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  • 25.06.2015 · IWW-Abrufnummer 144771

    Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 17.03.2015 – 28 U 208/13

    Zu den Beratungspflichten eines Rechtsanwalts, der in einer vorausgegangenen Arzthaftungssache einen Abfindungsvergleich abschließt.

    Zu Fragen der haftungsausfüllenden Kausalität in einer Anwaltshaftungssache, wenn es um den hypothetischen Ausgang einer Arzthaftungssache geht.


    Oberlandesgericht Hamm

    28 U 208/13

    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das am 14.11.2013 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

    G r ü n d e:

    2

    I.

    3

    Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen der Verletzung anwaltlicher Berufspflichten auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch, daneben verlangt sie die Feststellung seiner weitergehenden Einstandspflicht.

    4

    Die Klägerin lastet dem Beklagten an, seine Pflichten in einem von der Klägerin erteilten Mandat verletzt zu haben, das folgende Arzthaftungsangelegenheit zum Gegenstand hatte:

    5

    Die am 16.02.19xx geborene Klägerin begab sich im Mai 2002 in ärztliche Behandlung des seinerzeit in X/M als Orthopäden niedergelassenen Zeugen Dr. med. y, weil sie unter Schmerzen am rechten Fuß klagte. Hintergrund der Schmerzen war die Ausbildung eines Hallux valgus, d.h. einer Schiefstellung der Großzehe. Ferner wurde ein Pilzbefall des Großzehennagels festgestellt.

    6

    Am 13.05.2002 wurde zwischen der Klägerin und Dr. y besprochen, dass der Hallux valgus operativ korrigiert werden sollte. Außerdem sollte „etwas“ wegen des Pilzbefalls am Großzehennagel unternommen werden. Der genaue Inhalt der Besprechung ist streitig.

    7

    Am 24.05.2002 wurde die geplante Operation durch Dr. y ambulant durchgeführt. Die Deformierung der Großzehe wurde nach der Methode Meyer-Scarf behoben. Es erfolgte eine Fixation der Osteotomie mittels Schrauben und Drähten. Die X wurde schichtweise verschlossen; ein steriler Wundverband mit elastischen Binden wurde angelegt. Im direkten Anschluss wurde der pilzbefallene Nagel der Großzehe extrahiert. Dort wurde ein Verband mit Betaisodona angelegt.

    8

    An den beiden folgenden postoperativen Tagen klagte die Klägerin über mäßige Schmerzen.

    9

    Am 27.05.2002 erfolgte ein Verbandswechsel in der Praxis von Dr. y ohne auffälligen Befund.

    10

    Am 03.06.2002 wurde die Klägerin im St.-N--Hospital M zur stationären Behandlung aufgenommen wegen einer Schwellung des rechten Fußes. Im Rahmen einer Revisionsoperation wurde ein Wundabstrich genommen, bei dem ein Befall mit staphylococcus aureus festgestellt wurde. Die Entlassung erfolgte am 17.06.2002.

    11

    Am 08.07.2002 erfolgte eine Wiedervorstellung der Klägerin im St.-N-Hospital, weil sich ein Abzess an der Operationswunde ausgebildet hatte. Das hatte eine zweite Revisionsoperation zur Folge mit Entlassung der Klägerin aus der stationären Behandlung am 24.07.2002. Während eines weiteren stationären Aufenthalts im August 2002 wurde eine dritte Revisionsoperation durchgeführt. Im Februar und März 2003 wurde die Klägerin stationär im St.-K-Stift in T behandelt wegen Schwellung und Schmerzhaftigkeit des rechten Vorfußes. Anlässlich einer radiologischen Untersuchung wurde eine weitgehende Zerstörung des rechten Großzehgrundgelenks festgestellt mit Verdacht auf Osteomyelitis.

    12

    Am 30.04.2003 suchte die Klägerin den in der Anwaltskanzlei I ◦ M ◦ X in N als Rechtsanwalt tätigen Beklagten auf und bat ihn um eine Beratung wegen eventueller gegen Dr. y geltend zu machender Ansprüche.

    13

    Die Klägerin ging davon aus, dass die ärztliche Behandlung bei Dr. y fehlerhaft erfolgt sei und die Infektion mit Staphylokokken zur Folge gehabt habe.

    14

    Der Beklagte korrespondierte daraufhin in der Folgezeit zunächst mit Dr. y und sodann mit dessen Berufshaftpflichtversicherung – der B B-er und N GmbH –, die mit Schreiben vom 28.07.2003 etwaige Ansprüche zurückwies.

    15

    In der Zwischenzeit erhielt die Klägerin wegen der Fußbeschwerden mit Wirkung ab 01.07.2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

    16

    Im August 2003 stellte sich die Klägerin erneut im St.-K-Stift in T vor, weil sich eine Fistelung im Operationsbereich eingestellt hatte. Im Rahmen eines operativen Eingriffs wurde erneut ein Befall mit staphylococcus aureus festgestellt. Die Klägerin wurde am 23.09.2003 aus der stationären Behandlung entlassen.

    17

    Im Herbst 2003 leitete der Beklagte für die Klägerin zur Klärung der Frage eines ärztlichen Behandlungsfehlers ein Verfahren vor dem Gutachterausschuss für Haftpflichtfragen der Ärztekammer Westfalen-Lippe ein.

    18

    Im März 2004 wurde im St.-K-Stift eine Arthrodese der Großzehe durchgeführt, d.h. eine operative Gelenksversteifung. Im Dezember 2004 wurde bei der Klägerin im St.-K-Stift T linksseitig ein künstliches Kniegelenk implantiert. Anschließend schloss sich eine Reha-Behandlung in der N Klinik Bad S an.

    19

    Im Rahmen des Verfahrens vor dem Gutachterausschluss der Ärztekammer wurde in den gutachterlichen Stellungnahmen des Chefarztes Dr. med. T3 vom 11.01.2005 und des Chefarztes Dr. med. T4 vom 12.07.2005 festgestellt, dass es zumindest „fragwürdig“ gewesen sei, dass Dr. y im Rahmen der Hallux-Operation gleichzeitig den Großzehennagel entfernt habe. Dadurch seien wahrscheinlich Keime in den Operationsbereich der Großzehe verschleppt worden, die dann die nachfolgende Infektion ausgelöst hätten. Dementsprechend wurde durch Bescheid des Gutachterausschusses vom 26.07.2005 das Vorliegen eines Behandlungsfehlers festgestellt.

    20

    Vor diesem Hintergrund nahm der Beklagte mit Schreiben vom 15.08.2005 erneut Kontakt zu der B Berufshaftpflichtversicherung auf, um die Frage eines außergerichtlichen Vergleichs zu klären. Der Beklagte hielt einen Schmerzensgeldbetrag von mindestens 15.000,00 EUR für angemessen und bezifferte den Verdienstausfallschaden der Klägerin für die Zeit vom 01.07.2003 bis 01.07.2005 auf 13.666,50 EUR.

    21

    Die Vergleichsbeträge wurden telefonisch nachverhandelt. Der Beklagte teilte der B am 24.08.2005 mit, dass er einen Schmerzensgeldbetrag von 15.000,00 EUR anrege zuzüglich eines Pauschalbetrages von 8.000,00 EUR für die bisher entstandenen materiellen Kosten, einschließlich Verdienstausfall.

    22

    Am 30.08.2005 bot die B dem Beklagten die Zahlung eines Abgeltungsbetrages von 16.000,00 EUR an. Dies teilte der Beklagte der Klägerin mit und wies darauf hin, dass damit auch Ansprüche abgegolten seien, die sich auf eine künftige Verschlechterung bezögen, z.B. bei Amputation der Zehe. Die Klägerin müsse einen solchen Vergleich nicht schließen, sondern könne z.B. auch lediglich einen Vergleich über das Schmerzensgeld schließen und sich bezüglich eines möglichen Zukunftsschadens weitere Ansprüche in Form eines Feststellungsurteils sichern. Im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung sei mit einem Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 10.000,00 EUR zu rechnen.

