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  • 14.11.2013 · IWW-Abrufnummer 133550

    Amtsgericht Lahr: Urteil vom 25.01.2013 – 5 C 268/12

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 684,45 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.07.2012 sowie weitere 139,23 € zu bezahlen.
    2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.


    Aktenzeichen: 5 C 268/12

    Beschluss

    Der Streitwert wird auf 684,45 € festgesetzt.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer zwischen den Parteien geschlossenen Reiserücktrittsversicherung.

    Die Klägerin buchte im Februar 2012 zusammen mit ihrer Familie eine Reise für den Zeitraum vom 06.06.2012 bis zum 15.06.2012. Der Reisepreis betrug 3.422,- Euro. Für diese Reise hat die Klägerin am 14.02.2012 eine Reiserücktrittskostenversicherung bei der Beklagten abgeschlossen. Dem zwischen den Parteien geschlossenen Reiserücktrittskostenversicherungsvertrag liegen die Versicherungsbedingungen der Beklagten VB-ERV 2011 zugrunde. Auf diese Versicherungsbedingungen, Bl. 21 ff. d. A., wird insoweit verwiesen.
    Die Parteien streiten lediglich darüber, ob die Klägerin die gebuchte Reise unverzüglich im Sinne der Versicherungsbedingungen, insbesondere Art. 5 Nr. 1 Allgemeiner Teil, § 9 Ziff 1 Teil A, storniert hat.
    Ende des Jahres 2011 wurde bei der Klägerin in der linken Brust ein Knoten bemerkt. Dieser wurde als gutartige Zyste diagnostiziert.

    Mitte Mai 2012 wurde wegen erneuter Schmerzen eine weitere Diagnostik und Therapie hinsichtlich des Knotens in der linken Brust eingeleitet. Hierfür wurde am 09.05.2012 eine Feinnadelpunktion versucht, um die Zyste zu öffnen und die Flüssigkeit zu entfernen. Dies scheiterte, da das Gewebe zu fest war.

    Die dort getroffene Diagnose des behandelnden Arztes vom 10.05.2012 (Bl. 37 d.A.) lautete auf "eingedickte Zyste dd Atherom dd unklarer teigiger Herd". Als Empfehlung wurde ausgesprochen, die Zytologie abzuwarten. Daraufhin wurde die Klägerin stationär im O. Klinikum vom 20.05.2012 bis zum 23.05.2012 behandelt. Am 21.05.2012 wurde der "entzündliche Herd" operativ entfernt und das entnommene Gewebe zur pathologischen Untersuchung gegeben. Die ärztliche Bescheinigung vom 12.07.2012 (Bl. 39 d.A.) enthält als Diagnose "Entzündlicher Herd der linken Mamma oben außen lateral. Z.n. Feinnnadelpunktion bei floriden Mastitis und zytologisch Verdacht auf duktalen Epitelproliferation". Die Histologie des entnommenen Gewebes ergab am 29.05.2012 die Diagnose von "Brustkrebs". Am selben Tag und damit 8 Tage vor dem geplanten Reiseantritt ließ die Klägerin die Reise durch ihren Ehemann stornieren. Am 31.05.2012 wurde an die Beklagte eine Schadensanzeige versandt.
    Für die Stornierung fiel eine Stornierungsgebühr von 75 %, insgesamt 2.566,55 €, an. Hätte die Klägerin die Reise zwischen dem 21.05 und dem 27.05.2012, also bis zum 10. Tag vor der Reise storniert, hätten die Stornokosten 55 % des Reisepreises, mithin 1.882,10 € betragen.

    Nach Übermittlung der Stornierungsbestätigung an die Beklagte zahlte diese an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.882,10 €, der bei einer Stornierung durch die Klägerin bis zum 27.05.2012 angefallen wäre. Mit Schreiben vom 25.07.2012 verweigerte die Beklagte eine weitere Erstattung der Stornierungskosten.

    Am 30.08.2012 forderten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Beklagte erfolglos zur Leistung von weiteren 684,45 € auf.

    Die Klägerin behauptet, die stationäre Behandlung stelle keine unerwartete schwere Krankheit dar, da man zu diesem Zeitpunkt angesichts des Befunds einer gutartigen Zyste Ende 2011 noch davon ausgegangen sei, sie könne die Reise antreten. Die Einweisung sei rein zur Diagnostik erfolgt. Auch hätten die Ärzte ihr mitgeteilt, dass sie sich bis Beginn der Reise vollständig erholen werde und diese antreten könne. Erst die Diagnose "Brustkrebs", von der sie am 29.05.2012 erfahren habe, habe die unerwartete schwere Krankheit dargestellt.

    Die Klägerin ist deswegen der Ansicht, sie habe ihre sich aus den Versicherungsbedingungen ergebende Pflicht, die Reise unverzüglich nach Eintritt des Reiserücktrittsgrundes zu stornieren, nicht grob fahrlässig verletzt.

