16.06.2015 · IWW-Abrufnummer 177469
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 18.03.2015 – 4 Sa 529/14
Tenor:
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24.7.2014 - 9 Ca 636/14 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert:
1) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.759,92 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.681,88 € seit dem 18.2.2014 und aus 1.078,04 € seit dem 12.5.2014 zu zahlen.
2) Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat 45 % und der Beklagte 55 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung restlicher Arbeitsvergütung für die Monate Januar und Februar 2014.
Der Kläger war bei dem Beklagten vom 01.03.2013 bis zum 28.02.2014 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18.02.2013, hinsichtlich dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 52-54 d. A. Bezug genommen wird, als Fahrlehrer bei Vereinbarung einer monatlichen Arbeitszeit von 243 Stunden à 45 Minuten und einem monatlichen Bruttogehalt von 2.916,00 € beschäftigt.
Für den Monat Januar 2014 erteilte der Beklagte dem Kläger unter Abzug von 24,33 "Minus-Schulstunden", eine Abrechnung über 2.624,04 € brutto bzw. 1.681,88 € netto, für den Monat Februar 2014 unter Abzug von 43 "Minus-Schulstunden" eine Abrechnung über 2.400,00 € brutto bzw. 1.915,80 € netto. Von dem sich aus diesen Abrechnungen, hinsichtlich deren Inhalt im Einzelnen auf Bl. 36 f. d. A. Bezug genommen wird, ergebenden Gesamt-Nettoverdienst von 3.597,68 € nahm der Beklagte wegen von ihm behaupteter Minusstunden des Klägers aus dem Zeitraum März bis Dezember 2012 (weitere) Abzüge in Höhe von insgesamt 2.759,92 € vor und zahlte lediglich den verbleibenden Nettobetrag von 837,76 € aus.
Mit seiner am 12.02.2014 beim Arbeitsgericht eingereichten und mit Schriftsatz vom 30.04.2014 erweiterten Klage hat der Kläger den Beklagten auf Zahlung von Arbeitsvergütung in Höhe von jeweils 2.916,00 € brutto für die Monate Januar und Februar 2014 abzüglich gezahlter 837,76 € netto in Anspruch genommen.
Der Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, dass hinsichtlich der Sollarbeitszeit des Klägers von 243 Schulstunden die Führung eines Arbeitszeitkontos vereinbart worden sei. Mit dem Kläger seien regelmäßig Gespräche geführt worden, in welchen er auf seine Minusstunden angesprochen und aufgefordert worden sei, mehr zu arbeiten. Am 28.01.2014 habe dann ein abschließendes Gespräch mit dem Kläger stattgefunden, in dessen Rahmen die im Jahr 2013 angefallenen Fehlstunden nochmals abgeglichen worden seien. Die dabei festgestellten 288,12 Minusstunden seien sodann nachberechnet und vom Nettogehalt des Klägers für die Monate Januar und Februar 2014 in Abzug gebracht worden. Der Kläger habe sich bei dem Gespräch am 28.01.2014 ausdrücklich mit dieser Verrechnung einverstanden erklärt.
Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes, des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens und der erstinstanzlich gestellten Sachanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24.07.2014 (Bl. 100-102 d. A.).
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin F.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24.07.2014 (Bl. 70 ff. d. A.) verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.07.2014 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5-9 dieses Urteils (= Bl. 103-107 d. A.) verwiesen.
Gegen das ihm am 26.08.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.09.2014 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom 22.10.2014 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 25.11.2014 begründet.
Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei zwischen ihm und dem Beklagten nicht die Führung eines Arbeitszeitkontos vereinbart worden. Eine diesbezügliche Regelung sei im Arbeitsvertrag (unstreitig) nicht enthalten. Er - der Kläger - habe alle Fahrschüler, die ihm zugewiesen worden seien, geschult. Weitere Fahrschüler seien ihm nicht zugewiesen worden. Die vom Beklagten vorgelegte Aufstellung über (angebliche) Minusstunden (Bl. 27 f. d. A.) sei in keiner Weise nachvollziehbar. Diesbezüglich sei etwa unklar geblieben, ob bei diesen Aufstellungen auch seine Fahrzeiten zu Fahrschülern oder zu Prüfungen sowie das Betanken und Reinigen von Fahrzeugen berücksichtigt worden seien. Die Aussage der vom Arbeitsgericht vernommenen Zeugin F. sei unglaubwürdig. Er habe zu keinem Zeitpunkt mit dem Beklagten darüber gesprochen, dass ein Minussaldo in Höhe von 288,12 Stunden mit seiner noch abzurechnenden Arbeitsvergütung verrechnet werden könne.
Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 25.11.2014 (Bl. 133-137 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
Der Beklagte beantragt,
Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 09.12.2014 (Bl. 154 f. d. A.), auf die Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
I. Die an sich statthafte Berufung ist zum Teil unzulässig.
Zwar hat der Kläger sein Rechtsmittel sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und auch fristgerecht begründet. Soweit der Kläger jedoch seine Klage im Berufungsverfahren auch insoweit weiterverfolgt, als sie den vom Beklagten von der abgerechneten Netto-Arbeitsvergütung für die Monate Januar und Februar 2014 vorgenommenen (weiteren) Abzug in Höhe von insgesamt 2.759,92 € übersteigt, so fehlt es an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung.
