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  • · Fachbeitrag · Private Unfallversicherung

    Mit diesen Argumenten begründen Sie die Unwirksamkeit der Klausel Ziffer 10.3 AUB 2008

    von RA Nikolaos Penteridis, FA für VersR, SozR und MedR, Bad Lippspringe

    | In der privaten Unfallversicherung (PUV) ist regelmäßig in den AUB geregelt, dass der Vertrag durch Kündigung beendet werden kann, wenn der VR Leistungen aus dem Vertrag erbracht hat oder der VN gegen den VR Klage auf eine Leistung erhoben hat. Nach Ansicht des Verfassers ist diese Klausel überraschend (§ 305c Abs. 1 BGB) bzw. benachteiligt den VN unangemessen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB) und kann folglich gemäß den gesetzlichen Bestimmungen nicht Vertragsbestandteil sein. Der Beitrag stellt die Argumente hierzu vor. |

     

    Nach den verschiedenen AUB (z.B. § 4 Abs. 2 AUB 94 und Ziffer 10.3 AUB 2008) kann der VR den Vertrag durch Kündigung beenden, wenn er Leistungen aus dem Vertrag erbracht hat oder der VN gegen ihn Leistungsklage erhoben hat. Als Reaktion auf die Kündigung könnte der VN sich auf die Unwirksamkeit dieser Klausel berufen.

     

    In der PUV ist auf Grundlage des § 92 VVG regelmäßig obige Klausel enthalten. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass § 92 VVG lediglich für die Sachversicherung gilt. Jedoch ist der Verfasser der Ansicht, dass die Grundsätze auf die PUV übertragbar sind, obwohl es eine Personenversicherung ist (vgl. OLG Nürnberg 25.10.90, 8 U 1678/90; LG Dortmund 22.3.07, 2 O 425/06), sodass die rechtliche Problematik der Klausel sich nicht hierauf stützt, sondern auf AGB-Probleme.

    1. Grundsätze der Auslegung

    Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (vgl. nur BGH VersR 10, 757).

     

    Checkliste / Überraschende Klausel

    Nach der BGH-Rechtsprechung (BGH VersR 11, 1257; BGH VA 09, 213) ist eine Klausel überraschend,

    • wenn sie eine Regelung enthält, die von den Erwartungen des typischerweise damit konfrontierten VN in einer Art und Weise deutlich abweicht, mit der er nach Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht.
    • Es muss sich um eine objektiv ungewöhnliche Klausel handeln, was nach den Gesamtumständen zu beurteilen ist.
    • Zudem muss hinzukommen, dass der andere Teil mit der Klausel >„nicht zu rechnen braucht“.
     

    2. Überraschende Klausel

    Nach der vorstehenden Definition ist die o.g. Klausel überraschend. Denn ein durchschnittlicher VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse muss nicht davon ausgehen, dass eine Kündigung bereits möglich ist, wenn eine Klage auf Leistung gegen den VR erhoben wird. Dieses ist für ihn überraschend und weicht von sonstigen Versicherungsbedingungen dahingehend ab, dass zwar regelmäßig eine Kündigung nach Eintritt eines Versicherungsfalls möglich ist, allerdings regelmäßig erst nach Leistung des VR.

     

    • Beispiel

    So ist in § 13 Abs. 2 ARB 2000 auf Grundlage des § 92 VVG geregelt, dass der VR den Vertrag vorzeitig kündigen kann, wenn der VR seine Leistungspflicht für mindestens zwei innerhalb von zwölf Monaten eingetretene Rechtsschutzfälle bejaht.

     

    Wird jedoch die Möglichkeit zur Kündigung des Vertrags auf eine Klageerhebung erweitert, muss der durchschnittliche VN damit nicht rechnen. Denn die Klageerhebung bedeutet nicht, dass der VR zwangsläufig zur Leistung verpflichtet ist. Der Umstand, dass die Klausel branchenüblich ist, schließt die Anwendung des § 305c Abs. 1 BGB nicht aus (Beckmann in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Auflage 2009, § 10 Rn. 105).

    3. Unangemessene Benachteiligung des VN

    Aber selbst wenn man der Ansicht ist, dass die Klausel nicht überraschend gem. 305c Abs. 1 BGB ist, wäre sie jedoch zumindest deshalb unwirksam, weil sie den VN unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB). Die Inhaltskontrolle ist eröffnet, weil die Klausel von Rechtsvorschriften - vom § 92 VVG - abweicht (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB). Danach sind Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. So liegt der Fall hier:

     

    • Denn ein durchschnittlicher VN könnte von der Klausel davon abgehalten werden, seine Ansprüche aus dem privaten Unfallversicherungsvertrag gerichtlich geltend zu machen.

     

      • Der VN wäre insbesondere bei kleineren Schäden versucht, nicht zu klagen, weil er den Vertrag schadensfrei halten will, um gegebenenfalls bei einem größeren Invaliditätsschaden die Leistungen der privaten Unfallversicherung in Anspruch zu nehmen.

     

      • Auch würde der VN seine Ansprüche nicht gerichtlich geltend machen, weil er seinen Versicherungsschutz verlieren könnte.

     

      • Dabei berücksichtigt der durchschnittliche VN insbesondere den Umstand, dass er bei einem entsprechenden fortgeschrittenen Alter einen Vertrag mit den gleichen Vertragsbedingungen entweder nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erhalten könnte.

     

    • Hinzuweisen ist zudem auf § 162 Abs. 2 BGB. Danach gilt der Eintritt einer Bedingung als nicht erfolgt, wenn dieser Eintritt von der Partei, zu deren Vorteil er gereicht, wider Treu und Glauben herbeigeführt wird.

     

    • Bemerkenswert ist, dass sowohl die Literatur als auch die Rechtsprechung - soweit ersichtlich - bislang lediglich die Treuwidrigkeit der Kündigung durch den VN thematisiert haben. Es wird insofern nur auf Grimm, Unfallversicherung, 5. Auflage 2013, AUB 2010 Ziffer 10 Rn. 22, m.w.N. verwiesen.

     

      • Sowohl Grimm, als auch die dort genannten Urteile haben jedoch nicht ausreichend bedacht, dass die Klausel unwirksam ist.

     

      • Zudem ist das von Grimm und von den dort genannten Urteilen vorgebrachte Argument, dass die Kündigung des VN nach dessen Klageerhebung treuwidrig sein könnte, weil er sich so eines „schlechten“, langwierigen Vertrags entledigen könnte, nicht mehr relevant wegen § 11 Abs. 4 VVG. Danach kann ein Versicherungsvertrag, der für die Dauer von mehr als drei Jahren geschlossen worden ist, vom VN zum Schluss des dritten oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Wegen dieser guten Rechtsposition des VN hat dieser kein Interesse mehr, in einem komplizierten Wege (durch Klage) sich des Vertrags zu entledigen, wenn er einfach gemäß § 11 Abs. 4 VVG kündigen kann. Insofern ist zu beachten, dass die gerichtlichen Entscheidungen, die dieses thematisiert haben, vor Inkrafttreten des „neuen“ VVG erlassen worden sind und folglich § 11 Abs. 4 VVG nicht berücksichtigen konnten.
    Quelle: Ausgabe 06 / 2013 | Seite 106 | ID 39638600