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  • · Fachbeitrag · Gerichtszuständigkeit

    Gilt der Wahlgerichtsstand des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG auch für juristische Personen?

    von RA Marc O. Melzer, FA Versicherungs-, Sozial- und Medizinrecht, Bad Lippspringe

    § 215 Abs. 1 VVG gilt nicht für juristische Personen und für rechtsfähige Personenzusammenschlüsse (LG Fulda 11.5.12, 4 O 144/12, Abruf-Nr. 123932).

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Die VN, eine juristische Person, beantragte an ihrem Unternehmenssitz im Bezirk des LG Fulda die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen den VR aus dem Versicherungsvertrag. Das LG erklärte sich für örtlich nicht zuständig. Die einzige in Betracht kommende Wahlgerichtsstandsregelung des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG sei auf juristische Personen und rechtsfähige Personenvereinigungen nicht anwendbar.

     

    Praxishinweis

    Der persönliche Anwendungsbereich der Wahlgerichtsstandsregelung des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG wird noch immer kontrovers diskutiert.

     

    •  § 215 Abs. 1 S. 1 VVG

    Für Klagen aus dem Versicherungsvertrag oder der Versicherungsvermittlung ist auch das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Versicherungsnehmer zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

    Dabei sollten mit der den Gerichtsstand der Agentur (§ 48 VVG a.F.) ersetzenden Vorschrift eigentlich Unklarheiten beseitigt werden (BegrRegE S. 117). Nun scheint sich die Ansicht durchzusetzen (vgl. Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG Rn. 11 ff.), dass die Vorschrift nur für Verbraucher oder wenigstens natürliche Personen gelte und auf juristische Personen und rechtsfähige Personenzusammenschlüsse weder unmittelbar noch im Wege einer Analogie oder einer korrigierenden Auslegung anwendbar sei.

     

    • Für die Einschränkung des Anwendungsbereichs wird angeführt, dass einen Wohnsitz wie einen gewöhnlichen Aufenthaltsort nur natürliche Personen haben könnten. Juristische Personen hingegen hätten „nur“ einen Gesellschaftssitz (§ 17 ZPO) und seien überdies nicht so schutzbedürftig wie Verbraucher.

     

    • Deren Schutz habe der Gesetzgeber mit der an § 29c ZPO angelehnten Vorschrift mit der Wohnortklage für und gegen den VN maßgeblich bezweckt (§ 215 Abs. 1 S. 2 VVG regelt die ausschließliche Zuständigkeit bei Klagen des VR gegen den VN). Und Verbraucher seien gemäß § 13 BGB ausschließlich natürliche Personen. Daher fehle es für eine Analogie bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.

     

    • Die aus der Beschränkung des Anwendungsbereichs folgende Ungleichbehandlung von natürlichen und juristischen Personen müsse auch nicht über den dann maßgeblichen Gesellschaftssitz des § 17 VVG korrigiert werden, da die Bindung einer juristischen Person an ihren Sitz nicht mit derjenigen einer natürlichen Person an ihren Wohnsitz vergleichbar sei.

     

    Die besseren Argumente sprechen hingegen dafür, dass § 215 Abs. 1 S. 1 VVG bereits unmittelbar auch auf juristische Personen und rechtsfähige Personenzusammenschlüsse anwendbar ist.

     

    • In § 215 Abs. 1 S. 1 VVG ist „nur“ - aber immerhin - vom „Versicherungsnehmer“ die Rede. Dabei kann es sich sowohl um einen Verbraucher als auch um eine gewerblich tätige natürliche oder um eine juristische Person handeln (vgl. Rixecker, Römer/Langheid, 3. Aufl. 2012, § 215 VVG Rn. 2).

     

    • Zudem erfasste auch der alte Agenturgerichtsstand sämtliche gegen den VR gerichtete Klagen, sofern der Vertrag von einem Agenten vermittelt oder abgeschlossen wurde. Die damit einhergehenden Unwägbarkeiten sollten ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/3945 S. 117) beseitigt werden, indem dem VN das Recht eingeräumt wird, die Klage gegen den VR, den Versicherungsvermittler oder Versicherungsberater an seinem Wohnsitz einzureichen. Nur „insofern“ entspricht die Regelung dem § 29c ZPO, wo ausdrücklich vom Verbraucher die Rede ist. Zwar weist die Gesetzesbegründung darauf hin, dass durch diese Regelung der prozessuale Rechtsschutz des Verbrauchers erheblich gestärkt werden soll. Allerdings wird hier übersehen, dass dies aber nicht der einzige Sinn und Zweck der Regelung ist. Das wird in der Begründung durch das Wort „auch“ ausgedrückt.

     

    • Bisher nicht ausreichend in den Blick genommen wurde - und das ist entscheidend - dass der Gesetzgeber auch das europäische Zivilverfahrensrecht in den Blick genommen hat. Dieses unterscheidet nicht zwischen verschiedenen VN (vgl. Rixecker, a.a.O.). So bestimmt Art. 60 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel-I), dass Gesellschaften und juristische Personen ihren „Wohnsitz“ an dem Ort haben, wo sich ihr Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Und Art. 19 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 593/2008 (Rom I) bestimmt den gewöhnlichen Aufenthaltsort u.a. von juristischen Personen an dem Ort ihrer Hauptverwaltung. § 215 Abs. 1 S. 1 VVG begründet daher einen Wahlgerichtsstand sowohl für natürliche und juristische Personen (Langheid/Wandt/Looschelders, § 215 Rn. 6 ff.) sowie für rechtsfähige Personenvereinigungen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Gegen eine Geltung des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG für juristische Personen: LG Berlin VK 11, 2
    • Die Gerichtsstandsregelung des § 215 VVG ist auf Altverträge (Abschluss vor dem 1.1.08), bei denen der Versicherungsfall vor dem 1.1.09 eingetreten ist, nicht anwendbar: OLG Hamm VK 12, 23 mit Anmerkung Münstermann zum entsprechenden Meinungsstreit
    Quelle: Ausgabe 01 / 2013 | Seite 3 | ID 37334960