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  • 20.04.2021 · IWW-Abrufnummer 221833

    Oberlandesgericht München: Urteil vom 11.03.2020 – 10 U 2150/18

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht München

    Urteil vom 11.03.2020


    Tenor:

    1. Die Berufung der Klägerin vom 22.06.2018 gegen das Endurteil des LG München I vom 17.05.2018 (Az. 19 O 24068/15) wird zurückgewiesen.
    2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
    3. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts sowie dieses Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
    4. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    A.

    Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung ihres Triebwagens ICE - T 1741 nach einem Zusammenstoß mit dem bei der Beklagten versicherten Pkw Opel Corsa, amtl. Kennzeichen ...57 geltend.

    Am 05.10.2012 kurz vor 7:30 Uhr befuhr der damalige Halter des vorbezeichneten Pkws und Versicherungsnehmer der Beklagten, Herr E.P., nachdem er zunächst mit dem Pkw sein Anwesen in D., Ortsteil B., verlassen hatte, die Straße zwischen Di. und D., welche die Bahnstrecke der DB-Netz AG, Nummer ...03, bei Bahnkilometer 37,8 kreuzt. Der dortige Bahnübergang war mit einer Halbschranke, Blinklicht und Andreaskreuz sowie Zeichen 156, 159 und 162 der Anlage 1 zu § 40 VI StVO ausgestattet.

    Der Versicherungsnehmer der Beklagten umfuhr die geschlossene Halbschranke, kam auf den Gleisen zum Stillstand und wurde in seinem Pkw vom herannahenden ICE überrollt, mitgeschleift und getötet. Eine anlässlich der Sektion am 08.10.2012 entnommene Blutprobe (Bl. 123 d.A., Az. 203 UJS 22529/12 der Staatsanwaltschaft Dessau) ergab eine BAK im Mittel von 1,28 Promille. Herr P. war zum Unfallzeitpunkt mit Unterhemd und Jogginghose bekleidet. Im zerstörten Pkw wurden eine leere Bierflasche und eine leere Flasche (0,35 l) Pfefferminzlikör gefunden.

    Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 17.05.2018 (Bl. 126/135 d.A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

    Das LG hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen.

    Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

    Gegen dieses der Klägerin am 22.05.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem beim Oberlandesgericht München am 22.06.2018 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 148 d.A.) und diese mit einem beim Oberlandesgericht München am 23.07.2018 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 154/172 d.A.) begründet.

    Die Klägerin trägt insbesondere vor, es sei nicht von einem Suizid auszugehen. Es sei ein Defekt des Pkw oder ein Fahrfehler des Getöteten denkbar oder dieser habe vor dem Wochenende noch Alkohol besorgt und habe die geschlossene Halbschranke umfahren, weil er es einfach eilig gehabt habe nach Hause zu kommen, damit seine Frau von der Einkaufstour nichts mitbekommt.

    Die Klägerin beantragt,

    die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.095.348,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.03.2014 zu zahlen,

    sowie

    es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von sämtlichen Ansprüchen der DB Netz AG gegen die Klägerin aus und im Zusammenhang mit dem Unfall am 05.10.2012 auf der Bahnstrecke Nummer ...03 bei Bahnkilometer 37,8 freizustellen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Die Beklagte beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen Suizids.

    Der Senat hat gem. Beweisanordnung vom 29.11.2018 (Bl. 173/175 d.A.) und Beweisbeschlüssen vom 30.11.2018 (Bl. 176/181 d.A.) und 11.03.2018 (Bl. 301 d.A.) Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen H., R. P. und G. P. P. sowie Erholung mündlicher Gutachten der Sachverständigen Dipl. Ing. (FH) R. und Prof. Dr. med. G. sowie Erholung eines schriftlichen psychologischen Gutachtens der Sachverständigen Dr. E. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 19.07.2019 (Bl. 223/242 d.A.), die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Dr. E. vom 14.10.2019 (Bl. 245/252 d.A. und 253/267 d.A.) und die Sitzungsniederschrift vom 11.03.2020 (Bl. 300/311 d.A., ergänzende mündliche Anhörung der Sachverständigen Dr. E.) verwiesen.

    Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 10.12.2018 (Bl. 183/198 d.A.), auf die weiteren Schriftsätze der Parteien sowie die Sitzungsniederschriften vom 19.07.2019 und 11.03.2020 Bezug genommen.

    B.

    Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

    I. Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin verneint, weil der Versicherungsnehmer der Beklagten die Kollision herbeigeführt hat, um sich zu töten.

    1. Nach § 103 VVG haftet der Versicherer nicht, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Eintritt der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich ist, widerrechtlich herbeigeführt hat. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nicht um eine Obliegenheitsverletzung, die den Versicherer nachträglich von seiner Verpflichtung zur Leistung befreit, sondern um einen subjektiven Risikoausschluss. Die hierdurch begründete Haftungsbegrenzung wirkt auch gegenüber dem geschädigten Dritten (vgl. BGH, VersR 1971, 239 [BGH 15.12.1970 - VI ZR 97/69]). Vorsatz - auch im Sinne des § 103 VVG - bedeutet das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs; der Handelnde muss also den rechtswidrigen Erfolg seines Verhaltens voraussehen und trotzdem den Willen haben, sich entsprechend zu verhalten; zum Vorsatz gehört auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der Tat; bedingter Vorsatz genügt. In Abweichung vom allgemeinen Deliktsrecht muss aber der Vorsatz, wenn er zum Ausschluss des Versicherungsschutzes führen soll, auch die Schadensfolgen umfassen, wie aus der Fassung des nunmehrigen § 103 VVG ausdrücklich hervorgeht, ohne dass hierdurch eine Abweichung von der früheren Rechtslage (§ 152 VVG) bewirkt werden sollte, vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 13. Januar 1977 - 1 U 63/76 -, juris).

