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  • · Fachbeitrag · Kfz-Haftpflichtversicherung

    Aktuell: Verstoß gegen die Winterreifenpflicht

    von VRiOLG Frank-Michael Goebel, Rhens

    • 1. Eine Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 Abs. 1 VVG durch den Betrieb eines nur mit Sommerreifen bestückten PKW liegt nur vor, wenn bei durchgehend herrschenden winterlichen Straßenverhältnissen der PKW längerfristig oder für längere Fahrten benutzt wird.
    • 2. Die Verpflichtung, Winterreifen zu benutzen, orientiert sich an dem konkreten Tag der Nutzung des PKW und in der konkreten Verkehrssituation herrschenden Witterungs- und Straßenverhältnissen; hierfür ist der VR darlegungs- und beweisbelastet.

    (AG Mannheim 22.5.15, 3 C 308/14, Abruf-Nr. 145341)

     

    Sachverhalt

    Der VN hatte einen Verkehrsunfall verursacht, den der VR als Haftpflicht-VR regulierte. Der VR führte den Unfall darauf zurück, dass der VN auf seinem Fahrzeug im Winter keine Winterreifen aufgezogen hatte. Er berief sich daher auf Leistungsfreiheit. Zumindest habe er ein Recht, die Leistung mit entsprechenden Rückforderungsansprüchen in Höhe von 5.000 EUR zu kürzen.

     

    Der VR ist der Auffassung, der VN habe den Versicherungsfall vorsätzlich, mindestens aber grob fahrlässig herbeigeführt. Der VN habe in Kenntnis der winterlichen Verkehrsverhältnisse das Fahrzeug ohne angemessene Bereifung geführt. Außerdem bedeute das Fahren mit Sommer-, statt mit Winter- bzw. M+S Reifen eine vorsätzliche Gefahrerhöhung i.S.d. §§ 23, 26 VVG. Es habe bereits Tage vor dem Unfallereignis Temperaturen deutlich im Minusbereich gegeben. Der VN setzt sich zur Wehr: Die Witterungsverhältnisse hätten keinen Anlass gegeben, bereits Winterreifen aufzuziehen. Er wäre nicht zu schnell gefahren. Es sei allenfalls von wechselhaften Wetterverhältnissen auszugehen. Eine mögliche Fahrbahnglätte sei lediglich lokal bei einer Stelle festzustellen gewesen.

     

    Entscheidungsgründe/ Praxishinweis

    Das AG Mannheim ist im Ergebnis dem VN gefolgt. Dabei waren zwei ganz unterschiedliche Fragen zu beantworten:

     

    • Besteht eine Leistungsfreiheit bzw. eine Möglichkeit zur Leistungskürzung aufgrund einer vorsätzlich oder grob fahrlässig vorgenommenen Gefahrerhöhung im Sinne der §§ 23, 26 VVG?
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    • Besteht eine Leistungsfreiheit bzw. eine Möglichkeit zur Leistungskürzung aufgrund einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sinne des § 81 VVG?

     

    Beide Frage sind voneinander zu trennen. Das muss schon beim Vortrag der Bevollmächtigten berücksichtigt werden.

     

