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  • 03.06.2015 · IWW-Abrufnummer 144622

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 02.03.2015 – 9 U 14/14

    1.

    Eine Verdachtsdiagnose Morbus Crohn 3 1/2 Jahre vor Antragstellung ist grundsätzlich ein anzeigepflichtiger Gefahrumstand im Sinne von § 19 Abs. 1 VVG. Das gilt auch dann, wenn die Gesundheitsfragen im Antragsformular sich nur auf "die letzten 3 Jahre" beziehen; denn bei Morbus Crohn handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die auch dann weiter vorhanden ist, wenn der Versicherungsnehmer seit mehr als drei Jahren ohne Beschwerden lebt.
    2.

    Eine Anzeigepflicht setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt seiner Vertragserklärung weiß, dass in der Vergangenheit die Verdachtsdiagnose Morbus Crohn gestellt wurde, und dass der Verdacht nicht ausgeräumt wurde. Die Beweislast für diese Kenntnis obliegt dem Versicherer.
    3.

    Hat der behandelnde Arzt dem Versicherungsnehmer vor 3 1/2 Jahren die Verdachtsdiagnose Morbus Crohn mitgeteilt, so ergibt sich daraus - für sich allein - noch nicht zwingend eine Kenntnis des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt der späteren Vertragserklärung. Es ist eine Beweiswürdigung auf Grund der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Bei einer einmaligen Behandlung in der Vergangenheit und anschließend langer Beschwerdefreiheit kann es plausibel sein, dass der Versicherungsnehmer die Bedeutung der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn nicht verstanden oder - unbewusst - verdrängt hat.


    Oberlandesgericht Karlsruhe

    Beschl. v. 02.03.2015

    Az.: 9 U 14/14

    Im Rechtsstreit
    - Kläger / Berufungsbeklagter -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte
    gegen
    - Beklagte / Berufungsklägerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte
    ...
    Tenor:

    Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 09.01.2014 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
    Gründe

    I.

    Im April 2008 schloss der Kläger für die Zeit ab Mai 2008 bei der Beklagten eine private Krankenversicherung ab. Es handelte sich um eine Krankheitskostenversicherung für ambulante und stationäre ärztliche Behandlung. Der monatliche Beitrag betrug 185,37 Euro. Der vereinbarte Selbstbehalt betrug 750,- Euro pro Jahr.

    Der Kläger hatte den Abschluss der Versicherung über einen Versicherungsmakler beantragt. Im Antragsformular gab es verschiedene Gesundheitsfragen, unter anderem wurde unter Ziffer 2.a des Formulars danach gefragt, ob "in den letzten 3 Jahren oder derzeit Krankheiten, Beschwerden, Unfallfolgen, Fehler körperlicher oder geistiger Art (auch wenn sie nicht behandelt wurden)" bestanden. Zu dieser Frage hatte der Kläger lediglich auf Hämorrhoiden-Knoten und zwei fehlende Zähne hingewiesen. Weitere Erkrankungen hatte der Kläger bei Antragstellung im April 2008 nicht angegeben.

    Im Februar 2009 litt der Kläger unter Magen-Darm-Beschwerden. Am 20.02.2009 wurde er in das Spital W. eingeliefert, wo er noch am selben Tag notfallmäßig operiert wurde. Dabei wurde die chronische Darmerkrankung Morbus Crohn festgestellt. Die Rechnung des Spitals W. reichte der Kläger im Hinblick auf die bestehende Krankenversicherung bei der Beklagten ein. Mit Schreiben vom 04.05.2009 (Anlage K5) lehnte die Beklagte Leistungen ab. Gleichzeitig erklärte sie den Rücktritt vom Versicherungsvertrag und hilfsweise eine Kündigung des Vertrages. Der Kläger leide bereits seit 2004 unter Morbus Crohn. Bei dem Versicherungsantrag vom April 2008 habe er pflichtwidrig die chronische Erkrankung nicht angegeben. Wäre die Beklagte über die schwerwiegende Krankheit unterrichtet worden, hätte sie den Antrag des Klägers nicht angenommen.

