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  • · Haftungsrecht

    Verletzung eines Ersthelfers geschieht „beim Betrieb“ des Unfall-Kraftfahrzeugs

    Bild: © Marco2811 - stock.adobe.com

    | Verletzt sich ein Ersthelfer nach einem vom einem Kraftfahrzeugführer verursachten Auffahrunfall beim hektischem und ungeschicktem Abstellen und Absteigen von seinem Motorrad, ist dies dem Betrieb des unfallverursachendem Kraftffahrzeugs nach § 7 Abs. 1 StVG zuzurechnen. |

     

    Sachverhalt

    Bei einem Verkehrsunfall kamen zwei Pkw von der Straße ab und blieben im Staßengraben liegen. Eine Motorradfahrerin wollte erste Hilfe leisten. Beim Abstellen des Motorrads stürzte dieses auf ihren Fuß. Dabei erlitt sie einen Fersenbein-Trümmerbruch. Das LG hat den Anspruch gegen den Haftpflicht-VR des Unfallversicherers für gerechtfertigt erklärt.

     

    Entscheidungsgründe

    In einem Hinweisbeschluss machte das OLG Hamm deutlich, dass es beabsichtigt, die Berufung zurückzuweisen (5.5.25, 7 U 97/23, Abruf-Nr. 250996). Der Sturz der Motorradfahrerin sei „beim Betrieb“ des Beklagtenfahrzeugs erfolgt und unterfällt daher den Risiken dessen Betriebs. Entsprechend besteht der erforderliche Zurechnungszusammenhang.

     

    Übersicht / Beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs

    • Das Merkmal „bei Betrieb“ ist weit auszulegen. Da die Vorschrift alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen will, ist ein Schaden bereits dann bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d. h., wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensereignis durch das Kraftfahrzeug (mit) geprägt worden ist (BGH 31.1.12, VI ZR 42/11).

     

    • Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahr handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d. h., die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist.

     

    • Für die Annahme des erforderlichen Zurechnungszusammenhangs kommt es außerdem maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht.

     

    • Der Zurechnungszusammenhang ist grundsätzlich auch bei mittelbar verursachten Schäden gegeben, die dadurch entstehen, dass in einer vom Schädiger geschaffenen Gefahrenlage ein weiterer Umstand ‒ etwa ein Verhalten eines Dritten oder das Verhalten des Geschädigten selbst ‒ hinzukommt und sich die Gefahr dadurch realisiert.
      • Dies gilt allerdings nicht, wenn sich bei wertender Betrachtung die Schädigung nicht mehr als spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren darstellt, für die die Norm den Verkehr schadlos halten will.

     

      • Das ist z. B. der Fall, wenn die Gefahr nicht über das hinausging, was im täglichen Zusammenleben ohnehin unter Billigung der Rechtsordnung an Gefahren hingenommen werden muss und der Schaden als Verwirklichung des sog. allgemeinen Lebensrisikos zu bewerten ist (OLG Stuttgart 7.8.12, 13 U 78/12) oder aber sich letztlich eine Selbstgefährdung des Geschädigten verwirklicht.

     

    • Für die Frage der Zurechnung maßgeblich ist demnach, ob sich ‒ bei wertender Betrachtung ‒ in dem Unfall eine gesteigerte Gefahrenlage ausgewirkt hat, für die die Beklagten verantwortlich waren (BGH 24.8.18, 7 U 23/18).

     

    • Allgemeinverbindliche Grundsätze dazu, in welchen Fällen ein Zurechnungszusammenhang bejaht werden muss oder zu verneinen ist, lassen sich insoweit nicht aufstellen (BGH 10.2.04, VI ZR 218/03).
     

    Das OLG ist vorliegend davon ausgegangen, dass die Verletzung der Motorradfahrerin dem Betrieb des Beklagtenfahrzeugs und damit letztlich der Beklagtenseite in diesem Sinne zuzurechnen ist. Zunächst hat der Auffahrunfall die entscheidende Ursache für den Entschluss der Motorradfahrerin gesetzt, zum Unfallzeitpunkt im Bereich der Unfallstelle anzuhalten, um dort Hilfe zu leisten. Dass nach einem Verkehrsunfall Passanten oder andere Verkehrsteilnehmer erste Hilfe leisten und es hierbei zu Verletzungen kommt, ist auch kein außergewöhnlicher ‒ inadäquater ‒ Geschehensablauf. Der Umstand, dass die Verletzung nur mittelbare Folge des Unfalls war, lässt vorliegend den Schutzzweckzusammenhang nicht entfallen. Vielmehr hat der Unfallverursacher die Verletzte in die zum Unfall führende Situation gebracht.

     

    Die Berufung wurde daraufhin zurückgenommen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung macht deutlich: Sofern eine Rettungshandlung von billigenswerten Motiven getragen und darüber hinaus im Hinblick auf den sonst drohenden Schaden vernünftig und angemessen (nicht unverhältnismäßig) erscheint, haftet derjenige, der die Gefährdungslage in sorgfaltswidriger Weise geschaffen hat, für die Nachteile, die der Retter bei seinem Eingreifen erleidet. Das kommt insbesondere bei der Rettung von Insassen aus verunglückten Fahrzeugen in Betracht. Nur wenn die Selbstgefährdung bei einer Rettungsmaßnahme zu groß erscheint und diese daher als unvernünftig anzusehen wäre, kann erwartet werden, dass der Hilfswillige von einem Eingreifen absieht.

     

    Zu berücksichtigen ist allerdings auch ein Mitverschulden des Geschädigten. Vorliegend war der Mitverursachungsbeitrag im Hinblick auf die Betriebsgefahr des Motorrads nach § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG in die Abwägung einzustellen. Das LG hatte diesen auf 30% geschätzt.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2025 | Seite 189 | ID 50552709