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  • · Fachbeitrag · Belehrungs- und Hinweispflicht

    Hinweispflicht des VR nach § 19 Abs. 5 VVG bei vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung

    von VRiOLG a.D. Hellmut Münstermann, Aachen

    Der VR hat der Hinweispflicht aus § 19 Abs. 5 VVG zu den Folgen einer Anzeigepflichtverletzung auch dann nachzukommen, wenn dem VN die Antragsfragen unter Geltung des alten VVG (bis 31.12.07) ohne die nach neuem Recht erforderliche Belehrung gestellt worden sind, der Vertrag aber erst unter Geltung des neuen VVG (ab 1.1.08) geschlossen worden ist. In einem solchen Fall ist der VR gehalten, seine Belehrung bis zum Zeitpunkt seiner Annahmeerklärung nachzuholen (OLG Hamm Hinweisbeschluss 12.10.12, 20 U 139/12, Abruf-Nr. 130326).

    Sachverhalt

    Die Parteien streiten um Leistungen aus einer Krankenversicherung für die Tochter der VN. Am 30.12.07 hatte der VR die Antragsfragen gestellt. Der Versicherungsschein datiert vom 30.1.08. Später erklärte der VR wegen Anzeigepflichtverletzung die Vertragsanpassung mit rückwirkendem Leistungsausschluss für Zahnbehandlungen. Ein Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung ist nicht erfolgt. Das LG hat der Klage der VN stattgegeben. Nach dem Hinweisbeschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO) des OLG auf die offensichtliche Aussichtslosigkeit der Berufung hat der VR diese zurückgenommen.

    Entscheidungsgründe

    Der VR ist an seine im Versicherungsschein dokumentierten Leistungszusagen gebunden. Die Vertragsanpassung nach § 19 Abs. 4 VVG ist unwirksam. Es fehlt an dem nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG erforderlichen Hinweis auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung. Die Hinweispflicht entfiel nicht deshalb, weil der VR bereits am 30.12.07 und damit noch bei Geltung des alten VVG nach den Gefahrumständen gefragt hatte. Aus Art. 1 Abs. 1 EGVVG ergibt sich, dass das neue VVG und damit auch § 19 Abs. 5 VVG Anwendung findet, wenn der Vertrag ab dem 1.1.08 geschlossen worden ist. Hierfür maßgeblich ist gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 BGB der Zugang der Annahmeerklärung des VR. Der Krankenversicherungsvertrag ist danach erst am 30.1.08 geschlossen worden.

     

    Gegen die Hinweispflicht nach § 19 Abs. 5 VVG spricht nicht, dass insofern das sogenannte Spaltungsmodell anzuwenden sei. Für einen noch bei Geltung des alten VVG geschlossenen Vertrag wird die Frage der Anzeigepflichtverletzung nach den §§ 16 ff. VVG a.F. beurteilt, während sich die Rechtsfolgen nach neuem VVG richten. Es wird die Ansicht vertreten, dass auch dann altes Recht gelten müsse, wenn der Vertrag zwar bei Geltung neuen Rechts geschlossen wurde, die Antragsfragen aber noch in 2007 gestellt und beantwortet wurden. Dabei wird übersehen, dass sich die Anzeigepflicht des VN schon nach altem Recht nicht in der bloßen Beantwortung der Antragsfragen erschöpfte und einen abgeschlossenen Vorgang darstellte. Die Anzeigepflichten dienen - nach alter und neuer Rechtslage - der richtigen Risikoeinschätzung des VR. Sie stehen in untrennbarem Zusammenhang mit dessen Risikoprüfung bzw. Annahmeentscheidung. Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 VVG a.F. bestand bereits eine Nachmeldepflicht des VN für neue Gefahrumstände bis zum Vertragsschluss. Würde die Frage nach altem Recht beurteilt, wären Nachmeldepflichten ggf. noch nach Inkrafttreten des neuen VVG zu erfüllen. Das entsprach ersichtlich nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat nur für gänzlich abgeschlossene Vorgänge die Anwendung alten Rechts vorgesehen. In diesem Falle war die Risikoprüfung bzw. Entscheidung des VR über die Antragsannahme unter Geltung des alten VVG jedoch noch nicht abgeschlossen.

     

    Gegen die Hinweispflicht des VR lässt sich auch nicht anführen, dass sie untrennbar mit der Stellung der Antragsfragen verknüpft und deshalb vor der Annahmeentscheidung des VR nicht mehr erfüllt werden konnte. Nach der Gesetzesbegründung hat die Belehrung so rechtzeitig vor Vertragsschluss zu erfolgen, dass der VN seinen Anzeigepflichten nachkommen kann. In eng begrenzten Ausnahmefällen hält es der Senat jedoch für interessengerecht, dass der VR seine Belehrung noch bis zum Zeitpunkt seiner Annahmeentscheidung nachholen darf und muss. Ein solcher Ausnahmefall ist - wie hier - gegeben, wenn im Zeitpunkt der Antragsfragen noch das alte VVG galt und daher keine Belehrung nach neuem Recht erfolgen konnte.

     

    Eine „Nachbesserung“ durch den VR in Bezug auf die Hinweispflicht verfehlt nicht deren Zweck, den VN über die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung umfassend aufzuklären. Die Warnfunktion wird ebenso wirksam, wenn dem VN erst nach Beantwortung der Antragsfragen bewusst wird, inwieweit er seinen Versicherungsschutz durch eine Falschbeantwortung gefährdet.

     

    Schließlich entfällt das von § 19 Abs. 5 S. 1 VVG vorausgesetzte Schutzbedürfnis der VN nicht dadurch, dass sie nach Falschbeantwortung der Antragsfragen nach altem Recht ohne Belehrung mit einem Rücktritt des VR rechnen musste, während nunmehr die vorteilhaftere Rechtsfolge einer Vertragsanpassung erlaubt ist. Maßgeblich ist die Geltung des neuen VVG für die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung. Hierüber hat der VR aufzuklären.

     

    Praxishinweis

    Vorliegend ist der Vertrag nach neuem Recht geschlossen worden. Lediglich die Antragsfragen sind noch in 2007 unter Geltung alten Rechts gestellt worden. Das OLG hat entschieden, dass in diesem Fall für die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung neues Recht gilt. Für die Vertragsanpassung des VR fehlt es an der gemäß § 19 Abs. 5 S. 1 VVG n.F. erforderlichen Belehrung.

     

    Kern der Argumentation ist, dass der Gesetzgeber die Anwendung alten Rechts nur für gänzlich abgeschlossene Vorgänge vorgesehen hat. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Der Vorgang war mit der Beantwortung der Antragsfragen noch nicht abgeschlossen. Das OLG verweist auf die Nachmeldepflicht des VN nach altem Recht. Auch die Risikoprüfung anhand der Antragsangaben und die Entscheidung des VR über die Antragsannahme standen noch aus. Die Belehrung über die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung hätte der VR bis zu seiner Annahmeentscheidung nachholen müssen.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Welche Anforderungen sind an eine wirksame Belehrung nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG zu stellen? Marlow, VK 10, 58
    Quelle: Ausgabe 02 / 2013 | Seite 20 | ID 37377960