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  • · Fachbeitrag · Anfechtung

    Fehlender Vorsatz bei objektiv falschen Angaben des VN wegen neurotischer Krankheit

    | Macht der VN objektiv falsche Gesundheitsangaben bei Vertragsschluss, muss dies nicht unbedingt vorsätzlich oder grob fahrlässig geschehen. Ist Grund dafür eine psychische Erkrankung, muss er dies bei einer Anfechtung des VR im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast aufzeigen. |

     

    Sachverhalt

    Die VN hatte einen Risikolebensversicheungsvertrag geschlossen. Im Antragsformular hatte sie die Fragen „Litten Sie in den letzten 5 Jahren oder leiden Sie zurzeit an Krankheiten, Störungen oder Beschwerden (... Nerven, Psyche ...)?“ und „Wurden Sie in den letzten 10 Jahren stationär behandelt?“ verneint. Ebenso verneinte sie die Fragen in einer „Erklärung vor dem Arzt“ nach Krankheiten der Psyche und einem Selbsttötungsversuch. Tatsächlich hatte die VN zwei Suizidversuche und einen stationären Aufenthalt in einer Fachklinik für Psychiatrie verschwiegen.

     

    Die VN verstarb aufgrund eines Suizids. Der VR hat daraufhin den Vertrag wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht gegenüber dem bezugsberechtigten Ehemann angefochten.

     

    Das LG hat den VR verurteilt, die Versicherungssumme auszuzahlen. Das OLG hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Es verwies darauf, dass die VN falsche Angaben gemacht habe. Dass dies arglistig geschehen sei, liege auf der Hand. Die Fragen seien eindeutig und der VN zweimal gestellt worden. Eine versehentliche falsche Beantwortung sei daher auszuschließen. Der VN sei klar gewesen, dass sie den begehrten Versicherungsschutz bei wahrheitsgemäßen Angaben nicht erhalten würde. Selbst bei einem VN, der bemüht sei, Erkrankungen zu verdrängen und nicht wahrzunehmen, bleibe die Erinnerung an Selbstmordversuche bestehen. Dass dies bei der VN anders gewesen sein könnte, sei nicht substanziiert behauptet und erkennbar. Die vorgelegte gutachterliche Stellungnahme stehe dem nicht entgegen. Selbst wenn die VN keinerlei Krankheitseinsicht gehabt und sich im Zeitpunkt der Antragstellung gesund gefühlt habe, ändere dies nichts daran, dass sie ihr bekannte objektive Umstände, nach denen sie gefragt worden sei, nicht angegeben habe.

     

    Entscheidungsgründe

    Der BGH hob das Urteil des OLG auf und wies die Sache an das Berufungsgericht zurück (7.2.18, IV ZR 53/17, Abruf-Nr. 199807).

     

    Der vierte Senat stellte klar, dass das OLG die Beweislastverteilung nicht beachtet habe. Dazu verwies er zunächst auf die Grundsätze zur Anfechtung eines Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung.

     

    • Grundsätze zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung
    • Eine arglistige Täuschung setzt voraus, dass falsche Tatsachen gegenüber dem VR vorgespiegelt oder wahre Tatsachen verschwiegen wurden, um einen Irrtum zu erregen oder aufrechtzuerhalten.

     

    • Der VN muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des VR einwirkt.

     

    • Falsche Angaben in einem Versicherungsvertrag allein rechtfertigen den Schluss auf eine arglistige Täuschung nicht. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des VR einzuwirken.

     

    • In subjektiver Hinsicht setzt die Annahme von Arglist vielmehr zusätzlich voraus, dass der VN erkennt und billigt, dass der VR seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde (ständige Rechtsprechung des BGH, z. B. 28.2.07, IV ZR 331/05, Abruf-Nr. 071338 = VK 07, 116).
     

    Der VR trägt danach die Beweislast für die Täuschungsabsicht des VN. Wenn ‒ wie hier ‒ objektiv falsche Angaben vorliegen, trifft den VN (bzw. hier den Bezugsberechtigten) eine sekundäre Darlegungslast. Er muss plausibel darlegen, wie und weshalb es zu den objektiv falschen Angaben gekommen ist.

     

    Dieser sekundären Darlegungslast ist der klagende Bezugsberechtigte nachgekommen:

     

    • Er hat eine gutachterliche Stellungnahme des Herrn Dr. med. F. vorgelegt. Dieser hat den Krankheitsverlauf der VN dargelegt und zusammenfassend ausgeführt, zum Vertragsschluss habe die depressive Erkrankung in ihrem Denken und ihrem Selbstkonzept keinen Platz gehabt. Sie habe die Erkrankung in einer neurotischen Abwehr negiert. Die Krankheit sei nicht Gegenstand ihrer persönlichen Realitätswahrnehmung gewesen. Insofern könne weder von einem betrügerischen noch von einem fahrlässigen Handeln bei der Nichtangabe dieser Vorgeschichte ausgegangen werden. Diesem Verhalten liege vielmehr ein krankhafter Prozess zugrunde.

     

    • Unter Bezugnahme darauf hat der Kläger vorgetragen, der VN habe jedenfalls der Wille gefehlt, auf die Entscheidung des VR im Bewusstsein einer möglichen Ablehnung des Versicherungsantrags Einfluss zu nehmen.
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    • Damit hat der Kläger nachvollziehbar dargetan, dass die VN die streitgegenständlichen Gesundheitsfragen objektiv falsch beantwortet habe, weil ihr krankheitsbedingt die Einsichtsfähigkeit und die Erinnerung an die Suizidversuche gefehlt hätten.

     

    Indem das Berufungsgericht ohne ausgewiesene eigene medizinische Sachkunde diesen Vortrag des Klägers als unsubstanziiert bewertet hat, hat es die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast überspannt. Der VN ist nicht gehalten, von einem Facharzt beschriebene medizinische Gründe für die Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen weiter zu erläutern oder gar nachzuweisen. Vielmehr muss bei einer solchen Konstellation der VR zur Arglist des VN weiter vortragen und gegebenenfalls dazu Beweis anbieten.

     

     

     

    Weiterführende Hinweise

    • Das gilt zur Beweisführung des VR bei der Arglistanfechtung wegen Anzeigepflichtverletzung: OLG Dresden VK 17, 96
    • Voraussetzungen für die Annahme einer wissentlichen Pflichtverletzung: OLG München VK 16, 184
    • Objektiv falsche Angaben: Nachfrageobliegenheit des VR und Darlegungslast des VN: BGH VK 11, 190
    Quelle: Ausgabe 04 / 2018 | Seite 57 | ID 45157726