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  • 29.06.2020 · IWW-Abrufnummer 216491

    Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 31.03.2020 – I-24 U 61/19

    Kinderlosigkeit als solche stellt keine Krankheit i.S. der MB/KK dar, sondern allein die organische Ursache derselben, hervorgerufen durch einen regelwidrigen körperlichen Zustand, welchen der Versicherungsnehmer nachzuweisen hat. Zur Annahme eines Versicherungsfalls gem. § 1 Abs. 2 AVB ist eine idiopathische Sterilität nicht ausreichend, ebenso wenig wie altersbedingte Fertilitätseinschränkungen.


    Oberlandesgericht Düsseldorf


    31.03.2020

    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das am 23. Januar 2019 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

    Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    1

    G r ü n d e

    2

    I.

    3

    Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

    4

    Die Voraussetzungen dafür, die Leistungen für ihre Kindwunschbehandlung von der Beklagten erstattet zu erhalten, liegen nicht vor. Die Klägerin hat nicht den Beweis erbracht, dass der Versicherungsfall gem. § 1 Abs. 2 AVB (Anl. K2, AI 2) gemäß dem zwischen den Parteien geschlossenen Krankenversicherungsvertrag eingetreten und die Beklagte deshalb zur Kostenübernahme verpflichtet ist.

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    1.

    6

    Krankheit im Sinne der Bedingungen ist ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anomaler, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. September 2005 - IV ZR 113/04, Rz. 12, jetzt und im Folgenden zitiert nach juris). Es ist indes von der Klägerin als Versicherungsnehmerin nicht bewiesen worden, dass sie aufgrund einer solchen körperlichen Ursache unfähig ist, Kinder zu bekommen und deshalb die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für die In-Vitro-Fertilisationen (IVF) in Höhe der geltend gemachten EUR 6.305,66 zu übernehmen. Die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Schlussfolgerungen des Landgerichts sind nicht zu beanstanden. Der Senat schließt sich ihnen an.

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    2.

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    In der Berufungsbegründung rügt die Klägerin, das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft einseitig auf eine „organisch bedingte“ Störung der körperlichen Funktionen abgestellt. Der Bundesgerichtshof habe indes in anderen Entscheidungen betreffend vergleichbare Behandlungen lediglich von einer gestörten Körperfunktion ohne organische Bedingung geurteilt (Urteile vom 12. November 1997 ‒ IV ZR 58/97, Rz. 15ff. vom 3. März 2004 ‒ IV ZR 25/03, Rz. 18ff.) bzw. jedenfalls nicht auf eine organische Bedingung abgestellt (Urteile vom 21. September 2005 ‒ IV ZR 113/04, Rz.12ff.; vom 13. September 2006 ‒ IV ZR 33/05, Rz. 15f.). Das OLG Köln sei davon ausgegangen, dass ein einem bestimmten Körperorgan zuzuordnender pathologischer, zur Unfruchtbarkeit führender Zustand gegeben sei (Urteil vom 24. Februar 2012 - 20 U 60/11, Rz. 23), während nach einer Entscheidung des OLG Nürnberg (Urteil vom 27. Mai 1993 ‒ 8 U 850/93, Rz. 39) sogar eine sog. idiopathische, also medizinisch ungeklärte Sterilität, einen Versicherungsfall darstelle.

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    Bei der von der Klägerin genannten Entscheidung des OLG Hamm (VersR 1997, 1342) handelt es sich offenbar um ein Fehlzitat. Denn das dort abgedruckte Urteil vom 12. Juni 1996 (Az. 20 U 220/95) verhält sich nicht zu einer Empfängnisunfähigkeit, sondern zu einem chronischen Erschöpfungssyndrom.

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    Der Senat meint jedoch mit dem OLG München, dass eine idiopathische Sterilität, wie sie hier vom Gutachter Prof. Dr. G. festgestellt wurde, als Voraussetzung für eine Eintrittspflicht des Versicherers nicht ausreichend ist (vgl. Beschluss vom 9. März 2017 ‒ 25 U 4600/16, Rz.1, jetzt und im Folgenden zitiert nach Juris; siehe auch Urteile vom 26. Juni 2007 ‒ 25 U 5263/06, Rz. 4ff. und vom 23. November 2004 ‒ 25 U 3379/04 ). Vielmehr muss eine krankheitsbedingte Ursache feststehen, welche vom Versicherungsnehmer nachzuweisen ist.

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    Der gegenteiligen Auffassung des OLG Nürnberg vermag der Senat sich nicht anzuschließen. Zu Recht hat das OLG München darauf abgestellt, dass nicht die Kinderlosigkeit als solche, sondern allein die organische Ursache derselben eine Krankheit i.S. der MB/KK darstellt (vgl. OLG München, Urteil vom 26. Juni 2007, aaO, Rz. 4). Die vom OLG München im Beschluss vom 9. März 2017 (aaO) aus der Entscheidung des BGH vom 15. September 2010 (Az. IV ZR 187/07) gezogenen Schlussfolgerungen sind zutreffend, weshalb davon auszugehen ist, dass auch auf Grundlage der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs ein regelwidriger körperlicher Zustand, den der Versicherungsnehmer nachzuweisen hat, Voraussetzung für die Bejahung eines Versicherungsfalls ist (vgl. insoweit auch Bundessozialgericht, Urteil vom 3. März 2009 ‒ B 1 KR 12/08 R, Rz. 39 mwN; LG Aachen, Urteil vom 28. März 2014 - 9 O 169/11, Rz. 22f.). In seiner Entscheidung vom 4. Dezember 2019 (IV ZR 323/18, Rz. 8) hat der Bundesgerichtshof zudem im Zusammenhang mit den Kosten einer Fertilitätsbehandlung erneut betont, dass eine Krankheit i.S. § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK eine auf körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit, auf natürlichem Weg Kinder zu bekommen, voraussetzt.