    Der Versicherungsnehmer, der in Selbsttötungsabsicht einem mit hoher Geschwindigkeit herannahenden ICE-Zug entgegengeht, um sich von diesem überfahren zu lassen, handelt hinsichtlich der Schäden an dem Zug und der daraus resultierenden Folgeschäden vorsätzlich, wenn er trotz seiner psychischen Ausnahmesituation nach seinem Bildungsstand und seinen Kenntnissen von den Folgen eines derartigen Selbstmordes damit rechnen musste, dass solche Schadensfolgen zwangsläufig eintreten, vgl. OLG München, Urteil vom 29. März 1999 - 30 U 761/98 -, juris. Nichts anderes kann gelten, wenn sich, wovon der Senat vorliegend überzeugt ist, der Versicherungsnehmer in einem Pkw einem mit hoher Geschwindigkeit herannahenden ICE-Zug entgegenstellt. Steht die Selbstmordabsicht des Versicherungsnehmers der Beklagten fest, so hat er beim Umfahren der Schranke auch vorsätzlich im Sinne des § 103 VVG gehandelt.

    Von einer generell eingeschränkten Verantwortlichkeit eines Selbstmörders kann nicht ausgegangen werden. Dass der Gesetzgeber selbst nicht den Standpunkt teilt, nach dem ein Selbstmörder stets aus einer krankhaften Veranlagung heraus handele und deshalb mangels der Möglichkeit freier Willensbestimmung nicht vorsätzlich handeln könne, ergibt sich schon aus § 161 I VVG. Diese Bestimmung geht gerade von der freien Entscheidungsmöglichkeit des Selbstmörders als dem Normalfall aus und lässt den Versicherungsschutz bei der Lebensversicherung im Falle des Selbstmordes des Versicherten nur dann bestehen, wenn dieser in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit gehandelt hat. Eine Suchterkrankung schließt nicht schon die Möglichkeit freier Willensbestimmung aus, solange der von Motiven gelenkte Wille noch Einfluss auf die Entscheidung des Versicherungsnehmers hat und sie insoweit verständlich macht (vgl. OLG Frankfurt am Main, VersR 1962, S 821 [OLG Frankfurt am Main 15.06.1962 - 4 W 34/62]). Für die Unzurechnungsfähigkeit des Versicherungsnehmers trifft die Klägerin die Beweislast. Anwendbar ist § 827 BGB und zwar auch im Rahmen von §103 VVG (BGHZ 111, 372). Unzurechnungsfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift ist nur dann gegeben, wenn sich der Versicherungsnehmer in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit zur Tatzeit befunden hat. Insbesondere deutet ein Selbstmord als solcher nicht auf einen solchen Zustand hin; es gibt zahlreiche Selbstmorde in Geschichte und Gegenwart, die nicht auf einer solchen Geistesstörung beruhen.

    Eine Schuldunfähigkeit des Herrn P. hat die Klagepartei vorliegend nicht behauptet.

    2. Der Senat ist aufgrund der in zweiter Instanz durchgeführten ergänzenden Beweisaufnahme der Überzeugung, dass Herr P. in Erwartung des herannahenden Zuges um die geschlossene Halbschranke fuhr und seinen Pkw auf den Gleisen zum Stehen brachte, um sich das Leben zu nehmen.

    Nach § 286 I 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Diese Überzeugung des Richters erfordert keine - ohnehin nicht erreichbare- absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit (vgl. RGZ 15, 338 [339]; BGH NJW 1998, 2969 [2971] [BGH 18.06.1998 - IX ZR 311/95]; BAGE 85, 140; Senat NZV 2006, 261, st. Rspr., zuletzt etwa NJW 2011, 396 [397] und NJW-RR 2014, 601 [OLG München 14.02.2014 - 10 U 2815/13]; KG NJW-RR 2010, 1113 [KG Berlin 19.10.2009 - 12 U 227/08]) und auch keine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", sondern nur einen intersubjektiv vermittelten (vgl. § 286 I 2 ZPO), für das praktische Leben brauchbaren Grad von (persönlicher) Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grdl. BGHZ 53, 245 [256] - Anastasia, st. Rspr., zuletzt etwa NJW 2014, 71 [72] und VersR 2014, 632 f.; BAGE 85, 140; OLG Frankfurt a. M. zfs 2008, 264 [265]; Senat VersR 2004, 124; NZV 2006, 261 [OLG München 27.01.2006 - 10 U 4904/05]; NJW 2011, 396 [397] [OLG München 05.11.2010 - 10 U 2401/10]; SP 2012, 111; LG Leipzig NZV 2012, 329 [331]), was auch für innere Vorgänge gilt (BGH NJW-RR 2004, 247 [BGH 05.11.2003 - VIII ZR 218/01]; BayObLG SeuffArch 56 [1901] 110 f. [Nr. 63]).

    Die Beweislast für eine Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO, dass ein Bahnsuizid vorliegt, liegt bei der insoweit beweispflichtigen Beklagten. Dieser Beweis wurde jedoch erbracht.

    a) Vor allem der Kollisionshergang lässt den Schluss für eine Fahrt in suizidaler Absicht zu, da ein Umfahren einer geschlossenen Bahnschranke und (!) das Anhalten auf den Schienen andere Zielrichtungen oder Zufälle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hier ausschließt.

