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  • 28.08.2015 · IWW-Abrufnummer 145242

    Sozialgericht Koblenz: Urteil vom 01.07.2015 – S 2 U 143/13

    Unechte Unfallversicherung Das Tätigkeiten aufgrund mitgliedschaftlicher Verpflichtung im Rahmen eines durch Satzung oder gültigen Vereinsbeschluss festgelegten Vereinszwecks unversichert sind, auch wenn sie umfangreicher sind, gilt nur für ordentliche Vereinsmitglieder. Personen, die wie ein Vereinsmitglied tätig werden, ohne entsprechend den in der Satzung aufgestellten Regeln tatsächlich als Mitglied in den Verein aufgenommen worden zu sein, werden hingegen wie ein Beschäftigter tätig. Das Tätigkeiten aufgrund mitgliedschaftlicher Verpflichtung im Rahmen eines durch Satzung oder gültigen Vereinsbeschluss festgelegten Vereinszwecks unversichert sind, auch wenn sie umfangreicher sind, gilt nur für ordentliche Vereinsmitglieder. Personen, die wie ein Vereinsmitglied tätig werden, ohne entsprechend den in der Satzung aufgestellten Regeln tatsächlich als Mitglied in den Verein aufgenommen worden zu sein, werden hingegen wie ein Beschäftigter tätig.


    Sozialgericht Koblenz

    Urt. v. 01.07.2015

    Az.: S 2 U 143/13

    Tenor:

    1.

    Der Bescheid der Beklagten vom 08.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2013 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das schädigende Ereignis vom 22.10.2011 als Versicherungsfall anzuerkennen.
    2.

    Die Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten darüber, ob das schädigende Ereignis, von dem der Kläger am 22.10.2011 betroffen wurde, als Versicherungsfall anzuerkennen ist.

    Der 1984 geborene Kläger war als Betonbohr- und Sägearbeiter bei der Firma H. in B. versicherungspflichtig beschäftigt. Am 22.10.2011 wollte er auf Anfrage des Vereins S. F. e.V. als Streckenposten bei einem Autorennen fungieren, das vom A. e. V. ausgerichtet wurde. Unter dem 10.09.2011 hatte der Kläger die Mitgliedschaft in der S:F.e. V. schriftlich beantragt, und zwar beginnend mit der Abgabe und Annahme des Antrags und endend am 31.12. des laufenden Jahres.

    Auf dem Weg zur Rennstrecke wurde der Kläger in einen Verkehrsunfall verwickelt. Dabei zog er sich mehrere Gesichtsschädelfrakturen, eine Rippenserienfraktur mit Lungenquetschung und eine Fersenbeinmehrfragmentfraktur zu. Seine Krankenkasse meldete im März 2012 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch an, weil sie der Auffassung war, dass es sich bei dem schädigenden Ereignis um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Nachdem die Beklagte eine Reihe von Ermittlungen zum Verein S.F. e.V. insbesondere zum Status des Klägers getätigt hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 08.01.2013 ab, das schädigende Ereignis als Versicherungsfall anzuerkennen. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt Vereinsmitglied gewesen und habe beabsichtigt, eine dem Vereinszweck entsprechende Tätigkeit auszuüben.

    Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit der Begründung Widerspruch, eine temporäre Mitgliedschaft, wie sie dem Kläger zuteil geworden sei, sei in der Satzung des Vereins S.F.e.V. nicht vorgesehen. Im Übrigen habe er auch keinen Mitgliedsbeitrag gezahlt. Mit Bescheid vom 20.06.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.

    Mit der am 24.06.2013 eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er wiederholt und ergänzt sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.

    Der Kläger beantragt,

    die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2013 zu verurteilen, festzustellen, dass für ihn Ansprüche auf Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 22.10.2011 bestehen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie hält ihre Verwaltungsentscheidung nach wie vor für rechtmäßig.

    Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin A.Z, S.K. und H.S.. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die gerichtlichen Niederschriften vom 08.10.2014, 08.04.2015 und 01.07.2015 verwiesen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt sowie die Leistungsakten der Beklagten, die vorgelegen haben, Bezug genommen.
    Entscheidungsgründe

    Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene und auch sonst zulässige Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 08.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das schädigende Ereignis vom 22.10.2011 als Versicherungsfall anzuerkennen.

