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  • · Fachbeitrag · Mindestlohn

    Mindestlohn steigt: Das sind die Auswirkungen auf die Zwangsvollstreckung

    von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz

    | Der gesetzliche Mindestlohn beträgt seit dem 1.1.22 9,82 EUR pro Stunde, seit dem 1.7.22 nun 10,45 EUR pro Stunde und wird zum 1.10.22 auf 12 EUR pro Stunde steigen. Welche Auswirkungen das auf die Zwangsvollstreckung hat, zeigt der folgende Beitrag. |

    1. Erstmaliger pfändbarer Betrag möglich

    Ausgehend von dem neuen Mindestlohn kann sich bei der Pfändung von Arbeitseinkommen überhaupt erstmals ein pfändbarer Betrag ergeben oder der pfändbare Betrag kann sich dadurch erhöhen.

     

    • Beispiel 1: Schuldner ledig, 40-Stundenwoche, Mindestlohn

    Der 37-jährige Schuldner S. ist ledig und hat eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden (8 Stunden pro Tag). Er hat Steuerklasse 1.

     

    Lösung

    • a) Im Zeitraum vom 1.7. bis 30.9.22 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen i. H. v. 1.672 EUR brutto pro Monat (20 Arbeitstage). Nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ergibt sich ein Nettolohn von monatlich 1.232,16 EUR. Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung ergibt sich damit kein pfändbares Einkommen.
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    • b) Ab 1.10.22 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen i. H. v. 1.920 EUR brutto pro Monat (20 Arbeitstage). Nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ergibt sich damit ein Nettolohn von monatlich 1.390,18 EUR (iww.de/s6596).

     

    Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung ergibt sich ein monatlich pfändbares Einkommen von 41,89 EUR.

     

    2. Überstunden und Weihnachtsgeld erhöhen pfändbaren Betrag

    Leistet der Schuldner Überstunden, ist die Hälfte davon unpfändbar. Sie wird somit der Berechnung des pfändbaren Betrags nicht zugrunde gelegt.

     

    Beachten Sie | Vollstreckt der Gläubiger wegen Forderungen aus einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung, sind lediglich 1/4 der Überstundenvergütung und bei Weihnachtsgeld 335 EUR unpfändbar (vgl. § 850d Abs. 1 S.  2 i. V. m. § 850a Nr. 1, 4 ZPO).

     

    • Beispiel 2: Schuldner ledig, 40-Stundenwoche + Überstunden, Mindestlohn

    Wie Beispiel 1; S.  leistet im Monat zehn Überstunden.

     

    Lösung: Hinsichtlich der Überstunden ergibt sich ein zusätzliches Bruttoeinkommen.

     

    • a) Im Zeitraum vom 1.7. bis 30.9.22 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen i. H. v. 1.676,50 EUR inkl. 104,50 EUR Überstunden; hinsichtlich der Überstundenvergütung sind 52,25 EUR der Berechnung des unpfändbaren Einkommens zugrunde zu legen (bei Unterhaltsvollstreckung: 26,12 EUR). Nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ergibt sich ein Nettolohn von monatlich 1.271,67 EUR (bei Unterhaltsvollstreckung: 1.289,57 EUR; iww.de/s6596). Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung ergibt sich kein pfändbares Einkommen.

     

    • b) Ab 1.10.22 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen i. H. v. von 1.980 EUR inkl. 120 EUR Überstunden; hinsichtlich der Überstundenvergütung sind 60 EUR der Berechnung des unpfändbaren Einkommens zugrunde zu legen (bei Unterhaltsvollstreckung: 30 EUR). Nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ergibt sich damit ein Nettolohn von monatlich 1.425,49 EUR; bei Unterhaltsvollstreckung: 1.495,77 EUR).
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    • Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung ergibt damit ein monatlich pfändbares Einkommen von 62,89 EUR, bei Unterhaltsvollstreckung: 111,89 EUR.
     
    • Beispiel 3: Schuldner ledig, 40-Stundenwoche + Weihnachtsgeld, Mindestlohn

    Wie Beispiel 1; S.  erhält im Dezember 22 ein Bruttoweihnachtsgeld von 1.000 EUR.