    Die Klägerin beantragt,
    1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 684,45 € zu bezahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.07.2012.
    2. Die Beklagte wird des Weiteren verurteilt, an die Klägerin 139,23 € an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu erstatten.

    Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klägerin die gebuchte Reise nicht unverzüglich im Sinne der Versicherungsbedingungen der Beklagten storniert habe. Alleine aufgrund der unstreitig erfolgten stationären ärztlichen Behandlung der Klägerin sei bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung mit Reiseunfähigkeit zu rechnen gewesen, so dass die Klägerin bereits mit dem Beginn des stationären Aufenthalts die Pflicht getroffen habe, die Reise zu stornieren.

    Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.01.2013 (Bl. 83 f d.A.) Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist zulässig und begründet.

    I.

    Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 684,45 € aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Reiserücktrittskostenversicherungsvertrag i.V.m. den Vertragsbedingungen der Beklagten. Der Versicherungsfall ist eingetreten. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.

    Die Beklagte wird auch nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers gem. § 9 Ziff 1 Teil A (VB-ERV 2011) von ihrer Verpflichtung zur Leistung frei. Gemäß § 9 Ziff 1 Teil A (VB-ERV 2011) ist die versicherte Person verpflichtet, nach Eintritt des versicherten Rücktrittsgrundes die Reise unverzüglich zu stornieren, um die Stornokosten möglichst niedrig zu halten. Wird diese Obliegenheit vorsätzlich verletzt, ist die Beklagte von der Verpflichtung zur Leistung frei. Bei grob fahrlässiger Verletzung der Obliegenehit ist die Beklagte berechtigt, ihre Leistung in dem Verhältnis zu kürzen, das der Schwere des Verschuldens der versicherten Person entspricht.

    Nach Auffassung des erkennenden Gerichts kann im vorliegenden Falle nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die sie treffende Obliegenheit grob fahrlässig verletzt hat.
    Die Obliegenheit greift erst nach Eintritt des versicherten Rücktrittsgrundes ein. Versicherter Rücktrittsgrund war hier eine unerwartete schwere Erkrankung. Diese ist im vorliegenden Fall nach Ansicht des Gerichts erst am 29.05.2012, nicht aber bereits am 21.05.2012 eingetreten. Bei dem Tatbestandsmerkmal der "unerwartet schweren Erkrankung" handelt es sich um ein objektives Merkmal (AG Saarbrücken Urteil vom 31.08.2005, Az: 42 C 167/05; AG Berlin-Spandau Urteil vom 13.01.1983, Az: 2 C 629/82). Die Vertragsklausel des Art. 5 Nr. 1 Allgemeiner Teil, § 9 Ziff 1 Teil A (VB-ERV 2011) ist also in dem Lichte zu sehen, dass der Versicherte einerseits nicht zu früh, wohl aber andererseits von einem bestimmten Punkt an sagen können muss, dass er bzw. eine Risikoperson nicht verreisen kann. Hierzu gehören zwangsläufig gediegene Anhaltspunkte, dass bestimmte Symptome eine Reise nicht zulassen (AG Spandau, a.a.O.).

    Vor dem 29.05.2012 bestanden entsprechende ausreichende Anhaltspunkte, aus denen die Klägerin hätte schließen können, dass sie die Reise nicht antreten kann, nicht. Denn unstreitig lagen bis zum 29.05.2012 keine eindeutigen Erkenntnisse über ihre Beschwerden vor. Es stand insoweit zwar im Raum, dass ein bösartiger Tumor die Ursache sein könnte, gleichzeitig stand aber auch eine Zyste in Rede. Zum Zeitpunkt der Einlieferung der Klägerin am 20.05.2012, bzw. der Entnahme am 21.05.2012 war damit unter Berücksichtigung objektiver Kriterien der Versicherungsfall noch nicht eingetreten, weil eben nicht feststand, dass es sich bei den Beschwerden der Klägerin tatsächlich um eine schwere Erkrankung handelte.

    Entgegen der Auffassung der Beklagten ergab sich eine unerwartet schwere Erkrankung der Klägerin auch nicht etwa daraus, dass diese zur stationären Behandlung aufgenommen wurde. Denn unstreitig erfolgte diese Aufnahme zur stationären Behandlung zunächst, um die Ursachen der Brustschmerzen zu verifizieren. Bei einer solchen Aufnahme zur stationären Behandlung lediglich zur Abklärung von Beschwerden, kann nach Auffassung des Gerichts noch nicht von einer unerwarteten und schweren Erkrankung in objektiver Hinsicht ausgegangen werden. Denn es ist gerade nicht so, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung bei jeder stationären Behandlung, unabhängig von Grund und Dauer, mit Reiseunfähigkeit zu rechnen ist. Gleiches gilt auch für die Anberaumung eines Operationstermins, wenn er, wie hier, der Diagnostik dient.
    Die Beklagte selbst führt aus, dass der Eingriff am 21.05.2012 unter dem Verdacht einer Zyste in der Brust durchgeführt wurde und der günstigste histologische Befund eine weniger schwere Erkrankung ergeben konnte.

