08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 26.07.2006 – 4 K 2198/06
Die Berufsausbildung ist mit erfolgreichem Abschluss des Universitätsstudiums abgeschlossen. Auf die Erteilung der Diplomurkunde kommt es nicht an.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
hat der 4. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Finanzgerichts Gretzschel, des Richters am Finanzgericht Thies und des Richters am Finanzgericht Mayer sowie der ehrenamtlichen Richter Fischer und Föstl ohne mündliche Verhandlung am 26. Juli 2006
für Recht erkannt:
1. Der Beklagte wird unter Abänderung der verbindlichen Auskunft vom 03.05.2006 verpflichtet, der Klägerin die verbindliche Auskunft zu erteilen, dass die vom 01.10.2005 bis zum 01.03.2006 (5 Monate) ausgeübte Tätigkeit als praktische Tätigkeit i.S. des § 36 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StBerG anerkannt wird.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
I.
Streitig ist im Hinblick auf die Zulassung zur Steuerberaterprüfung, zu welchem Zeitpunkt die Klägerin ihr Studium beendet hat.
Die Klägerin hat an der …-Universität … das Studium der Betriebswirtschaftslehre erfolgreich abgeschlossen. Die letzte Leistung, die die Klägerin im Rahmen ihrer Prüfung zu erbringen hatte, war die Diplomarbeit, die sie am 01.08.2005 einreichte.
Laut der Prüfungsordnung der Fakultät für Betriebswirtschaft der …-Universität … ist das Studium mit Ende des Monats abgeschlossen, in dem die letzte Leistung erbracht wurde. Dies war der 31.08.2005. Entsprechend ist im Diplomzeugnis der Klägerin der 31.08.2005 als Tag des Bestehens der Diplomprüfung ausgewiesen.
Die Korrektur der Diplomarbeit seitens des zuständigen Professors dauerte bis zum Februar 2006. Da die Note mithin noch ausstehend war, konnte das Diplomzeugnis der Klägerin erst am 28.02.2006 ausgestellt werden. Es lag aber bereits am 31.08.2005 eine Bestätigung des Professors vor, wonach die Diplomarbeit der Klägerin nach erster Durchsicht als „bestanden” gewertet wird.
Seit 01.10.2005 ist die Klägerin ausweislich einer am 01.03.2006 ausgestellten Bestätigung bei Ihrem Prozessbevollmächtigten mit einer Arbeitszeit von mindestens 16 Wochenstunden als Steuerberatungsassistentin auf dem Gebiet der von den Bundes- und Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern tätig.
Mit Antrag vom 01.03.2006 begehrte die Klägerin beim Beklagten die Erteilung einer verbindlichen Auskunft, ob und ggf. inwieweit die Voraussetzungen für eine Zulassung zur Steuerberaterprüfung 2007 erfüllt seien. Mit Bescheid vom 03.05.2006 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass eine praktische Tätigkeit bisher nicht angerechnet werden könne. Das Studium sei erst mit der Bekanntgabe der Bewertung des Prüfungsergebnisses anlässlich der Aushändigung des Diplomzeugnisses am 28.02.2006 abgeschlossen worden. Da Tätigkeitszeiten nur bis zum Ausstellungsdatum der Bescheinigung angerechnet werden könnten, entfalle die Anrechnung einer praktischen Tätigkeit, da die Bescheinigung am 01.03.2006 und damit am ersten Tag der berücksichtigungsfähigen Tätigkeit ausgestellt worden sei.
Mit ihrer Klage beantragt die Klägerin sinngemäß, den Beklagten zu verpflichten, ihr die verbindliche Auskunft zu erteilen, dass bis zum 01.03.2006 eine praktische Tätigkeit von 5 Monaten angerechnet wird. Hilfsweise beantragt die Klägerin, Revision zuzulassen.
Zwar gelte nach dem Beschluss des BFH vom 21. Januar 1999, VII B 214/98 BStBl II 1999, 141 ein Studium dann als beendet i.S.d. § 36 StBerG, wenn das in der Prüfungsordnung vorgesehene Prüfungsverfahren abgeschlossen sei, was regelmäßig erst mit Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses der Fall sei. Im vorliegenden Fall wäre dies der 28.02.2006.
Die Grundsätze dieser Entscheidung könnten jedoch aufgrund der durch den sog. Bologna-Prozess geänderten Rahmenbedingungen heute keine Gültigkeit mehr haben. Die Prüfungsordnungen seien dahingehend geändert worden, dass die Diplomarbeit als letzte Prüfungsleistung erst nach Ablegen der sonstigen schriftlichen und mündlichen Prüfungsteile zu fertigen sei. Der Kandidat habe keinen Einfluss auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Korrektur der Diplomarbeit. Deshalb bestimme die Prüfungsordnung, dass, wie im Diplomzeugnis ausdrücklich bestätigt, dass das Studium mit Ablauf des Monats abgeschlossen und bestanden sei, in dem die letzte Prüfungsleistung – hier die Abgabe der Diplomarbeit – erbracht worden sei und nicht erst mit der Aushändigung des Diplomzeugnisses.
Die Entscheidung des BFH (a.a.O.) habe demgegenüber einen Fall betroffen, in dem zur Beendigung der Prüfung noch eine mündliche Prüfung abzulegen war.