    (1) Der Zeuge H., Führer des verunglückten Triebwagens, erinnerte sich, dass er die Annäherung des Pkw an die bereits geschlossene Schranke wahrnahm und dessen Geschwindigkeit als für eine Annäherung an einen geschlossenen Bahnübergang normal empfand. Weiter gab er an, dass das Fahrzeug zunächst mit gleichbleibender Geschwindigkeit "ganz normal" fuhr, dann leicht abbremste, jedoch nicht vor der Schranke anhielt, sondern diese umfuhr und er, als er erkannte, dass der Pkw nicht anhält, sondern auf die Gleise auffahren wird, sofort die Schnellbremsung mit Sandstreuung und das Achtungssignal auslöste. Der Zeuge H. gab weiter an, dass er glaubt erkannt zu haben, dass der Pkw unmittelbar vor dem Aufprall zum Stillstand kam und der Zug "auf die Minute" pünktlich war. Der Senat glaubt der dargestellten Schilderung des Zeugen.

    (2) Soweit der Zeuge die Entfernung des Zuges vom Bahnübergang, als er den Pkw erstmals wahrnahm, auf 400-600 m schätzte und der Pkw zu diesem Zeitpunkt kurz vor der ersten Warnbake mit 3 Streifen befindlich war, handelt es sich um eine mit erheblichen Unsicherheiten behaftete Schätzung, zumal die Beobachtung aus einem sich mit 159 km/h nähernden Zug heraus erfolgte. Der Sachverständige R., dessen hervorragende Sachkunde dem Senat aus einer Vielzahl erholter Gutachten und Anhörungen vor dem Senat bekannt ist, führte aus, dass die Kollision bei konkreter Unterstellung der Entfernungs- und Geschwindigkeitsangaben des Lokführers nicht plausibel ist (Sitzungsniederschrift vom 19.07.2020, S. 17). Die Kollision ist aber weg-/zeitmäßig plausibel, wenn der Pkw bei erster Wahrnehmung durch den Lokführer bereits näher an der Schranke war und/oder zunächst schneller fuhr und/oder der Zug noch weiter von der Schranke entfernt war als vom Lokführer geschätzt. Insgesamt geht der Senat auf Grund der Angaben des Zeugen H. davon aus, dass der Pkw sich der Bahnschranke bei erstmaligem Erkennen seitens des Zeugen H. aus größerer Entfernung mit gleichbleibender Geschwindigkeit zunächst ohne Auffälligkeit annäherte, abgebremst wurde, die geschlossene Halbschranke umfuhr und auf den Gleisen zum Stillstand kam.

    Der Sachverständige konnte anhand der zur Verfügung stehenden Lichtbilder weiter feststellen, dass Herr P. den Bahnübergang in Richtung seines Heimatortes querte (woraus folgt, dass er den Bahnübergang bereits zuvor von D. Richtung Di. überquert hatte). Die Kollision ereignete sich bei einer Winkelstellung des Pkws und des Zuges von ca. 80° zueinander. Entweder stand der Pkw oder war mit minimaler Geschwindigkeit noch in Bewegung, während der ICE sich mit 159 km/h annäherte und 2 Sekunden nach Betätigung des Führerbremsventils die Schnellbremsung eingeleitet wurde, ehe es weitere 2 Sekunden später zum Kollisionskontakt kam, was sich mit der Schilderung des Lokführers bezüglich der eingeleiteten Abwehrreaktion auf die erkennbare Überfahrt gut in Übereinstimmung bringen lässt. Von einem Reaktionsverzug des Lokführers ist demnach nicht auszugehen (vgl. Sitzungsniederschrift vom 19.07.2019, S. 16, 17).

    Im Hinblick auf eine bewusste Herbeiführung einer Kollision mit dem ICE aus größerer Entfernung wie tatsächlich stattgefunden gab der Sachverständige zu bedenken, dass ein Anfahren aus einer geringeren Entfernung zu den Bahngleisen als 240 m, etwa aus einer Entfernung von 2 oder 3 Fahrzeuglängen wesentlich einfacher ist, weil es bei zunehmender Entfernung sehr schwierig ist, das Aufeinandertreffen am Kollisionsort punktgenau (auf die Zehntelsekunde) zu planen und auszuführen. Weiter konnte Herr P. nach den Feststellungen des Sachverständigen, denen der Senat folgt, den Zug in der Annäherung problemlos erkennen, nachdem eine Sichtbehinderung nicht existiert. Es gibt keine Anhaltspunkte für ein reflexartiges Abbremsen oder Ausweichen oder Beschleunigen des Pkw zur Verhinderung einer Kollision (Sitzungsniederschrift vom 19.07.2020, S. 20).

    Der Senat geht insoweit nicht von einer punktgenauen Planung durch den Getöteten aus, sondern davon, dass dieser sich in suizidaler Absicht der geschlossenen Bahnschranke näherte, um diese zu umfahren und den Pkw in Erwartung des sich nähernden Zuges auf den Gleisen zum Stillstand zu bringen. Darauf, ob der Getötete den Zug kommen sah und eine insbesondere frühzeitige Blickzuwendung in Richtung Zug erfolgte, kommt es nicht an. Die Bahnstrecke befindet sich, wie mittels des Sattelitengestützten Programms Google Earth festgestellt werden kann, Luftlinie etwa 600 m vom Anwesen des Getöteten entfernt, der ICE fährt dort fahrplanmäßig, der Getötete wohnt seit Jahrzehnten in der Nähe der Strecke, weshalb der Senat weiter davon ausgeht, dass der Getötete wusste, dass der Zug zu dieser Uhrzeit kommt und der Zug an diesem Tag exakt pünktlich war.

