Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft

    Nichterscheinen: Attest allein genügt nicht

    Bild: © スグル 伊藤 - stock.adobe.com / KI-generiert

    | Oft versuchen sich Schuldner der Abgabe der Vermögensauskunft durch Vorlage eines ärztlichen Attests zu entziehen. Der BGH hat nun die Anforderungen an ein Attest geklärt, um das Fernbleiben eines Schuldners zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft zu rechtfertigen. |

     

    Sachverhalt

    Die Gläubigerin beantragte beim AG Erzwingungshaft gegen die Schuldnerin, weil deren Vorstand dem Termin zur Vermögensauskunft unentschuldigt fernblieb. Die Schuldnerin legte ein „Medical Certificate“ vor, wonach ihr Vorstand „unfit for duty“ (Dienstunfähig) wegen „Dizziness“ (Schwindel) sei. Der Gerichtsvollzieher leitete trotz Kenntnis dieses Attests die Akte zwecks Erlasses eines Haftbefehls an den Richter weiter, ohne dem Vollstreckungsgericht die Umstände mitzuteilen. Das AG hat antragsgemäß einen Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft erlassen. Das LG hat die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Haftbefehl zurückgewiesen. Begründung: Das Attest und eine E-Mail des Vorstands mit einer Selbsteinordnung seiner gesundheitlichen Beschwerden („starke Schwindelanfälle“) genügten nicht den Anforderungen an eine hinreichende Entschuldigung des Nichterscheinens bei dem vom Gerichtsvollzieher angeordneten Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft. Im Rahmen der Rechtsbeschwerde wies der BGH die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurück.

     

    Entscheidungsgründe

    Das sind die Kernaussagen des BGH:

     

    • 1. Ein aussagekräftiges ärztliches Attest über eine ernsthafte Erkrankung, die die Transport- oder Vernehmungsunfähigkeit des Schuldners nachweist, kann sein Nichterscheinen zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft im Sinne von § 802g Abs. 1 S. 1 ZPO entschuldigen; die bloße Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne konkrete Diagnose reicht für eine Entschuldigung des Fernbleibens nicht aus.
    • 2. Leitet der mit dem Vollstreckungsverfahren befasste Gerichtsvollzieher die Akten gemäß dem zuvor von der Gläubigerin gestellten Haftbefehlsantrag mit der Feststellung, der Schuldner sei zum Termin zur Vermögensauskunft unentschuldigt nicht erschienen, an das Vollstreckungsgericht weiter, ohne es darüber in Kenntnis zu setzen, dass er vor dem anberaumten Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft von einem den Anforderungen an eine Entschuldigung des Fernbleibens nicht entsprechenden ärztlichen Attest Kenntnis erlangt und dem Schuldner dennoch auf dessen Nachfrage versichert hat, aus seiner Sicht bedürfe es für eine hinreichende Entschuldigung keiner weiteren Unterlagen, keiner Übersetzung, keiner eidesstattlichen Versicherung der Richtigkeit der Angaben und auch keiner weiteren Erläuterungen, liegt ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens vor und ist der daraufhin ergangene Haftbefehl aufzuheben.

    (Abruf-Nr. 248919)

     

    Eine bloße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („unfit for duty“) genügt nicht. Erforderlich ist ein detailliertes ärztliches Attest, das nachvollziehbar darlegt, warum der Schuldner nicht erscheinen oder anreisen konnte (z. B. Diagnose, Schweregrad, Dauer, Auswirkungen auf Transport- oder Vernehmungsfähigkeit).

     

    Der Gerichtsvollzieher darf das Vollstreckungsgericht nicht irreführen oder relevante Informationen (z. B. eigene Zusicherungen gegenüber dem Schuldner) verschweigen. Er muss vollständig und transparent berichten.

     

    Eine Haftanordnung ist rechtswidrig, wenn sie auf einem intransparenten oder parteiischen Verfahren basiert. Aus dem Sinn und Zweck des Richtervorbehalts folgt, dass die Einschaltung und die Entscheidung des Richters nicht nur eine Formsache sein, sondern gewährleisten soll, dass der unabhängige und neutrale Richter selbst umfassend prüft und entscheidet, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung gegeben sind.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung stärkt die verfahrensrechtlichen Standards bei Haftbefehlen gemäß § 802g ZPO. Für Gläubiger bedeutet dies mehr Klarheit in der Durchsetzung ihrer Ansprüche ‒ allerdings auch erhöhte Sorgfalt bei der Antragstellung und Kommunikation mit dem Gerichtsvollzieher. Fehlerhafte Verfahrensweisen aufseiten der Justiz können den Erfolg eines vollstreckungsrechtlichen Antrags gefährden. Gläubiger sind daher gut beraten, aktiv auf transparente Verfahrensführung zu achten. Das sind die Vorteile für Gläubiger:

     

    • Klarheit der Rechtslage: Ein hoher Standard an das Entschuldigungsattest schützt die effektive Durchsetzung der Zwangsvollstreckung, da bloße Scheinatteste nicht zu akzeptieren sind.
    • Verfahrenssicherheit: Eine einheitliche, klare inhaltliche Konkretisierung minimiert die Gefahr, dass Schuldner sich durch unzureichende Bescheinigungen entziehen.
    • Beschleunigung der Vollstreckung: Unwägbarkeiten durch fehlerhafte Atteste und Missverständnisse mit dem Gerichtsvollzieher werden reduziert, wenn auf konkrete Anforderungen geachtet wird.
    • Rechtsstaatlichkeit: Ein faires Verfahren, in dem alle Umstände transparent sind und dokumentiert werden, stärkt die Rechtsposition des Gläubigers, da fehlerhaft erlassene Haftbefehle korrigiert werden können.