    Versicherungsfälle sind nach § 7 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

    Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für die Annahme eines Arbeitsunfalls ist ein ursächlicher innerer Zusammenhang zwischen dem Unfall und der versicherten Tätigkeit erforderlich. Den klassischen Fall stellt der Arbeitsunfall im Rahmen eines versicherten Beschäftigungsverhältnisses dar (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Voraussetzungen für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls sind:

    1. Unfall

    Bei dem schädigenden Ereignis muss es sich um einen Unfall, das heißt um ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis handeln, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt.

    2. Haftungsbegründende Kausalität

    Zwischen der unfallbringenden Verrichtung und der versicherten Tätigkeit muss ein innerer (finaler) Zusammenhang bestehen.

    3. Haftungsausfüllende Kausalität

    Der eingetretene Körperschaden muss ursächlich auf das schädigende Ereignis zurückgeführt werden können.

    (Ruppelt in Küttner Personalhandbuch 2007, 13. Aufl., Stichwort Arbeitsunfall, RdNr. 28 ff., m. w. N.).

    Den klassischen Fall stellt der Arbeitsunfall im Rahmen eines versicherten Beschäftigungsverhältnisses dar (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Aber auch alle übrigen Tätigkeiten des § 2 SGB VII und der §§ 3 und 6 SGBVII begründen den Versicherungsschutz, so dass zum Beispiel auch ein wie ein Beschäftigter Tätiger einen Arbeitsunfall erleiden kann (unechte Unfallversicherung).

    Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII genießen wie Beschäftigte tätige Personen den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unter bestimmten Voraussetzungen. Die Vorschrift schützt nach ihrem allgemeinen Normzweck Personen wegen ihres in der Regel fremdnützigen Verhaltens, das nach den § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII vergleichbaren Umständen die Zurechnung des Handlungsrisikos zum nutznießenden Unternehmen rechtfertigt. Voraussetzungen für den Versicherungsschutz sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgende:

    1. Die Tätigkeit hat einen wirtschaftlichen Wert und dient einem Unternehmen im Sinne des § 121, indem der Handelnde nicht bereits als Beschäftigter nach Abs. 1 Nr. 1 versichert ist.

    2. Die Tätigkeit entspricht dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers.

    3. Die Tätigkeit kann ihrer Art nach von einem Arbeitnehmer verrichtet werden.

    4. Die Tätigkeit wird konkret unter arbeitnehmerähnlichen Umständen vorgenommen (Ricke in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht Band 2, § 2 SGB VII RdNr. 104, m. w. N.).

    Der Verein ist ein Unternehmen im Sinne des § 121 SGB VII, denn ein Unternehmen ist nach allgemeiner Definition der ständigen Rechtsprechung jede planmäßige, für eine gewisse Dauer bestimmte Vielzahl von Tätigkeiten, gerichtet auf einen einheitlichen Zweck und ausgeübt mit einer gewissen Regelmäßigkeit (Ricke, a. a. O., § 121 SGB VII, RdNr. 5, m. w. N.).

    Der Verein ist eine Einrichtung, die in gewisser Regelmäßigkeit mit Hilfe ihrer Vereinsmitglieder Tätigkeiten als Streckenposten bei Autorennen wahrnimmt. Es ist unerheblich, dass der Verein dabei keine wirtschaftlichen Zwecke verfolgt. Die Tätigkeit am Unfalltag entsprach dem wirklichen Willen des Vereins. Die Tätigkeit eines Streckenpostens kann ihrer Art nach auch von einem Arbeitnehmer verrichtet werden. Die Tätigkeit eines Streckenpostens wurde konkret unter arbeitnehmerähnlichen Umständen vorgenommen, denn dem Kläger wurden sein Einsatzort, die Einsatzzeit und die von ihm zu erfüllende Aufgaben vom Verein genannt.

    Die konkrete Arbeitnehmerähnlichkeit fehlte im Falle des Klägers auch nicht deshalb, weil es sich um eine Tätigkeit aufgrund körperschaftlicher Mitgliedspflichten handelte. Darunter versteht man Tätigkeiten in eingetragenen oder nicht eingetragenen Vereinen, Tätigkeiten solcher Art, die kraft allgemeiner Übung vom Verein von den Mitgliedern erwartet werden und von diesen auch erbracht werden. Solche Tätigkeiten sind unversichert, besonders, aber nicht nur, wenn sie geringfügiger Art sind. Zu diesen nicht versicherten Tätigkeiten gehören zum Beispiel Ordnungsdienst, Kartenverkauf und Einlasskontrolle bei eigenen Veranstaltungen, regelmäßiges Arbeiten zur Pflege und Reinigung von Sportstätten die Vorbereitung von Vereinsfesten, Durchführung von Rundflügen mit einem Luftsportverein für Fluggäste, Mitarbeit am Bau einer sakralen Halle einer religiösen Vereinigung (Ricke, a. a. O., § 2 RdNr. 114, m. w. N.). Arbeitnehmerähnlich sind dagegen weitergehende umfangreiche Arbeiten, auch wenn sie freiwillig und nach eigener Zeiteinteilung übernommen werden, zum Beispiel die Mitarbeit beim Bau eines Vereinshauses sowie umfangreiche Trainerdienste in Sportvereinen (Ricke, a. a. O., § 2 RdNr. 114a, m. w. N.).