    (3) Von einem technischen Defekt des Fahrzeugs geht der Senat nicht aus. Der Versicherungsnehmer der Beklagten fuhr mit dem Pkw am 5. Oktober von zu Hause über den Bahnübergang eine nicht mehr aufklärbare Strecke und wieder zurück. Der Zugführer erkannte einen sich einem geschlossenen Bahnübergang mit üblicher Geschwindigkeit in normaler Fahrweise unauffällig nähernden Pkw, der dann leicht abgebremst und um die Halbschranke herum auf die Gleise gelenkt wurde und dort zum Stehen oder beinahe zum Stehen kam. Der Bruder des Getöteten gab an, dass er mit letzterem zusammen mit dessen Pkw tags zuvor das Fahrzeug des Bruders abholte. Der Pkw des Getöteten war am 15.08.2012 zur Inspektion in der Werkstatt und bestand erst im September 2012 die technische Hauptuntersuchung. Es gab mit dem Pkw keine technischen Probleme (Bl. 68, 39 der Ermittlungsakte). Auch die Ehefrau des Getöteten erwähnte keine technischen Probleme des Pkw.

    b) Der Senat glaubt den nachfolgend dargestellten Angaben der Ehefrau und des Bruders des Herrn P. zu den Lebensumständen des Verstorbenen.

    Danach hatte dieser ein sehr enges Verhältnis zu seiner Mutter und kam über deren Tod 1999 nicht hinweg. Die Ehefrau bestätigte anlässlich ihrer Einvernahme vom 19.07.2019 ihre Angaben vor dem Landgericht (Protokoll vom 19.07.2019 S. 7/10 = Bl. 229/232 d.A.). Insbesondere gab sie an, dass Herr P. sehr an seiner Mutter hing und auf diese fixiert war, mit dieser "alles zusammen machte" und er über den Tod der Mutter sehr verzweifelt war, diese Verzweiflung über die Jahre hinweg zunächst gleichblieb, dann "eher" abgenommen hat, bevor sie im Verlauf des letzten Jahres wieder zunahm. Vor dem Landgericht äußerte die Zeugin R. P., dass Herr P. vor ihr keine Frau oder Freundin hatte und im Gegensatz zu den anderen Geschwistern sehr abhängig von seiner Mutter war und nach dem Kennenlernen es die Mutter des Herrn P. war, die wollte, dass sie zu ihm zieht, was sie seinerzeit wegen ihres noch in Ausbildung befindlichen Sohnes zunächst ablehnte. Der Senat ist weiter von den Angaben der Ehefrau überzeugt, wonach Herr P. 1999 nach dem Tod seiner Mutter wieder begann zu trinken und zwar heimlich und trotz der Heirat der Alkoholkonsum zunahm und er zuletzt öfters volltrunken war (Sitzungsniederschrift vom 13.10.2016 S. 2 = Bl. 64 d.A.). Auch bekundete sie, dass er in den letzten Monaten vor dem Ereignis gereizter war, häufiger das Grab der Mutter besuchte und vor dem Grab betete, obwohl er sonst nie in die Kirche ging. Die Zeugin P. stellte ihren Mann auch zur Rede, wenn sie bemerkte, dass er getrunken hatte, wobei er versprach aufzuhören. Vor dem Senat (Sitzungsniederschrift vom 19.07.2019, S. 9 = Bl. 231 d. A.) äußerte die Zeugin weiter, dass sie ihrem Mann drohte und zwar immer wieder, dass sie bei den Kindern in K. bleibt, ihn mithin verlässt, wenn er nicht mit dem Trinken aufhöre. Die Drohung der Ehefrau, ihn zu verlassen, nahm der Getötete zur Überzeugung des Senats auch ernst. Frau R. P. berichtete nämlich, dass ihre erste Ehe wegen des Alkoholismus ihres damaligen Ehemannes geschieden wurde und sie nie wieder einen Mann haben wollte, der Alkoholprobleme hat, der Verstorbene seinen Alkoholkonsum vor ihr verheimlichen wollte und sie ihn nicht genommen hätte, hätte er ihr gesagt, dass er trockener Alkoholiker war, was sie erst 1998 von seiner Schwester erfuhr (Sitzungsniederschrift vom 13.10.2016, S. 3 = Bl. 65 d. A.; Protokoll vom 19.07.2019 S. 8, 9 = Bl. 230/231 d.A.). Wegen seines früheren Alkoholkonsums war dem Getöteten auch einmal die Fahrerlaubnis entzogen worden.

    Am 03.10.2012 war Herr P. nach der Beschreibung der Ehefrau so betrunken, dass sie ihm beim Entkleiden helfen musste. Sie fragte ihn, ob er sie überhaupt nicht mehr liebe und warum er nicht aufhöre zu trinken, worauf er antwortete, dass er sie über seinen Tod hinaus liebe. Einen vergleichbaren Satz hat er nach den Angaben der Ehefrau noch nie gesagt. Frau R. P. erinnerte sich auch, dass der Getötete am Vorabend zwar viel getrunken hatte, aber nicht volltrunken war und anders als sonst in der Nacht unruhig war (Protokoll v. 19.07.2019, S. 10). Üblicherweise machte Herr P. nach ihren Bekundungen nach dem Aufstehen am Morgen Kaffee, richtete Brötchen her und versorgte die Hühner und ließ diese aus dem Stall. All diese Tätigkeiten nahm er am 05.10.2012 nicht wahr und verließ das Anwesen, ohne das Handy mitzunehmen oder sich zu verabschieden, während es vor diesem Vorfall nicht so war, dass Herr P. aus der Ehefrau unerfindlichen Gründen wegfuhr oder wegblieb (Sitzungsniederschrift vom 19.07.2019 S. 9 = Bl. 231 d.A.). Im Beisein der Ehefrau versuchte Herr P. nie, um die geschlossene Schranke herum zu fahren (Sitzungsniederschrift a.a.O.). Er trank sonst am Morgen nicht.

