursprünglichen Anstellungsvertrag zugrundeliegenden Tarifvertrag anschließe, dies ergebe bereits eine Auslegung des Wortlautes der Bezugnahmeklausel nach § 2 des Arbeitsvertrages. Der KTD könne sich bereits deswegen dem KAT nicht anschließen, da er vor dem KAT abgeschlossen worden sei. Das Merkmal "anschließen" setze eine zeitliche Zäsur dergestalt voraus, dass derjenige Tarifvertrag, an den sich der neue Tarifvertrag anschließen solle, seine normative Gültigkeit verliere und an seine Stelle ein neuer Tarifvertrag trete und zwar für alle tarifunterworfenen Arbeitsverhältnisse.



    Der KTD finde auch nicht normativ auf das Arbeitsverhältnis Anwendung bzw. seine grundsätzliche normative Wirkung trete hinter der arbeitsvertraglichen Bezugnahme gemäß § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz (TVG) zurück, denn der erforderliche Vergleich des KAT mit dem KTD ergebe, dass der KAT günstiger sei.



    Die Klägerin hat beantragt,



    es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der kirchliche Arbeitnehmerinnentarifvertrag, abgeschlossen zwischen dem Verband kirchlicher und diakonischer Anstellungsträger Nordelbien sowie der Gewerkschaft Kirche und Diakonie und der vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Landesbezirke Hamburg und Nord andererseits vom 01.01.2006 Anwendung findet.



    Die Beklagte hat beantragt,



    die Klage abzuweisen.



    Sie hat ausgeführt, dass es sich bei dem Tarifvertrag zur Einführung des KTD in der Diakoniestiftung A. um einen sich an den KAT anschließenden Tarifvertrag handele, der somit bereits aufgrund der in § 2 des Arbeitsvertrages der Klägerin zu findenden entsprechenden Bezugnahme ohne Weiteres für ihr Arbeitsverhältnis Geltung erlangt habe. Die für den Abschluss des KTD verantwortlichen Tarifvertragsparteien seien vollständig identisch mit denen, die den KAT ebenso wie den TVÜ-KAT miteinander verhandelt und abgeschlossen hätten. Diese Identität der Tarifvertragsparteien sei wesentlich für den über den "Tarifvertrag zur Einführung des kirchlichen Tarifvertrages Diakonie (KTD) in der Diakoniestiftung A." vermittelten Tarifwechsel auch und gerade für jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme in ihren jeweiligen Arbeitsverträgen an den KAT und den sich diesem Tarifvertrag anschließenden Tarifverträgen gebunden seien.



    Für das Arbeitsverhältnis der Klägerin ergebe sich im Übrigen die Anwendung des KTD bereits daraus, dass sowohl die Klägerin als auch sie - die Beklagte - Mitglied der diesen Tarifvertrag und den Überleitungstarifvertrag abschließenden Parteien seien. Die Tarifvertragsparteien, deren Verhandlungsmacht und Verhandlungsergebnissen sich die Klägerin arbeitsvertraglich über die Bezugnahmeklausel unterworfen habe, hätten in bewusster und gewollter Abweichung von dem bisher geltenden KAT die Anwendung des KTD herbeiführen wollen.



