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  • 29.11.2019 · IWW-Abrufnummer 212495

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 16.07.2019 – 9 U 11/18

    1. Der Rechtsschutzversicherer ist auch dann zur Belehrung der Versicherungsnehmerin gemäß § 128 Satz 2 VVG verpflichtet, wenn er seine Leistungspflicht nur teilweise verneint.

    2. Der Rechtsschutzversicherer hat sich bei einer Deckungsanfrage zu den geltend gemachten Ansprüchen vollständig und verbindlich zu erklären. Im Versicherungsvertrag nicht vorgesehene Vorbehalte, Bedingungen oder Einschränkungen bei einer Deckungszusage sind als Teilablehnung zu werten, welche die Belehrungspflicht gemäß § 128 Satz 2 auslöst.

    3. Unterlässt der Versicherer eine gemäß § 128 Satz 2 VVG erforderliche Belehrung, gilt das Rechtsschutzbedürfnis der Versicherungsnehmerin gemäß § 128 Satz 3 VVG als anerkannt. Der Umstand, dass die Versicherungsnehmerin durch einen Anwalt vertreten ist, der Inhalt und Bedeutung der erforderlichen Belehrung kennt, ändert an dieser Wirkung nichts.


    Oberlandesgericht Karlsruhe

    Beschluss vom 16.07.2019

    Az.: 9 U 11/18

    In dem Rechtsstreit

    - Klägerin und Berufungsbeklagte -

    Prozessbevollmächtigte:

    gegen

    - Beklagte und Berufungsklägerin -

    Prozessbevollmächtigte:

    wegen Kostenschutzzusage der Rechtschutzversicherung

    hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 9. Zivilsenat - durch die Richterin am Oberlandesgericht xxx, die Richterin am Oberlandesgericht xxx und den Richter am Oberlandesgericht xxx am 16.07.2019 beschlossen:

    Tenor:

    Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 22.11.2017 - 14 O 277/16 -. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

    Gründe

    I.

    Die Parteien streiten über Leistungspflichten der Beklagten aus einer Rechtsschutzversicherung.

    Der Ehemann der Klägerin schloss im Jahr 1999 bei der D. AG eine Rechtsschutzversicherung ab. Die Klägerin ist in diesem Vertrag mit versichert. Die Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen ergeben sich aus dem Versicherungsschein (Anlage K 1) nebst den allgemeinen Bedingungen für die Rechtschutzversicherung (D. ARB 2000). Die Beklagte ist das vom Versicherer beauftragte Schadensabwicklungsunternehmen im Sinne von § 126 VVG.

    Die Klägerin hat geltend gemacht: Am 21.05.2014 sei sie in Freiburg mit der Straßenbahn gefahren. Die Straßenbahn sei mit einem von der Schädigerin B. G. geführten Roller kollidiert. Für die Kollision sei allein die Schädigerin verantwortlich. Der Straßenbahnführer habe eine Vollbremsung ausgelöst. Dadurch sei die Klägerin in der Straßenbahn gestürzt. Sie habe sich erhebliche Verletzungen mit gesundheitlichen Dauerfolgen zugezogen. Sie wolle Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Schädigerin und deren Haftpflichtversicherung geltend machen.

    Mit einer E-Mail ihrer Rechtsanwältin vom 23.02.2016 (Anlage K 2) wandte sich die Klägerin an die Beklagte mit der Bitte um eine Deckungszusage für die außergerichtliche Geltendmachung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen gegen die Haftpflichtversicherung der Schädigerin. Dem Ersuchen war ein 19-seitiger Entwurf eines Anspruchsschreibens gegen den Haftpflichtversicherer nebst umfangreichen medizinischen Unterlagen beigefügt. Mit Schreiben vom 14.03.2016 (Anlage K 3) erklärte die Beklagte, sie gewähre Deckungsschutz, jedoch "zunächst nur dem Grunde nach". Die aus dem Entwurfsschreiben der Klägerin ersichtlichen Ansprüche seien weit übersetzt. Sie bitte darum "die Höhe der geltend zu machenden Ansprüche abzustimmen". Die Klägerin widersprach mit einer E-Mail vom 18.03.2016 (Anlage K 4) und bat "um eine Deckungszusage auch der Höhe nach". In einem Schreiben vom 19.04.2016 (Anlage K 6) blieb die Beklagte bei ihrer bereits geäußerten Auffassung und führte unter anderem aus:

    "Mit der Erteilung des Versicherungsschutzes für das außergerichtliche Verfahren dem Grunde nach sind wir unserer Leistungspflicht nachgekommen. Ein Anspruch auf eine sich auf einen bestimmten Streitwert erstreckende Zusage der Höhe nach besteht nicht (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 08. Oktober 2015, 5 U 20/15, 2016, Seite 98 ff.).