    23

    Am 01.09.2005 besprach der Beklagte die Angelegenheit persönlich mit der Klägerin.

    24

    Am 06.09.2005 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie nach Rücksprache mit den Ärzten keinen Abfindungsvergleich abschließen wolle, weil später entstehende Ansprüche nicht ganz unwahrscheinlich seien.

    25

    Dies teilte der Beklagte wiederum mit Schreiben vom 07.09.2005 der B mit. In dem Anschreiben hieß es wörtlich:

    26

    Nach Rücksprache mit den nachbehandelnden Ärzten ist eine Verschlimmerung des Befundes nicht auszuschließen, so dass nur ein Vergleich abgeschlossen werden kann, der den bisher entstandenen Schmerzensgeldanspruch umfasst.

    27

    Darüber hinaus muss Herr Dr. y auf die Einrede der Verjährung dauerhaft und unbefristet verzichten.

    28

    Außerdem muss in dem Vergleichstext klargestellt werden, dass hiervon zukünftige weitere materielle und immaterielle Schäden nicht betroffen sind, vergleichbar einem Feststellungsantrag in einem gerichtlichen Verfahren.

    29

    Mit Schreiben vom 21.09.2005 wandte die B sich erneut an den Beklagten und teilte Folgendes mit:

    30

    Nachdem ein Abfindungsvergleich nicht abgeschlossen werden kann, erklären wir uns hiermit – unter Ausklammerung eines potentiellen Zukunftsschadens – bereit, eine Pauschalentschädigung von 10.000,00 € zur Verfügung zu stellen.

    31

    Die Haftung für heute noch nicht feststehende oder absehbare Schäden, die erwiesenermaßen darauf zurückzuführen sind, dass unserer Versicherungsnehmer den Fuß Ihrer Mandantin nicht korrekt behandelt hat, erkennen wir dem Grunde nach mit der Wirkung eines am 21. September 2005 rechtskräftigen Feststellungsurteils an.

    32

    Dem Anschreiben war eine von der Klägerin zu unterzeichnende Vergleichs- und Abfindungserklärung beigefügt, nach der gegen Zahlung von 10.000,00 EUR alle Schadensersatzansprüche aus der ab 24.05.2002 stattgefundenen ärztlichen Behandlung abgegolten sein sollten. Wörtlich hieß es:

    33

    Diese Erklärung erstreckt sich auf alle eingetretenen und erkennbaren sowie alle objektiv voraussehbaren Folgen des Schadensereignisses. Vorbehalten bleiben weitere Ansprüche nach Maßgabe von BGH VersR 80, 975.

    34

    Der Beklagte leitete diese Schreiben am 26.09.2005 an die Klägerin weiter und bat um Rücksprache, ob ein entsprechender Vergleich abgeschlossen werden solle. Der Beklagte führte dazu aus:

    35

    Danach würden Sie jetzt einen Betrag von 10.000,00 EUR erhalten, später hinzutretende Probleme, die heute noch nicht absehbar sind, wären davon nicht erfasst.

    36

    Die Klägerin teilte dem Beklagten am 21.10.2005 mit, dass der Vergleichsvorschlag angenommen werden solle. Der Beklagte informierte die B darüber mit Schreiben vom 24.10.2005. In der Folgezeit erhielt die Klägerin die 10.000,00 EUR ausgezahlt.

    37

    Im September 2008 lernte die Klägerin ihre vormalige erstinstanzliche Prozess-bevollmächtigte kennen und berichtete dieser über ihren schlechten Allgemeinzustand. Aufgrund der Erläuterungen der damaligen Prozessbevollmächtigten entstand bei der Klägerin der Eindruck, dass ihre materiellen und immateriellen Schäden durch die gezahlten 10.000,00 EUR nicht angemessen abgegolten seien, weil sie nach mehr als sechs Jahren immer noch unter den Folgen der Operation leide.

    38

    Im Auftrag der Klägerin nahm deshalb die Prozessbevollmächtigte am 27.11.2008 telefonisch Kontakt zu der Rechtsnachfolgerin der B – der H AG – auf, um mögliche weitergehende Ansprüche der Klägerin zu klären. Des Weiteren wurde die Anfechtung der Vergleichs- und Abfindungserklärung erklärt.

    39

    Zugleich wandte die Bevollmächtigte sich an den Beklagten, der ihr allerdings mit Schreiben vom 29.12.2008 mitteilte, dass sich der im Jahre 2005 abgeschlossene Vergleich ohnehin nur auf das Schmerzensgeld bezogen habe. Es stehe der Klägerin selbstverständlich frei, weitergehende Ansprüche gegen Dr. y geltend zu machen.

    40

    Mit Schreiben vom 20.01.2009 teilte die H der damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin hingegen mit, dass sich der abgeschlossene Vergleich nicht nur auf das Schmerzensgeld, sondern auch auf etwaige materielle Schäden bezogen habe. Soweit die Klägerin nunmehr Beschwerden im Knie bzw. Rückenprobleme vortrage, seien diese bereits bei Abschluss des Vergleichs absehbar gewesen. Die Klägerin könne deshalb die beabsichtigten Ansprüche nicht mehr geltend machen.

    41

    Vor diesem Hintergrund erhebt die Klägerin gegen den Beklagten folgende Regress-vorwürfe:

    42

    Der Beklagte habe eine sorgfältige Beratung hinsichtlich des Für und Wider des Vergleichs unterlassen. Er habe ihr vielmehr den Abschluss des Vergleichs über 10.000,00 EUR empfohlen, der aber angesichts der erheblichen Gesundheitsschäden in keinster Weise angemessen gewesen sei. Sie sei immerhin vollständig erwerbsunfähig gewesen. Mittlerweile könne sie nur noch 50 m zu Fuß laufen und maximal 5 Minuten am Stück stehen. Sie sei auf einen Rollstuhl und die Einnahme von Antidepressiva angewiesen. Auch weitere materielle Schadenspositionen (Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden, Zusatzkosten und vermehrte Bedürfnisse durch einen behindertengerechten Umbau des Hauses) seien vom Beklagten nicht thematisiert worden. Außerdem habe er übersehen, dass sie mit weiteren Ansprüchen wegen Beschwerden ausgeschlossen sei, die dem Beklagten seinerzeit bekannt gewesen seien. So habe der Beklagte angesichts des laufenden Rentenverfahrens gewusst, dass sich wegen der Beschwerden am rechten Fuß eine Mehrbelastung des gesunden linken Beins eingestellt habe. Ausweislich des im Rentenverfahren erstellten Gutachtens des Orthopäden Dr. L2 vom 09.10.2006 sei eine deutliche Verschlechterung eingetreten durch die Arthrose am linken Knie mit dem Erfordernis der Implantation eines künstlichen Kniegelenks sowie durch den Verschleiß auch des rechten Kniegelenks und der Lendenwirbelsäule. Außerdem sei eine Medikamentenabhängigkeit eingetreten. Daraus resultierende Ansprüche seien durch den abgeschlossenen Vergleich abgegolten, weil diese Beschwerdefolgen sich bereits aus dem damaligen Streitstoff ergeben hätten.