    Der KAT sei im Übrigen in seiner Gesamtheit nicht als günstiger anzusehen als der KTD. Zunächst sei schon eine Vergleichbarkeit des KAT mit dem KTD nur sehr eingeschränkt gegeben. Der KTD sei nach dem Willen der Tarifvertragsparteien ein spezifisch auf die Tätigkeiten und Berufsbilder sowie auf die Belange der Diakonie abgestellter Tarifvertrag, d. h. unter Berücksichtigung der in der Regel privatrechtlich organisierten Einrichtung und Träger mit diakonischen Aufgaben zugeschnitten, während der KAT Berufsbilder und Tätigkeiten sowie betriebliche Belange vor allem der verfassten "Kirche", also der als Körperschaften öffentlichen Rechts organisierten Kirchengemeinden, Kirchengemeindeverbände, Kirchenkreise und ähnliche Organisationsformen im Bereich der evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland als zuständige Landeskirche berücksichtige und abbilde. Dieser Unterschied habe insbesondere Bedeutung für die Zuordnung einer Tätigkeit zu einer Entgeltgruppe und damit für die Entgeltgrundlagen gemäß § 14 KAT/KTD. Die Entgeltordnung zu § 14 KTD weise entsprechend der Vielfalt diakonischer Aufgaben eine deutlich stärkere ausdifferenzierte Zuordnung einzelner Tätigkeiten zu den vorgesehenen Entgeltgruppen auf als die Entgeltordnung zu § 14 KAT. Ein weiteres Merkmal, das einer Vergleichbarkeit entgegenstehe, sei der völlig unterschiedliche Ansatz zur Festlegung der regelmäßigen bzw. tariflichen Arbeitszeit.



    Durch das der Klägerin am 28.12.2015 zugestellte Urteil vom 08.12.2015, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der KTD gelte normativ. Auch die Bezugnahmeklausel führe zu keinem anderen Tarifwerk, denn der KTD sei der von den Tarifvertragsparteien des KAT-NEK für das Arbeitsverhältnis vorgesehene spezielle Tarifvertrag.



    Hiergegen richtet sich die am 22.01.2016 eingelegte und mit am 29.03.2016 beim Landesarbeitsgericht Hamburg eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung der Klägerin, nachdem die Berufungsbegründungsfrist am 19.02.2016 bis zum 29.03.2016 verlängert worden war.



    Die Klägerin wiederholt und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen. Unter anschließenden Tarifverträgen im Sinne der arbeitsvertraglichen Regelung (§ 2) seien nur solche Regelwerke zu fassen, die einzelne oder eine Vielzahl von Regelungen des KAT bzw. den KAT selbst abänderten. Eine andere Auslegung der arbeitsvertraglichen Regelung würde aus der "kleinen dynamischen Verweisungsklausel" eine "große dynamische Verweisungsklausel" machen. Im Ergebnis bleibe es daher beim KAT als einzelvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag. Dieser verdränge als günstigere Abmachung den aufgrund beiderseitiger Tarifbindung geltenden KTD.



    Die Klägerin beantragt,



    unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 08.12.2015 - 11 Ca 26/15 - festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der kirchliche Arbeitnehmerinnentarifvertrag, abgeschlossen zwischen dem Verband kirchlicher und diakonischer Anstellungsträger Nordelbien sowie der Gewerkschaft Kirche und Diakonie und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Landesbezirke Hamburg und Nord andererseits vom 01.12.2006 Anwendung findet.



    Die Beklagte beantragt,



    die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.



    Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Selbst wenn man annehmen wollte, dass der normativ geltende KTD und der einzelvertraglich in Bezug genommene KAT kollidierten, könne ein Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 3 TVG nicht zweifelsfrei vorgenommen werden. Dies habe im Ergebnis gleichwohl zur Folge, dass ab 01.01.2015 der KTD Anwendung fände.



    Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.



    Entscheidungsgründe



    I.



    Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und im Übrigen form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).



    II.



    Die Berufung ist begründet.



