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  • · Fachbeitrag · Jagdhaftpflichtversicherung

    Die aktuelle Bedeutung der Relevanzrechtsprechung

    von VRiOLG a.D. Werner Lücke, Telgte

    Nach der [für das alte Recht maßgeblichen] Relevanzrechtsprechung des BGH kann sich der VR bei einer vorsätzlichen folgenlosen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des VN nur dann auf Leistungsfreiheit berufen, wenn die Obliegenheitsverletzung generell geeignet war, die Interessen des VR ernsthaft zu gefährden und dem VN ein erhebliches Verschulden zur Last fällt. Der VR muss den VN - ausgenommen Arglist - überdies vorher über diese Rechtsfolgen belehrt haben (OLG Karlsruhe 6.6.13, 12 U 204/12, Abruf-Nr. 132215).

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Der VN verlangt aus einer 2007 abgeschlossenen Jagdhaftpflichtversicherung wegen eines Vorfalls aus Dezember 2008 Versicherungsschutz. Diesen Vorfall hat der VN zunächst so geschildert, dass die bei einer Jagd von ihm geführten Hunde sich wegen eines Rehes losgerissen und dabei die Geschädigte umgerissen hätten. Der VR hat die Erbringung von Leistungen abgelehnt. Im Prozess hat der VN erstinstanzlich seinen Vortrag dann dahin korrigiert, dass er seine beiden Jagdhunde der Geschädigten bereits vor dem Unfall übergeben habe.

     

    Der VR hat sich daraufhin auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung berufen. Der VN hat darauf verwiesen, dass der Makler die Schadenanzeige ausgefüllt und er nur unterschrieben habe. Leistungsfreiheit scheide aber auch deshalb aus, weil die Obliegenheitsverletzung folgenlos geblieben sei. Mit dieser Begründung hat das LG der Klage stattgegeben. Auf die Berufung ist die Klage abgewiesen worden.

     

    • Gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVG ist bei der Beurteilung des Sachverhalts das VVG in seiner alten Fassung maßgebend, da der Versicherungsfall vor dem 31.12.08 eingetreten ist.

     

    • Bei einer vorsätzlichen folgenlosen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des VN kann sich der VR nur auf Leistungsfreiheit berufen, wenn die Obliegenheitsverletzung generell geeignet war, seine Interessen ernsthaft zu gefährden und dem VN ein erhebliches Verschulden zur Last fällt (BGH VersR 09, 968). Hier ist davon auszugehen, dass das Verhalten des VN zumindest generell geeignet war, die Interessen des VR ernsthaft zu beeinträchtigen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die beiden dargestellten Geschehensvarianten haftungsrechtlich unterschiedlich zu bewerten sind. Bei der zunächst geschilderten Variante ist dem Grunde nach ohne Weiteres von einer Tierhalterhaftung des VN nach § 833 BGB auszugehen gewesen. Ein Mitverschulden liegt eher fern. Bei der zuletzt vom VN eingeräumten Variante hingegen kommt ernsthaft in Betracht, die Geschädigte als Tieraufseherin im Sinne des § 834 S. 1 BGB zu behandeln. Ist jedoch der Aufseher selbst der Verletzte, haftet der Tierhalter zwar auch nach § 833 BGB, jedoch wird das Mitverschulden des Tieraufsehers vermutet. Der Tieraufseher hat sich gemäß § 834 S. 2 BGB zu entlasten (Palandt, BGB, 72. Auflage 2013, § 834, Rn. 3 m.w.N.; OLG Karlsruhe MDR 09, 31). Fehlen andere Anhaltspunkte haften beide je zur Hälfte (vgl. VersR 97, 456 f.). Damit stellt sich der gegen den VN geltend gemachte Haftpflichtanspruch zum Nachteil der mit dessen Abwehr oder Befriedigung belasteten Beklagten in wesentlichen Punkten zu Grund und Höhe anders dar als in der Schadensmeldung geschildert.

     

    • Voraussetzung für die Leistungsfreiheit wäre bei Folgenlosigkeit weiterhin, dass der VR den VN vorher deutlich über den Anspruchsverlust belehrt hat, der ihm bei vorsätzlich falschen Angaben droht. Ob der VR diese Belehrung erteilt hat, kann mangels Vorlage der kompletten Schadenanzeige nicht festgestellt werden. Auch ohne Belehrung wird der VR aber leistungsfrei, wenn der VN seine Aufklärungspflicht arglistig verletzt hat und deshalb den mit der Belehrungspflicht bezweckten Schutz nicht verdient (BGH a.a.O.).