    43

    Die Klägerin ist zur Darlegung des Regressschadens davon ausgegangen, dass ihr durch den Vergleichsabschluss die Liquidierung folgender Schäden entgangen sei:

    44

    weitergehendes Schmerzensgeld: 70.000,00 EUR

    45
     Verdienstausfall: 40.881,47 EUR

    46
    Haushaltsführungsschaden: 103.447,68 EUR

    47

    Umbaukosten für PKW: 10.000,00 EUR

    48

    Kosten für Einbau eines Treppenlifts: 15.500,00 EUR

    49

    Zusatzkosten für Schuhwerk: 3.240,00 EUR

    50

    Aufwendungen für Arztbesuche: .800,00 EUR

    51

    Kosten für Medikamente und Arztgebühren: 950,00 EUR

    52

    245.819,15 EUR

    53

    Die Klägerin hat beantragt,

    54

    1. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2008 zu zahlen

    55

    2. festzustellen, dass der Beklagte - vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs - verpflichtet ist, ihr allen materiellen und den weiteren immateriellen Schaden, der aus der Falschberatung und Vertretung des bei dem Beklagten unter dem Az.: 01147/3/0 geführten Vorgangs entstanden ist oder noch entsteht, zu ersetzen

    56

    3. hilfsweise:

    57

    a) den Beklagten zu verurteilen, an sie 245.819,15 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.12.2008 zu zahlen

    58

    b) festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche immateriellen und materiellen Schäden, die aus der Falschberatung und Vertretung des bei dem Beklagten unter dem Az.: 01147/3/0 geführten Vorganges künftig entstehen, zu ersetzen - vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs

    59

    4. den Beklagten zu verurteilen, sie von außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung i.H.v. 6.271,30 EUR, zu zahlen an Rechtsanwältin T1-T1 , freizustellen und diesen Betrag ab Klagezustellung mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen

    60

    5. den Beklagten zu verurteilen, sie von außergerichtlichen Kosten durch die Beauftragung von Herrn Rechtsanwalt T in X im Rahmen der Korrespondenz mit der Rechtsschutzversicherung der Klägerin i.H.v. 837,52 EUR freizustellen und diesen Betrag ab Klagezustellung mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

    61

    Der Beklagte hat beantragt,

    62

    die Klage abzuweisen.

    63

    Er hat geltend gemacht, die vereinbarte Vergleichssumme von 10.000,00 EUR sei angesichts der Sach- und Rechtslage angemessen gewesen. Er habe die Klägerin umfassend über die Konsequenzen des Vergleichsabschlusses informiert.

    64

    Selbst wenn er bei Abschluss des Vergleichs seine Pflichten verletzt haben sollte, sei der Klägerin dadurch kein kausaler Schaden entstanden. Der Klägerin hätten gegen Dr. y keine Ansprüche zugestanden, denn die ärztliche Behandlung sei nicht fehlerhaft erfolgt. Die Klägerin sei umfassend aufgeklärt worden. Die Entfernung des Großzehennagels habe ihrem Wunsch entsprochen. Selbst wenn die Klägerin über ein zusätzliches Infektionsrisiko bei der Nagelextraktion hätte aufgeklärt werden müssen, hätte sie sich für den tatsächlich stattgefundenen Operationsverlauf entschieden.

    65

    Das nunmehr geltend gemachte weitere Schmerzensgeld von 70.000,00 EUR sei krass übersetzt. Im Übrigen sei die Kläger durch den Vergleichsabschluss keineswegs mit weitergehenden Ansprüchen ausgeschlossen. Im Gegenteil sei gerade vereinbart worden, dass seitens des behandelnden Arztes sämtliche potentiellen Zukunftsschäden und zwar in Form von nicht feststehenden oder absehbaren Schäden dem Grunde nach anerkannt wurden. Unabhängig davon hat der Beklagte weitere Einwände gegen Grund und Höhe der geltend gemachten Schadenspositionen erhoben.

    66

    Der Beklagte hat schließlich die Einrede der Verjährung erhoben.

    67

    Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Beauftragung des Facharztes für Chirurgie und Orthopädie Prof. Dr. med. T. N2 mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Fehlerhaftigkeit der von Dr. y durchgeführten Operation. Das Gutachten wurde in schriftlicher Form am 09.04.2012 erstellt und in der Kammersitzung vom 14.11.2013 mündlich erläutert unter Einbeziehung des von der Klägerin beauftragten Privatgutachters Dr. med. T2. Zusätzlich wurde die Klägerin persönlich angehört.

    68

    Das Landgericht hat daraufhin die Klage mit folgender Begründung abgewiesen:

    69

    Der Klägerin stehe gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 611, 675 BGB zu.

    70

    Es könne dahinstehen, ob der Beklagte seine Pflichten gegenüber der Klägerin verletzt habe bzw. ob ein etwaiger Ersatzanspruch verjährt sei. Es lasse sich nicht feststellen, dass sich die Vermögenslage der Klägerin ohne den Abschluss des Vergleichs besser dargestellt hätte. Denn eine gerichtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen Dr. y wäre nicht erfolgreich gewesen. Dessen seinerzeitige Behandlung sei nicht fehlerhaft gewesen. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2 könne dem behandelnden Arzt allenfalls insoweit ein Fehler angelastet werden, als dass keine Indikationslage für die Entfernung des Großzehennagels bestanden habe; dieser hätte vielmehr auch konservativ behandelt werden können. Es handele sich aber nach den Ausführungen des Sachverständigen keineswegs um einen groben Behandlungsfehler. Vor diesem Hintergrund lasse sich auch nicht feststellen, dass das Nagelbett bakteriell verkeimt gewesen sei bzw. dass Keime von dort in die X der Hallux-valgus-Operation gelangt seien. Es könne sich auch das mit der Hallux-Operation verbundene typische Wundinfektionsrisiko realisiert haben.

    71

    Der allein zu konstatierende Behandlungsfehler (indikationslose Entfernung des Großzehennagels) habe aber in seiner Konsequenz lediglich zum vorübergehenden Verlust des Zehennagels und für einige Tage zu zusätzliche Beschwerden der Klägerin geführt. Dies sei durch das gezahlte Schmerzensgeld von 10.000,00 EUR mehr als abgegolten.

    72

    Eine weitergehende Haftung des Arztes hätte sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Aufklärungspflicht ergeben. Es lasse sich bereits nicht feststellen, dass die Klägerin nicht über das Infektionsrisiko aufgeklärt worden sei. Zumindest müsse aber davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in den operativen Eingriff auch bei Vornahme einer solchen Aufklärung eingewilligt hätte. Ihr sei schließlich daran gelegen gewesen, möglichst zeitnah wieder beschwerdefrei zu werden.

    73

    Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Ansprüche weiterverfolgt.

    74

    Sie betont, dass dem Beklagten ein Beratungsfehler anzulasten sei, denn er habe ausweislich seines vorprozessualen Schreibens vom 07.09.2005 selbst nur einen Vergleich bezüglich des bis dahin entstandenen Schmerzensgelds angestrebt. Die tatsächlich mit der Haftpflichtversicherung getroffene Vereinbarung habe aber einen darüber hinausgehenden Umfang, der alle Zukunftsschäden abgelte, die seinerzeit erkennbar und objektiv vorhersehbar gewesen seien.

    75

    Die Klägerin stellt ferner darauf ab, dass das Landgericht im Rahmen der Kausalitätserwägungen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung zwingend zur Annahme eines groben Behandlungsfehlers hätte kommen müssen, denn Dr. y habe die operative Entfernung des Großzehennagels ohne Indikationslage und ohne ihre Einwilligung vorgenommen; erst recht sei sie nicht über das damit zusammenhängende Risiko belehrt worden.