    Tätigkeiten aufgrund mitgliedschaftsrechtlicher Verpflichtung im Rahmen eines Vereinszwecks durch Satzung, gültigen Vereinsbeschluss oder rechtsverbindliche Eigenverpflichtung als Mitglied sind hingegen unversichert, auch wenn sie umfangreicher Art sind (Ricke, a. a. O., RdNr. 115, m. w .N.).

    Die Satzung vom 18. März 2000 beschreibt Zweck und Ziele des Vereins dahin, dass er selbständig oder zusammen mit anderen Vereinen Streckensicherungen im Motorsport, Sicherungen von Festumzügen, Sportveranstaltungen und sonstigen Veranstaltungen, meist unter Zurhilfenahme von CB-Funk durchgeführt. Die Mitgliedschaft in der S. F. e.V. kann jeder schriftlich beantragen, der 18 Jahre alt ist. Ein Mitglied gilt als aufgenommen, wenn nach Ablauf der Probezeit (vier Monate) keine Einsprüche vorgetragen wurden und der Mitgliedsbeitrag ordnungsgemäß entrichtet wurde.

    Legt man diesen Maßstab beim Kläger an, so war er zum Unfallzeitpunkt nicht Mitglied des Vereins. Die von ihm am Unfalltag übernommene Tätigkeit als Streckenposten erfolgte daher nicht aufgrund mitgliedschaftlicher Verpflichtung im Rahmen des durch die Satzung definierten Vereinszwecks. Der Antrag des Klägers auf Mitgliedschaft im S.F. e. V. datiert vom 10.09.2011. Zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses war seine Probezeit noch nicht abgelaufen und er hatte noch keinen Mitgliedsbeitrag entrichtet, so dass er kein ordentliches Mitglied des Vereins war.

    Zudem lautet der Mitgliedsantrag, den der Kläger unterzeichnete, auf Eingehen einer temporären Mitgliedschaft. Die vorliegende Satzung des S.F. e. V. enthält jedoch keine Rechtsgrundlage für eine solche zeitlich begrenzte Mitgliedschaft. Sie unterscheidet in § 3 lediglich zwischen aktiver und passiver Mitgliedschaft und enthält eine Sonderregelung für jugendliche Mitglieder zwischen dem vollendeten 14. und dem vollendeten 18. Lebensjahr.

    Zwar hat der Zeuge K. bekundet, nach seiner Erinnerung gebe es einen gültigen Vereinsbeschluss, wonach eine temporäre Mitgliedschaft beim S.F.e. V. zulässig sei. Die entsprechende geänderte Satzung liegt jedoch dem zuständigen Amtsgericht/Registergericht Koblenz nicht vor. Zudem wusste der Zeuge K. weder wann ein solcher Vereinsbeschluss gefasst worden sein soll noch den genauen Inhalt. Der Zeuge S. , der frühere Schriftführer des Vereins, konnte sich überhaupt nicht an einen entsprechenden Vereinsbeschluss erinnern. Die Kammer geht daher nicht davon aus, dass ein gültiger satzungsändernder Beschluss der Mitgliederversammlung des Vereins S.F. existiert, wonach neben aktiven, passiven und jugendlichen Vereinsmitgliedern auch zeitweilige Vereinsmitglieder aufgenommen werden können, deren Mitgliedschaft automatisch zum Ende des Aufnahmejahres endet.

    Dies gilt umso mehr als nach den Bekundungen der Zeugen K. und Z. Mitgliederversammlungen nicht regelmäßig stattfanden und Änderungen in Bezug auf den Verein dem Registergericht aus finanziellen Gründen nicht mitgeteilt wurden, so z.B. auch der Wegfall der Mitgliedsbeiträge.

    Aus alledem folgt, dass der Klage stattzugeben war.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

    RechtsgebietSGB VIIVorschriften§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII; § 7 SGB VII; § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII; § 121 SGB VII