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  • 20.10.2011 · IWW-Abrufnummer 113433

    Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt: Beschluss vom 12.07.2011 – 3 O 475/10

    Auch bei einem gerichtlichen Vergleich muss die Verpflichtung des Schuldners inhaltlich allein aus dem protokollierten Vergleichstext festzustellen sein. Ist die zu vollstreckende Handlung etwa nur unter Beiziehung eines in den Gerichtsakten befindlichen Gutachtens zu ermitteln, so ist der Titel grundsätzlich zu unbestimmt und keine geeignete Vollstreckungsgrundlage. Der vollstreckungsrechtliche Grundsatz der Bestimmtheit des Vollstreckungstitels dient nicht in erster Linie den Interessen der Beteiligten. Er beruht vielmehr entscheidend auf dem öffentlichen Interesse an eindeutig bestimmten Grundlagen der Zwangsvollstreckung.


    3 O 475/10

    Gründe
    Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

    Der Senat kann es offen lassen, ob die Zwangsgeldandrohung und -festsetzung gegen die öffentliche Hand zur Erzwingung eines vollstreckbaren Titels - hier eines gerichtlichen Vergleichs - sich ausschließlich nach § 172 VwGO richtet oder ob, wie die Vollstreckungsschuldnerin meint, sich allein nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 887 ZPO bemisst, da im vorliegenden Fall keiner der in § 172 VwGO aufgeführten Titel vollstreckt werden soll, sondern hier eine vertretbare Handlung, die einen regelungsfreien Realakt zum Gegenstand hat, in Rede steht (zum Streitstand: OVG Koblenz, Beschl. v. 18.10.2007 - 1 E 10786/07 - [...] mit weiteren Nachweisen).

    Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

    Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Vollstreckungsgläubigerin, der sinngemäß darauf gerichtet ist, der Vollstreckungsschuldnerin zur Erfüllung der dieser im gerichtlichen Vergleich des Verwaltungsgerichts vom 4. Februar 2010 - 3 A 69/09 MD - unter Ziffer 1. auferlegten Verpflichtung unter Fristsetzung ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- EUR anzudrohen und nach Fristablauf festzusetzen, im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Das dagegen geltend gemachte Beschwerdevorbringen der Vollstreckungsgläubigerin veranlasst keine andere Entscheidung.

    Es fehlt für ein Vollstreckungsverfahren bereits an einem Titel mit einem hinreichend bestimmten, vollstreckungsfähigen Inhalt.

    Ein Titel ist nur dann bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er den Anspruch des Gläubigers ausweist und Art, Inhalt und Umfang der Leistungspflicht bezeichnet. Das Vollstreckungsorgan muss durch ihn in die Lage versetzt werden, grundsätzlich allein mit dem Titel ohne Verwertung der Gerichtsakten oder anderer Urkunden, die nicht Bestandteil des Titels sind, die Vollstreckung durchzuführen. Das Erfordernis der Bestimmtheit des Titels soll umfassend der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen bzw. wie hier bei Prozessvergleichen der Regelungswirkung dienen. Dazu muss bei einem Urteil nicht nur sichergestellt werden, dass der Urteilsausspruch bei Erlass des Urteils inhaltlich bestimmt ist (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 19.04.2006 - 2 O 81/05 - [...]). Es muss auch gewährleistet sein, dass der Urteilsinhalt äußerlich in einer Art und Weise festgelegt wird, dass er auch danach bestimmbar bleibt, da anderenfalls nach Rechtskraft der Entscheidung und insbesondere bei der Zwangsvollstreckung Unsicherheiten entstehen können. Aus diesem Grund muss der Urteilsausspruch in aller Regel aus sich heraus oder ggf. im Zusammenhang mit seiner Begründung bestimmbar sein, was zur Folge hat, dass der Urteilsinhalt grundsätzlich in einer einheitlichen Urkunde festzulegen ist. Diese Erwägungen gelten auch für den Prozessvergleich.