    76

    Das Landgericht hätte seiner Entscheidung bei fehlerfreier Beweiswürdigung auch nicht die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2 zugrundelegen dürfen. So habe Prof. Dr. N2 unreflektiert die Prozessbehauptung der Gegenseite übernommen, die Entfernung des pilzbefallenen Zehennagels sei „auf Wunsch der Klägerin“ erfolgt, was tatsächlich nicht der Fall gewesen sei. Im Übrigen habe sich das Landgericht auch nicht mit den entgegenstehenden Stellungnahmen von Dr. T3 und Dr. T2 auseinandergesetzt

    77

    Die Klägerin beantragt,

    78

    das landgerichtliche Urteil abzuändern und

    79

    1. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.12.2008 zu zahlen

    80

    2. festzustellen, dass der Beklagte - vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs - verpflichtet ist, ihr allen materiellen und den weiteren immateriellen Schaden, der aus der Falschberatung und Vertretung des bei dem Beklagten unter dem Az.: 01147/3/0 geführten Vorgangs entstanden ist oder noch entsteht, zu ersetzen

    81

    3. hilfsweise:

    82

    a) den Beklagten zu verurteilen, an sie 245.819,15 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.12.2008 zu zahlen

    83

    b) festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche immateriellen und materiellen Schäden, die aus der Falschberatung und Vertretung des bei dem Beklagten unter dem Az.: 01147/3/0 geführten Vorganges künftig entstehen, zu ersetzen - vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs

    84

    4. den Beklagten zu verurteilen, sie von außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung i.H.v. 6.271,30 EUR, zu zahlen an Rechtsanwältin T1-T1, freizustellen und diesen Betrag ab Zustellung der unter dem 03.12.2010 erhobenen Klage mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen

    85

    5. den Beklagten zu verurteilen, sie von außergerichtlichen Kosten durch die Beauftragung von Herrn Rechtsanwalt T in X im Rahmen der Korrespondenz mit der Rechtsschutzversicherung der Klägerin i.H.v. 837,52 EUR freizustellen und diesen Betrag ab Zustellung der am 03.12.2010 erhobenen Klage mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen

    86

    6. hilfsweise den Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuweisen.

    87

    Der Beklagte beantragt,

    88

    die Berufung zurückzuweisen.

    89

    Er rügt, dass die mit der Berufungsbegründung vorgetragenen Einwände gegen das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. N2 verspätet seien. Ausweislich der Niederschrift über die Kammersitzung vom 14.11.2013 hätten die damaligen Klägervertreter erklärt, dass keine weiteren Fragen mehr an den Sachverständigen gerichtet werden sollten. Ebenso wenig sei ein Schriftsatznachlass beantragt worden.

    90

    Der Beklagte bekräftigt, dass ihm keine Pflichtverletzung anzulasten sei. Im Übrigen sei aber das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht die Entstehung eines kausalen Schadens bewiesen habe: Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2 sei gerade nicht von einem groben Behandlungsfehler auszugehen. In der Rechtsprechung sei außerdem anerkannt, dass es keinen „groben Aufklärungsfehler“ gebe. Außerdem sei ohnehin von einer pflichtgemäßen Aufklärung durch den Zeugen Dr. y auszugehen.

    91

    Das Landgericht habe sich schließlich im Rahmen seiner Beweiswürdigung durchaus mit den entgegenstehenden Ausführungen des Privatgutachters Dr. T2 auseinandergesetzt, auch wenn dessen Feststellungen nicht verwertbar seien, weil er als Kinderarzt und Hygieneverantwortlicher nicht in dem maßgeblichen Fachgebiet des behandelnden Arztes tätig gewesen sei.

    92

    Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils und die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

    93

    Der Senat hat die Parteien und den Sachverständigen Prof. Dr. N2 in der Sitzung am 03.02.2015 ergänzend angehört. Das Ergebnis der Anhörung geht aus dem Berichterstattervermerk vom gleichen Tag hervor.

    94

    II.

    95

    Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

    96

    Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 611, 675 Abs. 1 BGB zusteht.

    97

    1. Als die Klägerin am 30.04.2003 die Anwaltskanzlei I ◦ M ◦ X in N aufsuchte, um mit dem dort als Partner tätigen Beklagten etwaige Ansprüche gegen Dr. y besprechen, wurde ein entsprechendes anwaltliches Mandat der Sozietät und nicht dem Beklagten persönlich erteilt, dessen Haftung sich dann allerdings aus entsprechender Anwendung des § 128 HGB ergäbe.

    98

    2. Der Beklagte muss sich im Ausgangspunkt auch vorhalten lassen, seine anwaltlichen Beratungspflichten gegenüber der Klägerin verletzt zu haben.

    99

    Der Beklagte war bei der Erfüllung des Anwaltsdienstvertrages verpflichtet, zunächst die Interessenlage der Klägerin zu klären und sodann deren Interessen im Rahmen des erteilten Mandats umfassend und in jeder Richtung wahrzunehmen.

    100

    Der Beklagte hatte sich an dem Gebot des sichersten Weges zu orientieren und denjenigen Weg vorzuschlagen, der die größte Sicherheit der Zielerreichung versprach, um vermeidbare Nachteile zu vermeiden (BGH NJW 2012, 2435; BGH NJW 2009, 1589; BGH NJW 2007, 2486; BGH NJW 2006, 3494; Vill, in: Zugehör u.a. Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl. 2011, Rnrn. 631ff; Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer/ Terbille Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl. 2010, Rnr. 429ff, 566ff).

    101

    Die Klägerin hat den Beklagten aufgesucht, weil sie den Eindruck hatte, dass die etwa ein Jahr zuvor von Dr. y durchgeführte Operation fehlerhaft verlaufen und sie dadurch mit Staphylokokken infiziert worden sei.

    102

    Vor diesem Hintergrund war der Beklagte gehalten, den maßgeblichen Sachverhalt in Erfahrung zu bringen und sich mit dem behandelnden Arzt bzw. mit dem Berufshaftpflichtversicherer in Verbindung zu setzen.

    103

    Nachdem die B am 28.07.2003 etwaige Ansprüche zurückgewiesen hatte, war es pflichtgemäß, das Verfahren vor dem Gutachterausschuss der Ärztekammer einzuleiten. Als von dort mit Bescheid vom 26.07.2005 das Vorliegen eines Behandlungsfehlers bejaht worden war, musste die Angelegenheit erneut mit der Klägerin besprochen werden, weil es für die Bezifferung etwaiger Ansprüche auf ihr aktuelles Beschwerdebild ankam.

    104

    Insofern war zu konstatieren, dass im Anschluss an die eigentliche Hallux-valgus-Operation vier stationäre Aufenthalte im St.-K-Stift notwendig geworden waren mit drei Revisions-Operationen. Ferner war die Klägerin wegen des Vorfalls erwerbsunfähig. Die Großzehe rechts hatte versteift werden müssen, linksseitig war ein künstliches Kniegelenk eingesetzt worden, wobei insofern wegen der Fehlbelastung nicht ausschließbar ein Zusammenhang zur Hallux-valgus-Operation bestand.

    105

    Der Beklagte musste ferner in den Blick nehmen, dass die Sachverständigen des Gutachterausschusses einen Behandlungsfehler in dem Sinne bejaht hatten, dass die Entfernung des Großzehennagels kontraindiziert gewesen sei, weil dies das Risiko mit sich brachte, dass im Nagelbett vorhandene Keime in die Wunde der Hallux-valgus-Operation verschleppt würden.

    106

    Aus anwaltlicher Sicht war allerdings zu bedenken, dass die Sachverständigen sich nicht offen für einen „groben Behandlungsfehler“ ausgesprochen hatten. Das bedeutete, dass die Klägerin letztlich den Beweis führen musste, dass die in der Hallux-valgus-Wunde vorgefundenen Keime gerade aus dem Nagelbett der Großzehe stammten. Insofern war zu konstatieren, dass der Sachverständige Dr. T3 einen Ursachenzusammenhang „mit großer Wahrscheinlichkeit“ angenommen hatte und dass auch der weitere Sachverständige Dr. T4 einen Zusammenhang für „wahrscheinlich“ hielt.

    107

    In rechtlicher Hinsicht genügte die bloße Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammen-hangs hingegen nicht für die Begründung eines Arzthaftungsanspruchs (Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. 2014, B.190). Erforderlich war andererseits auch keine absolute und unumstößliche Gewissheit im Sinne eines naturwissenschaftlichen Nachweises, sondern ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln das Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (st. Rspr., zuletzt BGH NJW 2014, 71).

    108

    Der Beklagte hat hierzu bei seiner Anhörung vor dem Senat glaubhaft dargelegt, dass er diese Kausalitätsfrage damals mit seinem Schwiegervater – dem inzwischen verstorbenen Prof. Dr. med. O – besprochen habe, der Chefarzt einer dermatologischen Klinik und zugleich führender Experte in Sachen Fußpilz gewesen sei. Sein Schwiegervater habe ihm mitgeteilt, dass die entsprechenden Keime praktisch überall vorkämen und dass er im Falle einer Prozessführung „nicht bewiesen kriege“, dass ausgerechnet Keime vom Nagelbett in die Hallux-Wunde gewandert seien. Vor diesem Hintergrund sei er – der Beklagte – „nicht scharf darauf gewesen“ einen Prozess gegen den behandelnden Arzt zu führen. Das habe er so auch gegenüber der Klägerin kommuniziert.