    Mit seiner Klage vom 21.12.2012 hat der Kläger Leistungen aus der Krankenversicherung verlangt, nämlich die Erstattung seiner Aufwendungen für die stationäre Behandlung im Jahr 2009 im Spital W.. Außerdem hat er die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtlichen aufgrund der Rücktrittserklärung vom 04.05.2009 entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Beklagte sei weder zum Rücktritt noch zur Kündigung berechtigt gewesen. Der Kläger habe bei Abschluss der Krankenversicherung im April 2008 keine Anzeigepflichten verletzt. Dass er unter Morbus Crohn leide, habe er erst im Spital W. im Jahr 2009 erfahren. Zwar habe sich im Nachhinein herausgestellt, dass bereits im Jahr 2004 bestimmte Darm-Beschwerden durch Morbus Crohn verursacht worden seien. Von einer Diagnose Morbus Crohn habe er jedoch - auch im Sinne einer Verdachtsdiagnose - keine Kenntnis gehabt. Da er zwischen 2004 und 2009 beschwerdefrei gewesen sei, habe es für ihn auch keine Anhaltspunkte für eine chronische Erkrankung gegeben.

    Das Landgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 09.01.2014 antragsgemäß zur Zahlung von 9.123,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.06.2009 verurteilt. Außerdem hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger den ihm aufgrund der Rücktrittserklärung vom 04.05.2009 entstandenen Schaden zu ersetzen. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme lasse sich nicht feststellen, dass der Kläger bei Abschluss des Versicherungsvertrages im April 2008 Kenntnis von einer Diagnose - oder einer Verdachtsdiagnose - der Krankheit Morbus Crohn gehabt habe. Daher sei die Beklagte weder zum Rücktritt noch zur Kündigung berechtigt gewesen.

    Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie hält die Beweiswürdigung des Landgerichts für fehlerhaft. Aus einer ganzen Reihe von Indizien ergebe sich, dass der Kläger bei Antragstellung im April 2008 gewusst habe, dass bei ihm bereits 2004 die Diagnose Morbus Crohn gestellt worden sei. Die Indizien, auf welche die Beklagte hinweist, habe das Landgericht nicht ausreichend gewürdigt. Hilfsweise sei die Beklagte zur Kündigung des Versicherungsvertrages berechtigt gewesen. Im Übrigen käme eine eventuelle Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nur bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits in Betracht, weil der Kläger - die Richtigkeit der erstinstanzlichen Rechtsauffassung unterstellt - Leistungen aus der weiter bestehenden Krankenversicherung bei der Beklagten in Anspruch nehmen könne, so dass ihm keine höheren Aufwendungen mehr für eine Krankenversicherung bei einem anderen Versicherer entstehen würden.

    Die Beklagte beantragt,

    auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 09.01.2014 abzuändern, und die Klage in vollem Umfang als unbegründet abzuweisen.

    Der Kläger beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Der Kläger verteidigt das Urteil des Landgerichts. Die erstinstanzliche Beweiswürdigung sei nicht zu beanstanden. Außerdem sei die Beklagte aus Rechtsgründen nicht zum Rücktritt oder zur Kündigung berechtigt gewesen. Denn es habe keine Fragen des Versicherers im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG gegeben, welche der Kläger gegebenenfalls unzutreffend hätte beantworten können. Der Kläger habe bei Antragstellung lediglich Fragen in einem Maklerfragebogen beantwortet. Auf Angaben des Versicherungsnehmers in einem Maklerfragebogen könne sich die Beklagte als Versicherer bei einem Rücktritt gemäß § 19 Abs. 2 VVG jedoch nicht stützen.

    Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

    II.

    Die zulässige Berufung der Beklagten hat voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Eine Entscheidung des Senats nach mündlicher Verhandlung erscheint auch im Hinblick auf die Gesichtspunkte gemäß § 522 Abs. 2 Ziff. 2, 3, 4 ZPO nicht erforderlich. Nach vorläufiger Auffassung des Senats hat das Landgericht die Beklagte zu Recht antragsgemäß verurteilt.

    1. Dem Kläger steht ein Zahlungsanspruch in Höhe von 9.123,00 Euro gegen die Beklagte zu. Dem Kläger sind im Jahr 2009 Aufwendungen in Höhe von 9.873,00 Euro für die stationäre Krankenhausbehandlung im Spital W. entstanden (vgl. die Rechnung Anlage K4). Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass die Aufwendungen im Rahmen des Krankenversicherungsvertrages vom April 2008 in voller Höhe erstattungsfähig sind. Nach Abzug des vereinbarten Selbstbehalts von 750,00 Euro ergibt sich der Zahlungsanspruch in Höhe von 9.123,00 Euro. Die Beklagte kann sich gegenüber dem Anspruch des Klägers weder auf den Rücktritt noch auf die Kündigung des Vertrages im Schreiben vom 04.05.2009 berufen. Denn die Beklagte war weder zum Rücktritt noch zu einer Kündigung berechtigt.

