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  • · Fachbeitrag · Krankenversicherung

    Keine Anfechtungsmöglichkeit des VR ohne Arglistnachweis trotz Falschangaben des VN

    von RA Marc O. Melzer, FA VersR, Sozial- und Medizinrecht, Bad Lippspringe

    Kann der VR eine arglistige Täuschung des VN bei der Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen nicht nachweisen, kann er den Vertrag nicht anfechten (LG Dortmund 8.11.13, 2 O 452/12, n.rkr., Abruf-Nr. 133674).

     

    Sachverhalt

    Der VN beantragte eine private Krankenversicherung nach dem Tarif „E“. Bei den Gesundheitsfragen beantwortete er die Frage „Fanden in den letzten drei Jahren Untersuchungen oder Behandlungen statt? Wenn ja, welche, wann, wegen welcher Beschwerden, was wurde festgestellt (auch Pflegebedürftigkeit und Schwangerschaft), wer kann Auskunft geben?“ mit „Vorsorgeuntersuchung Juni 2010 ohne Befund alles i.O.“. Ferner bejahte er die Frage nach dem Tragen einer Brille. Im Übrigen verneinte er die Gesundheitsfragen. Kurz darauf erklärte der VN, dass er statt des Tarifs „E“ den Tarif „C“ abschließen wolle. Die Gesundheitsfragen im neuen Antrag beantwortete er genauso wie im ersten Antrag.

     

    Als der VN Kostenerstattung verlangte, erhielt der VR die Auskunft des behandelnden Arztes, dass sich der VN wiederholt wegen erektiler Dysfunktion in Behandlung befunden habe. Bei einer Untersuchung seien auch leicht erhöhte Cholesterinwerte festgestellt worden. Zudem sei der VN wegen Prostatahyperplasie behandelt worden und habe deswegen 2008 für drei Monate ein Medikament genommen. Der VN legte ein Attest vor, wonach sich keine organische Ursache der erektilen Dysfunktion gezeigt habe und ihm Viagra wegen der psychischen Komponente verordnet worden sei. Der VR erklärte daraufhin den Rücktritt. Der VN erhob Feststellungsklage auf Vertragsfortbestand mit der Begründung, dass keine ordnungsgemäße Belehrung gemäß § 19 VVG vorliege, wegen fehlender optischer Hervorhebung und wegen inhaltlicher Unrichtigkeit. Zudem bestritt er die Gefahrerheblichkeit der erektilen Dysfunktion. Im Laufe des Rechtsstreits erklärte der VR die Anfechtung der Annahmeerklärung wegen arglistiger Täuschung.

     

    Entscheidungsgründe

    Der VN hat vorliegend die Antragsfragen zwar nicht richtig beantwortet, denn er hat die betreffenden Untersuchungen und Behandlungen verschwiegen. Der VR hat jedoch einen Täuschungsvorsatz nicht bewiesen. Der VN hat bei seiner persönlichen Anhörung gemäß § 141 ZPO überzeugend erklärt, dass ihm bereits im Rahmen der Nachuntersuchung 2008 vom Arzt gesagt worden sei, dass die Prostata nunmehr bedenkenlos und eine Therapie nicht erforderlich sei. Als ihm auch bei der Untersuchung 2009 mitgeteilt wurde, dass mit der Prostata alles in Ordnung sei, sei die Krankheit für ihn abgeschlossen gewesen. Er habe dann bei den Antragsfragen nicht mehr an die Behandlung bzw. Untersuchung der Prostata gedacht, da er im Kopf gehabt habe, gesund zu sein. Der VR hat damit jedenfalls nicht bewiesen, dass die objektiv unrichtige Beantwortung der Gesundheitsfrage in dem Bewusstsein erfolgt ist, auf den Willen des VR einzuwirken. Denn wenn der VN angenommen hat, dass nunmehr alles in Ordnung ist, kann das Gericht nicht davon ausgehen, dass er erkannt und gebilligt hat, der VR würde bei Kenntnis den Versicherungsvertrag gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen.

     

    Gleiches gilt für die Nichtangabe der Einnahme von Viagra. Der VN hat überzeugend dargelegt, dass er die Einnahme von Viagra nicht als erwähnenswert empfand, da es sich aus seiner Sicht nicht um eine „Behandlung“ oder „Untersuchung“ im Sinne der Gesundheitsfragen handelte. Er hat ferner ausgeführt, aufgrund des Todes seiner Frau die Lust verloren zu haben und Viagra als Mittel zur Luststeigerung verwandt zu haben. Aus seiner Sicht war die Einnahme nicht von der Gesundheitsfrage erfasst, sodass eine bewusste Falschbeantwortung bereits nicht angenommen werden kann. Schließlich ist auch eine arglistige Täuschung im Hinblick auf den erhöhten Cholesterinwert nicht bewiesen. Der VN hat dargelegt, dass er diesen als nicht erwähnenswert empfand. Es sei nur eine einmalige leichte Erhöhung gewesen, welche nach Auffassung des VN auch durch eine zuvor erfolgte Nahrungsaufnahme hervorgerufen sein kann.

     

    Auch der Rücktritt des VR hat keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die Belehrung formell ordnungsgemäß ist, denn sie ist jedenfalls materiell unrichtig. Wie die Kammer bereits in den Entscheidungen vom 17.12.09 und vom 10.3.11 (s.u.) ausgeführt hat, erfordert § 19 Abs. 5 S. 1 VVG eine nicht nur zutreffende, sondern auch unter Berücksichtigung der Warnfunktion des Hinweises möglichst umfassende, unmissverständliche und aus dem Verständnis des VN eindeutige Belehrung. Der Hinweis muss, um seiner Warnfunktion gerecht werden zu können, den VN sämtliche ihn möglicherweise treffende Folgen enthalten, die diesem bei Ausübung der Rechte durch den VR drohen.

     

    Diesen Anforderungen genügt die Belehrung nicht. Sie enthält zum Rücktritt den ausdrücklichen Hinweis, dass in diesem Fall kein Versicherungsschutz besteht. Für den Fall der Vertragsanpassung findet sich ein solcher ausdrücklicher und unmissverständlicher Hinweis jedoch nicht. Die Belehrung über die Rechtsfolgen der Vertragsanpassung beschränkt sich auf den Hinweis, dass bei einer fahrlässigen Verletzung der Anzeigepflicht die anderen Bedingungen rückwirkend Vertragsbestandteil werden. Für den VN ist dadurch jedoch nicht deutlich, dass es auch bei einer Vertragsanpassung zu einem rückwirkenden Verlust des Versicherungsschutzes kommen kann, wenn die Vertragsanpassung als rückwirkende Einfügung eines Risikoausschlusses erfolgt. Insbesondere der Umstand, dass bei der Belehrung über die Rechtsfolgen des Rücktritts der ausdrückliche Hinweis auf den Verlust des Versicherungsschutzes erfolgt, vermittelt dem VN den Eindruck, es könne bei einer Vertragsanpassung nicht zu einem rückwirkenden Verlust des Versicherungsschutzes kommen. Der VN wird hinter der Vertragsänderung eher eine Prämienerhöhung vermuten, als die Einfügung eines Risikoausschlusses mit Rückwirkung, welcher zu einem Verlust des Versicherungsschutzes für einen schon eingetretenen Versicherungsfall führen kann (Tschersich, r+s 12, 53).

     

    Praxishinweis

    Der VR hat im Laufe des Verfahrens (wohl) erkannt, dass die - gerade vom LG Dortmund geprägte Rechtsprechung hinsichtlich der formellen und materiellen - Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Belehrung i.S. von § 19 VVG nicht vorgelegen haben. Die Belehrung glich in formeller Hinsicht einer „Bleiwüste“ ohne jegliche Warnfunktion. Auch inhaltlich war die Belehrung zu Recht zu beanstanden. Denn der VR muss (auch) darüber belehren, dass es im Falle der Vertragsanpassung zu einem rückwirkenden Verlust des Versicherungsschutzes kommen kann. Das hatte er vorliegend aber nicht getan.

     

    Der VR hat daraufhin (gut beraten) im Prozess die Anfechtung erklärt. Denn dann kommt es auf die (ordnungsgemäße) Belehrung nicht an, da der arglistig Täuschende schlichtweg nicht schutzwürdig ist. Vorsicht: Sofern die Klage vor Ablauf der Anfechtungsfrist erhoben wurde und der Anwalt den VN nicht auf die noch mögliche Anfechtung (und deren Folge, nämlich Prozessverlust trotz unrichtiger Belehrung) hingewiesen hat, droht dem Anwalt ggf. später eine Inanspruchnahme durch den (nur deswegen unterlegenen) VN. Auch wenn nach hier vertretener Ansicht bei krankenversicherungsrechtlichen Streitigkeiten schon keine Pflichtverletzung vorliegt, sollte sicherheitshalber eine entsprechende Aufklärung vorgenommen und dokumentiert werden.

     

    Vorliegend wurde das Risiko nach einem entsprechenden Hinweis bewusst in Kauf genommen, obwohl objektiv tatsächlich eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht vorlag. Das Ergebnis ist nur auf den ersten Blick überraschend. Denn in diesen Fällen ist der VN stets persönlich zu hören. Und der (glaubwürdige) VN hat in der mündlichen Verhandlung - wie schon in den Vorgesprächen - glaubhaft gemacht, wie und warum es zu der Nichtanzeige gekommen ist.

     

    Arbeitshilfe / Arglistige Täuschung beim Vertragsschluss

    Die arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem VR zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der VN muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des VR einwirkt. Falsche Angaben in einem Versicherungsantrag allein rechtfertigen den Schluss auf eine arglistige Täuschung nicht. Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des VR einzuwirken, gibt es nicht. In subjektiver Hinsicht setzt die Annahme von Arglist vielmehr zusätzlich voraus, dass der VN erkennt und billigt, dass der VR seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde. Weiterhin muss die arglistige Täuschung für die Willenserklärung des VR kausal geworden sein. Für die Anfechtung eines Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung genügt nicht bereits eine vorsätzlich unrichtige Angabe. Vielmehr muss eine Täuschung in Bezug auf die Abgabe einer Willenserklärung verübt worden sein und die Arglist gerade darin bestehen, dass der täuschende VN die Bestimmung der Willensentscheidung des VR beabsichtigt, d.h. mit der Möglichkeit rechnet, dass der VR bei richtiger Antwort den Vertrag nicht oder nicht so abgeschlossen hätte.

     

    Weiterführende Hinweise

    Quelle: Ausgabe 12 / 2013 | Seite 207 | ID 42426800