    109

    Unter Berücksichtigung dieser mit der Klägerin abgesprochenen Ausgangslage war es pflichtgemäß, dass der Beklagte sich anstelle einer Prozessführung zunächst mit Schreiben vom 15.08.2005 bemühte, eine außergerichtliche Einigung mit der B herbeizuführen.

    110

    Auch der vom Beklagten in diesem Schreiben angegebene Schmerzensgeldbetrag von „mindestens 15.000,00 EUR“ war unter Abwägung einerseits der negativen Operationsfolgen und andererseits der bevorstehenden Prozessrisiken nicht als unangemessen niedrig anzusehen, denn in der damaligen Rechtsprechung waren beispielsweise folgende Ansprüche zuerkannt worden:

    111

     OLG Oldenburg, Urt. 5 U 104/96 vom 03.12.1996: 5.000,00 EUR Schmerzensgeld und immaterieller Vorbehalt bei fehlerhafter Operation an der linken Großzehe, die versteift werden musste mit erheblichen Einschränkungen beim Stehen und Gehen sowie im beruflichen Bereich

    112

     LG Freiburg i. Br., Urt. 8 O 167/97 vom 03.06.1998: 7.500,00 EUR Schmerzensgeld und immaterieller Vorbehalt bei zwei fehlgeschlagenen Hallux-rigidus-Operationen mit nachfolgender Ausbildung einer schmerzhaften Arthrosis deformans

    113

     OLG Düsseldorf, Urt. 8 U 167/96 vom 02.10.1997: 7.500,00 Schmerzensgeld bei fehlerhafter Durchführung einer Hallux-valgus-Operation mit daraus folgenden Gehbeeinträchtigungen

    114

     LG Wuppertal, Urt. 5 O 142/01 vom 25.01.2005: 10.000,00 EUR Schmerzensgeld und immaterieller Vorbehalt bei fehlerhafter Operation an der rechten Großzehe, die nach einer Wundinfektion versteift werden musste

    115

    Darüber hinaus waren zusätzliche materielle Einbußen der Klägerin durch entgangene Einkünfte und einen etwaigen Haushaltsführungsschaden in den Blick zu nehmen.

    116

    Nachdem die B mit Schreiben vom 30.08.2005 geantwortet und eine Vergleichssumme von 16.000,00 EUR angeboten hatte, mit der sämtliche – auch zukünftigen – materiellen und immateriellen Ansprüche der Klägerin abgegolten sein sollten, war der Beklagte gehalten, diesen Vorschlag mit der Klägerin durchzusprechen.

    117

    Die anwaltliche Beratungspflicht des Beklagten musste dabei darauf ausgerichtet sein, die Mandantin umfassend und erschöpfend über Chancen und Risiken eines Vergleichsabschlusses in Relation zu einer ansonsten erforderlichen Prozessführung zu belehren. Der Klägerin war eine eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen, ob sie sich auf den Vergleichsabschluss einlassen wollte oder nicht (BGH NJW 2009, 1589; BGH NJW 2007, 2485). In diesem Zusammenhang musste die Klägerin auch über Inhalt und Tragweite des beabsichtigten Vergleichs belehrt werden, damit sie sich vergewissern konnte, ob die von ihr für wichtig erachteten Rechtspositionen gewahrt wurden (BGH NJW 2009, 1589; BGH NJW 2002, 292; BGH NJW-RR 1996, 567).

    118

    Mit seinem weiteren Vorgehen ist der Beklagte diesen Anforderungen zunächst gerecht geworden. Er hat die Klägerin mit Schreiben vom 31.08.2005 belehrt, dass der vorgeschlagene Vergleich keine Nachzahlung erlaube, wenn sich künftig Verschlechterungen in ihrem Gesundheitszustand ergäben. Um diesen Nachteil zu vermeiden könne auch der Abschluss eines Vergleichs erwogen werden, bei dem Zukunftsschäden ausgeklammert blieben. Dann würde sich allerdings - so der Beklagte gegenüber der Klägerin - ein geringerer Zahlbetrag ergeben; das Schmerzensgeld werde sich dann vermutlich auf 10.000,00 EUR belaufen. Bei einer weiteren persönlichen Unterredung am 01.09.2005 hat der Beklagte die Klägerin zusätzlich darauf hingewiesen, dass die Entscheidung über den Vergleichsabschluss bei ihr liege und sie sich mit den behandelnden Ärzten und ihrer Familie absprechen möge.

    119

    Das hat die Klägerin in der Folgezeit getan und sich gegen den Abschluss des vorgeschlagenen Vergleichs entschieden, insbesondere weil ihre behandelnden Ärzte die gesundheitliche Entwicklung noch nicht als abgeschlossen ansahen.

    120

    Diese eigenverantwortliche Entscheidung der Klägerin hatte der Beklagte zu akzeptieren. Deshalb ist auch der im nachgelassenen Schriftsatz vom 17.02.2015 erhobene Einwand unzutreffend, die Klägerin müsse im Regresswege mindestens so gestellt werden, als ob der damalige Vergleich über 16.000,00 EUR abgeschlossen worden sei. Denn es bestand für den Beklagten kein Anlass, der Klägerin zum Abschluss dieses Abgeltungsvergleichs zu raten, wenn sie nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzten gerade keinen Anspruchsausschluss im Falle künftiger Verschlechterungen wünschte. Der Beklagte war vielmehr gehalten, dem Wunsch der Klägerin zu entsprechen und der B die Ablehnung des Vergleichs mitzuteilen.

    121

    Das ist mit Schreiben des Beklagten vom 07.09.2005 geschehen, in dem er eigens hervorhob, dass die Klägerin nicht bereit sei, sich auf einen Abfindungsvergleich einzulassen, durch den sämtliche Zukunftsschäden ausgeschlossen würden. Es könne nur ein Vergleich abgeschlossen werden, der den bisher entstandenen Schmerzensgeldanspruch umfasse; weitergehende künftige materielle und immaterielle Schäden müssten ausgeschlossen bleiben.

    122

    Die B reagierte darauf mit Schreiben vom 21.09.2005, in dem es hieß:

    123

    Nachdem ein Abfindungsvergleich nicht abgeschlossen werden kann, erklären wir uns hiermit – unter Ausklammerung eines potentiellen Zukunftsschadens – bereit, eine Pauschalentschädigung von 10.000,00 € zur Verfügung zu stellen.

    124

    Die Haftung für heute noch nicht feststehende oder absehbare Schäden, die erwiesenermaßen darauf zurückzuführen sind, dass unserer Versicherungsnehmer den Fuß Ihrer Mandantin nicht korrekt behandelt hat, erkennen wir dem Grunde nach mit der Wirkung eines am 21. September 2005 rechtskräftigen Feststellungsurteils an.

    125

    Der in diesem Anschreiben zum Ausdruck gebrachte neuerliche Vorschlag entsprach zwar im Ansatz der Vorstellung der Klägerin. Allerdings hätte der Beklagte erkennen müssen, dass die von der B dazu als Anlage vorbereitende Vergleichs- und Abfindungserklärung textlich so gefasst war, dass zumindest unter Berücksichtigung des Gebots des sichersten Weges doch der unerwünschte Ausschluss von künftigen Ansprüchen zu befürchten stand. Denn in der Erklärung hieß es:

    126

    Diese Erklärung erstreckt sich auf alle eingetretenen und erkennbaren sowie alle objektiv voraussehbaren Folgen des Schadensereignisses. Vorbehalten bleiben weitere Ansprüche nach Maßgabe von BGH VersR 80, 975.