    Weiter muss bei der - hier streitigen - Verpflichtung zu vertretbaren Handlungen die Handlung im Titel hinreichend bestimmt sein. Die zur Erfüllung geeignete Handlung muss hinreichend konkretisiert und für die Durchführenden klar erkennbar sein. Lässt der Wortlaut des Titels Deutungen offen, ist notfalls der Inhalt des Titels durch Auslegung festzustellen. Dabei muss der Titel jedoch aus sich heraus für eine Auslegung genügend bestimmt sein oder jedenfalls sämtliche Kriterien für seine Bestimmbarkeit eindeutig festlegen. Durch die Auslegung nicht behebbare Unklarheiten können nicht im Wege einer Beweisaufnahme geklärt werden (vgl. zum Vorgehenden: OVG Weimar, Urt. v. 17.12.2008 - 1 KO 750/07 - [...] m. w. N). Auch bei einem gerichtlichen Vergleich muss die Verpflichtung des Schuldners inhaltlich allein aus dem protokollierten Vergleichstext festzustellen sein. Ist die zu vollstreckende Handlung etwa nur unter Beiziehung eines in den Gerichtsakten befindlichen Gutachtens zu ermitteln, so ist der Titel grundsätzlich zu unbestimmt und keine geeignete Vollstreckungsgrundlage. Das gilt selbst dann, wenn die Zwangsvollstreckung auf Vornahme einer Handlung gerichtet, der Akteninhalt den Verfahrensbeteiligten und dem Vollstreckungsgericht bekannt ist und der Vergleich auf das Gutachten Bezug nimmt (vgl. OVG Weimar, Urt. v. 17.12.2008, a.a.O.). Der vollstreckungsrechtliche Grundsatz der Bestimmtheit des Vollstreckungstitels dient nicht in erster Linie den Interessen der Beteiligten. Er beruht vielmehr entscheidend auf dem öffentlichen Interesse an eindeutig bestimmten Grundlagen der Zwangsvollstreckung (vgl. BGH, Urt. v. 30.06.1983 - V ZB 20/82 -, NJW 1983, 22 ).

    Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf die Ziffer 1 des Vergleichs ist festzustellen, dass die konkreten Handlungspflichten der Vollstreckungsschuldnerin sich aus dem Vergleich nicht ergeben. Denn dort heißt es insoweit:

    "Die Beklagte verpflichtet sich, im Jahre 2010 nach Ende des Frostes im Bereich der klägerischen Grundstückes die Straße T-Weg in der Weise abzuschieben, wie es die straßenbauliche Sicherheit der Straße T-Weg erlaubt. Ziel dieser Abschiebemaßnahme ist es, das Hineinfließen von Regenwasser des T-Weges in A-Stadt auf das Grundstück der Klägerin im A-Straße in A-Stadt zu verhindern."

    In dem Vergleich fehlt es an der Festlegung einer bestimmten, konkreten Maßnahme, die der Vollstreckungsschuldnerin aufgegeben worden ist und deren Vollstreckung dementsprechend betrieben werden könnte. Es fehlen bereits genaue Angaben zum räumlichen Umfang der von der Vollstreckungsschuldnerin geschuldeten wegebaulichen Unterhaltungsmaßnahmen. Aus dem Wortlaut des Vergleiches ergibt sich nicht, worauf die Vollstreckungsgläubigerin insoweit auch zutreffend hinweist, ob die baulichen Maßnahmen beschränkt auf den Abschnitt des Straßenkörpers bleiben sollen, welcher innerhalb einer gedachten Verlängerung der Grenzen des Grundstückes der Vollstreckungsschuldnerin liegt oder aber ein weiterer Bereich einzubeziehen ist. Weiter fehlen jegliche Angaben zum konkreten Umfang der geschuldeten Veränderung des Höhenniveaus des Straßenkörpers einschließlich der konkreten Bestimmung des zu erreichenden Längs- und Quergefälles. Ferner ist hinsichtlich des Ziels der Maßnahme auch nicht hinreichend bestimmt, ob das Ziel der Verhinderung des Einfließens des Straßenoberflächenwassers in den Bereich des Grundstückes der Vollstreckungsgläubigerin nur auf Fälle des sog. Berechnungsregens beschränkt bleiben oder sich auch auf bestimmte Starkregenereignisse erstrecken soll (vgl. zur Differenzierung: OVG Lüneburg, Beschl. v. 04.01.2011 - 9 LA 130/10 -, NJW 2011, 1159 m.w.N.).

    Die Unbestimmtheit eines gerichtlichen Vergleichs kann nur im Erkenntnisverfahren und nicht im Vollstreckungsverfahren behoben werden. Unklarheiten über den Inhalt der Verpflichtung dürfen nicht aus dem Erkenntnisverfahren in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden. Dessen Aufgabe ist es zu klären, ob der Schuldner einer festgesetzten Verpflichtung nachgekommen ist, nicht aber, worin diese konkret besteht (vgl. BAG, Beschl. v. 30.10.2006 - 3 AZB 39/06 -, NZA 2007, 647). Es kann daher auch offen bleiben, ob die von der Vollstreckungsschuldnerin vorgebrachten Einwände (Erfüllung, Unmöglichkeit der Leistung) gegen den Vollstreckungsantrag selbst vorgebracht werden können (zum Erfüllungseinwand: BGH, Beschl. v. 05.11.2004 - IXa ZB 32/04-, NJW 2005, 367) oder nur im Wege der Vollstreckungsgegenklage erhoben werden können (vgl. OVG Weimar, a.a.O.).

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr (KV Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG ) nicht.

    Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

    RechtsgebietGerichtlicher VergleichVorschriften§ 167 Abs. 1 S. 1 VwGO § 172 VwGO § 887 ZPO