    Geht es nicht um die Leistungsablehnung dem Grunde nach, sondern um die Frage der Höhe der Geltendmachung der Ansprüche, ist dies keine Frage der Prüfung der Erfolgsaussichten nach § 18 ARB. Vielmehr handelt es sich um eine Frage der Schadenminderungsobliegenheit und Kürzung der Einstandspflicht (OLG Saarbrücken, a. a. O. und Obarowski: Münchener Kommentar-VVG, Anhang zu § 125 Rn. 293).

    . . . . . . .

    Im Verhältnis zum Rechtsschutzversicherer geht es um eine bloße Abstimmungsfrage. Den Versicherer trifft daher keine Hinweispflicht nach § 128 VVG (Gutachterverfahren). Die vorgelegte Entscheidung des LG Münster ist nicht einschlägig, weil wir den Versicherungsschutz nicht versagt haben.

    Wegen der Schadenminderungsobliegenheit weisen wir Frau Rechtsanwältin S. darauf hin, dass die Bezifferung des Schmerzensgeldes mit einem Betrag von 50.000,00 € bei weitem übersetzt ist. Denn die angeführte Entscheidung des LG München zum Schmerzensgeld für einen querschnittsgelähmten 48-jährigen Mann ist mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Wir bitten zu berücksichtigen, dass das Schmerzensgeld nach dem Gesetz eine "billige Entschädigung in Geld" darstellt und dem Schmerzensgeld eine Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion zukommt, der Geschädigte durch den Schadensfall aber "nicht hinzuverdienen soll".

    Der Rechtsanwalt ist im Rahmen der anwaltlichen Pflichten gehalten, bei der Bemessung und Geltendmachung der Ansprüche auch auf ein mögliches Mitverschulden hinzuweisen. Die Insassen einer Straßenbahn haben die Pflicht, sich stets einen festen Halt zu verschaffen. Gerade im innerstädtischen Verkehr ist jederzeit mit einer Vollbremsung zu rechnen.

    Angesichts der vorstehenden Ausführungen verwiesen wir auf die Entscheidungen der Schmerzensgeld-Beträge nach Hacks, Wellner und Häcker, 34. Auflage 2016, Nrn. 25, 558, 2084 und 2446.

    Wir wollen nicht unerwähnt lassen, dass die bisherige Sachverhaltsschilderung nicht den tatsächlichen Unfallhergang wiedergibt. Trotz einer Vollbremsung soll es zu einer Kollision der Straßenbahn mit dem Roller der Gegenseite gekommen sein. Durch die plötzliche und heftige Bremsung sei Frau Deubler im Sitzen nach vorne gerissen und dabei ihr Kopf nach vorne und hinten geschleudert worden. Einen Sturz auf den Boden habe sie nur dadurch verhindern können, dass sie sich mit dem linken Handgelenk abfing.

    Die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung in der Straßenbahn aufgrund des Zusammenstoßes mit dem Roller dürfte sich gegen Null belaufen. Der Unfallmechanismus lässt deshalb kein Schleudern des Kopfes nach vorne und hinten zu. Des Weiteren verteilen sich die durch die Vollbremsung wirkenden Kräfte in der Straßenbahn auf einen relativ langen Bremsweg. Die bei einer Vollbremsung wirkenden Verzögerungswerte sind in der Regel so niedrig, dass sie als Ursache für ein Schleudertrauma nahezu auszuschließen sind (vgl. LG Würzburg, Urteil vom 13. Juli 2007, 52 S 667/06). Klärung kann dazu letztlich nur durch eine Rekonstruktion des Unfalls herbeigeführt werden, weshalb wir den Versicherungsschutz nicht von vornherein abgelehnt haben.

    . . . . . . (Es folgen weitere Einwendungen zur Schadenshöhe.)

    Trotz der unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich der Schadensminderungspflicht sind wir bereit, unsere Zusage der Höhe nach auf einen "Arbeitsstreitwert" von 10.000,00 € festzulegen. Dies stellt jedoch derzeit die obere Grenze dar. Die Höhe der Schmerzensgeldansprüche bitten wir ggf. in das Ermessen des Gerichts zu stellen."

    Mit einem Schreiben vom 31.05.2016 (Anlage K 8) gab die Rechtsanwältin der Klägerin gegenüber der Beklagten eine begründete Stellungnahme zu den Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung ab. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin wies darauf hin, der Stichentscheid sei für die Beklagte bindend. Die Beklagte war jedoch nicht bereit, eine über die Erklärung vom 19.04.2016 hinausgehende Deckungszusage zu erteilen.

    Mit ihrer Klage zum Landgericht hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte sei in vollem Umfang auch der Höhe nach verpflichtet, eine Deckungszusage abzugeben für die Geltendmachung von Ansprüchen entsprechend dem Entwurfsschreiben vom 23.02.2016. Die Beklagte ist der Klage mit verschiedenen Einwendungen entgegengetreten. Der Antrag der Klägerin sei unzulässig. Er sei auch unbegründet, weil die Beklagte eine Deckungszusage dem Grunde nach erteilt habe. Damit sei sie ihren Verpflichtungen aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag nachgekommen. Sie habe außergerichtlich zu Recht die Klägerin darum gebeten, mit ihr "die Höhe der geltend gemachten Ansprüche abzustimmen". Damit sei eine Leistungsablehnung nicht verbunden gewesen. Die von der Klägerin gegenüber dem Haftpflichtversicherer der Schädigerin angekündigten Ansprüche seien weit übersetzt. Die Beklagte hat dies in der Klageerwiderung im Einzelnen ausgeführt. Der Stichentscheid der Rechtsanwältin der Klägerin vom 31.05.2016 sei nicht bindend, da dieser offensichtlich von der wirklichen Sach- und Rechtslage erheblich abweiche.

    Mit Urteil vom 22.11.2017 hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß wie folgt verurteilt:

    Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin - über die bereits mit Schreiben vom 19.04.2016 erteilte Deckungszusage hinaus - für die außergerichtliche Rechtsverfolgung des Rechtsschutzfalls "Schadensersatzansprüche aus Verkehrsunfall vom 21.05.2014 gegen Frau B. G. und die S. AG" bedingungs- und tarifgemäßen Deckungsschutz aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag (Versicherungsscheinnummer 93315853.5) für Ansprüche mit einem Schadenswert in Höhe von 263.851,79 € zu gewähren.

    Das Landgericht hat ausgeführt, die Klage sei in vollem Umfang begründet. Die Beklagte habe im Schreiben vom 19.04.2016 ihre Leistungspflicht teilweise abgelehnt. Gemäß § 128 Satz 2 VVG sei die Beklagte verpflichtet gewesen, die Klägerin auf die Möglichkeit des in den Versicherungsbedingungen vorgesehenen Stichentscheids hinzuweisen. Da die Beklagte einen solchen Hinweis unterlassen habe, gelte das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin gemäß § 128 Satz 3 VVG als anerkannt. Die Beklagte könne sich daher nicht mehr auf fehlende Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung berufen. Auf die Wirkungen des Stichentscheids vom 31.05.2016 komme es nicht an.

    Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie sei entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht zu einer Belehrung gemäß § 128 Satz 2 VVG verpflichtet gewesen. Denn sie habe eine Leistungspflicht in den beiden Schreiben vom 14.03.2016 und vom 19.04.2016 nicht - auch nicht etwa teilweise - abgelehnt. Die Klägerin könne sich im Übrigen selbst dann nicht auf eine Hinweispflicht gemäß § 128 Satz 2 VVG berufen, wenn man mit dem Landgericht eine Teilablehnung im Schreiben der Beklagten vom 19.04.2016 annehmen würde. Da die Anwältin der Klägerin die Möglichkeit des Stichentscheids gekannt habe, sei die Klägerin nicht belehrungsbedürftig gewesen. Wegen dieser Kenntnis der Prozessbevollmächtigten sei eine Berufung der Klägerin auf eine eventuell unterlassene Belehrung zudem treuwidrig. Die Beklagte nimmt im Übrigen Bezug auf ihre erstinstanzlichen Schriftsätze, insbesondere im Hinblick auf die erstinstanzlichen Einwendungen gegen die Erfolgsaussichten der von der Klägerin beabsichtigten Rechtsverfolgung und gegen die Bindungswirkung des Stichentscheids vom 31.05.2016.

    Die Beklagte beantragt,

    das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 22.11.2017 - 14 O 277/16 - abzuändern und die Klage gemäß dem erstinstanzlichen Schlussantrag der Beklagten in vollem Umfang abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

    Die Klägerin verteidigt das Urteil des Landgerichts und ergänzt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

    Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

    II.

    Die zulässige Berufung der Beklagten dürfte voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben. Eine Entscheidung des Senats nach mündlicher Verhandlung erscheint auch im Hinblick auf die Gesichtspunkte gemäß § 522 Abs. 2 Ziffer 2, 3 und 4 ZPO nicht erforderlich. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin nach Maßgabe der erstinstanzlichen Entscheidung Rechtsschutz zu gewähren.

    1. Die Klage ist zulässig. Der Klageantrag - und der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung - enthält eine Feststellung im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Solange die Klägerin nicht selbst wegen bestimmter Kosten einer Rechtsverfolgung in Anspruch genommen wird, kann sie Ansprüche aus einem Rechtsschutzversicherungsvertrag im Wege einer Feststellungsklage geltend machen (vgl. OLG Hamm, Versicherungsrecht 2017, 686). Die Formulierung im Feststellungstenor "Ansprüche mit einem Schadenswert i. H. v. 263.851,79 €" ist auslegungsfähig. Gemeint ist eine außergerichtliche Rechtsverfolgung entsprechend dem Entwurfsschreiben vom 23.02.2016. In diesem Schreiben sind die einzelnen Ansprüche, für deren Durchsetzung die Klägerin Deckungsschutz begehrt, konkretisiert. Den Streitwert dieser konkretisierten Ansprüche hat die Klägerin in ihrer Klage mit insgesamt 263.851,79 € berechnet.

    2. Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Rechtsschutz ergibt sich aus dem Versicherungsvertrag, welchen der Ehemann der Klägerin im Jahr 1999 mit der D. AG abgeschlossen hat. Nach den vertraglichen Vereinbarungen hat die Beklagte Rechtsschutz auch für die Klägerin als mitversicherte Person zu gewähren. Die in den Rechtsschutzbedingungen angegebenen Leistungsarten umfassen u. a. die Kosten einer außergerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach einem Verkehrsunfall. Die Klägerin ist gemäß § 44 Abs. 2 VVG aktiv legitimiert, da ihr Ehemann der gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche gegen die Beklagte zugestimmt hat.

    3. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Klägerin biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg oder sei mutwillig (§ 18 Abs. 1 D. ARB 2000). Denn das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin gilt gemäß § 128 Satz 3 VVG als anerkannt, weil die Beklagte die erforderliche Belehrung gemäß § 128 Satz 2 VVG unterlassen hat.

    a) Die Voraussetzungen für eine Belehrungspflicht gemäß § 128 Satz 2 VVG liegen vor. Da die Beklagte ihre Leistungspflicht teilweise abgelehnt hat, war sie verpflichtet, die Klägerin auf die Möglichkeit eines Stichentscheids (§ 18 Abs. 2 D. ARB 2000) hinzuweisen.

    aa) Die Belehrungspflicht gemäß § 128 Satz 2 VVG gilt nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht nur dann, wenn der Versicherer Rechtsschutz vollständig versagt, sondern auch bei einer Teilablehnung (vgl. Prölss/Armbrüster, VVG, 30. Auflage 2018, § 128 VVG Rn. 5). Für eine Verneinung der Leistungspflicht im Sinne von § 128 Satz 2 VVG ist kein förmlicher Bescheid des Versicherers erforderlich. Es kommt vielmehr darauf an, wie ein Schreiben des Versicherers vom Versicherungsnehmer, der Rechtsschutz begehrt, zu verstehen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Versicherungsnehmer, der Rechte gegenüber einem Dritten geltend machen will, regelmäßig auf eine schnelle und eindeutige Entscheidung des Rechtsschutzversicherers angewiesen ist, da von der Deckungszusage des Versicherers sein Kostenrisiko im Verfahren gegen den Dritten abhängig ist. Die vereinbarten Rechtsschutzbedingungen sehen in § 18 Abs. 1 eine Pflicht des Versicherers zur schnellen und eindeutigen Erklärung vor. Der Rechtschutzversicherer soll nicht die Möglichkeit haben, durch das Hinauszögern einer Erklärung oder durch die Abgabe einer unzulänglichen Erklärung über die Zugänglichkeit des Stichentscheid-Verfahrens zu disponieren (vgl. Bruns in Bruck/Möller, VVG Band 5, 9. Auflage 2019, § 128 VVG Rn. 22). Dieser Gesichtspunkt ist bei der Auslegung der Schreiben der Beklagten mit zu berücksichtigen.

    bb) Die Beklagte hat im Schreiben vom 19.04.2016 eine Deckungszusage abgelehnt für Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer, soweit diese einen Betrag von insgesamt 10.000,00 € übersteigen. Dieses Verständnis ergibt sich daraus, dass die Beklagte der Meinung war, sie müsse eine Zusage zur Gewährung von Rechtsschutz nur "dem Grunde nach" erteilen, ohne die Zusage auf die Höhe bestimmter Ansprüche zu erstrecken. Zu dieser Einschränkung war die Beklagte nicht berechtigt. Weder nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen noch nach den Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes hatte die Beklagte die Möglichkeit, ihre Zustimmung zu einer Verfolgung bestimmter Ansprüche der Höhe nach von einer "Abstimmung" abhängig zu machen. Die Klägerin hat im Entwurfsschreiben vom 23.02.2016 ihr Rechtsschutzziel in den dort angegebenen Ansprüchen - auch der Höhe nach - definiert und konkretisiert. Gemäß § 18 Abs. 1 D. ARB 2000 war die Beklagte nach der Deckungsanfrage der Klägerin verpflichtet, sich zu diesen Ansprüchen vollständig und verbindlich zu erklären. Vor diesem Hintergrund ist das Schreiben der Beklagten vom 19.04.2016 eine Teilablehnung.

    cc) Dem Charakter der Teilablehnung entsprechen die Einwendungen der Beklagten im Schreiben vom 19.04.2016. Die Beklagte hat im Einzelnen ausgeführt, weshalb sie in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht eine Durchsetzung der im Entwurfsschreiben vom 23.02.2016 genannten Ansprüche für wenig erfolgversprechend hielt. Aus den umfassenden Einwendungen der Beklagten ergibt sich, dass es nicht darum ging, auf Grund einer eventuellen ergänzenden Auskunft der Klägerin (vgl. § 17 Abs. 5 a D. ARB 2000) eine vollständige Entscheidung über die Rechtsschutzgewährung nachzuholen. Aus dem Schreiben der Beklagten vom 19.04.2016 konnte die Klägerin nicht entnehmen, dass die Beklagte bei bestimmten, konkreten, zusätzlichen Auskünfte möglicherweise umfassenden Deckungsschutz gewähren würde.

    dd) Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Deckungsanfrage vom 23.02.2016 unklar gewesen wäre. Die konkreten Forderungen, welche die Klägerin gegenüber dem Haftpflichtversicherer geltend machen wollte, waren im Einzelnen dem Entwurfsschreiben vom 23.02.2016 zu entnehmen.

    b) Die Beklagte hat ihre Hinweispflicht gemäß § 128 Satz 2 VVG verletzt. Daraus ergibt sich die Fiktion der Anerkennung des Rechtsschutzbedürfnisses gemäß § 128 Satz 3 VVG.

    aa) Weder das Schreiben der Klägerin vom 19.04.2016 noch das vorausgegangene Schreiben vom 14.03.2016 enthalten einen Hinweis darauf, dass die Klägerin mit einem Stichentscheid ihrer Anwältin gemäß § 18 Abs. 2 D. ARB 2000 das Rechtsschutzbedürfnis für beide Seiten verbindlich feststellen lassen konnte. Aus den Schreiben der Beklagten ergibt sich vielmehr, dass sie - rechtlich unzutreffend - der Auffassung war, wegen der Höhe der von der Klägerin beabsichtigten Rechtsverfolgung komme ein Stichentscheid ihrer Anwältin nicht in Betracht.