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    Maßgebend ist somit nicht die Kinderlosigkeit der Klägerin als solche, sondern die organische Ursache derselben. Zur Überzeugung des Senats lässt sich jedoch zu Gunsten der Klägerin nicht feststellen, dass die Kinderlosigkeit bei ihr hierauf beruht. Die bloße Möglichkeit, dass sich im Körper der Klägerin eine krankheitsbedingte Sterilitätsursache befindet, genügt nicht. Vielmehr ist eine solche von ihr nachzuweisen.

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    Die Klägerin hat unstreitig im Jahr 2013 im Alter von (gerade noch) 38 Jahren einen Sohn geboren, den sie spontan empfangen hat. In den Jahren 2010 und 2011 war die Klägerin ebenfalls schwanger geworden, allerdings führten diese Schwangerschaften nicht zur Geburt eines Kindes. Eine Sterilität der Klägerin hat somit in diesen Zeiträumen nicht vorgelegen. Dass sie durch nachfolgende Erkrankungen steril wurde, ist nicht ersichtlich, denn Anhaltspunkte dafür trägt sie nicht vor.

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    Dass die sie behandelnden Ärzte eine Indikation für die Sterilitätsbehandlung gesehen haben, begründet gleichfalls keine Leistungspflicht der Beklagten. Denn dieser Umstand entbindet die Klägerin nicht vom Nachweis einer ursächlichen körperlichen Erkrankung (vgl. hierzu auch OLG München, Beschluss vom 9. März 2017 (aaO, Rz. 2), den sie nicht zu führen vermochte. Der Sachverständige Prof. Dr. G. hat ausgeführt, dass „die Diagnose einer idiopathischen Sterilität auf Basis dieser Untersuchung richtig gestellt worden“ sei (S. 7 des Gutachtens vom 9. Juni 2017, GA 77). Eine konkrete, bei der Klägerin vorliegende, krankheitsbedingte organische Ursache hat er indes nicht festgestellt.

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    Der Gutachter hat zwar ausgeführt, dass die Ursache des unerfüllten erneuten Kinderwunsches der Klägerin nicht rein spekulativ sei, sondern man wisse, dass ab einem Lebensalter von 40 Jahren die überwiegende Mehrzahl der ovulierten Eizellen durch Meiosefehler chromosomal auffällig (aneuploid) und auch die überwiegende Mehrzahl der sich entwickelnden Embryonen durch Meiose- bzw. Mitosefehler (Zellteilungsfehler) chromosomal auffällig seien (aaO). Die Ursache eines unerfüllten Kinderwunsches bei einer Frau in einem Lebensalter von 40 Jahren bestehe „in einer Funktionsstörung im Eierstock in der Bildung chromosomal unauffälliger Eizellen“. Hierbei handele es sich um eine altersabhängige, aber organisch bedingte Ursache (S. 8 des Gutachtens, GA 78).

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    Zum Zeitpunkt der ab Juni 2015 durchgeführten In-Vitro-Fertilisationen (IVF) war die Klägerin 41 Jahre alt bzw. älter. Da eine körperliche, altersunabhängige Ursache nicht feststellbar war, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Ursache der ausbleibenden Schwangerschaft der Klägerin in den in diesem Alter bei Frauen üblicherweise eintretenden, die Fruchtbarkeit erschwerenden Umständen lag. Der Sachverständige Prof. G. führte insoweit aus, dass eine knapp 40-jährige Patientin pro Zyklus Spontankonzeptionsaussichten von etwa 10% hat (Gutachten vom 9. Juni 2017, S. 6, GA 76), was zeigt, dass sich bei einer organisch gesunden Frau in diesem Alter in 90% der Fälle keine Schwangerschaft einstellt. Geht man also davon aus, die Klägerin sei organisch gesund, so kann bereits aufgrund des Alters das Fehlschlagen einer Schwangerschaft auf diesen Umständen beruhen.

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    Es ist auch möglich, dass Erschwernisse bei der Klägerin aufgrund einer „frühzeitigen Alterung“ aufgetreten sind und zu dem ausbleibenden Erfolg der IVF beigetragen haben. Denn die Angaben des Sachverständigen beruhten auf statistischen Durchschnittswerten, von denen im Einzelfall nach oben oder unten Abweichungen möglich sind. Selbst wenn jedoch die altersbedingten Fertilitätseinschränkungen der Klägerin sogar stärker ausgeprägt waren als bei dem Durchschnitt der Frauen in ihrem Alter, könnte auch dem kein Krankheitswert beigemessen werden. Denn Abweichungen im Alterungsprozess stellen sich im Grundsatz nicht als pathologisch dar.

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    Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 26. März 2020 gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung bzw. zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

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    II.

    20

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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    Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.

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    Der Streitwert im Berufungsverfahren beträgt EUR 6.305,66.