    Der Senat geht nicht davon aus, dass die dargestellten Angaben der Ehefrau infolge Traumatisierung verzerrt sind und daher in Zweifel zu ziehen wären. Die Sachverständige Dr. E. führte aus (Sitzungsniederschrift vom 11.03.2020, S. 7 = Bl. 300 6d. A.), dass es bei traumatisierten Personen zu Verzerrungen in der Wahrnehmung hinsichtlich des Traumageschehens kommt. Das Traumageschehen bei der Ehefrau war die Mitteilung des Todes ihres Ehemannes durch die Polizei. Eine insoweit mögliche Verzerrung betrifft aber nicht die sonstigen Erinnerungen an die eigene Biografie und das Wissen über ihren Mann.

    c) Von einem - insbesondere - alkoholbedingten Fahrfehler oder einer plötzlich auftretenden Bewusstlosigkeit geht der Senat nicht aus. Herr P. war, wie sich insbesondere aus den Angaben der Ehefrau ergibt, alkoholgewöhnt. Von sonstigen ernsthaften Erkrankungen war der Ehefrau und dem Bruder nichts bekannt, sonstige ernsthafte gesundheitliche Probleme bestanden nicht (Bl. 39 d. Ermittlungsakte). Der Sachverständige Professor Dr. G., dessen hervorragende Sachkunde dem Senat aus einer Vielzahl erholter Gutachten und Anhörungen vor dem Senat bekannt ist, führte aus (Sitzungsniederschrift vom 19.07.2019, S. 13,14), dass der Getötete alkoholgewöhnt war, nachdem er oft und viel Alkohol trank. Die bei der Obduktion entnommene Blutprobe - wegen der verbleibenden Restunsicherheit sowie Größe, Statur und Gewicht des Getöteten geht der Sachverständige von 1,2 Promille aus - lässt sich nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht allein mit der Aufnahme der alkoholischen Getränke aus den nach der Kollision im Kofferraum des Fahrzeugs gefundenen Flaschen (halber Liter Bier und 0,35 l Pfefferminzlikör) am Morgen des 5. Oktober erklären. Unter Berücksichtigung des Abbauwertes von etwa 1,5 Promille in der Zeit der Nachtruhe (Sitzungsniederschriften vom 13.10.2016, S. 3 = Bl. 65 d.A. und vom 19.07.2019, S. 10 = Bl. 232 d.A.) zwischen 04.10.2012 ca. 21:30 Uhr bis 05.10.2012 ca. 7:00 Uhr ist eine Blutalkoholkonzentration von knapp 2 Promille am Vorabend plausibel. Wesentliche motorische oder psychomotorische Defizite sind nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen der Senat folgt, bei dem alkoholgewöhnten Verstorbenen bei der festgestellten Blutalkoholkonzentration zum Vorfallszeitpunkt nicht zu erwarten. Die Ehefrau bezeichnete den Zustand des Getöteten am Morgen des 05.10., bevor er das Haus verließ, insoweit als unauffällig (Protokoll v. 19.07.2019, S. 10). Auch von einer durch eine diabetische Erkrankung verursachten Ausfallerscheinung ist nach den Ausführungen des Sachverständigen G. nicht auszugehen.

    d) Hinsichtlich möglicher Fahrziele am Morgen des 05.10.2012 geht der Senat nicht davon aus, dass der Getötete wegfuhr, um Äpfel zu pflücken oder Alkohol für das Wochenende zu besorgen. Soweit die Ehefrau vermutete (Protokoll v. 19.07.2019, S. 8), er habe allein Äpfel jenseits des Bahnüberganges im Dorf Di. pflücken wollen, was sie eigentlich am Morgen gemeinsam vorhatten, ist auszuführen, dass sich der Getötete auf dem Weg aus Richtung Di. nach D. zurück befand und Äpfel im Fahrzeug nicht aufgefunden wurden. Soweit die Klagepartei vermutete, Herr P. habe die letzte Gelegenheit vor dem Wochenende ohne seine Ehefrau genutzt, um in einem Nachbarort Alkohol für das Wochenende einzukaufen, geht der Senat hiervon nicht aus. Angesichts der von der Ehefrau zuletzt geschilderten Trinkmengen genügte die Alkoholmenge aus den im Pkw gefundenen Flaschen ersichtlich nicht für die Zeit von Freitag früh bis Montag früh und Herr P. hatte diese bereits ausgetrunken und es ist nicht verständlich, dass dann nicht eine für mehrere Tage ausreichende Menge besorgt worden sein soll.