    Sicher ist auch, dass die Klägerin mit einem schlimmeren Befund rechnen musste. Sonst wäre aber auch die medizinische Abklärung unnötig gewesen. Die Beklagte gibt an, ein bösartiger Befund sei ebenso wahrscheinlich gewesen wie ein harmloser Befund. Dann liegen aber eben gerade noch keine objektiven Kriterien vor, die eine fundierte Entscheidung erlauben. Da insoweit das Vorbringen der Beklagten als wahr unterstellt wird, musste das beantragte Sachverständigengutachten nicht eingeholt werden. Die Beklagte trägt nicht vor, bei der Einlieferung hätte schon überwiegend mit einem bösartigen Befund gerechnet werden müssen. Dies ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Attesten.

    Erst mit dem Befund vom 29.05.2012 stand objektiv fest, dass es sich bei den Beschwerden der Klägerin um eine unerwartete und schwere Erkrankung handelte, die den Reiseantritt nicht zuließ. Damit war der objektive Versicherungsfall erst zu diesem Zeitpunkt eingetreten. Dass trotzdem die letztlich schwere Erkrankung der Klägerin bereits früher vorlag, ist rechtlich unerheblich. Denn unter objektiven Gesichtspunkten ist der Versicherungsfall eben noch nicht eingetreten, wenn die schwere Erkrankung lediglich vermutet oder befürchtet werden kann, äußerlich oder durch fachkundigen ärztlichen Rat aber noch nicht bestätigt werden kann (AG Spandau, a.a.O.).

    Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der objektive Versicherungsfall damit erst am 29.05.2012 eingetreten war, hat die Klägerin die sie treffende Obliegenheit, die Reise unverzüglich nach Eintritt des versicherten Rücktrittsgrundes zu stornieren, um die Stornokosten möglichst niedrig zu halten, nicht grob fahrlässig verletzt. Denn unstreitig hat der Ehemann der Klägerin unverzüglich nach Kenntnis des Befundes vom 29.05.2012 die Reise am selben Tage storniert.

    Die Klägerin hat damit den sie treffenden Obliegenheiten vollauf genügt. Zumindest aber kann von einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung der Klägerin nicht gesprochen werden. Denn grobe Fahrlässigkeit liegt nach allgemein anerkannter Definition lediglich dann vor, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet wird, was im gegebenen Falle jedem einleuchten musste (BGH NJW-RR 2002, 1108).

    Insoweit ist insbesondere zu beachten, dass dann, wenn die Klägerin die Reise angesichts der Schmerzen bereits am 21.05.2012 storniert hätte und sich die Beschwerden dann schließlich bloß als gutartige Zyste dargestellt hätte, die Beklagte mit Recht ihre Einstandspflicht unter Berufung darauf leugnen könnte, dass objektiv tatsächlich überhaupt kein Versicherungsfall im Sinne der Versicherungsbedingungen vorgelegen habe, weil eine unerwartet schwere Erkrankung tatsächlich nicht vorliege. Eine definitive ärztliche Diagnose war daher unter Berücksichtigung der schützenswerten Interessen der Klägerin für die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls unabdingbar. Eine solche definitive ärztliche Diagnose bestand allerdings erst am 29.05.2012 nach dem Eingang des pathologischen Befundes. Der Ehemann der Klägerin stornierte die Reise unverzüglich nach Kenntnis des Inhalts des pathologischen Befundes noch am gleichen Tage. Von einer Verletzung der verkehrserforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße kann vor diesem Hintergrund nicht gesprochen werden. Zudem ist die Erwägung in die Betrachtung einzubeziehen, dass die Klägerin nach allgemeinem Vertragsrecht gegenüber seinem Reisevertragspartner verpflichtet war, das Mögliche zur erfolgreichen Durchführung des Reisevertrags zu veranlassen und auch aus diesem Grunde keine Verpflichtung der Klägerin angenommen werden kann, beim bloßen Verdacht einer schweren Erkrankung den Reisevertrag zu stornieren (ebenso AG Spandau, a.a.O.).

    II.

    Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung der Zinsen gem. §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 25.07.2012 die Zahlung der eingeklagten 684,45 € ab. Dieses Schreiben ist als endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung zu werten, so dass eine Mahnung gem. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB zur Verzugsbegründung entbehrlich war.

    Der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 139,23 € ergibt sich aus §§ 280, 286 BGB. Die Beklagte wurde nach Eintritt des Verzuges durch anwaltlichen Schriftsatz vom 30.08.2012 zur Zahlung aufgefordert. Dabei ist eine 1,5 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 Anl.1 RVG nebst Pauschale nach Nr. 7002 Anl.1 RVG und Mehrwertsteuer zu Grunde zu legen. Diese wurden von der Klagepartei ausweislich der Anlage K 11 (Bl. 91 d.A.) gezahlt.

    III.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 ZPO und den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.