Eine Berufungsbegründung genügt den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-4 ZPO nur dann, wenn sie erkennen lässt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht (BAG v. 25.04.2007 - 6 AZR 436/05 - AP Nr. 15 zu § 580 ZPO, m. w. N.). Hat das Arbeitsgericht im Urteil über mehrere Ansprüche oder über einen teilbaren Streitgegenstand entschieden, dann muss sich die Berufungsbegründung mit jedem Teil der Entscheidung auseinandersetzen, der in das Berufungsverfahren gelangen soll (Schwab/Weth, ArbGG, 3. Auflage, § 64 Rz. 162 m. N. a. d. R.).
Bezüglich der in den Gehaltsabrechnungen für die Monate Januar und Februar 2014 vom Beklagten für diese beiden Monate in Abzug gebrachten 24,33 und 43 Minusstunden hat das Arbeitsgericht die Klage unter I. der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe nicht dargelegt und bewiesen, dass er in diesen beiden Monaten die volle Arbeitsleistung von 243 Schulstunden à 45 Minuten erbracht habe. Mit diesen Ausführungen hat sich der Berufungskläger in seiner Berufungsbegründungsschrift nicht ansatzweise auseinandergesetzt. Entsprechendes gilt auch insoweit, als das Arbeitsgericht die Klage insoweit abgewiesen hat, als in dem auf Zahlung von Bruttogehalt gerichteten Klageantrag Steuern- und Sozialversicherungsbeiträge enthalten sind und dies damit begründet hat, es sei davon auszugehen, dass der Beklagte die entsprechenden, in den Abrechnungen aufgeführten Beträge abgeführt habe. Auch diesbezüglich enthält die Berufungsbegründung des Klägers keinerlei Ausführungen.
Die Berufung war daher insoweit als unzulässig zu verwerfen, ohne dass dies im Tenor des Berufungsurteils gesondert zum Ausdruck gebracht werden musste.
II. Im Übrigen erweist sich die Berufung als insgesamt zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Kläger hat gegen den Beklagten gemäß § 611 Abs. 1 BGB Anspruch auf Auszahlung des von seiner Nettovergütung für die Monate Januar und Februar 2014 einbehaltenen Betrages von insgesamt 2.759,92 € netto. Der Beklagte war zu dem von ihm vorgenommenen Lohneinbehalt im Wege einer Verrechnung von 288,12 Minusstunden nicht berechtigt.
1.
Nach § 3 des Arbeitsvertrages der Parteien beträgt die monatliche Arbeitszeit des Klägers 243 Stunden à 45 Minuten. Für den Fall der Überschreitung dieser Arbeitszeit sieht § 4 des Arbeitsvertrages einen Anspruch des Klägers auf Zahlung von Überstundenvergütung vor. Regelungen über die Führung eines Arbeitszeitkontos sind im Arbeitsvertrag nicht enthalten. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien hat der Kläger daher Anspruch auf Beschäftigung in dem gemäß § 3 vereinbarten Umfang der Arbeitszeit gegen Zahlung der hierfür vereinbarten Monatsvergütung.
Die Verantwortung für die Arbeitszuweisung und -einteilung liegt in der Regel beim Arbeitgeber, sodass dieser nach § 296 Satz 1 BGB in Annahmeverzug gerät, wenn er den Arbeitnehmer nicht im Umfang der vereinbarten Arbeitszeit einsetzt, ohne dass es eines Angebots der Arbeitsleistung bedarf (BAG v. 26.01.2011 - 5 AZR 819/09 - NZA 2011, 640). Kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Arbeitnehmer nach § 615 Satz 1 BGB für die infolge des Annahmeverzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien war der Kläger nicht zur Nachleistung von Minusstunden verpflichtet.
2. Der Beklagte war auch nicht im Hinblick auf die Führung eines Arbeitszeitkontos zur Verrechnung von Minusstunden berechtigt.
a) Die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos, insbesondere die Möglichkeit eines negativen Kontostandes, bedarf einer entsprechenden Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien. Ein Arbeitszeitkonto gibt den Umfang der vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeit wieder und kann, abhängig von der näheren Ausgestaltung, in anderer Form den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ausdrücken. Die Belastung eines Arbeitszeitkontos mit Minusstunden setzt folglich voraus, dass der Arbeitgeber diese Stunden im Rahmen einer verstetigten Vergütung entlohnt hat und der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist, weil er die in Minusstunden ausgedrückte Arbeitszeit vorschussweise vergütet erhalten hat (BAG v. 26.01.2011 - 5 AZR 819/09 - NZA 2011, 640). Eine Zahlung durch den Arbeitgeber ist dann ein Vorschuss, wenn sich beide Seiten bei der Auszahlung darüber einig waren, dass es sich um eine Vorwegleistung handelt, die bei Fälligkeit der Forderung verrechnet wird (BAG v. 13.12.2000 - 5 AZR 334/99 - NZA 2002, 390).
