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  • · Fachbeitrag · Kindesunterhalt

    Die Darlegungslast bei der gesteigerten Unterhaltspflicht

    von VRiOLG Dieter Büte, Bad Bodenteich/Celle

    | Bei der gesteigerten Unterhaltspflicht muss der Unterhaltsschuldner hinsichtlich der Darlegungslast wichtige Punkte berücksichtigen. Diese stellen wir im Folgenden vor: |

    1. Leistungsunfähigkeit muss der Schuldner darlegen

    Der Unterhaltsschuldner muss substanziiert darlegen und beweisen, dass er den von seinem Kind verlangten Mindestunterhalt auch unter dem von ihm zu verlangenden Einsatz seiner Arbeitskraft nicht aufbringen kann (BGH FamRZ 14, 637). Dazu gehört auch, dass eine reale Beschäftigungschance fehlt (BGH FamRZ 12, 517; 14, 637 = FK 14, 200 in diesem Heft). Hierfür genügt der Hinweis auf Arbeitslosigkeit oder den Bezug von Arbeitslosengeld II nicht. Auch der Hinweis auf eine Erwerbsminderungsrente alleine genügt nicht, um die vollständige Erwerbsunfähigkeit nachzuweisen. Denn rentenrechtlich liegt bereits eine volle Erwerbsminderung vor, wenn der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts auf nicht absehbare Zeit nur noch weniger als drei Stunden täglich bei einer 5-Tage-Woche erwerbstätig sein kann. Unterhaltsrechtlich ist aber eine geringe Erwerbstätigkeit noch nicht gänzlich ausgeschlossen. Dazu muss ergänzend vorgetragen werden. Der Unterhaltspflichtige muss substanziierte Ausführungen zu seinem Einkommen, seinem Vermögen und ggf. sonstigen für seine Leistungsfähigkeit maßgeblichen Umständen machen (Götsche, FamRB 12, 266, 267). Geschieht das nicht, ist die Behauptung mangelnder Leistungsfähigkeit unsubstanziiert (OLG Brandenburg FamRZ 11, 733; Viefhues, FF 12, 481, 484). Dass ein Unterhaltspflichtiger aus dem Ausland stammt und über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, rechtfertigt noch nicht die Schlussfolgerung, dass für ihn keine reale Beschäftigungschance für eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle besteht (BGH FK 14, 200).

     

    PRAXISHINWEIS | Erst wenn die Leistungsunfähigkeit feststeht, ist eine fiktive Leistungsfähigkeit zu prüfen. Es ist zu nachhaltigen Bemühungen um den Erhalt eines Arbeitsplatzes und substanziiert zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit vorzutragen. Pauschaler Vortrag, nicht vermittelbar zu sein, genügt nicht. Vielmehr ist der berufliche Werdegang substanziiert unter Beweisantritt darzulegen. Werden gesundheitliche Gründe als Einschränkung genannt, sind deren Auswirkungen auf eine mögliche Berufsausübung darzulegen. Es besteht eine Obliegenheit, die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen (BGH FamRZ 81, 1042). Deshalb muss, sofern nicht eine Genesung vollständig ausgeschlossen ist, genau dargelegt werden, was insoweit unternommen worden ist und warum keine Besserung eingetreten ist. Wer leichtfertig oder fahrlässig die Möglichkeit einer ärztlichen Behandlung nicht nutzt, muss sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als wäre die Behandlung erfolgreich. Er muss sich als unterhaltsrechtlich leistungsfähig behandeln lassen (KG FamRZ 01, 1617).

     

     

    2. Vortrag durch Gutachten untermauern

    Substanziierter Vortrag sollte durch Arztberichte oder Privatgutachten untermauert werden. Bei substanziierter Erwiderung/Bestreiten kann der Nachweis durch ein ärztliches Sachverständigengutachten geführt werden (BGH FamRZ 03, 1471, 1473).

     

    PRAXISHINWEIS | Es sollte ein Arbeitsmediziner beauftragt werden, der neben den gesundheitlichen Beeinträchtigungen auch die Anforderungen im Erwerbsleben berücksichtigen kann. Der Sachverständige muss klären, ob qualitative oder quantitative Leistungsminderungen vorliegen. Zu den qualitativen Einschränkungen zählen die Unfähigkeit

    • zum Arbeiten unter Zeitdruck,
    • zu Wechsel- oder Nachtschicht,
    • schwer zu heben oder schwer zu tragen,
    • in offenen oder geschlossenen Räumen zu arbeiten,
    • im Sitzen, Gehen oder Stehen zu arbeiten sowie
    • die Unverträglichkeit von bestimmten Reizstoffen, Hitze oder Kälte.
     

    Quantitative Einschränkungen beschreiben ein herabgesetztes Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht wie die Unfähigkeit zur Ganztagsarbeit. Ursachen dafür können sein körperliche Beeinträchtigungen und/oder psychische Erkrankungen, die das Durchhaltevermögen, die Leistungsmotivation, die Ausdauer, die nervliche Belastung, die Anpassungsfähigkeit oder die geistige Beweglichkeit beeinträchtigen (Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl., § 1 Rn. 788).