    • Die Gefahrerhöhung
    • Der VN darf nach § 23 Abs. 1 VVG nach Abgabe seiner Vertragserklärung ohne Einwilligung des VR keine Gefahrerhöhung vornehmen oder deren Vornahme durch einen Dritten gestatten. Die Rechtsfolge der Pflichtverletzung ergibt sich aus § 26 Abs. 1 VVG: Tritt der Versicherungsfall nach einer Gefahrerhöhung ein, ist der VR nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der VN seine Verpflichtung nach § 23 Abs. 1 VVG vorsätzlich verletzt hat. Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung ist der VR berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Dabei trägt die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit kraft gesetzlicher Anordnung der VN.
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    • Das AG hat allerdings schon keine Gefahrerhöhung gesehen. Sie liege nur vor, wenn der VN längerfristig ein nicht verkehrssicheres Fahrzeug genutzt habe. Grundsätzlich kann eine Gefahrerhöhung begründet werden, wenn ein verkehrsunsicheres Fahrzeug weiterbenutzt oder in Betrieb genommen wird (Heß/Burmann, Rechtsfragen bei Verstoß gegen die Winterreifenpflicht, NJW-Spezial 11, 9 unter Hinweis auf BGH NJW-RR 90, 93). Wird ein Pkw mit winteruntauglichen (Sommer-)Reifen benutzt, kann dies daher grds. als Benutzung eines verkehrsunsicheren Fahrzeugs gesehen werden. Voraussetzung ist, dass es die Witterungs- und Straßenverhältnisse gebieten, Winterreifen oder M+S Reifen zu nutzen.
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    • Beachten Sie | Die gesetzliche Regelung normiert keine grundsätzliche Winterreifenpflicht. In § 2 Abs. 3a S. 1 StVO ist vielmehr angeordnet, dass bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte ein Kraftfahrzeug nur mit M+S-Reifen gefahren werden darf. VN und VR streiten aber gerade um diese Frage. Auch nach der gesetzlichen Regelung genügt also allein der Umstand, dass Minusgrade vorherrschten noch nicht aus, um die Winterreifenpflicht auszulösen.

     

    • Eine Gefahrerhöhung kann aus Sicht des AG Mannheim nur bejaht werden, wenn der Pkw mit Sommerreifen bei durchgehend herrschenden winterlichen Straßenverhältnissen längerfristig bzw. für längere Fahrten benutzt wird. Hierfür ist der VR darlegungs- und beweisbelastet.

     

     

    • Beachten Sie | Das stellt den VR vor kaum lösbare Probleme. Er muss insoweit nachweisen, dass der VN auch an anderen Tagen vor dem Unfallereignis trotz winterlicher Wetterverhältnisse seinen Pkw unzureichend bereift bewegt hat.

     

    • Es wundert deshalb nicht, dass der VR dazu im konkreten Prozess nichts Konkretes vorgetragen hat. Er müsste vortragen, dass auch an den Tagen vor dem Unfallereignis winterliche Verhältnisse geherrscht haben. Hierzu kann er ggf. ein Gutachten des Wetterdiensts einholen. Im Rahmen der sekundären Darlegungslast wird der VN dann bekunden müssen, ob er an diesen Tagen auch gefahren ist. Das muss der VR dann widerlegen. Dazu kann es im konkreten Einzelfall durchaus Ansatzpunkte geben, wenn etwa der VN zur Arbeit musste und nicht erklärt, wie er das bewerkstelligt hat.

     

    • Beachten Sie | Die Aussage des VN, er sei noch nicht dazu gekommen, Winterreifen aufzuziehen, lässt aus Sicht des AG zugunsten des VN die Möglichkeit offen, er habe binnen kurzer Zeit beabsichtigt, dies zu tun. Das spreche dagegen, dass er die Sommerreifen längerfristig genutzt hat (bei winterlichen Straßenverhältnissen). Das AG hat damit eine - nicht weiter nachgewiesene - Begründung genügen lassen, die allzu leicht als Schutzbehauptung genutzt werden kann. Es spricht vieles dafür, dass er dann auch nachweisen muss, dass zum Unfallzeitpunkt bereits ein Reifenwechseltermin vereinbart war.

     

    • Letztlich sei auch eine Kenntnis des VN von einer möglichen Gefahrerhöhung nicht erkennbar, wenn davon auszugehen ist, dass Glatteis nur partiell auftrat, Wetterwarnungen seien keine gegeben gewesen.

     

    • Grob fahrlässige Herbeiführung eines Versicherungsfalls
    • Lag keine Gefahrerhöhung vor, stellt sich die Frage, ob das Unfallereignis vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Der VR ist nach § 81 Abs. 1 VVG leistungsfrei, wenn der VN vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt. Beruht der Versicherungsfall auf grober Fahrlässigkeit, ist der VR nach § 81 Abs. 2 VVG berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden Verhältnis zu kürzen.