    1. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (26.08.2015 - 4 AZR 719/13 - m.w.N. juris) kann ein Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass ein bestimmter Tarifvertrag auf sein Arbeitsverhältnis anzuwenden ist (sog. Elementenfeststellungsklage). Eine entsprechende Feststellung ist geeignet, eine Vielzahl von Einzelfragen zu klären, die sich an dessen Anwendbarkeit knüpfen. Der Feststellungsantrag ist hier allein darauf gerichtet, festzustellen, dass die Regelungen des KAT insoweit Anwendung finden, als sie Gegenstand der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen kraft Bezugnahme sind. Dass daneben die nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend geltenden Tarifbestimmungen nach Maßgabe des Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 TVG) für das Arbeitsverhältnis gelten, ist für die Zulässigkeit des Antrags ohne Bedeutung (BAG 10.12.2014 - 4 AZR 991/12 -, juris). Das Rechtsschutzinteresse iSd. § 256 ZPO ist gegeben, die Feststellungsklage ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass mit einem Feststellungsurteil nicht abschließend geklärt wird, welcher Tarifvertrag im Rahmen des im Einzelfall nach der Rechtsprechung des BAG vorzunehmenden Sachgruppenvergleichs günstiger wäre und es deshalb nachfolgend zu weiteren Rechtsstreitigkeiten darüber kommen kann, ob sich einzelne Rechte und Pflichten aus den fraglichen Tarifverträgen als günstigere einzelvertragliche Regelung im Arbeitsverhältnis der Parteien durchsetzen oder ob sie durch die Regelung des normativ anwendbaren Tarifvertrages verdrängt werden (BAG 26.08.2015 aaO.).



    2. Die Klage ist auch begründet. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der KAT in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung. Das ergibt die Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel, die hingegen den - daneben normativ geltenden - KTD gerade nicht erfasst.



    a. Nach § 2 des im Jahre 2002 geänderten Arbeitsvertrags bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Kirchlichen Angestelltentarifvertrag für die Nordelbische Ev.-Luth. Kirche (KAT/NEK) vom 15.01.1982 und "den sich diesem Tarifvertrag anschließenden Tarifverträgen". Diese Abrede enthält eine zeitdynamische Bezugnahme. Klauseln, die nach dem 01.01.2002 vereinbart wurden, sind nach der Rechtsprechung des BAG mit Blick auf die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB im Zweifel im Sinne einer dauerhaften dynamischen Bindung an den in der Vereinbarung genannten Tarifvertrag auszulegen (BAG 14.12.2005 - 4 AZR 536/04 - juris) und mehr nicht.



    Bei dieser arbeitsvertraglichen dynamischen Bezugnahme eines bestimmten Tarifvertrages oder eines Tarifwerkes und den sich anschließenden Tarifverträgen ist der Wortlaut eindeutig. "Sich anschließen" bedeutet nach Brockhaus "unmittelbar auf etwas folgen, aufeinanderfolgen" (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom. 21.03.2012 - 3 Sa 230/11 -, Rn. 48, juris). Mit "sich ... anschließenden Tarifverträge" können allenfalls Tarifverträge gemeint sein, die sich dem KAT anschließen, wie insbesondere Tarifverträge, die einzelne oder eine Vielzahl von Regelungen des KAT bzw. den KAT selbst abändern.



    Deshalb - von den Parteien praktiziert und nicht in Frage gestellt - war der KAT der sich dem KAT-NEK anschließende Tarifvertrag.



    Bereits aus dieser zeitlichen Dynamik ergibt sich, dass der KTD entgegen der Auffassung der Beklagten keiner sich dem KAT anschließender Tarifvertrag i.S.d. Bezugnahmeklausel sein kann, da der KTD vor dem KAT abgeschlossen wurde. Zwar kann auch eine kleine dynamische Verweisung über ihren Wortlaut hinaus in Ausnahmefällen als große dynamische Verweisung (Tarifwechselklausel) ausgelegt werden, dies muss sich aber aus den besonderen Umständen ergeben (BAG 06.07.2011 - 4 AZR 706/09 - Rn. 45, juris). Solche sind dem Wortlaut der Bezugnahmeklausel oder sonstigen Umständen im Entscheidungsfall nicht zu entnehmen.Dies gilt auch dann, wenn die Bezugnahmeklausel die Gleichstellung nicht tarifgebundener Arbeitnehmer mit den tarifgebundenen bezweckt. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte beschränkt sich die Gleichstellung auf das benannte Tarifwerk (BAG 29.08.2007 - 4 AZR 767/06 - juris), hier also auf den KAT.