     

    Für Gläubiger empfiehlt sich daher folgendes Vorgehen:

     

    • Fordern Sie bei Nichterscheinen des Schuldners stets ein detailliertes ärztliches Attest an und prüfen Sie, ob darin eine spezifische und nachvollziehbare Diagnose benannt wird (z. B. „flugtauglichkeitsrelevante Erkrankung“). Pauschale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen reichen nicht aus. Das Attest sollte daher folgende Angaben enthalten:
      • konkrete Diagnose
      • Auswirkung auf Transport-/Vernehmungsfähigkeit des Schuldners
      • Zeitraum der Erkrankung
      • ärztliche Begründung zur Relevanz der Diagnose für den Termin
      • Auslandsatteste: beglaubigte Übersetzung und ggf. ergänzende Erläuterung zur medizinischen Terminologie anfordern

     

    • Stellen Sie sicher, dass der Gerichtsvollzieher angehalten wird, das Vollstreckungsgericht über jegliche Kommunikation mit dem Schuldner bezüglich der Entschuldigungspflicht vollständig zu informieren.

     

    • Sofern bekannt wird, dass dem Gerichtsvollzieher unzureichende Unterlagen vorliegen, sollten Sie darauf drängen, dies bei der Weitergabe der Akte an das Vollstreckungsgericht transparent zu machen.

     

    • Im Antrag auf Haftbefehl sollten Sie das Attest inhaltlich prüfen und dessen Unzulänglichkeit (z. B. „Dizziness“ ohne weitere Angaben) konkret darlegen. Weisen Sie das Gericht in diesem Zusammenhang auf die aktuelle BGH-Rechtsprechung hin, nach der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ohne nähere Begründung nicht genügen.

     

    Musterformulierung / Antrag auf Erlass eines Haftbefehls

    An das Amtsgericht … ‒ Vollstreckungsgericht ‒, Az. ...

     

    In der Zwangsvollstreckungssache Gläubiger … ./. Schuldner …

     

    Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Vermögensauskunft

     

    Hiermit beantrage ich namens und im Auftrag des Gläubigers den Erlass eines Haftbefehls gemäß § 802g Abs. 1 S. 1 ZPO gegen den Schuldner zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft.

     

    Begründung

    Der Schuldner wurde ordnungsgemäß zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft geladen, der auf den … anberaumt wurde. Der Schuldner ist dem Termin unentschuldigt ferngeblieben.

    Beweis: Protokoll des nicht wahrgenommenen Termins

     

    Der Schuldner hatte ein ärztliches Attest (Medical Certificate) vom … vorgelegt, in dem es nur heißt: „Unfit for duty from … to …; Remarks: Dizziness“. Dies genügt nicht den Anforderungen der Rechtsprechung zur Entschuldigung i. S. d. § 802g Abs. 1 S. 1 ZPO. Es enthält weder eine konkrete Diagnose noch eine Beurteilung der Transport- oder Vernehmungsfähigkeit. Die Angabe „Dizziness“ ist unspezifisch und erlaubt keine rechtliche Bewertung der tatsächlichen Verhinderungsgründe.

    Beweis: Kopie des vorgelegten ärztlichen Attests vom … („Medical Certificate“)

     

    Nach dem BGH (VE 25, 148) reicht ein bloßes Arbeitsunfähigkeitsattest mit einer allgemeinen Formulierung nicht aus, um ein Nichterscheinen zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft zu entschuldigen. Für eine wirksame Entschuldigung sind eine nachvollziehbare medizinische Diagnose, eine Aussage über die konkrete Unfähigkeit, zum Termin zu erscheinen erforderlich oder eine Auskunft zu erteilen sowie ein erkennbarer Zusammenhang zwischen Erkrankung und Terminunfähigkeit.

     

    Ein etwaiges Vertrauen des Schuldners in gegenteilige Aussagen des Gerichtsvollziehers kann nicht berücksichtigt werden, sofern dem Gericht hierzu keine vollständige Information vorliegt. Im Hinblick auf das unentschuldigte Fernbleiben des Schuldners ist daher gegen diesen zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft gemäß § 802g Abs. 1 S. 1 ZPO ein Haftbefehl zu erlassen. Falls dem Gerichtsvollzieher im Vorfeld eine Kommunikation mit der Schuldnerin über die angebliche Entschuldigung bekannt war (etwa in Form von Aussagen wie: „Weitere Unterlagen seien nicht erforderlich“), wird angeregt, diesen Umstand im gerichtlichen Verfahren zu klären und vollständig zu dokumentieren, um ein faires Verfahren im Sinne des o. g. BGH-Beschlusses zu gewährleisten.

     

    Rechtsanwalt

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2025 | Seite 148 | ID 50511558