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  • · Fachbeitrag · Einstweiliger Rechtsschutz

    Eilrechtsschutz: Erforderliches Hörgerät bei Verzögerung durch die Renten- und Kranken-VR

    Verzögerungen der Sozialversicherungsträger bei der Versorgung eines schwerhörigen Menschen mit Hörgeräten können dazu führen, dass eine auf umgehende und effektive Versorgung ausgerichtete Eilentscheidung durch das Gericht erlassen wird. Dabei kann das Gericht den Rentenversicherungsträger verpflichten, die konkrete Auswahl des das Hörvermögen bestmöglich fördernden Hörgeräts auf den Hörgeräteakustiker zu übertragen (LSG Niedersachsen-Bremen 4.11.13, L 2 R 438/13 ER, Abruf-Nr. 134055).

     

    Sachverhalt

    Der hochgradig schwerhörige Kläger konnte sich wegen einer weiteren Verschlechterung des Hörvermögens an privaten und beruflichen Gesprächen in weitem Umfang nicht mehr beteiligen. Obwohl er bereits 2008 bei der beklagten Rentenversicherung einen Antrag auf eine verbesserte Hörgeräteversorgung gestellt hatte, leitete diese keine Unterstützung ein. Diese räumte den Versorgungsbedarf durchaus ein, verwies aber auf eine Zuständigkeit der Krankenkasse. Dagegen hat der Kläger 2009 Klage vor dem SG erhoben. Dieses lud die Krankenversicherung bei und verurteilte die beklagte Rentenversicherung, dem Kläger für seine Hörstörung angemessene Geräte zu verschaffen. Dagegen legte die Rentenversicherung 2011 Berufung beim LSG ein. Sie meint, dass sie auch als erstangegangener Rehabilitationsträger die Hilfe ablehnen könne, ein anderer Träger möglicherweise zuständig sei.

     

    Entscheidungsgründe

    Das LSG hat die Rentenversicherung im Eilrechtsschutz verpflichtet, den Hörgeräteakustiker des Klägers zu beauftragen, den Kläger nach einer Neuanpassung mit den Hörgeräten zu versorgen, die den bestmöglichen Ausgleich bringen. Es hat festgestellt, dass sowohl die Rentenversicherung als auch die Krankenversicherung des Klägers eine auffällige Verzögerungstaktik verfolgt haben. Die Rentenversicherung hat trotz der Dringlichkeit der Versorgung des Klägers das Ruhen des Verfahrens beantragt, die Krankenversicherung hat sogar noch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sie in den 45 Monaten seit ihrer Beiladung zum Rechtsstreit noch keine Gelegenheit gehabt habe, das Anliegen des Klägers zu prüfen.

     

    Angesichts des langjährigen Versorgungsdefizits kann der Kläger nicht auf ein Neubescheidungsurteil gegen die beklagte Rentenversicherung verwiesen werden. Das Gericht kann die Beklagte vielmehr auch im einstweiligen Rechtsschutz zur konkreten Versorgung verpflichten. Dies gilt auch, wenn dadurch das Ergebnis der Hauptsache vorweggenommen wird. Dabei hat der 2. Senat des LSG berücksichtigt, dass sich der Kläger zuerst an den Rentenversicherungsträger gewandt hat. Dieser hat den Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Zweiwochenfrist an einen anderen Träger weitergeleitet. Damit ist der Rentenversicherungsträger nach den ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen und den klaren Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung verpflichtet, den Rehabilitationsbedarf des Klägers umfassend und zeitnah abzudecken und insbesondere für eine leidensgerechte Hörgeräteversorgung Sorge zu tragen.

     

    Weiter hat der 2. Senat erläutert, dass angesichts der Schwere der Hörbeeinträchtigung und ihrer individuellen Ausprägung in diesem Einzelfall der notwendige bestmögliche Ausgleich nicht bereits mit zum sog. Festbetrag erhältlichen preiswerteren Hörgeräten erreicht werden kann. Daher wurde der Rentenversicherungsträger zugleich verpflichtet, in einem angemessenen Rahmen auch über den Festbetrag hinausgehende Kosten der Hörgeräte­versorgung zu tragen.

     

    Praxishinweis

    Der Kläger ist durch die bisherige stark defizitäre Versorgung seit Jahren im privaten und beruflichen Leben schwer und nachhaltig in seinen Grundrechten beeinträchtigt worden. Von Verfassungs wegen ist ihm eine weitere Hinnahme dieses Zustandes schlechthin nicht mehr zumutbar. In solchen Fällen müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dem Staat ist nach der Rechtsprechung des BVerfG die Würde des Menschen in einer Situation der Hilfebedürftigkeit besonders anvertraut. Hierauf muss der Anwalt in einem entsprechenden Verfahren explizit hinweisen. Dabei muss er insbesondere die schwerwiegenden Versäumnisse der beteiligten Sozialleistungsträger darlegen. Er muss aufzeigen, dass weder der Träger der Rentenversicherung noch die Krankenkasse in dem bisherigen Rechtsstreit auch nur ernsthafte Anstrengungen zu 
einem den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Ausgleich der Hörbehinderung gezeigt haben. Zudem muss einer der Leistungsträger die Kosten übernehmen und ein monetärer Ausgleich kann dann im Innenverhältnis 
erfolgen, während der Kläger an irreparablen Schäden leidet.

    Quelle: Ausgabe 01 / 2014 | Seite 12 | ID 42467720