    Zurzeit des Vertragsschlusses war die Beklagte nicht tarifgebunden. Die Bezugnahmeklausel hatte konstitutive Wirkung, erst durch die Inbezugnahme galten der KAT-NEK und sein Nachfolger, der KAT, auf individualrechtlicher Ebene. Dass die Tarifvertragsparteien des in Bezug genommenen Tarifvertrages zu einem späteren Zeitpunkt einen anderen Tarifvertrag, den KTD, durch einen Überleitungstarifvertrag auf die Beklagte erstreckten, ist kein Umstand, der aus der kleinen dynamischen Klausel eine Tarifwechselklausel machen könnte, denn ein "abgestimmtes Verhalten" von Tarifvertragsparteien hat keinen Einfluss auf die Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel. Ihr eventueller Gestaltungswille als nicht am Arbeitsvertrag Beteiligte ist für die Auslegung einer einzelvertraglichen Bezugnahmeklausel ohne Bedeutung (BAG 06.07.2011 - 4 AZR 706/09 - juris).



    b. Dies Ergebnis wird nicht durch die nach der zwischenzeitlich eingetretenen beiderseitigen Tarifbindung der Parteien entstandene normative Wirkung des KTD gemäß § 4 Abs.1 TVG geändert. Wenn ein vertraglich in Bezug genommenes Tarifwerk auf einen nicht identischen normativ geltenden Tarifvertrag trifft, die Bezugnahme also konstitutiv dasjenige widerspiegelt, was der normativ geltenden Rechtslage entspricht, wird die Kollision nicht nach den allgemeinen Grundsätzen der Tarifkonkurrenz (Spezialitätsgrundsatz) aufgelöst. Vielmehr greift das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG, es ist also der für den Arbeitnehmer günstigere Tarifvertrag anzuwenden. Das ist konsequent, denn durch die Bezugnahme im Vertrag konkurriert ein vertraglicher Anspruch mit dem normativ geltenden Tarifvertrag, es "konkurriert" ein Arbeitsvertrag mit einem Tarifvertrag (BAG 29.08.2007 - 4 AZR 767/06 - juris).



    aa. Das BAG wendet in diesen Fällen das Sachgruppenprinzip an (BAG 24.09.2008 - 6 AZR 76/07 -; 12.12.2014 - 4 AZR 328/11 - juris).Bei einem Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 3 TVG sind danach alle Regelungen miteinander zu vergleichen, die in einem sachlichen Zusammenhang stehen (st. Rspr., vgl. nur BAG 14.12.2011 - 4 AZR 180/10 -; 12.10.2010 - 9 AZR 522/09). Es sind nur die Regelungen des Tarifvertrages mit den abweichenden vertraglichen Abmachungen zu vergleichen, die jeweils in einem inneren, sachlichen Zusammenhang stehen. Bei einem Vergleich z.B. verschieden langer Arbeitszeiten ist zumindest das dem gegenüberstehende Entgelt einzubeziehen. Es bedarf immer einer umfassenden Betrachtung der Einzelfallumstände der einzubeziehenden Gestaltungsfaktoren der Sachgruppen. Deshalb wird - wie bei der Frage der Zulässigkeit ausgeführt - nicht für alle Konstellationen mit vorliegender Entscheidung jedweder Konflikt gelöst. In den Worten des BAG: Schließlich ist die Frage, ob der eine Tarifvertrag günstiger ist als der andere, nicht Voraussetzung für die Begründetheit der Feststellungsklage. Die Klage ist bereits deshalb begründet, weil der im Antrag genannte Tarifvertrag (KAT) - aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel - im Grundsatz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar ist. Ob und inwieweit er günstiger ist als der für das Arbeitsverhältnis der Parteien daneben normativ geltende Tarifvertrag (KTD), ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Diese Frage ist ggf. zu klären, sobald die Klägerin konkrete Ansprüche aus dem KAT geltend macht (BAG 26.08.2015 - 4 AZR 719/13 - juris).