    3. Anforderungen bei Qualifizierungsmaßnahmen

    Sofern ein Unterhaltspflichtiger an Arbeitsförderungsmaßnahmen oder anderen Qualifizierungsmaßnahmen teilnimmt, sind die Bescheide pp. vorzulegen. Die Bewilligung z.B. einer Umschulung ist zunächst nur ein Indiz dafür, dass der Unterhaltspflichtige durch die Arbeitsagentur nicht zu vermitteln war (OLG Brandenburg NJW-RR 08, 160) bzw. dass die Umschulung arbeitsmarktpolitisch und individuell sinnvoll ist und bessere Beschäftigungsmöglichkeiten als die bisherige Ausbildung bieten wird (OLG Stuttgart FamRZ 05, 646). Es muss aber auch in diesen Fällen anhand konkreter Darlegungen zu den Erwerbsbemühungen und den realen Erwerbschancen festgestellt werden können, dass mit der bisherigen beruflichen Qualifikation kein auskömmlicher Verdienst zu erzielen ist (OLG Brandenburg FuR 04, 38). Ist die Teilnahme an einer Umschulungsmaßnahme danach hinzunehmen, scheidet die Zurechnung eines fiktiven Einkommens für die Dauer der Maßnahme aus.

     

    PRAXISHINWEIS | Entspricht die Umschulung zeitlich einer Vollzeitbeschäftigung, kommt ggf. unter Berücksichtigung des ArbeitszeitG eine Nebentätigkeit in Betracht. Das Entgelt aus einer solchen Beschäftigung wird zwar auf das Unterhaltsgeld angerechnet (§§ 159, 141 SGB III). Es bleibt aber ein Freibetrag von 20 Prozent des Unterhaltsgeldes, mindestens 165 EUR, der für Unterhaltszwecke eingesetzt werden kann (OLG Dresden FamRZ 03, 1206).

     

     

    Sodann ist zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige die in Betracht kommende Tätigkeit überhaupt ausüben kann. Dazu ist zur Erwerbsbiografie vorzutragen. Wer seinen erlernten Beruf nie oder seit einigen Jahren nicht mehr ausgeübt hat, wird ohne vorbereitende und qualifizierende Maßnahmen - zu denen er allerdings verpflichtet ist - nur schwer eine Anstellung finden. Auch dazu ist vorzutragen. Nach längerer Arbeitslosigkeit ist ein Wechsel in andere Tätigkeitsbereiche zulässig und geboten. Ein dabei erzieltes niedrigeres Einkommen ist dann vom Unterhaltsberechtigten hinzunehmen (Viefhues, juris-PK-BGB, § 1603 Rn. 596). Ein höheres fiktives Einkommen nach längerer Arbeitslosigkeit kann nur zugerechnet werden, wenn eindeutige Hinweise darauf bestehen, dass er ein konkret besseres Angebot ausgeschlossen hat (Soyka, FuR 12, 537).

     

    PRAXISHINWEIS | Es ist Sache des Unterhaltspflichtigen, nachvollziehbar und belegbar Vortrag zur Höhe des erzielbaren Mindestlohns in einer für ihn in Betracht kommenden Branche zu halten. Gerade ungelernten Unterhaltsschuldnern mit Vermittlungshindernissen (Sprachschwierigkeiten, lange Arbeitslosigkeit) eröffnet sich ein realistischer Zugang zum ersten Arbeitsmarkt meist nur über die Zeitarbeitsbranche. Das dabei erzielbare Einkommen ergibt sich aus dem Tarifvertrag.

     

    Ist der in einem seiner Vorbildung entsprechende Beruf vollschichtig tätige Unterhaltsschuldner in der Lage, den Mindestunterhalt aufzubringen, ist eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit oder die Aufnahme von Zusatzarbeiten (Überstunden, Nebentätigkeit) im Regelfall nicht zu verlangen (OLG Koblenz FamRZ 06, 1296).

     

    Der Kindesunterhalt genießt auch keinen absoluten Vorrang vor anderen Belangen. Einem Unterhaltsschuldner ist insbesondere der Abschluss einer berufsqualifizierenden Erstausbildung nicht verwehrt. Sie ist auch bei gesteigerter Unterhaltspflicht vorrangig, soweit ihre Durchführung auf sachlichen Motiven beruht (BGH FamRZ 11, 1041). Allerdings ist ein Unterhaltsschuldner seinen minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, ggf. unter Zurückstellung seines Rechts auf freie Berufswahl und freie Entfaltung seiner Persönlichkeit alle zumutbaren Einkünfte zu erzielen und zu diesem Zweck seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einzusetzen. Er muss sich also nötigenfalls auch auf solche Tätigkeiten verweisen lassen, die nicht seiner bisherigen sozialen Stellung entsprechen, und zu Gelegenheitsarbeiten und auch zur Arbeitsleistung am Wochenende oder an Tagesrandzeiten bereit sein. Grundsätzlich kann auch ein Umzug oder ein Berufswechsel erwartet werden.

     

    Weiterführender Hinweis

    • FK 14, 196, zur gesteigerten Unterhaltspflicht in der Praxis
    • BGH FamRZ 14, 637, zur Beschäftigungschance eines ausländischen Elternteils ohne Berufsausbildung (in diesem Heft)
    Quelle: Ausgabe 12 / 2014 | Seite 212 | ID 42769864