     

    Lösung: Im Dezember 22 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen i. H. v. 2.980 EUR; hinsichtlich des Weihnachtsgelds sind 670 EUR unpfändbar (bei Unterhaltsvollstreckung: 335 EUR).

     

    Nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ergibt sich damit ein Nettolohn von monatlich 1.995,99 EUR; bei Unterhaltsvollstreckung: 2.330,99 EUR). Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung ergibt damit ein monatlich pfändbares Einkommen von 461,89 EUR, bei Unterhaltsvollstreckung: 699,89 EUR.

     

    3. Schuldner ist verheiratetet und Ehegatte arbeitet mit

    Oft ist der Schuldner verheiratet und sein Ehegatte bezieht Einkünfte. In diesen Fällen, die ggf. zu einem erfolgreichen (Gläubiger-)Antrag nach § 850c Abs. 6 ZPO führen, steht der Schuldner aufgrund der sich i. d. R. ändernden Steuerklasse schlechter da.

     

    • Beispiel 4: Schuldner verheiratet, Ehegatte verdient mit, Mindestlohn

    Wie Beispiel 1; Ehegatte E. verdient monatlich 1.000 EUR; S. hat die Steuerklasse 3. G. beantragt nach § 850c Abs. 6 ZPO, dass E. bei der Berechnung des unpfändbaren Betrags nicht mitberücksichtigt wird. Das Gericht gibt dem Antrag statt.

     

    Lösung

    • a) Vom 1.7. bis 30.9.22 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen von 1.672 EUR. Nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ergibt sich ein Nettolohn von monatlich 1.332,34 EUR. Nach der o. g. Tabelle (E. wird nicht mitberücksichtigt) ergibt sich kein pfändbares Einkommen.

     

    • b) Ab 1.10.22 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen von 1.920 EUR. Nach Abzug von Abgaben ergibt sich ein Nettolohn von monatlich 1.529,93 EUR. Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung Spalte 0 (E. wird nicht mitberücksichtigt) ergibt sich ein pfändbares Einkommen von monatlich 139,89 EUR.

     

    Im Vergleich zum Beispiel 1 Lösung b) ergibt sich ein höherer pfändbarer Betrag von monatlich 98 EUR.

     

    4. Verbesserung bei Lohnverschleierungstaktiken

    Oft gibt der Schuldner im Rahmen der Vermögensauskunft an, dass er im Betrieb seines Ehegatten oder seiner Eltern arbeitet und Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze bezieht oder dass er vom Lebensgefährten mitversorgt wird. Hier soll oft das wahre (höhere) Einkommen verschwiegen werden. Man spricht von Lohnverschleierung, weil der Schuldner dauerhaft ‒ auch als Teilzeitbeschäftigter (LAG Hamm NZA 88, 657) ‒ für einen Dritten arbeitet, wobei eine unverhältnismäßig geringe oder keine Vergütung gezahlt wird. Hier gilt zwischen Drittschuldner und Schuldner eine angemessene Vergütung als geschuldet, die gepfändet werden kann (§ 850h Abs. 2 ZPO; vgl. Goebel VE 00, 136).

     

    a) Wert der Arbeitsleistung

    Der Wert der erbrachten Arbeitsleistung bemisst sich regelmäßig an den tariflichen Mindestlöhnen oder an der üblichen Vergütung i. S. d. § 612 BGB (OLG Oldenburg JurBüro 95, 104; LAG Hamm JurBüro 97, 273; s. auch LAG Rheinland-Pfalz 22.5.19, 7 Sa 178/19, Seite 139 in dieser Ausgabe).

     

    MERKE | Liegt es nach den Gesamtumständen nicht völlig fern, dass im Verhältnis zwischen Schuldner und Arbeitgeber ein Teil des Einkommens verschleiert werden könnte, muss der Schuldner im Rahmen seiner Auskunftspflicht nach § 836 Abs. 3 ZPO auch Angaben darüber machen, welche Tätigkeiten er für seinen Arbeitgeber ausführt und wie viele Wochenstunden er für diesen tätig ist. Der Gläubiger kann verlangen, dass der Schuldner ihm die von seinem Arbeitgeber für die letzten drei Monate erteilten Gehaltsabrechnungen herausgibt (LG Köln DGVZ 02, 186).