     

    • Eine arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem VR zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der VN muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des VR einwirkt. Eine Bereicherungsabsicht des VN ist dagegen nicht erforderlich. Es reicht aus, dass er einen gegen die Interessen des VR gerichteten Zweck verfolgt, etwa indem er Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche ausräumen will und weiß, dass sein Verhalten den VR bei der Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Hinsichtlich der Beeinflussung des VR ist keine Absicht erforderlich. Es reicht insoweit bedingter Vorsatz aus, der sich nicht auf die Vermögensinteressen des VR beziehen muss (vgl. Schwintowski in Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht, 2. Auflage 2011, § 28 VVG, Rn. 95). Der VN muss es nur für möglich halten, dass das eigene Verhalten die Entscheidung des VR beeinflusst.

     

    • Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der VN hat vorsätzlich falsche Angaben gemacht, weil er annahm, dass anderenfalls der Versicherungsschutz gefährdet sei. Darauf, dass tatsächlich bei beiden Varianten Versicherungsschutz besteht, kommt es nicht an. Es vermag den VN auch nicht zu entlasten, dass er dem Rat seines Versicherungsmaklers gefolgt ist. Das mag eventuell Schadenersatzansprüche begründen, ändert aber nichts an seinem Bewusstsein, dass der VR getäuscht wird, um ihn zur Gewährung von Deckungsschutz zu veranlassen.

     

    • Die vorsätzliche und arglistige Obliegenheitsverletzung führt zur vollen Verwirkung des Versicherungsschutzes. Eine nur teilweise Versagung der Leistung kommt zwar ausnahmsweise in Betracht, wenn die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betrifft und weitere Billigkeitsmomente zugunsten des VN ins Gewicht fallen (BGH VersR 93, 1351; VersR 87, 149). Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor.

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung ist zu dem gemäß Art. 1 Abs. 2 EGVVG anwendbaren alten Recht ergangen. Insofern wird sie formal nur noch für einige Zeit Bedeutung haben. Die Kenntnis des früheren Rechts ist aber auch für das Verständnis des neuen Rechts (§ 28 VVG) bedeutsam, weil der Gesetzgeber dieses aufgenommen und nur auf weitere Tatbestände übertragen hat. Die Ausführungen zur Arglist gelten uneingeschränkt auch heute.

     

    Die Schadenmeldung stammte vom VN selbst. Mit seiner Unterschrift macht sich der VN die Angaben im Schadenformular zu eigen, auch wenn er dies nicht selbst ausgefüllt hat. Damit gibt er eine eigene Erklärung ab. Der Dritte, der das Formular ausgefüllt, aber nicht unterzeichnet hat, bereitet lediglich eine Erklärung des VN vor, wenn der VN dieses unterschreibt. Der Dritte gibt die Erklärung nicht selber anstelle des VN ab. Aus der Sicht des Erklärungsempfängers erscheint das vom VN unterschriebene Formular als dessen Erklärung und nicht als die eines mit der Erfüllung von Obliegenheiten betrauten Dritten (OLG Saarbrücken VersR 11, 1511).

     

    Die Relevanz war zum alten Recht nur dann zu prüfen, wenn die Obliegenheitsverletzung nachweislich folgenlos geblieben war. Dabei war die Ursächlichkeit nicht schon dann zu bejahen, wenn das Regulierungsverhalten beeinflusst worden war. Die Regulierungsentscheidung selbst musste für den VR nachteilig betroffen sein. Dasselbe gilt nunmehr auch für § 28 Abs. 3 VVG. Allerdings kann heute der Kausalitätsgegenbeweis auch dann geführt werden, wenn es um grob fahrlässige Obliegenheitsverletzungen geht. Früher wie heute (§ 28 Abs. 3 S. 2 VVG) ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen, wenn der VN arglistig gehandelt hat. Die Frage der generellen Eignung zur Interessengefährdung spielt, nachdem schon fehlende Ursächlichkeit - ausgenommen Arglist - Leistungsfreiheit ausschließt, heute keine Rolle mehr.

     

    Bei Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten muss der VR, will er ggf. leistungsfrei sein, nunmehr stets belehren (§ 28 Abs. 4 VVG). Auch wenn § 28 Abs. 4 VVG im Gegensatz zu Abs. 3 keine Ausnahme vom Belehrungserfordernis bei Arglist vorsieht, wird für diesen Fall in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung eine Belehrung auch heute für überflüssig gehalten (Münstermann, VK 13, 40, 42; MüKo-VVG/Wandt, § 28 VVG, Rn. 350; Römer/Langheid-Rixecker, § 28 VVG Rn. 111).

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zu Inhalt und Form der Belehrung vgl. BGH VK 13, 40
    Quelle: Ausgabe 08 / 2013 | Seite 132 | ID 42216374