Das vom BFH gesehene Problem einer Zulassung zur Prüfung trotz nicht erfolgreich abgeschlossenem Studiums könne nur entstehen, wenn die Korrektur der Diplomarbeit länger als zwei Jahre dauere und die Steuerberaterprüfung vor Bekanntgabe des Ergebnisses des Studiums liege. Dann und nur dann sei der Auffassung des BFH zu folgen, dass der Erfolg des Studiums und damit die Zulassungsvoraussetzung im Zeitpunkt der Steuerberaterprüfung nicht vorliege. In allen anderen Fällen lasse sich, so wie auch im vorliegenden Fall, diese Feststellung problemlos vor Beginn der Prüfung treffen.
Inzwischen sei es gängige Praxis am Arbeitsmarkt, dass Bewerber unmittelbar nach Beendigung des Studiums vor Aushändigung des Prüfungszeugnisses eingestellt würden.
Dementsprechend habe der BFH inzwischen zur Frage der Gewährung von Kindergeld mit Urteil vom 19.02.02 VIII R 90/01, BFH/NV 2002, 1023 entschieden, dass die Berufsausbildung beendet sei, wenn ein Kind nach Ablegen der letzten Prüfungsleistung noch vor Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufnehme. Dies müsse auch für die Berechnung der berufspraktischen Zeit nach § 36 StBerG gelten.
Der Beklagte beantragt die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Entsprechend dem Beschluss des BFH vom 21.01.1999 (a.a.O.) sei ein Universitätsstudium erst mit der Prüfungsentscheidung, in der Streitsache also am 28.02.2006, abgeschlossen. Das vorherige Plazet des Korrektors könne nicht als endgültige Bewertung der Diplomarbeit anerkannt werden.
Die Auffassung der Klägerin würde dazu führen, dass die Entscheidung über den erfolgreichen Abschluss der Universitätsausbildung von der dafür zuständigen Behörde auf die Zulassungsbehörde verlagert würde. Das zum Kindergeld ergangene Urteil des BFH vom 19.02.2002 (a.a.O.) könne nicht auf die Streitsache übertragen werden, weil es dort nicht um den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung gegangen sei.
Zur weiteren Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 01.06.2006 (Bl. 10 FG-Akte) und des Beklagten vom 12.07.2006 (Bl. 23 FG-Akte) sowie auf die Diplomurkunde, die Bescheinigung des Klägervertreters und die Bestätigung des die Diplomarbeit korrigierenden Professors (in den vorgelegten Beklagten-Akten) Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Die Klage ist begründet.
Nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StBerG setzt die Zulassung zur Steuerberaterprüfung voraus, dass der Bewerber ein Universitätsstudium erfolgreich abgeschlossen hat und danach zwei Jahre in einem Umfang von mindestens 16 Wochenstunden auf dem Gebiet der von den Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern tätig gewesen ist.
Streitig ist allein der Zeitpunkt, zu dem die Klägerin ihr Studium erfolgreich abgeschlossen hat, d.h. zu dem in der Diplomurkunde ausdrücklich ausgewiesenen Datum am 31.08.2005 oder aber erst mit der Erteilung der Diplomurkunde vom 28.02.2006.
Der Senat sieht keinen Anlass von dem in der Diplomurkunde ausgewiesenen Datum des Bestehens der Prüfung, also dem 31.08.2005 abzuweichen, zumal der Korrektur der Diplomarbeit in der in den vorgelegten Akten befindlichen Bestätigung vom 31.08.2005 der Klägerin ausdrücklich bestätigt hat, dass nach Durchsicht die Diplomarbeit als „bestanden” gewertet wird.
Diesem Ergebnis stehen auch nicht die Grundsätze des BFH-Beschlusses vom 21.01.1999 (a.a.O) entgegen, weil sich das Prüfungsverfahren im Vergleich zu dem der BFH-Entscheidung zu Grunde liegenden Fall grundsätzlich geändert hat und es zudem in der Streitsache nicht um eine noch ausstehende mündliche Prüfung geht.
In der Streitsache besteht die vom Beklagten bzw. vom BFH gesehene Gefahr einer Rechtsunsicherheit bzw. Verlagerung der Entscheidungskompetenz von der Prüfungsbehörde auf die Zulassungsbehörde nicht mehr, sobald die Diplomurkunde ausgehändigt und in ihr der Zeitpunkt des Bestehens und damit der Zeitpunkt des erforderlichen Abschlusses des Studiums ausgewiesen ist.
Wird nach Erbringung der letzten Prüfungsleistung eine praktische Tätigkeit aufgenommen, so ist die Berufsausbildung auch dann beendet, wenn das Prüfungsergebnis noch nicht bekannt gegeben worden ist. Der Senat schließt sich insoweit den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung zu § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a EStG (vergl. Urteil vom 24.05.2000 VI R 143/99, BStBl II 2000, 473) an (vergl. auch Späth in Bonner Handbuch der Steuerberatung, RdNr. B 356.7.2). Dass der Abschluss, wie von § 36 Abs. 1 Nr. 1 StBerG gefordert, zu diesem Zeitpunkt erfolgreich gewesen ist, ergibt sich, wie oben ausgeführt, aus dem in der Diplomurkunde genannten Zeitpunkt und der Bestätigung des Korrektors vom 31.08.2005.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt auf §§ 151 Abs. 3 und 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO, die Zulassung der Revision auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.