    127

    In der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.07.1980 wird wiederum im Hinblick auf die Ausschlusswirkung eines Schmerzensgeldurteils ausgeführt:

    128

    Weiteres Schmerzensgeld zu fordern, ist der Klägerin daher nur für Verletzungsfolgen gestattet, die bei der ursprünglichen Bemessung des immateriellen Schadens noch nicht eingetreten waren oder mit deren Eintritt nicht oder nicht ernstlich zu rechnen war. Nur wenn es sich um Verletzungsfolgen handelt, an die auch ein mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung eines unfallursächlichen Körperschadens des Verletzten beauftragter Sachverständiger nicht zu denken brauchte, die aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit schließlich doch eingetreten sind, darf angenommen werden, daß sie vom Streitgegenstand und Entscheidungsgegenstand eines vorausgegangenen Schmerzensgeldprozesses nicht erfaßt sind, ihrer Geltendmachung daher die Rechtskraft nicht entgegensteht.

    129

    Der Klägerin ging es jedoch gerade darum, dass sie wegen solcher gesundheitlicher Verschlechterungen nicht mit Ansprüchen ausgeschlossen war, die die behandelnden Ärzte nicht für denkbar unwahrscheinlich, sondern sogar für absehbar hielten. Dementsprechend hatte auch der Beklagte in seinem Schreiben vom 07.09.2005 noch hervorgehoben, dass künftige materielle und immaterielle Schäden für eine weitere Liquidierung offengehalten werden müssten.

    130

    Bei dieser Sachlage hätte der Beklagte der Klägerin von dem Abschluss des am 21.09.2005 vorgeschlagenen Vergleichs ausdrücklich abraten müssen, weil er den Vorstellungen der Mandantin nicht gerecht wurde.

    131

    Einen solchen Rat hat der Beklagte der Klägerin jedoch – pflichtwidrig – nicht erteilt, sondern bei ihr mit Anschreiben vom 26.09.2005 lediglich nachgefragt, ob der Vergleich abgeschlossen werden solle. Mit dem Vergleichsabschluss würde die Klägerin – so der Beklagte – 10.000,00 EUR erhalten, während spätere noch nicht absehbare Probleme davon nicht erfasst wären.

    132

    Als die Klägerin daraufhin am 21.10.2005 mitteilte, dass der Vergleich angenommen werden möge, befand sie sich in dem durch die fehlerhafte Beratung des Beklagten bedingten Irrtum, dass sie bei einer aktuell zwar noch nicht absehbaren, aber durchaus nicht unwahrscheinlichen „normalen“ Fortdauer ihrer Beschwerden noch eine Nachzahlung verlangen könne, was aber in Wahrheit nur für den Ausnahmefall unerwarteter neuer Krankheitsbilder zutraf.

    133

    3. Der Beklagte hat seine Pflichtverletzung auch subjektiv zu vertreten, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB.

    134

    4. Gleichwohl hat aber das Landgericht die gegen den Beklagten gerichtete Regressklage zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin durch die fehlerhafte Beratung im Zusammenhang mit dem Abschluss des Abfindungsvergleichs letztlich kein Schaden entstanden ist.

    135

    Der Beklagte hat als Ersatzpflichtiger nach § 249 Satz 1 BGB den Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde. Deshalb ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtmäßigem Verhalten des Rechtsanwalts genommen hätten, insbesondere wie sich die Gesamtvermögenslage der Mandantin in einem solchen Fall darstellen würde. Dabei dürfen an die Darlegung eines hypothetischen Geschehens keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn die Geschädigte V vorträgt, die nach dem abgeschwächten Beweismaß des § 287 Abs. 1 ZPO eine überwiegende, freilich auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Geschehensablaufs nahelegen (BGH NJW-RR 2006, 923; G. Fischer, in: Zugehör a.a.O. Rnr. 1102; Fahrendorf a.a.O. Rnr. 748).

    136

    Die tatsächliche Vermögenslage der Klägerin stellt sich so dar, dass sie von dem Berufshaftpflichtversicherer des behandelnden Arztes einen Betrag von 10.000,00 EUR ausgezahlt bekommen hat, während eine weitergehende Liquidierung mit Schreiben vom 20.01.2009 abgelehnt wurde.

    137

    Was den Geschehensablauf bei einem unterstellten pflichtgemäßen Abraten vom Vergleichsabschluss anbelangt, trägt die Klägerin nicht mit Substanz vor, dass für den Beklagten Anlass bestanden hätte, den angedachten Vergleich noch einmal nachzuverhandeln. Erst recht führt die Klägerin nicht aus, welche für sie besseren Konditionen die B seinerzeit zu akzeptieren bereit gewesen wäre. Nach Aktenlage stellt sich vielmehr deren Vergleichsvorschlag vom 21.09.2005 über die Pauschalentschädigung von 10.000,00 EUR als ein nach längerem Verhandeln entstandenes finales Angebot dar.

    138

    Die Klägerin stellt denn auch in erster Linie darauf ab, dass sie anstelle eines Vergleichsabschlusses die gegen Dr. y bestehenden Ersatzansprüche hätte rechtshängig machen müssen und damit letztlich in einer Größenordnung von 245.819,15 EUR Erfolg gehabt hätte.

    139

    Eine solche Anspruchsrealisierung lässt sich aber nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen. Es ist vielmehr umgekehrt davon auszugehen, dass die Klägerin im Rahmen einer Arzthaftungsklage noch nicht einmal die von der Versicherung gezahlten 10.000,00 EUR erstritten hätte.

    140

    Bei der Beurteilung, wie ein hypothetisch geführter Rechtsstreit ausgegangen wäre, kommt es darauf an, wie aus Sicht des Regressgerichts normativ zutreffend über den Sachverhalt hätte entschieden werden müssen, der seinerzeit klagebegründet hätte angeführt werden können (st. Rspr., BGH NJW 2009, 987; G.Fischer, in: Zugehör a.a.O. Rnrn. 1189ff; Fahrendorf a.a.O. Rnrn. 898ff). Dabei ist für die maßgebliche Rechtslage auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die hypothetische Entscheidung ergangen wäre bzw. hätte ergehen müssen. Das gilt auch für die Berücksichtigung der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung (G.Fischer, in: Zugehör a.a.O. Rnrn. 1192f).

    141

    Für einen etwaigen Schmerzensgeld- bzw. Schadensersatzanspruch kann deshalb nicht auf die am 26.02.2013 in Kraft getretenen Regelungen in §§ 630a ff BGB abgestellt werden, zumal diese entsprechend Art. 170 EGBGB nicht rückwirkend anwendbar sind (OLG Köln VersR 2014, 106 – juris-Tz. 53).

    142

    Vielmehr kommt es für die Anspruchsprüfung im Rahmen der seinerzeit einschlägigen §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB darauf an, ob die von Dr. y am 24.05.2002 vorgenommenen operativen Eingriffe auf einer wirksamen Einwilligung der Klägerin beruhten und ob sie dem seinerzeit gültigen ärztlichen Standard entsprachen.

    143

    a) Nach dem jetzigen Regressvorbringen soll es für die vorgenommenen Eingriffe an einer wirksamen Einwilligung gefehlt haben, weil die Klägerin nicht ordnungsgemäß über die Risiken der Eingriffe belehrt worden sei.

    144

    aa) Der Vorwurf der Klägerin geht zum einen dahin, dass Dr. y im Zuge der unter Vollnarkose durchgeführten Operation den Großzehennagel einfach mitentfernt habe, ohne dies mit ihr vorher abschließend zu vereinbaren.

    145

    Selbst wenn man diesen vom Beklagten bestrittenen Vortrag als wahr unterstellt, wäre allerdings die Folge eines insoweit rechtswidrigen Eingriffs lediglich die Entfernung des Großzehennagels gewesen.