    e) Ausgehend von den dargestellten Angaben der Angehörigen und der obigen Feststellungen des Senats zum Unfallhergang und zur Alkoholgewöhnung gelangte die Sachverständige Dr. E. in ihren Gutachten vom 14.10.2019 zu der Feststellung, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Handlung des Verstorbenen ein Suizid als Motiv zugrunde lag, er die verfügbare Suizidmethode Bahn benutzte und sein Motiv in die Tat umsetzte. Das Geschehen stellt dabei den Endpunkt einer pathologischen Entwicklung dar, welche in der Jugend begann und sich über eine zunehmende Alkoholkonsumstörung bei dependenten Persönlichkeitszügen und strukturellen Defiziten entwickelte und insbesondere nach dem Tod der Mutter, zu welcher eine abhängige Beziehung bestand, eine depressive Anpassungsstörung auftrat, welche sich im späteren Verlauf nicht besserte, sondern gerade im letzten Jahr vor dem Ereignis verschlimmerte, nachdem der Verstorbene vermehrt trank und die Sehnsucht nach der toten Mutter zunahm. Die Bezeugung am 3. Oktober, er liebe seine Frau, die damit gedroht hatte, ihn wegen seines Alkoholkonsums zu verlassen, über seinen Tod hinaus, ist als Suizidankündigung zu sehen. Die krankhafte Entwicklung führte dann in Verbindung mit dem entgegen der Gewohnheit bereits am Morgen in hohem Maße zugeführten Alkohol zu einer Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, nicht jedoch zu deren Aufhebung.

    (1) Der Senat konnte sich von der Sachkunde der Sachverständigen überzeugen. Der Senat hatte die Sachverständige bereits im Verfahren 10 U 1693/10 als Sachverständige zur Klärung der prozessentscheidenden Frage beauftragt, ob einem Bahnsteigsturz eine suizidale Handlung der gestürzten jungen Frau zugrunde lag. Die von ihr zusammen mit J. B. und K.-H. L. durchgeführte und veröffentlichte Untersuchung auf dem Gebiet der Suizidforschung zur Erarbeitung einer umfassenden Strategie zur Suizidprävention im Gleisbereich wurde vom erstinstanzlich tätigen Sachverständigen bei der verwendeten Literatur bereits zitiert. Die Sachverständige hat in mündlicher Verhandlung erläutert, dass sie seit 25 Jahren sowohl wissenschaftlich als auch klinisch-therapeutisch tätig ist und in ihrer Praxis bereits viele Suizidpatienten betreute, die einen Bahnsuizid in Betracht gezogen haben und sie laufend Gutachten zur Begründung einer Störung und Beantragung einer Psychotherapie fertigt (Sitzungsniederschrift vom 11.03.2020, S. 3 = Bl. 302 d.A.).

    (2) Der Senat folgt dem Ergebnis der Sachverständigen, wonach beim Verstorbenen zum Vorfallszeitpunkt eine erhebliche Suizidgefährdung vorlag, welche eine stationäre Aufnahme indiziert hätte.

    Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten und anlässlich ihrer Anhörung (Sitzungsniederschrift a.a.O.) unter Bezugnahme auf die bereits im schriftlichen Gutachten erläuterte sog. "sad-persons-scale" zur Beurteilung des Grades der Suizidgefährdung dargelegt, dass sie von den 10 Faktoren und 3 Zusatzpunkten der Skala beim Verstorbenen zunächst das männliche Geschlecht sowie das Alter über 54 Jahre und die aktuelle Alkoholisierung zum Vorfallszeitpunkt als positiv werte.

    Der Senat folgt Sachverständigen auch darin, dass ein Alkoholmissbrauch beim Verstorbenen vorlag. Ausgehend von den Kriterien der ICD 10 kann zwar nicht sicher beantwortet werden, ob eine Alkoholabhängigkeit gegeben war, aufgrund der dargestellten Angaben der Angehörigen und dem Ergebnis der Leichenblutentnahme ging die Sachverständige aber zu Recht von einem Alkoholmissbrauch aus und erläuterte, dass es in der Suizidforschung unabhängig von den Kriterien der ICD 10 oder DSM 5 darauf ankommt, ob ein Suizidaler im Vorfeld schon länger viel getrunken hat und damit Probleme hatte. Angesichts der Angaben der Ehefrau, der Verstorbene sei zum Zeitpunkt des Kennenlernens trockener Alkoholiker gewesen und habe nach dem Tod der Mutter, insbesondere im letzten Jahr vor seinem Tod, wieder verstärkt dem Alkohol zugesprochen (wobei er am 03.10.2012 so volltrunken war, dass er unfähig war, sich selbst zu entkleiden), dem Ergebnis der Leichenblutentnahme und den Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. G., wonach am Vorabend des Vorfalls von einer BAK von etwa 2 Promille auszugehen ist und wegen des zunehmenden Trinkverhaltens des Verstorbenen folgt der Senat der Sachverständigen bei der Beurteilung eines Alkoholmissbrauchs nach der Beurteilungsskala. Ein Widerspruch zu den Feststellungen des Sachverständigen Prof Dr. G. besteht insoweit nicht. Dessen Gutachten (vergleiche Beweisbeschluss vom 30. 11. 2018, S. 5 = Bl. 180 d.A.) betraf die Frage der Beeinträchtigung der Handlungs- und Steuerungsfähigkeit bei der Fahrt zum Kollisionsort und nicht die Einordnung des Alkoholkonsums unter die Kriterien der ICD 10 oder DSM 5. Die Sachverständige erläuterte, dass sie ebenso wie Prof Dr. G. die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit nicht stellen kann, jedoch von einem Alkoholmissbrauch nach DSM 5 ausgeht.

    Die psychosozialen Probleme (weiteres Kriterium) in den Tagen vor dem Vorfall hat die Ehefrau eindringlich geschildert.