    2. Die Voraussetzungen für einen Rücktritt vom Versicherungsvertrag gemäß § 19 Abs. 1, Abs. 2 VVG lagen am 04.05.2009 nicht vor.

    a) Der Kläger wurde in der Zeit von August 2004 bis November 2004 von dem Zeugen Dr. W. wegen Darmbeschwerden (Durchfall und Gewichtsverlust) behandelt. Diese Behandlung war im April 2008 gegenüber der Beklagten nicht anzeigepflichtig; denn in den vom Kläger im Formular beantworteten Gesundheitsfragen wurde nur nach Krankheiten (Frage 2.a) und Untersuchungen (Frage 2.b) in den "letzten 3 Jahren" gefragt. Die Behandlung bei Dr. W. lag jedoch länger zurück. Es gab auch keinen Anlass für den Kläger, anzugeben, dass er unter Morbus Crohn litt. Denn die entsprechende Diagnose wurde - wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat - erst im Jahr 2009 gestellt, so dass der Kläger erst nach Abschluss des Versicherungsvertrages mit der Beklagten erfuhr, dass auch die frühere ärztliche Behandlung bei dem Zeugen Dr. W. im Jahr 2004 mit der Krankheit Morbus Crohn zusammenhing.

    Allerdings hatte der Zeuge Dr. W. im Jahr 2004, wie er bei seiner Vernehmung angegeben hat, eine "Verdachtsdiagnose" Morbus Crohn gestellt. Da es sich bei Morbus Crohn um eine chronische Erkrankung handelt, die auch dann nicht als geheilt angesehen werden kann, wenn über einen längeren Zeitraum keine Beschwerden auftreten, handelt es sich grundsätzlich auch bei der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn um einen gefahrerheblichen Umstand im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG. Eine zutreffende Antwort auf die Frage 2.a im Antragsformular (Frage nach "bestehenden" Krankheiten etc.) hätte die Verdachtsdiagnose Morbus Crohn berücksichtigen müssen; denn aus der Verdachtsdiagnose ergab sich die - für eine Entscheidung der Beklagten erhebliche - Möglichkeit, dass der Kläger dauerhaft unter einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung litt.

    b) Der Versicherungsnehmer kann einen gefahrerheblichen Umstand im Sinne von § 19 Abs. 1 VVG nur dann anzeigen, wenn er den Umstand kennt. Die Verletzung einer Anzeigepflicht durch den Kläger hätte mithin vorausgesetzt, dass er im April 2008 Kenntnis von der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn gehabt hätte. Nach dem Wortlaut des Gesetzes reicht fahrlässige oder grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich des gefahrerheblichen Umstands - der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn - nicht aus, um eine Anzeigepflichtverletzung zu begründen. Die Beweislast für die Kenntnis des Versicherungsnehmers obliegt dem Versicherer. Die Beklagte hat nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme nicht den Nachweis erbracht, dass der Kläger bei Antragstellung im April 2008 wusste, dass der Zeuge Dr. W. im Jahr 2004 eine Verdachtsdiagnose Morbus Crohn gestellt hatte (vgl. zur Beweislast Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage 2010, § 19 VVG Rn. 67 ff.). Die sorgfältige Beweiswürdigung des Landgerichts ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu beanstanden.

    aa) Die erheblichen Darm-Beschwerden des Klägers im Jahr 2004 (Durchfall und Gewichtsverlust) verschwanden nach der Behandlung durch den Zeugen Dr. W. vollständig. Der Kläger war nach dem Ende der Behandlung im November 2004 beschwerdefrei. Er hat angegeben, der Zeuge habe ihm nach Abschluss der Behandlung gesagt, der Kläger habe "Glück gehabt". Diese Äußerung habe er im Zusammenhang mit der wiederhergestellten vollständigen Beschwerdefreiheit dahingehend verstanden, dass sich der Verdacht einer chronischen Erkrankung gerade nicht bestätigt habe. Dass der Verdacht einer chronischen Erkrankung trotz der Beschwerdefreiheit weiter gegeben sei, habe der Zeuge Dr. W. ihm nicht erklärt und habe er so nicht verstanden. Ein Anhaltspunkt für eine weiter bestehende Verdachtsdiagnose habe sich nach Abschluss der Behandlung nicht ergeben. Diese - eine Kenntnis des Klägers von der Verdachtsdiagnose im Jahr 2008 ausschließende - Darstellung ist nicht zu widerlegen.

    bb) Die Aussage des Zeugen Dr. W. war, wie das Landgericht zutreffend erläutert hat, nicht geeignet, den Nachweis einer Kenntnis des Klägers zu führen. Denn der Zeuge hatte keine Erinnerung mehr daran, was er nach Abschluss der Behandlung im November 2004 mit dem Kläger besprochen hat. Er konnte nur angeben, er weise üblicherweise in einem derartigen Fall darauf hin, dass der Verdacht einer schweren chronischen Erkrankung - Morbus Crohn - trotz der Beschwerdefreiheit weiter bestehe. Angesichts der fehlenden konkreten Erinnerung des Zeugen ist es nicht zu beanstanden, wenn sich das Landgericht nicht davon überzeugen konnte, dass der Zeuge bei Beendigung der Behandlung im November 2004 den Kläger auf eine eindeutige und für diesen unmissverständliche Art und Weise auf den Fortbestand der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn hingewiesen hat.

    Bei der Beweiswürdigung ist zu berücksichtigen, dass Einzelheiten zum möglichen Inhalt eines Informationsgesprächs fehlen; der Zeuge hat keine Angaben dazu gemacht, wie er in einem entsprechenden Fall üblicherweise - bei Beschwerdefreiheit des Patienten - Bedeutung und Auswirkungen einer weiter bestehenden Verdachtsdiagnose Morbus Crohn erörtert, beispielsweise im Hinblick auf zu erwartende Beschwerden in der Zukunft, im Hinblick auf erforderliche ärztliche Kontrollen oder die Einnahme bestimmter Medikamente. Der Kläger hat im Übrigen zutreffend darauf hingewiesen, dass sich aus der vom Zeugen Dr. W. im Verfahren vor dem Landgericht vorgelegten schriftlichen Dokumentation (I 113, 115) nicht entnehmen lässt, ob und auf welche Weise der Kläger über die Krankheit und zukünftige Auswirkungen informiert wurde. Auch die fehlende Dokumentation des Zeugen steht einer eindeutigen Feststellung, dass der Kläger in einer für ihn verständlichen Art und Weise über die Verdachtsdiagnose bereits 2004 informiert wurde, entgegen.

    Das Landgericht hat zudem zutreffend psychologische Aspekte bei der Beweiswürdigung mit berücksichtigt. Für den Kläger stand nach Abschluss der Behandlung bei dem Zeugen Dr. W. im Vordergrund, dass er nunmehr - nach vorausgegangenen langwierigen und erheblichen Darmbeschwerden - vollständig beschwerdefrei war. Es liegt nahe, dass ein Patient in einer derartigen Situation "Beschwerdefreiheit" mit "Gesundheit" assoziiert. Wenn der Zeuge Dr. W. den Kläger im Jahr 2004 tatsächlich darauf hingewiesen haben sollte, dass eine Verdachtsdiagnose "Morbus Crohn" weiter bestehe, erscheint es ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar, dass der Kläger einen solchen Hinweis nicht verstanden hat, weil seine wieder hergestellte Gesundheit für ihn im Vordergrund stand. Dass Zweifel an der eigenen Gesundheit in einer derartigen Situation eventuell verdrängt werden, ist menschlich und nicht ungewöhnlich. Ob eine "optimistische Grundhaltung in gesundheitlichen Fragen" bei Männern besonders häufig zu beobachten ist, wie das Landgericht meint, spielt dabei keine Rolle. (Vergleiche zur menschlichen Überzeugungsbildung in Fragen der eigenen Gesundheit auch BGH, Urteil vom 27.06.1984 - IVa ZR 1/83 -, Rn. 12, zitiert nach [...]).

    cc) Zutreffend hat das Landgericht zudem die Beschwerdefreiheit des Klägers von November 2004 bis zum Versicherungsantrag im April 2008 gewürdigt. Es erscheint plausibel, dass die Beschwerdefreiheit für einen Zeitraum von 3 1/2 Jahren aus der Perspektive des Klägers ein weiteres Indiz dafür war, dass die ursprüngliche Verdachtsdiagnose einer chronischen Erkrankung durch die "Heilung" von seinen Beschwerden im November 2004 ausgeräumt war. Für die Darstellung des Klägers spricht zudem der Umstand, dass er sich in der Zeit nach November 2004 bis zur Notaufnahme im Krankenhaus im Jahr 2009 nicht in ärztliche Behandlung begeben hat. Wenn ihm nach der Behandlung durch den Zeugen Dr. W. der Fortbestand einer Verdachtsdiagnose Morbus Crohn bewusst gewesen wäre, dann wäre zu erwarten gewesen, dass er sich - zumindest - in der Folgezeit zu regelmäßigen Kontrolluntersuchungen zu einem Arzt begeben hätte.

    c) Die von der Beklagten in der Berufungsbegründung angeführten Umstände können nach Auffassung des Senats die Beweiswürdigung des Landgerichts im Ergebnis nicht erschüttern. Im Einzelnen:

    aa) Eine Kenntnis der Verdachtsdiagnose konnte der Kläger nicht von seiner Hausärztin Dr. S. erlangen. Dabei spielt der Arztbrief des Zeugen Dr. W. an die Hausärztin keine Rolle. Denn der Kläger hat nach Abschluss der Behandlung bei dem Zeugen Dr. W. im November 2004 seine Hausärztin Dr. S. nicht mehr aufgesucht.

    bb) Der Kläger hat im April 2008 den Arzt Dr. F. mit der Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses beauftragt, welches die Beklagte vor Abschluss des Versicherungsvertrages zur Risikoprüfung verlangt hatte. Die Beklagte meint, ein Manipulationsverdacht ergebe sich daraus, dass der Kläger mit dem ärztlichen Zeugnis einen Arzt beauftragt habe, der den Kläger zuletzt 1996 behandelt habe. Der Kläger habe es bewusst vermieden, seine Hausärztin Dr. S. (letzte Behandlung im Jahr 2004) zu beauftragen, da diese in einem ärztlichen Zeugnis voraussichtlich auf die Behandlung im Jahr 2004 bei dem Zeugen Dr. W. und die Verdachtsdiagnose Morbus Crohn hingewiesen hätte.

    Der Senat folgt dieser Argumentation der Beklagten nicht. Gegenstand des ärztlichen Zeugnisses, welches der Kläger auf Anforderung der Beklagten erstellen ließ, war nicht die Darstellung einer Krankengeschichte in der Vergangenheit. Gegenstand des ärztlichen Zeugnisses war vielmehr eine aktuelle Untersuchung des Klägers durch den Arzt, der das Zeugnis erstellen sollte (vgl. das ärztliche Zeugnis in der Anlage B 3). Da im Vordergrund die aktuelle Untersuchung des Klägers durch den betreffenden Arzt stand, lässt die Auswahl des Arztes keinen Rückschluss zu, dass der Kläger gegenüber der Beklagten etwas verheimlichen wollte. Dabei erscheint es im Übrigen plausibel, wenn der Kläger im Hinblick auf den beabsichtigten Versicherungsvertrag mit der Beklagten einen Arzt ausgewählt hat, der das ärztliche Zeugnis möglichst zeitnah erstellen konnte.

    cc) Im ärztlichen Zeugnis hat der Kläger am 25.04.2008 in einer "Erklärung vor dem Arzt" angegeben, er habe "seit 4 Jahren keine ärztliche Behandlung" in Anspruch genommen. Ein Indiz für eine Täuschungsabsicht ergibt sich aus dieser Erklärung nicht. Denn die Erklärung war - entgegen der Auffassung der Beklagten - zutreffend.

    Ob der Kläger am 25.04.2008 seit "vier Jahren" oder (nur) seit "dreieinhalb Jahren" keinen Arzt mehr aufgesucht hat, war bei Abgabe der "Erklärung vor dem Arzt" aus der Sicht des Klägers - auch unter Berücksichtigung der Informationsinteressen der Beklagten - ohne Bedeutung. Die Angabe eines Zeitraums von "vier Jahren" ist unter diesen Umständen eine vertretbare und vernünftige Rundung der abgelaufenen Zeit von dreieinhalb Jahren, zumal nicht zu erwarten ist, dass der Kläger im April 2008 auch den Monat noch in Erinnerung hatte, in welchem er im Jahr 2004 zuletzt bei einem Arzt war.

    dd) Auch aus dem Umstand, dass der Kläger in dem Formular "Erklärung vor dem Arzt" bei der Frage Ziffer 10 ("Welchen Arzt nehmen Sie üblicherweise in Anspruch?") nicht auf die Hausärztin Dr. S. hinwies, sondern lediglich auf die abgelaufene Zeit von vier Jahren, lässt sich nichts zu Lasten des Klägers schließen. Im Hinblick auf die im Maklerfragebogen (dort die Fragen Ziffer 2.a und 2.b) als maßgeblich erklärten Zeiträume von jeweils drei Jahren hielt der Kläger, wie aus der "Erklärung vor dem Arzt" ersichtlich, die lange zurück liegende Behandlung bei der Ärztin Dr. S. für unerheblich. Wenn dies aus Sicht der Beklagten anders gewesen sein sollte, hätte sie beim Kläger nach der letzten Hausärztin nachfragen können.

    ee) Aus der Vernehmung des Versicherungsmaklers Frank B. vor dem Landgericht hat sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - kein Indiz für eine Kenntnis des Klägers von der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn ergeben. Der Zeuge konnte sich - wie der Zeuge Dr. W. - nicht mehr an die Details des Gesprächs mit dem Kläger bei der Aufnahme des Versicherungsantrags erinnern. Dass der Zeuge meinte, bei einem Hinweis auf Morbus Crohn hätte er dem Kläger erklärt, dass dies im Antrag angegeben werden müsse, ist ohne Bedeutung. Denn der Kläger hat - unstreitig - bei der Antragsaufnahme nichts von Morbus Crohn gesagt. Er hat vielmehr nach seinen Angaben im Termin vor dem Landgericht vom 27.11.2013 nur in allgemeiner Form gegenüber dem Zeugen B. erklärt, dass er "schon mal Probleme mit dem Darm" gehabt habe. Der Zeuge hat nicht ausgesagt, dass er bei dieser Erklärung auf eine Angabepflicht hingewiesen hätte.

    ff) Ein Indiz gegen die Darstellung des Klägers ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass er bei der Antragstellung auf gesundheitliche Umstände hingewiesen hat, die im Vergleich zu Morbus Crohn relativ geringfügig waren (Mandelentfernung als Jugendlicher, vor 20 Jahren eine inzwischen symptomfreie Allergie). Die Angaben waren erforderlich im Hinblick auf entsprechende Fragen in dem Fragebogen "Erklärung vor dem Arzt" (vgl. die Anlage B3). Dass eine Verdachtsdiagnose Morbus Crohn für die Vertragsentscheidung der Beklagten eine deutlich größere Bedeutung gehabt hätte, spricht nicht gegen den Kläger; denn der Kläger hatte von der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn keine (nachweisbare) Kenntnis (siehe oben).

    d) Eine Anzeigepflichtverletzung des Klägers scheidet - wie ausgeführt - schon deshalb aus, weil eine Kenntnis von einem gefahrerhöhenden Umstand - Verdachtsdiagnose Morbus Crohn - im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht nachgewiesen ist. Auf die weiteren vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen kommt es daher nicht an. Es kann dahinstehen, ob es sich bei den vom Kläger bei der Antragstellung beantworteten Gesundheitsfragen um Fragen des Versicherers im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG - oder um davon zu unterscheidende Fragen des Maklers - handelt. Ebenso kann dahinstehen, ob der Kläger im Sinne von § 19 Abs. 5 VVG ausreichend auf die Folgen einer Anzeigenpflichtverletzung in Textform hingewiesen wurde.

    3. Die geltend gemachten Zinsen stehen dem Kläger gemäß §§ 286 Abs. 2 Ziff. 3, 288 Abs. 1 BGB zu.

    4. Auch der Feststellungsantrag des Klägers ist zulässig und begründet.

    a) Die Feststellungsklage ist zulässig gemäß § 256 Abs. 1 ZPO. Da die Entwicklung des Schadens - wirtschaftliche Nachteile durch Rücktritt und Kündigung der Beklagten - noch nicht abgeschlossen ist, kann der Kläger insgesamt auf Feststellung klagen. Er ist nicht gezwungen, die bereits eingetretenen Vermögensnachteile zu beziffern.

    b) Aus der Klagebegründung und aus den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils ergibt sich, dass die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten sich nicht nur auf die unberechtigte Rücktrittserklärung beziehen soll, sondern auch auf die unberechtigte Kündigungserklärung im selben Schreiben vom 04.05.2009.

    c) Nicht nur der Rücktritt, sondern auch die vorsorglich erklärte Kündigung hatte keine rechtliche Grundlage. Die Beklagte war als Krankenversicherer zur ordentlichen Kündigung generell nicht berechtigt. Die Voraussetzungen einer Kündigung gemäß § 19 Abs. 3 Satz 2 VVG liegen nicht vor. Auch für eine Kündigung des Vertrages wäre nach dieser gesetzlichen Vorschrift eine Anzeigepflichtverletzung des Klägers erforderlich. Die Verletzung einer Anzeigepflicht scheidet jedoch aus, da eine Kenntnis des Klägers von einem gefahrerhöhenden Umstand (Verdachtsdiagnose Morbus Crohn) für die Zeit der Antragstellung im April 2008 nicht nachgewiesen ist (siehe oben).

    d) Die Schadensersatzpflicht der Beklagten beruht auf § 280 Abs. 1 BGB. Eine unberechtigte Rücktrittserklärung ist ebenso eine Pflichtverletzung aus dem Schuldverhältnis, wie eine unberechtigte Kündigung. Die Beklagte hat dem Kläger diejenigen Vermögensnachteile zu ersetzen, die adäquat durch die Pflichtverletzungen der Beklagten verursacht wurden. Das sind insbesondere diejenigen zusätzlichen Aufwendungen, die dem Kläger dadurch entstanden sind, dass er im Hinblick auf das Verhalten der Beklagten gezwungen war, sich mit entsprechend höheren Kosten anderweitig Krankenversicherungsschutz zu beschaffen. Dass ein Schaden des Klägers durch solche höheren Kosten entstanden ist, steht fest. Welche weiteren Vermögensnachteile für den Kläger in der Zukunft - im Vergleich zu einer normalen Fortsetzung des Vertragsverhältnisses mit der Beklagten - in Betracht kommen, bedarf bei der Entscheidung über die Feststellungsklage keiner weiteren Prüfung.

    e) Der Einwand der Beklagten, die Feststellung einer Schadensersatzpflicht könne sich nur auf die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens beziehen, ist nicht begründet. Es kommen von der Beklagten zu ersetzende Vermögenseinbußen des Klägers auch für die Zeit nach Abschluss des Verfahrens in Betracht. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob und inwieweit der Kläger in der Zukunft Leistungen aus einem fortbestehenden Krankenversicherungsvertrag von der Beklagten erlangen kann.

    Maßgeblich für den Streitgegenstand sind die Anträge des Klägers. Die Anträge enthalten keine Feststellung hinsichtlich des Fortbestands des Versicherungsvertrages zwischen den Parteien. Daher ergeht im Rechtsstreit auch keine der Rechtskraft fähige Entscheidung zu der Frage, ob weiterhin ein wirksamer Versicherungsvertrag zwischen den Parteien besteht, mit Prämienzahlungspflichten des Klägers und Leistungspflichten der Beklagten. Es erscheint zudem zumindest zweifelhaft, ob die Beklagte den Kläger schadensrechtlich dazu zwingen kann, Versicherungsschutz für die Zukunft wieder bei ihr in Anspruch zu nehmen, wie die Beklagte dies nach den Ausführungen ihres Prozessbevollmächtigten unter Ziffer 6 der Berufungsbegründung anscheinend möchte. Denn die Beklagte hat den Kläger durch eine Pflichtverletzung (Rücktrittserklärung und Kündigungserklärung im Schreiben vom 04.05.2009) gezwungen, sich anderweitig Krankenversicherungsschutz zu beschaffen. Nach der Pflichtverletzung der Beklagten ist dem Kläger eine Fortsetzung des Vertrages mit der Beklagten möglicherweise nicht mehr zuzumuten, wenn er eine Fortsetzung ablehnen sollte.

    RechtsgebietVVGVorschriften§ 19 VVG