     

    b) Problem: Nachweis der Lohnverschleierung

    Geschuldet wird eine angemessene Vergütung. Angemessen ist eine Vergütung, die der Drittschuldner einem fremden Arbeitnehmer für eine entsprechende Dienstleistung üblicherweise gewähren müsste. Praktisch ist danach zu fragen, ob der Drittschuldner durch die Beschäftigung des Schuldners eine Arbeitskraft einspart und was diese regelmäßig für die vom Schuldner geleistete Tätigkeit verdienen würde (Goebel, a. a. O.).

     

    Beachten Sie | Ob und in welcher Höhe dem Schuldner eine angemessene Vergütung nach § 850h Abs. 2 ZPO zusteht, muss ggf. das Prozessgericht im gegen den Drittschuldner gerichteten Einziehungserkenntnisverfahren entscheiden (BGH VE 13, 213).

     

    Zuständig ist das für die Leistungsklage des Schuldners auf Zahlung des Arbeitslohns zuständige Gericht, i. d. R. also das Arbeitsgericht (§ 2 ArbGG). Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen obliegt dem Kläger (BAG InVo 06, 199; MDR 96, 1155; OLGR Bremen 01, 144). Es gilt: Ein Sachvortrag zur Begründung des Klageanspruchs ist schlüssig, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen (BGH NJW 91, 2707). Dabei ist er nicht verpflichtet, den streitigen Lebenssachverhalt in allen Einzelheiten darzustellen. Es genügt, wenn er Umstände vorträgt, aus denen sich die gesetzlichen Voraussetzungen der begehrten Rechtsfolge ergeben (BGH NJW-RR 02, 1433). Bezogen auf die vom Gläubiger darzulegenden Tatbestandsmerkmale der regelmäßigen Arbeit für den Drittschuldner und der Unangemessenheit der Vergütung nach § 850h Abs. 2 ZPO folgt daraus: Der Kläger muss Art und zeitlichen Umfang der Arbeitsleistungen des Schuldners darlegen. Der Gläubiger muss ferner mit seinem Sachvortrag dem Gericht einen Vergleich zwischen der für die behauptete Arbeitsleistung angemessenen und der tatsächlich gezahlten Vergütung ermöglichen, um das Merkmal der Unangemessenheit des vom Drittschuldner geleisteten Entgelts zu überprüfen.

     

    Eine Beweisaufnahme zu einer erheblichen Tatsache kann nur abgelehnt werden, wenn ihre Erheblichkeit mangels näherer Bezeichnung der unter Beweis gestellten Tatsachen nicht zu beurteilen ist oder wenn sie nur in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, tatsächlich aber erkennbar aus der Luft gegriffen, also ohne jeden Anhaltspunkt ins Blaue hinein aufgestellt ist und sich dieser Vortrag deshalb als Rechtsmissbrauch darstellt.

     

    Beachten Sie | Hinsichtlich einer solchen Annahme ist Zurückhaltung geboten (BGH NJW 92, 1967). Darlegungs- und Beweiserleichterungen sind nur anzunehmen, wenn hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Angaben des Drittschuldners ungenügend oder fehlerhaft sind. Legt der Schuldner z. B. einen schriftlichen Dienstvertrag vor, der eine bestimmte Arbeitszeit ausweist, die wesentlich unterhalb der regelmäßigen Wochenarbeitszeit (40 Stunden) liegt, genügt der Gläubiger seiner Darlegungslast, wenn er Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass der Schuldner die von ihm erbrachte Leistung nach der Lebenserfahrung nicht in der vereinbarten Arbeitszeit (z. B. acht Wochenstunden) erbringen kann (OLGR Bremen 01, 144).

     

    PRAXISTIPP | Bei einem Mindestlohn von 12 EUR zum 1.10.22 haben es Gläubiger im Drittschuldnerprozess wesentlich einfacher, eine angemessene Vergütung durch das Gericht festlegen zu lassen. Denn dann ist dieser Stundenlohn anzusetzen. Hierdurch bestehen deutlich bessere Chancen zur Befriedigung der vollstreckbaren Forderung. Dabei sind aber die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (§ 850h Abs. 2 S.  2 ZPO), sodass durchaus bei bestimmten branchenspezifischen Berufen auch ein über dem Mindestlohn geschuldeter Betrag anzusetzen ist.

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2022 | Seite 139 | ID 48422465