    Zutreffend erachtet der Senat auch die Einschätzung der Sachverständigen, wonach eine Depression im Zusammenhang mit der prolongieren Trauerreaktion des Verstorbenen vorlag (Sitzungsniederschrift vom 11.03.2020, S. 5 = Bl. 304 d.A.; schriftliches Gutachten des Sachverständigen vom 14.10.2019 S. 11/15 = Bl. 258/260 d.A.; schriftliche Stellungnahme der Sachverständigen vom 14.10.2019 zu den Ausführungen Professor Dr. S., Seiten 5R/7 = Bl. 247 R, 248). Aufgrund der von den Angehörigen geschilderten Beziehung des Verstorbenen zu seiner Mutter gelangte die Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Verstorbene sich nicht zu einem selbstständigen jungen Mann entwickelte, der im entsprechenden Alter eine eigene Familie gründen wollte, sondern abhängig von der Beziehung zur Mutter war, was zu einer ängstlich dependenten Persönlichkeit führte, die das Gefühl hat, ihr Leben nicht eigenständig führen zu können. Die abnorme Trauerreaktion schilderte die Ehefrau eindringlich und die Sachverständige erläuterte (Gutachten vom 14.10.2019 S. 15/16 = Bl. 260/261 d. A.), dass es die anhaltende Trauerstörung als Diagnose weder nach ICD 10 noch nach DSM 5 gibt, eine solche jedoch aufgrund zahlreicher Untersuchungen einen Risikofaktor für Suizidalität darstellt. Nachdem die Trauer im letzten Jahr vor dem Vorfall zunahm und die Ehefrau eine deutliche Veränderung beim Verstorbenen bemerkte, der gereizter war als sonst, häufiger das Grab der Mutter besuchte und zunehmend trank, führte die Sachverständige (Sitzungsniederschrift vom 11.03.2020, S. 5 = Bl. 304 d. A.) aus, dass sie unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den Angaben der Angehörigen, insbesondere der Ehefrau, das Vorliegen einer depressiven Störung und damit einen weiteren Punkt nach der Beurteilungsskala bejaht. Im schriftlichen Gutachten vom 14.10.2019, S. 20/22 (= Bl. 262 R/263) begründete die Sachverständige, dass der Verstorbene am 03.10.2012 aufgrund der Angst, seine Ehefrau wegen seines Alkoholmissbrauchs zu verlieren, verbunden mit Scham- und Schuldgefühlen in eine psychosoziale sowie innerpsychische affektive Krise geriet, in welcher er mit dem Satz, er liebe seine Ehefrau über seinen Tod hinaus eine Todesnähe äußerte, die als Suizidankündigung betrachtet werden kann, obwohl er in früheren Gesprächen mit seiner Ehefrau einem Suizid ablehnend gegenüberstand. Der Senat folgt der Sachverständigen darin, dass der Verstorbene mit diesem Satz die eigene Person mit dem Tod in Verbindung gebracht hat, was in der Suizidforschung als wichtiger Risikofaktor gilt. Dass der Verstorbene zu einem früheren Zeitpunkt in Gesprächen mit seiner Ehefrau äußerte, dass er persönlich einem Suizid ablehnend gegenübersteht, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Sachverständige hat in ihrer Stellungnahme zu den Ausführungen von Prof. S. ausführlich dargelegt, dass eine Entscheidung, die in einer bestimmten Situation getroffen wurde, in einer anderen Lebenssituation umgeworfen werden kann (Stellungnahme vom 14.10.2019, S. 11 = Bl. 250 d. A.). Die von der Ehefrau geschilderte Unruhe in der Nacht vor dem Vorfall, die sonst nicht gegeben war, ist nach dem Gutachten der Sachverständigen (S. 24 = Bl. 264R d.A.) als Hinweis für die Zuspitzung einer Gefahr für das Leben zu sehen. Aufgrund der dargestellten Erwägungen in Verbindung mit der Abweichung von der Routine gelangte die Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Verstorbene am Morgen des 05.10.2012 das Haus in suizidaler Absicht verließ. Dieses bereits im schriftlichen Gutachten, dort Seiten 26-29 = Bl. 265R/267 dargelegte Ergebnis bestätigte die Sachverständige anlässlich ihrer Anhörung vor dem Senat.

    (3) Mit der abweichenden Einschätzung des Privatgutachters Prof. Dr. S. der Klagepartei zur Suizidgefährdung, insbesondere zum Alkoholmissbrauch, depressiven Störung und Wesensfremdheit eines Suizids für den Verstorbenen sowie hinsichtlich der Frage der Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit und den möglichen Alternativen, die einen tödlichen Unfall ohne suizidales Motiv begründen können, hat sich die Sachverständige bereits in ihren schriftlichen Gutachten ausführlich und überzeugend auseinandergesetzt.

    (4) Hinsichtlich der von der Sachverständigen in ihren Gutachten erwähnten Bahnsuizide des Torwarts R. E. und einem weiteren Bahnsuizid 2 Wochen vor dem streitgegenständlichen Vorfall, 15 km vom hiesigen Vorfallsort entfernt, führte die Sachverständige in mündlicher Verhandlung aus, dass sie bereits in den Gutachten davon ausging, dass diese Suizide in der Begehungsweise mit dem hiesigen Fall keine Übereinstimmungen aufzeigen und sie keine Anhaltspunkte dafür hat, dass der Verstorbene einen der von ihr zitierten Bahnsuizide kannte oder wahrgenommen hat (Sitzungsniederschrift vom 11.03.2020, S. 6/7 = Bl. 305/300 6d. A.).

    f) Der Senat ist hiernach davon überzeugt, dass der Getötete am Morgen des 05.10.2012 in suizidaler Absicht das Anwesen verließ und seine Absicht durch die ihm bekannte und verfügbare Suizidmethode Bahn in die Tat umsetzte. Wie bereits ausgeführt ist das punktgenaue Zusammentreffen des Pkw mit dem herannahenden Zug aus größerer Entfernung nur schwer planbar. Von einer solchen dezidierten Planung geht der Senat auch nicht aus, sondern davon, dass der Getötete in suizidaler Absicht die Halbschranke umfuhr und das Fahrzeug vor dem Zug zum Stillstand brachte. Wäre der Getötete zeitlich früher auf den Bahnübergang gelangt, wäre er möglicherweise ebenfalls stehen geblieben oder aufgrund der von der Sachverständigen dargestellten Ambivalenz weitergefahren und würde noch leben. Wäre er später dran gewesen, wäre er in einem anderen Winkel oder seitlich in den Zug gefahren oder hätte das Fahrzeug abgebremst. Der Senat geht davon aus, dass der konkrete Kollisionshergang mit einer gleichmäßigen Annäherungsgeschwindigkeit des Pkw aus einer größeren Entfernung und das Stehenbleiben auf den Gleisen Sekunden vor Eintreffen des Zuges am Kollisionsort sowie der Kollisionswinkel vom Verstorbenen so nicht geplant war, sondern sich zufällig ereignete. Entscheidend ist für den Senat wie ausgeführt die Lebenssituation, wie von den Angehörigen und der Sachverständigen dargestellt, das Verhalten im Vorfeld und der Unfallhergang selbst mit dem Umfahren der Schranke und dem vom Lokführer wahrgenommenen kurzzeitigen Stehen auf den Schienen. Der Vorfall hat sich so zugetragen wie festgestellt. Der Senat sieht sich insbesondere aufgrund der Erläuterungen des Sachverständigen Dr. E. trotz theoretisch möglicher anderer Ursachen, warum der Pkw vor den Zug geraten sein könnte, an einer Überzeugungsbildung gemäß § 286 ZPO von einem Suizid nicht gehindert.

    g) Der Einräumung der seitens des Klägervertreters beantragten Schriftsatzfrist bedurfte es nicht.

    (1) Dies gilt zunächst hinsichtlich der beantragten Schriftsatzfrist zur Anhörung der Sachverständigen Dr. E. Zwar ist, wenn ein medizinischer Sachverständiger in seinen mündlichen Ausführungen neue und ausführlichere Beurteilungen gegenüber dem bisherigen Gutachten abgibt, den Parteien unter dem Blickpunkt des rechtlichen Gehörs Gelegenheit zu geben, hierzu Stellung zu nehmen (BGH VI ZR 25/09, Beschl. v. 30.11.2010; VI ZR 272/99, Urt. v. 13.02.2001 [Juris]. Soweit die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 11.03.2020 ihr Ergebnis mit neuen oder ergänzenden Gesichtspunkten untermauert hat, die nicht bereits Gegenstand der schriftlichen Begutachtung waren und die für einen Suizid sprechen, insbesondere die Erwägungen, dass bei Bahnsuiziden anders als bei anderen Formen der Selbsttötung signifikant seltener Abschiedsbriefe gefunden werden, was darauf schließen lässt, dass es sich bei Bahnsuiziden eher um Kurzschlusshandlungen als um länger geplante Suizide gehandelt haben könnte, sowie, dass die Verwendung des Pkw - anstatt sich auf die Gleise zu legen - darauf zurückzuführen sein kann, dass diese Begehungsweise eine mögliche Stigmatisierung nach dem Suizid beseitigen kann und sich mit einem höheren Ausmaß an Ambivalenz erklären lässt, welche auch erklären könnte, dass der Getötete zunächst mit unbekanntem Ziel - entsprechend der bei Bahnsuiziden häufig zu beobachtenden Unschlüssigkeit, verbunden mit dem Abwarten mehrerer Züge - die Gleise überquerte und dann erst zurück fuhr und auf den Gleisen stehen blieb, hat der Senat seine Beweiswürdigung hierauf nicht gestützt. Die neuen und ergänzenden Gesichtspunkte würden, würden sie berücksichtigt, das aufgefundene Beweisergebnis auch nicht in Zweifel ziehen, sondern im Gegenteil stützen. Die von der Sachverständigen erwähnte Seltenheit von Bahnsuiziden gegenüber Suiziden im Allgemeinen, die extreme Seltenheit von Bahnsuiziden unter Verwendung von Pkw und insbesondere die Besonderheit des vorliegenden Falles, der keine Übereinstimmung mit den von der Sachverständigen erwähnten Bahnsuiziden aufweist, hat der Senat berücksichtigt.

    (2) Der Senat war gemäß § 279 III ZPO gehalten, den Parteien seine vorläufige Einschätzung des Beweisergebnisses bekanntzugeben. Weshalb eine Stellungnahme hierauf (vergleiche Sitzungsniederschrift vom 11.03.2020, S. 11 = Bl. 310 d. A.) in mündlicher Verhandlung nicht möglich war, wurde nicht dargelegt.

    3. Die Versetzung des Richters am Oberlandesgericht K. nach Urteilserlass und vor Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe zum 01.04.2020 als ständiger Vertreter des Direktors des Amtsgerichts K. hindert dessen Unterschriftsleistung nicht. Dieser Umstand stellt keine Verhinderung an der Unterschriftsleistung dar (vergleiche BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2010,2 StR 331/10 [juris]), da der Ausgeschiedene im Bundesland Bayern und Bezirk des OLG München Richter geblieben ist.

    II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

    III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

    RechtsgebieteStvG, VVGVorschriften§ 7 Abs. 1 StVG; § 103 VVG