     

    • Dem AG fehlte in seiner Entscheidung etwas das Verständnis für den Vortrag des VR. Dass der VN das Unfallgeschehen billigend in Kauf genommen hat - mithin zumindest ein bedingter Vorsatz anzunehmen ist - erscheint ihm lebensfremd. In Betracht kommen könnte aus seiner Sicht allenfalls grobe Fahrlässigkeit, weil keine M+S-Reifen aufgezogen wurden. Das sieht das AG für Ende Oktober aber nicht.

     

    • Der Gesetzgeber sieht keinen Zeitrahmen vor, in dem Winterreifen, bzw. M+S Reifen auf einem Fahrzeug aufgezogen sein müssen. § 2 Abs. 3a S. 1 StVO macht keine feste Vorgabe, ab wann besagte Reifen aufzuziehen sind. Es sei letztlich auf regionale Gegebenheiten abzustellen. Daran fehle es bei den bundesweiten Empfehlungen des ADAC, wonach von Oktober bis Ostern Winterreifen angezeigt seien (https://www.adac.de/infotestrat/reifen/winterreifen/winterreifenpflicht) oder die sogenannte 7°C Regel für den Einsatz entsprechender Winter- oder M+S Reifen (http://www.warum-winterreifen.de/winterreifenpflicht/warum-winterreifen.php). Wegen der regionalen Unterschiede und der teilweisen enormen Schwankungen von Jahr zu Jahr muss aus Sicht des AG der Einzelfall betrachtet werden. Das prüft das AG und sieht keinen Anlass für die Annahme, dass im konkreten Fall Winterreifen hätten aufgezogen sein müssen.

     

    • Beachten Sie | Die Parteien müssen hier jeweils die regionalen Besonderheiten für den konkreten Unfallzeitpunkt vortragen. Darunter fallen z.B. die Durchschnittstemperaturen in dem Monat oder die Plötzlichkeit eines Wintereinbruchs, sowie die Prognose, ob dies schnell vorübergeht. Grobe Fahrlässigkeit wird vorzuwerfen sein, wenn es sich jedem vernünftig denkenden Verkehrsteilnehmer aufdrängt, dass Winterreifen erforderlich sind.
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    • So hat das OLG Frankfurt a.M. (r+s 04, 184) grobe Fahrlässigkeit angenommen, wenn in einem Ski-Gebiet im Winter mit Sommerreifen ein Unfall verursacht wird. Wenn der VN mit seinem Kfz mit Sommerreifen bei zwar teilweise winterlichen Straßenverhältnissen, aber in einer Gegend fährt, in der nicht typischerweise mit derartigen Straßenverhältnissen zu rechnen ist, soll dagegen nach dem LG Hamburg (DAR 10, 473) keine grobe Fahrlässigkeit anzunehmen sein.

     

    • Das Fazit des Gerichts: Um eine grobe Fahrlässigkeit für die konkret zu beurteilende Situation zu begründen reicht alleine das Bewusstsein des VN nicht aus, dass
      • das Fahren von Sommerreifen im Winter Gefahren mit sich bringen kann,
      • es von Oktober bis Ostern möglicherweise ratsam sein könnte, Winterreifen aufzuziehen,
      • bei Temperaturen unter 7 Grad Winterreifen oder M+S-Reifen bessere Hafteigenschaften aufweisen.

     

    • Beachten Sie | Es obliegt allerdings dem VR, durch eine entsprechende Fassung der Vertragspflichten den VN zu verpflichten, ab Oktober bis April Winterreifen zu nutzen. Dies kann auch durch eine entsprechende Prämiengestaltung erfolgen, in dem ein Prämienrabatt gewährt wird, wenn Winterreifen ab dem 1.10. bis 30.4. genutzt werden.

     

    • Was offenbleibt
    • Vor dem Hintergrund seiner Sichtweise kam das AG nicht mehr dazu, eine weitere Hürde für den Regressanspruch des VR weiter aufzuklären: Ob die fehlenden Winterreifen auch wirklich kausal für das Unfallgeschehen geworden sind, d.h. ob vorhandene Winterreifen das Unfallgeschehen wirklich verhindert hätten.
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    • Beachten Sie | Allerdings reicht bereits eine Mitursächlichkeit für eine Leistungskürzung nach § 81 VVG aus.

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 11 / 2015 | Seite 190 | ID 43680457