    bb. Sind - wie hier - Vergleichsgegenstand zwei Regelungswerke (KAT und KTD), die miteinander kollidieren, soll nach einer Auffassung in der Literatur Vergleichsmaßstab statt eines Sachgruppenvergleiches ein Gesamtvergleich sein (Nachweise bei Henssler, Der Tarifvertrag, 2. Aufl. 2016 Nr. Teil 10 Nr. 50a). Eine Auslegung der Bezugnahmeklausel ergebe in dieser Sonderkonstellation, dass das in Bezug genommene Tarifwerk insgesamt angewandt werden soll (ErfK-Franzen, 16. Auflage 2016, § 4 TVG Rn. 37). Statt einem Kompositum aus zwei verschiedenen Tarifwerken, soll entweder das in Bezug genommene oder aber das normativ geltende Tarifwerk angewendet werden (Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, 3. Auflage 2012, § 4 Rn. 543). Für diese Auffassung spricht, dass mit einer Feststellungsklage Klarheit erreicht wird und die bei einem Sachgruppenvergleich mögliche Rosinenpickerei vermieden wird.



    Doch auch dies führt zu keinem anderen Ergebnis, da der KAT bei einem Gesamtvergleich insgesamt zweifelsfrei günstiger ist als der KTD:



    (1) Während § 6 Abs. 8 KAT die für den Arbeitnehmer günstigere Möglichkeit eröffnet, ein langfristiges Zeitsparmodell in Analogie zu § 7 zu vereinbaren, sieht der KTD in seinem § 6 Abs. 7 nur die Festlegung eines anderen 12-Monatigen Ausgleichszeitraums vor.



    (2) Darüber hinaus sieht § 9 Abs. 2 S. 1 KAT vor, dass der zusätzliche Arbeitsumfang bei Teilzeitbeschäftigten in dringenden Fällen täglich höchstens zwei Stunden betragen darf, während § 9 Abs. 2 S. 1 KTD von drei Stunden täglich ausgeht. Auch diese Regelung ist günstiger.



    (3) Ferner wird bei Arbeitnehmern, die Aufsichts- und Betreuungsfunktionen wahrnehmen, die Arbeitszeit bis zu 7,8 Stunden täglich voll gewertet (§ 10 Abs. 6 S. 1 KAT), während der KTD in seinem §10 Abs. 4 S. 1 KTD nur bis zu 7,74 Stunden berücksichtigt. Weiterhin enthält § 10 Abs. 7 KAT eine im KTD fehlende Regelung, die die dienstliche Inanspruchnahme am auswärtigen Geschäftsort als Arbeitszeit berücksichtigt.



    (4) Hinsichtlich der Rufbereitschaft sieht § 11 Abs. 2 S. 1 KAT einen günstigeren Faktor von 0,125 für die Wertung als Arbeitszeit vor, während der KTD im § 11 Abs. 2 S. 1 den Faktor 0,1 ansetzt. Außerdem enthält § 11 Abs. 2 S. 5 KAT eine Bestimmung, dass bei Teilzeitbeschäftigten maximal 8 Dienste im Monat angeordnet werden dürfen. Diese Regelung fehlt im KTD, sodass es bei diesem nach § 11 Abs. 2 S. 4 KTD bei wie bei Vollzeitbeschäftigten maximal 15 Diensten im Monat bleiben würde.



    (5) Auch hinsichtlich der Zeitzuschläge handelt es sich bei § 12 Abs. 1 S. 2 Buchst. c) KAT um die günstigere Abmachung i.S.d. § 4 Abs. 3 TVG, setzt er für gesetzliche Feiertrage 100 % an, während der KTD in § 12 Abs. 1 S. 2 Buchst. b) 75 % vorsieht.