    bb) Der unterlassene Hinweis löst die Fiktion einer Anerkennung des Rechtsschutzbedürfnisses gemäß § 128 Satz 3 VVG aus. Der Umstand, dass die Klägerin anwaltlich vertreten war, und dass ihre Anwältin die Möglichkeit eines Stichentscheids kannte, steht dem nicht entgegen. Dies ist durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 02.04.2014 (Versicherungsrecht 2014, 699, 701) geklärt. (Ebenso die h. M. in der neueren Literatur; vgl. Bruns in Bruck/Möller, a. a. O., § 128 VVG Rn. 34; Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 9. Auflage 2018, § 128 VVG Rn. 15; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 5. Auflage 2016, § 128 VVG Rn. 5; anders Prölss/Armbrüster, a. a. O., § 128 VVG Rn. 5.)

    Die Rechtsfolge des unterlassenen Hinweises ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes. Für die Hinweispflicht und für die Folgen eines unterlassenen Hinweises kommt es nicht darauf an, ob und inwieweit ein Versicherungsnehmer - oder sein Anwalt - einer entsprechenden Belehrung bedarf. Es kann daher auch dahinstehen, inwieweit einem Versicherungsnehmer im Rahmen von § 128 VVG Rechtskenntnisse seines Anwalts zuzurechnen wären. Die gesetzliche Regelung hat den Zweck, dass der Versicherungsnehmer möglichst schnell Klarheit haben soll, welchen Weg er einschlagen kann - oder einschlagen muss, - um die Leistungspflicht des Rechtsschutzversicherers durchzusetzen. (Vgl. BGH, a. a. O.; Harbauer a. a. O.; Rixecker a. a. O.). Die Schreiben der Beklagten vom 14.03.2016 und vom 19.04.2016 machen deutlich, dass die Beklagte - entgegen der Regelung in § 18 Abs. 2 D. ARB 2000 - schon im Voraus nicht bereit war, sich wegen der Höhe der vom Kläger gegen den Haftpflichtversicherer geltend gemachten Ansprüche einem möglichen Stichentscheid gemäß § 18 Abs. 2 D. ARB 2000 zu unterwerfen. Aus § 128 Satz 3 VVG folgt die vom Gesetzgeber vorgesehene Sanktion für dieses Verhalten des Versicherers.

    4. Die Leistungspflicht der Beklagten ist im Zusammenhang mit dem Entwurfsschreiben der Klägerin vom 23.02.2016 für die folgenden Ansprüche zu konkretisieren:

    Schmerzensgeld mindestens:  50.000,00 €

    Haushaltsführungsschaden bis einschließlich Februar 2016:  31.098,38 €

    zukünftiger Haushaltsführungsschaden: monatlich  1.480,88 €

    Erwerbsschaden bis einschließlich Februar 2016: 36.900,00 €
     
    zukünftiger Erwerbsschaden: monatlich  1.260,00 €
     
    sonstige materielle Schäden:  736,45 €

    Feststellung für den Ersatz zukünftiger Schäden (Streitwert:) 30.000,00 €.
     
    Die Addition der Streitwerte (vgl. die Berechnung in der Klageschrift, Seite 24, 29) ergibt einen Gesamtstreitwert von 263.851,79 €. Die Streitwertberechnung der Klägerin ist zutreffend und wird von der Beklagten nicht beanstandet.

    5. Der Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) steht dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Nach dem Willen des Gesetzgebers spielt eine Kenntnis der Klägerin oder ihrer Anwältin von der Möglichkeit eines Stichentscheids im Rahmen von § 128 Satz 3 VVG keine Rolle (siehe oben). Gesichtspunkte von Treu und Glauben können nicht zu einem Ergebnis führen, welches der Regelung in § 128 VVG widersprechen würde.

    6. Da ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin im Sinne der Versicherungsbedingungen gemäß § 128 Satz 3 VVG anzunehmen ist, kommt es auf den Stichentscheid der Rechtsanwältin der Klägerin nicht an.

    7. Das Landgericht hat in einem obiter dictum ausgeführt, die Kammer habe größte Bedenken, ob das behauptete Unfallereignis Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche im begehrten Umfang rechtfertigen könne. Der Senat hat - aus den oben angegebenen Gründen - eine Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung der Klägerin nicht durchgeführt.

    RechtsgebietVVGVorschriften§ 128 VVG