b) Im Streitfall hat der Beklagte zwar behauptet, er habe mit dem Kläger mündlich die Führung eines Arbeitszeitkontos vereinbart, in welchem Minus- und Plusstunden hätten ausgeglichen werden sollen. Hinsichtlich des Zustandekommens einer solchen Vereinbarung ist der Beklagte indessen beweisfällig geblieben. Zwar hat das Arbeitsgericht die Aussage der Zeugin F. wohl zutreffend dahingehend gewürdigt, dass im Betrieb des Beklagten die von den Mitarbeitern geleisteten Arbeitsstunden erfasst wurden und dass dieserhalben auch verschiedene Gespräche mit dem Kläger geführt wurden, die zum Gegenstand hatten, dass der Kläger weniger als die vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden erbracht hat. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass zwischen den Parteien die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos, einhergehend mit der Verpflichtung des Klägers zur Nachleistung angefallener Minusstunden, vereinbart wurde. Der Umstand, dass unter Zugrundlegung der Aussage der Zeugin F. die Arbeitsstunden der Mitarbeiter des Beklagten erfasst wurden und dass der Kläger sowohl von dieser Zeugin als auch von einer weiteren Mitarbeiterin des Beklagten im Rahmen von Gesprächen auf Minusstunden und die Verpflichtung zur Nachleistung hingewiesen wurde, ist insoweit unerheblich. Der von der Zeugin wiedergegebene Inhalt der betreffenden Gespräche ersetzt nicht die erforderliche (vorherige) Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos zwischen den Arbeitsvertragsparteien, d. h. zwischen dem Kläger und dem Beklagten selbst, und besagt keineswegs, dass auch der Kläger bei Anfall von Minusstunden der Entstehung eines negativen Stands auf seinem Arbeitszeitkonto zugestimmt hat.
Die Behauptung des Beklagten, der Kläger habe sich im Rahmen des Personalgesprächs vom 28.01.2014 ausdrücklich mit der Verrechnung seiner Gehaltsansprüche mit Minusstunden einverstanden erklärt, konnte durch die Beweisaufnahme - wovon auch das Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung ausgegangen ist - nicht bestätigt werden. Die Zeugin F. konnte hierzu lediglich bekunden, der Beklagte habe ihr von einer diesbezüglichen Einverständniserklärung des Klägers berichtet.
c) Hinzu kommt noch, dass in § 15 des Arbeitsvertrages vereinbart ist, dass Änderungen und Ergänzungen des Vertrages der Schriftform bedürfen. Zwar können die Parteien den Formzwang jederzeit aufheben. Eine stillschweigende Aufhebung ist anzunehmen, wenn die Parteien die Maßgeblichkeit der mündlichen Vereinbarung übereinstimmend gewollt haben. Dies gilt auch dann, wenn sie an den Formzwang nicht gedacht haben. Erforderlich ist aber eine beiderseits als verbindlich gewollte Vereinbarung. Im Streitfall lässt sich eine solche Vereinbarung zur Unterschreitung der vereinbarten Wochenarbeitszeit durch eine einvernehmliche Zulassung eines negativen Arbeitszeitkontos nicht feststellen. Bei einer für den Arbeitnehmer nachteiligen Regelung muss der Arbeitgeber erwarten, dass sein Arbeitnehmer sich darauf verlässt, dass er nachteilige Vertragsänderungen nur hinnehmen muss, wenn diese schriftlich zustande kommen (BAG v. 24.11.2004 - 10 AZR 202/04 - NZA 2005, 349; LAG Rhl.-Pfalz v. 29.10.2009 - 10 Sa 467/09 - zitiert nach [...]). Der Beklagte hätte vor der von ihm behaupteten Einführung eines Arbeitszeitkontos, welches in Abweichung von dem Arbeitsvertrag auch einen negativen Kontostand zulässt, eine entsprechende Vereinbarung schließen müssen, in der konkret festgelegt ist, unter welchen Voraussetzungen in welchem Umfang eine Zeitschuld entstehen kann, die nach welcher möglichen Arbeitszeitverteilung innerhalb welchen Ausgleichszeitraums auf welche Weise ausgeglichen wird. Daran fehlt es. Mangels Vereinbarung der Parteien über ein Arbeitszeitkonto und dessen Modalitäten, insbesondere der Möglichkeit einer Entstehung von negativen Zeitguthaben, kann offen bleiben, ob und ggfls. unter welchen Voraussetzungen vorformulierte Vertragsbestimmungen, die den Arbeitnehmer zum finanziellen Ausgleich eines negativen Arbeitszeitguthabens bei seinem Ausscheiden verpflichten, zulässig sind, insbesondere einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB Stand halten.
3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
III. Nach alledem war zu entscheiden wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.