    146

    Das Landgericht hat dazu im Einzelnen ausgeführt, dass die Nagelentfernung und die damit zusammenhängenden lokalen Beschwerden für einige Tage allenfalls ein Schmerzensgeld im unteren vierstelligen Bereich gerechtfertigt hätte. Auch habe die Klägerin keine damit zusammenhängenden zusätzlichen materiellen Einbußen dargetan.

    147

    Gegen diese Ausführungen wird – mit Recht – kein Berufungsangriff geführt. Deshalb kann die Klägerin aus dem Aspekt „fehlende Belehrung über die Entfernung des Großzehennagels“ keinen weitergehenden Anspruch herleiten.

    148

    bb) Mit dem Vorwurf der Aufklärungspflichtverletzung ließe sich ein über die gezahlten 10.000,00 EUR hinausgehender Anspruch allenfalls dann begründen, wenn Dr. y seinerzeit gehalten gewesen wäre, die Klägerin darüber aufzuklären, dass wegen des Pilzbefalls am Großzehennagel für die beabsichtigte Hallux-valgus-Operation ein gesteigertes Infektionsrisiko bestand.

    149

    Ein solcher aufklärungspflichtiger Risikozusammenhang bestand aber nicht, wie sich aus den – sogleich darzustellenden – Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2 vor dem Senat ergibt.

    150

    Aufzuklären war vielmehr nur über das allgemeine, mit jedem operativen Eingriff zusammenhängende Infektionsrisiko. Eine solche Aufklärung hat Dr. y nach seinem Eintrag in die Patientenkartei vorgenommen. Aber selbst wenn man nicht die Richtigkeit dieser Eintragung vermuten und unterstellen würde, dass es an einer allgemein gehaltenen Aufklärung über das Infektionsrisiko gefehlt hat, wäre es wiederum nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin dann auf die Durchführung der Hallux-valgus-Operation verzichtet hätte. Die Klägerin hat bei ihrer Anhörung vor dem Senat bestätigt, dass sie den Hallux valgus „weghaben musste“. Das stimmt mit ihren Angaben vor dem Landgericht überein, wo sie ausgeführt hatte, dass wegen des Hallux valgus Schmerzen beim Gehen und Stehen bestanden hätten.

    151

    Nachdem der Sachverständige Prof. Dr. N2 vor dem Landgericht dargestellt hatte, dass das allgemeine Infektionsrisiko bei einer Hallux-valgus-Operation bei 2% liege und dass im Falle einer solchen Infektion regelmäßig eine Revisionsoperation durchgeführt werden müsse, hat die Klägerin auf Befragen klargestellt, dass sie dann in die Durchführung der Hallux-valgus-Operation eingewilligt hätte. Daraus hat das Landgericht zutreffend die Schlussfolgerung gezogen, dass der von dem Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung durchgreife. Dagegen wird - zu Recht - kein Berufungsangriff geführt.

    152

    b) Der Klägerin hätte aber auch unter dem Gesichtspunkt des Behandlungsfehlers in einem hypothetisch gegen Dr. y geführten Rechtsstreit kein über 10.000,00 EUR hinausgehender Anspruch zugesprochen werden können.

    153

    Der vom Landgericht mit der Beurteilung der medizinischen Ausgangslage beauftragte Sachverständige Prof. Dr. N2 hat auch bei seiner Anhörung vor dem Senat bekräftigt, dass seinerzeit an der Indikationslage für die Hallux-valgus-Operation kein Zweifel bestanden habe. Auch sei eine dem ärztlichen Standard entsprechende Operationsweise gewählt worden. Etwaige Fehler bei der Durchführung dieser Operation bzw. bei der ärztlichen Behandlung als solcher hätten nicht vorgelegen.

    154

    Im Hinblick auf die im Anschluss vorgenommene Entfernung des Großzehennagels hat der Sachverständige seine vor dem Landgericht getroffene Feststellung wiederholt, dass sich für diesen operativen Eingriff keine ausreichende Indikationslage feststellen lasse. Insofern – so der Sachverständige – hätte es die vorrangige Möglichkeit einer konservativen Behandlung gegeben, zumal die Klägerin bei ihrer Anhörung betonte, den Pilzbefall bereits seit längerem gehabt zu haben.

    155

    Diese fehlerhafte, weil nicht indizierte Entfernung des Großzehennagels führt aber für sich betrachtet - wie bereits dargestellt - nicht zu einem über 10.000,00 EUR hinausgehenden Anspruch der Klägerin gegen Dr. y.

    156

    Was die Durchführung der Hallux-valgus-Operation trotz des bis dahin bestehenden Pilzbefalls am Großzehennagel anbelangt, hat der Sachverständige auch bei seiner Anhörung vor dem Senat nochmals betont, dass dieser Pilzbefall keine Kontraindikation für die beabsichtigte Hallux-valgus-Operation bedeutet habe; insbesondere habe ein zusätzliches – aufklärungspflichtiges – Infektionsrisiko für die Hallux-valgus-Wunde nicht bestanden.

    157

    Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen verhält es sich im medizinischen Alltag vielmehr so, dass ca. 50% der Hallux-Patienten zugleich einen Pilzbefall aufweisen, weil es sich bei der betreffenden Patientengruppe überwiegend um ältere Menschen handelt bei denen vermehrt ein Pilzbefall auftrete. Gleichwohl - so der Sachverständige - gebe es in der medizinischen Fachliteratur nach seiner Recherche weltweit keine wissenschaftliche Untersuchung, aus der man einen Zusammenhang zwischen einem Pilzbefall und einer Bakterieninfektion herleiten könne. Ein Pilzbefall werde vielmehr generell als unbedenklich angesehen. Das hänge damit zusammen, dass Pilze sich von Keratinen ernähren würden, dem Hauptbestandteil von Finger- bzw. Fußnägeln und Haaren. Diese Keratine seien aber in - offenen - Operationswunden nicht vorhanden. D.h. selbst wenn in eine solche Wunde gezielt Pilze eingebracht würden, würde dies nicht zu einer Infektion führen.

    158

    Deshalb könne auch aus den von der Klägerseite angeführten Empfehlungen des Robert-L2-Instituts über „Anforderungen der Hygiene bei Operationen und anderen invasiven Eingriffen“ nichts hergeleitet werden, was gegen die von Dr. y durchgeführte Hallux-valgus-Operation spreche. Die vom Robert-L2-Institut dargestellten Kontaminations-gruppen bezögen sich nicht auf einen Pilzbefall. Auch bei den neueren Empfehlungen zum Umgang mit multiresistenten Krankenhauskeimen fänden sich konsequenterweise keine Ausführungen zum Pilzbefall.

    159

    Der einzige Sinnzusammmenhang zwischen einem Pilzbefall und einer Besiedelung mit Bakterien bestehe - so der Sachverständige - darin, dass der Pilzbefall als solcher zu einer Verformung der Fußnägel führe, was wiederum Mikroläsionen in der Hautoberfläche zur Folge haben könne. In diesen Mikroläsionen könnten sich dann - wie auch überall sonst - die ubiquitär vorkommenden Bakterien ansiedeln. Das sei allerdings für sich betrachtet unbedenklich, weil der menschliche Körper über Abwehrmechanismen im Umgang mit Bakterien verfüge. Nur dann, wenn die Körperabwehr krankheitsbedingt - z.B. durch Diabetes - herabgesetzt sei, könne eine Besiedelung mit Bakterien bedenklich sein.

    160

    Vor diesem Hintergrund müsse vor der Durchführung einer Hallux-valgus-Operation - wie bei jeder anderen Operation - durch den Chirurgen abgeklärt werden, ob im Bereich des beabsichtigten Eingriffs Hinweise für eine Bakterieninfektion vorhanden seien. Wenn sich in vorhandenen Mikroläsionen Streptokokken angesiedelt hätten, führe das zu einer Hautrötung und bei den im Streitfall festgestellten Staphylokokken zu eitrigen Pusteln. Sofern solche Infektionsanzeichen vorhanden seien, müsse man vorrangig eine Ausheilung des betroffenen Bereichs herbeiführen.

    161

    Solche Anzeichen einer Infektion wurden allerdings von der Klägerin nicht vorgetragen. Der Sachverständige hat ferner darauf hingewiesen, dass sich auch aus den Behandlungsunterlagen von Dr. y und seinen Nachbehandlern keine Hinweise für eine Bakterieninfektion im Sinne einer Eiterbildung ergäben. Auch habe bei der Klägerin kein Diabetes vorgelegen. Deshalb - so der Sachverständige - habe für Dr. y kein Anlass bestanden, wegen des Pilzbefalls von der Hallux-valgus-Operation abzusehen.

    162

    Der Senat hält die gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2 nicht zuletzt aufgrund seiner ergänzenden Erläuterungen für gut nachvollziehbar und zutreffend.

    163

    Danach lag hinsichtlich der Hallux-valgus-Operation kein Behandlungsfehler vor. Die eingetretene Infektion mit dem Erreger staphylococcus aureus stellt sich vielmehr als Realisierung des allgemeinen Infektionsrisikos dar, das auch bei schulmäßiger Vorgehensweise des Chirurgen nicht auszuschließen ist.

    164

    Davon abgesehen hätte sich auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Staphylokokkeninfektion der Hallux-valgus-Wunde und der nicht indizierten Entfernung des Großzehennagels in einem hypothetisch geführten Prozess nicht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit feststellen lassen; ein solcher Ursachenzusammenhang erscheint nicht einmal als überwiegend wahrscheinlich.

    165

    Der Sachverständige Prof. Dr. N2 hat dies auch unter Vorhalt der abweichenden Ausführungen sowohl der von der Gutachterkommission beauftragten Sachverständigen als auch des für die Klägerin tätigen Privatgutachters Dr. T2 bei seiner Anhörung vor dem Senat überzeugend bekräftigt.

    166

    Der Gerichtssachverständige hat dazu ausgeführt, dass es schlechterdings nicht plausibel sei, eine Bakterieninfektion der Hallux-valgus-Wunde durch Keime aus dem Nagelbett anzunehmen, wenn in dem Nagelbett selbst gerade keine Infektionsanzeichen vorgelegen hätten. Überdies sei die Operationswunde im Bereich des Hallux valgus schichtweise verschlossen und mit einem sterilen Wundverband abgedeckt gewesen, als der Großzehennagel entfernt worden sei. Auch ein Abwandern von Keimen aus dem Nagelbett z.B. über die Blutbahn in den Bereich der Hallux-valgus-Operation sei nicht plausibel. Denn bei gesunden Menschen würden oberflächlich angesiedelte Bakterien gerade nicht über die Blutbahn im Körper verteilt. Das gelte erst recht, wenn durch die Nagelentfernung eine nach außen wirkende Blutung entstehe, mit der vorhandene Bakterien abgeschwemmt würden. Der Sachverständige hat ferner ausgeführt, dass nach den Feststellungen des St. N - Hospitals anlässlich der ersten Revisionsoperation sich im Wundbereich ein Hämatom entleert habe mit eitrigem Sekret. Das wiederum deute auf eine - letztlich nie vollends vermeidbare - intraoperative Infektion hin. Die Bakterien hätten dann in dem entstandenen Hämatom aufgrund der abgestorbenen Körperzellen einen idealen Nährboden gefunden. Umgekehrt sei es für Krankheitserreger außerhalb des entstandenen Blutpfropfes nicht möglich, in das Hämatom hineinzugelangen. Selbst die körpereigenen weißen Blutkörperchen könnten nicht dort hineingelangen. Auch deshalb sei eine Infektion der Hallux-valgus-Wunde durch Bakterien aus dem Nagelbett nicht plausibel.

    167

    Der Senat sieht keinen Anlass für die Einholung eines weiteren Gutachtens i.S.d. § 412 ZPO. Zwar besteht in Arzthaftungsprozessen für den Tatrichter die Pflicht, Widersprüchen zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger von Amts wegen nachzugehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, auch wenn es sich um Privatgutachten handelt. Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so darf der Tatrichter den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (BGH Urt. VI ZR 76/13 vom 11.11.2014). Vielmehr würde bereits ein unentschiedenes Beweisergebnis im Sinne eines non liquet die Einholung eines weiteren Gutachtens rechtfertigen (Geiß/Greiner a.a.O. E. 25).

    168

    Der Senat sieht aber die - ergänzenden - Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2 nicht durch die inhaltlich abweichenden Darstellungen in den von der Klägerseite angeführten ärztlichen Stellungnahmen erschüttert. Vielmehr ist allein den Ausführungen des Gerichtssachverständigen eine wissenschaftlich vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage zu entnehmen, ob nach dem für einen Chirurgen maßgeblichen ärztlichen Standard ein Pilzbefall des Zehennagels gegen die Vornahme einer Hallux-valgus-Operation spricht. Auch findet sich allein in den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2 eine Plausibilitätsprüfung zu der Frage, wie die Wundinfektion durch Keime einer benachbarten Körperregion vonstatten gehen soll, wenn am Herkunftsort dieser Keime gerade keine Anzeichen für die Entzündung eines solchen Bakteriendepots vorgelegen haben.

    169

    Auch die Klägerin selbst hat schließlich keine - weitere - ärztliche Stellungnahme vorgelegt, durch die die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2 in dem durchgeführten Senatstermin in Frage gestellt werden.

    170

    Die Klägerin hat vielmehr in der Berufungsbegründung ausführen lassen, dass ihr im Streitfall die Umkehr der Beweislast für einen Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und aufgetretener Komplikation aufgrund eines groben Behandlungsfehlers zugute komme.

    171

    Diese Erwägung trifft aber nicht zu:

    172

    Nach der Rechtsprechung ist ein Behandlungsfehler dann als grob zu bewerten, wenn ein Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstößt und dadurch einen Fehler begeht, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (st. Rspr., BGH NJW 2012, 227).

    173

    Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2 liegt ein Behandlungsfehler aber überhaupt nur insoweit vor, als dass der Großzehennagel wegen fehlender Indikation nicht habe entfernt werden dürfen. Die gleichwohl vorgenommene operative Nagelentfernung stellt sich aber - so auch der Sachverständige - nicht als grob fehlerhaft dar. Vielmehr sprachen sogar gewisse Vorteile für diesen Eingriff, weil die Klägerin sich bereits anlässlich der Hallux-valgus-Operation in Vollnarkose befand und somit deren erneute - ebenfalls nicht risikolose - Durchführung anlässlich einer späteren Nagelentfernung vermieden wurde. Außerdem hätte - so der Sachverständige Prof. Dr. N2 - eine alternativ durchgeführte konservative Therapie etwa ein Jahr gedauert und auch nur eine 70%ige Heilungschance gehabt.

    174

    Soweit die Klägerin schließlich anführen lässt, dass ein grober ärztlicher Fehler darin zu sehen sei, dass gegen die Regeln der ärztlichen Aufklärung verstoßen wurde, greift dies schon deshalb nicht durch, weil ein „grober Aufklärungsfehler“ in der Rechtsprechung gerade nicht anerkannt ist (Geiß/Greiner C.130 und C.149).

    175

    5. Damit ist der Klägerin im Ergebnis durch Abschluss des außergerichtlichen Vergleichs kein über 10.000,00 EUR hinausgehender Anspruch auf Ersatz eines materiellen oder immateriellen Schadens entgangen, den sie im Rahmen einer Arzthaftungsklage hätte durchsetzen können.

    176

    Gleiches gilt hinsichtlich eines Anspruchs auf Feststellung der weitergehenden Einstandspflicht.

    177

    Dementsprechend steht der Klägerin auch kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten oder auf Erstattung der Kosten für die Einholung einer Deckungszusage zu, zumal letzteres ohnehin nur ausnahmsweise angenommen werden kann (BGH NJW 2012, 919).

    178

    III.

    179

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    180

    IV.

    181

    Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).

    RechtsgebietArzthaftungsrechtVorschriften§ 280 Abs. 1 BGB