    (6) § 13 Abs. 1 KAT sieht anders als § 13 Abs. 1 KTD keine Begrenzung für Schichtzulagen vor. Gleiches gilt für die Schichtzulage bei Teilzeitbeschäftigten. § 13 Abs. 4 KTD enthält anders als der KAT eine Beschränkung.



    (7) Sieht § 14 Abs. 3 S. 2 KAT bei den Entgeltgrundlagen vor, dass die Entgeltstufe 2 bereits nach 2 Jahren erreicht wird, ist dies bei § 14 Abs. 1 Unterabschnitt 10 S. 2 KTD erst nach 3 Jahren der Fall. Anders als im KTD existiert im KAT eine 5. Entgeltstufe.



    (8) Arbeitnehmer erhalten nach § 18 Abs. 2 KAT für die Gesundheitsvorsorge zusätzliche Leistungen von 12,50 €, diese fehlen aber in § 18 KTD.



    (9) Eine weitere günstigere Regelung ist in § 19 Abs. 7 S. 3 KAT im Hinblick auf Ausschlussfristen. Der gesamte tarifliche Urlaub verfällt nach einer Langzeiterkrankung erst nach 15 Monaten. Eine entsprechende Regelung fehlt im KTD.



    (10) Schließlich enthält § 24 Abs. 1 KAT eine im KTD fehlende Anspruchsgrundlage für Reise- und Umzugskosten.



    (11) Beträgt die Kündigungsfrist in § 27 Abs. 3 KAT höchstens 6 Monate, sieht § 27 KTD hier maximal 9 bzw. 12 Monate vor. Gleichwohl ist § 27 KAT insgesamt als günstiger zu bewerten, sieht er doch nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren vor, dass das Arbeitsverhältnis nur noch außerordentlich gekündigt werden kann. Schon das macht den KAT bedeutend günstiger.



    (12) Eine im Vergleich zum KTD leicht ungünstigere Regelung enthält der KAT in § 3 Abs. 3, wonach der Arbeitnehmer auf Verlangen seine kirchliche Zugehörigkeit nachzuweisen hat. In Gegenüberstellung sieht § 3 Abs. 3 KTD hier lediglich vor, dass eine kirchliche Mitgliedschaft vorhanden sein soll.



    (13) Neutral ist die unterschiedliche Regelung der Arbeitszeit zu bewerten. Während § 5 Abs. 1 KAT eine Wochenarbeitszeit von 39 Stunden vorsieht, geht der KTD von einer Jahresarbeitszeit von 2020 Stunden aus. Beide Regelungen sind weder vor- noch nachteilig für den Arbeitnehmer.



    (14) In diesem Zusammenhang ist auch § 7 Abs. 1 S. 1 KAT einerseits und § 7 Abs. 1 S. 1 KTD andererseits zu lesen. Während der KAT ein Zeitsparkonto durch Einzelvereinbarung vorsieht, muss i.S.d. KTD auf Wunsch der Arbeitnehmerin ein solches angelegt werden.



    (15) Eine Abweichung im Wortlaut in § 23 Abs. 1 S. 1 KAT/KTD ist unschädlich, ergibt die Auslegung, dass die Treueleistung jeweils nur einmalig gewährt wird.



    Auch wer bei einem Vergleich zwischen arbeitsvertraglicher Bezugnahme und normativer Wirkung zweier Tarifverträge auf einen Gesamtvergleich abstellt, kommt zu einem der Klägerin günstigeren Ergebnis bei Anwendung des KAT.



    III.



    Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen wegen grundsätzlicher Bedeutung vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

    Hinweise

    Rechtsmittel wurde eingelegt - Az. beim BAG: 6 AZR 687/16

    Vorschriften§ 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz (TVG), § 4 Abs. 3 TVG, § 64 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG, § 256 ZPO, § 305c Abs. 2 BGB, § 4 Abs.1 TVG, § 91 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG