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  • 27.04.2012

    Landesarbeitsgericht: Beschluss vom 06.03.2012 – 14 Ta 48/12

    1. Die gemäß § 3 Abs. 6 Nr. 2 a DVO zu § 82 SGB XII pro Monat und Entfernungskilometer für die einfache Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte vorgesehenen 5,20 Euro sind als Fahrtkosten vom Einkommen gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a ZPO i. V. m. § 82 Abs. 2 SGB XII abzusetzen. Es bleibt weiterhin offen, ob die in § 3 Abs. 6 Nr. 2 DVO zu § 82 SGB XII vorgesehene Höchstgrenze von 40 Kilometer im Rahmen der Prozesskostenhilfe Anwendung findet.

    2. Neben diesen Fahrtkosten sind die für die Anschaffung eines Pkws zu zahlenden Kreditraten als besondere Belastung gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO zu berücksichtigen.

    3. Generelle Voraussetzung einer Berücksichtigung von Kreditraten aus einem Kfz-Kauf als besondere Belastung ist, dass die Anschaffung des Fahrzeugs im Hinblick auf Anlass und Höhe sowie dem Verhältnis zum laufenden Einkommen angemessen ist.

    4. Für die Absetzbarkeit von Kreditraten aus der angemessenen Anschaffung eines Pkws vor dem Zeitpunkt, in dem die Prozessführung absehbar war, ist die berufliche Nutzung des Fahrzeugs keine Voraussetzung.

    5. Wird der Pkw erst nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe gekauft und finanziert, können die Kreditraten vom einzusetzenden Einkommen jedenfalls dann abgesetzt werden, wenn das Fahrzeug auch beruflich genutzt wird


    Tenor:

    Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 29. November 2011 (4 Ca 3969/09) in der Fassung des Beschlusses vom 26. Januar 2012 aufgehoben.

    Es verbleibt bei der durch Beschluss vom 24. September 2010 bewilligten Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen

    Gründe

    Die gemäß § 11 Abs.1 RPflG, § 46 Abs.2 Satz 3, § 78 Satz 1 ArbGG, § 127 Abs.2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Die im Nachprüfungsverfahren des § 120 Abs.4 ZPO angeordnete Zahlung einer Rate ist nicht gerechtfertigt, weil der Kläger kein einzusetzendes Einkommen im Sinne des § 115 Abs.1 und 2 ZPO hat. Die durch die Vorlage der Eidesstattlichen Versicherungen sowohl des Klägers als Darlehensnehmer als auch seines Bruders, des Herrn W1 K1, wie auch seines Bekannten, des Herrn W1 S1, als Darlehensgeber nachgewiesenen Ratenzahlungen sind als besondere Belastungen im Sinne des § 115 Abs.1 Satz 3 Nr.4 ZPO zu berücksichtigen.

    1. Es ist anerkannt, dass die Ratenaufwendungen für ein Fahrzeug als besondere Belastung abzusetzen sind (vgl. OLG Karlsruhe, 29.Januar 2009, 2 UF 102/08, NJW-RR 2009, 1233 <1235>; OLG Bremen, 16. Mai 2011, 4 WF 71/11, NJW-RR 2011, 1510).

    a) Kreditraten für die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs sind nicht durch die nach § 115 Abs.1 Satz 3 Nr.1 a ZPO i.V.m. § 82 Abs.2 SGB XII zu berücksichtigenden Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgedeckt. Es ist unerheblich, dass nach dem Justizvergütungs- und -Entschädigungsgesetz die dortige Regelung in § 5 Abs.2 Nr.1 JVEG zum Fahrtkostenersatz abschließend ist.

    Prozesskostenhilfe ist als Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge und als Bestandteil der Rechtsschutzgewährung eine Einrichtung der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege. Die notwendigen Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind daher nach den sozialhilferechtlichen Vorschriften zu bestimmen. Die Zielsetzung des Justizvergütungs- und -Entschädigungsgesetzes ist eine andere und besagt nichts für die Beurteilung der Absetzbarkeit von finanziellen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der beruflichen und privaten Kfz-Nutzung nach § 115 Abs.1 Satz 3 Nr.1 und 4 ZPO. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Landesarbeitsgerichts Hamm, wonach die gemäß § 3 Abs.6 Nr.2 a DVO zu § 82 SGB XII pro Monat und Entfernungskilometer für die einfache Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte vorgesehenen 5,20 Euro gemäß § 115 Abs.3 Satz 1 Nr.1 a ZPO i.V.m. § 82 Abs.2 SGB XII als Fahrtkosten vom Einkommen des Antragstellers abzusetzen sind, wobei weiterhin offen bleiben kann, ob die in § 3 Abs.6 Nr.2 DVO zu § 82 SGB XII vorgesehene Höchstgrenze von 40Kilometer im Rahmen der Prozesskostenhilfe Anwendung findet (vgl. LAG Hamm, 21. Juli 2008, 4Ta 41/08, n.v.; 22.Dezember 2009, 5 Ta 655/09, nv.; 7. Februar 2011, 14 Ta 28/11, n.v.).

    b) Die Anrechnung von Fahrtkosten nach § 3 Abs.6 Nr.2 DVO zu § 82 SGB XII deckt die reinen Betriebskosten und Steuern (vgl. OLG Karlsruhe, 29.Januar 2009, 2 UF 102/08, NJW-RR 2009, 1233 <1235>; ebenso LAG Baden-Württemberg, 2. September 2009, 4 Ta 7/09, juris; LAG Köln, 3. November 2010, 3 Ta 257/10, juris). Die im Falle einer Fremdfinanzierung daneben entstehenden Aufwendungen für ein Fahrzeug werden hiervon nicht erfasst, so dass diese zusätzlich zu berücksichtigen sind.

    Auch wenn es sich bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe um eine Sozialleistung handelt, ist § 115 Abs.1 Satz 3 Nr.4 ZPO eine Härteklausel, die verhindern soll, dass sich eine Partei in ihrer Lebensführung wegen des Prozesses wesentlich einschränken muss (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, 28.Dezember 2011, 6 Ta 241/11, juris). Das gebietet eine Berücksichtigung der Kreditraten für die Anschaffung eines Pkws neben den abzusetzenden Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Die Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII schließt es nicht aus, zusätzlich Anschaffungskosten als besondere Belastung zu berücksichtigen. Sie stellt keine abschließende Regelung dar, denn sie befasst sich nur mit der Berücksichtigungsfähigkeit von berufsbedingtem Aufwand und regelt nicht, inwieweit eine private Nutzung und die damit verbundenen Kosten berücksichtigt werden können. Die Durchführungsverordnung als Verwaltungsvorschrift vermag § 115 Abs.1 Satz 3 Nr.4 ZPO deshalb nicht zu verdrängen (vgl. OLG Karlsruhe, 29.Januar 2009, 2 UF 102/08, NJW-RR 2009, 1233 <1235>).

    c) Für die Absetzbarkeit von Kreditraten aufgrund der Anschaffung eines Pkws vor dem Zeitpunkt, in dem die Prozessführung absehbar war, ist die berufliche Nutzung des Fahrzeugs zudem keine Voraussetzung. Selbst wenn grundsätzlich die Angemessenheit der Altschulden im Hinblick auf Anlass und Höhe sowie dem Verhältnis zum laufenden Einkommen zu prüfen ist (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Auflage, 2010, Rn. 296), beruht die Anschaffung eines Fahrzeugs, das nach Größe und Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum Einkommen steht, zum Zwecke der persönlichen Mobilität nicht auf einem unangemessenen Anlass. Umgekehrt ist die Angemessenheit von Altschulden auch bei einem zu beruflichen Zwecken genutzten Fahrzeug nach den Kriterien Höhe und Verhältnis zum Einkommen ebenfalls stets zu prüfen. Es besteht kein Grund, die aus der Anschaffung eines Fahrzeugs resultierenden Kreditschulden bei der Anwendung des § 115 Abs.1 Satz 3 Nr.4 ZPO nicht genauso zu behandeln wie andere Zahlungsverpflichtungen, die z. B. durch die Anschaffung von Haushaltsgegenständen usw. entstehen.

    d) Wird wie hier der Pkw erst nach einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe gekauft und finanziert, können die Kreditraten jedenfalls dann abgesetzt werden, wenn das Fahrzeug auch für berufliche Zwecke genutzt wird.

    aa) Darlehensschulden und Abzahlungsverpflichtungen, welche die Partei in Kenntnis bestehender oder bevorstehender Verfahrenskosten aufgenommen hat bzw. die sie in Ansehung des Prozesses oder nach dessen Aufnahme eingegangen ist, sind in der Regel nicht als besondere Belastungen gemäß § 115 Abs.1 Satz 3 Nr.4 ZPO zu berücksichtigen. Die Partei hat sich in ihrer Lebensführung grundsätzlich darauf einzustellen, dass sie entstehende oder entstandene Prozesskosten zu tragen hat. Ausnahmsweise sind solche Verbindlichkeiten jedoch berücksichtigungsfähig bei sogenannten lebenswichtigen oder lebensnotwendigen Schulden, wozu auch Verbindlichkeiten zählen, die aufgrund einer sittlichen Verpflichtung (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Rn.294; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Auflage, 2012, § 115 Rn.38, 40) oder zumindest auch aufgrund beruflicher Notwendigkeit entstanden sind (vgl. LAG Hamm, 23. März 2009, 14 Ta 586/08, n. v.). Es ist darauf abzustellen, ob es sich um für den persönlichen oder zumindest auch für den beruflichen Bedarf notwendige Anschaffungen handelt, die entweder nicht aufschiebbar oder aus anderen Gründen gegenüber der Erstattung der Prozesskosten vorrangig sind (vgl. dazu LAG Hamm, 31. Mai 2011, 14 Ta 98/10, juris).

    Die nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgte Aufnahme eines Kredits anlässlich der Ersatzanschaffung eines jüngeren gebrauchten Kraftfahrzeugs für ein deutlich älteres, auch beruflich genutztes Fahrzeug ist als besondere Belastung im Sinne des § 115 Abs.1 Satz 3 Nr.4 ZPO zu berücksichtigen, z. B. beim Kauf eines zwei Jahre alten Fahrzeugs für ein zehn Jahre altes Fahrzeug (vgl. LAG Hamm, 31.Mai 2010, 14 Ta 98/10, juris). Die Notwendigkeit einer beruflichen Nutzung limitiert demnach nicht die berücksichtigungsfähigen Belastungen bei einem nachträglich beschafften Pkw im Hinblick auf die mit der privaten Nutzung verbundenen Kosten. Sie legitimiert vielmehr die Absetzbarkeit der daraus resultierenden Kreditraten als besondere Belastung i.S. d. § 115 Abs.1 Satz3 Nr.4 ZPO, obwohl die Partei grundsätzlich ihre Lebensführung darauf einzustellen hat, dass sie einen Prozess führt oder geführt hat und sie entstehende oder entstandene Prozesskosten zu tragen hat.

    bb) Im vorliegenden Fall verfügte der Kläger im Juni 2011, dem Zeitpunkt der Anschaffung des Pkw, eines gebrauchten Golf VI (Baujahr 2010) zum Preis von 16.000,00 Euro, über ein Nettoeinkommen (Haupt- und Nebentätigkeit, Kindergeld) von rund 2.000,00 Euro. Seine Ehefrau verdiente ebenfalls aufgrund einer Nebentätigkeit 300,00 Euro. Die aus den beiden Krediten seit Oktober 2011 resultierenden Kreditraten betragen insgesamt 500,00 Euro. Unter Berücksichtigung der Mietbelastung (537,75 Euro), welche den einzigen weiteren regelmäßigen größeren Ausgabeposten der Familie darstellt, ist die Ersatzbeschaffung eines etwa ein Jahr alten Fahrzeugs der sog. Golfklasse zu dem konkretem Preis einerseits, den eingegangenen Finanzierungsverpflichtungen andererseits angemessen, um auch die neue Arbeitsstelle zuverlässig erreichen zu können. Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass das ältere Fahrzeug, ein Golf IV, aufgrund von immer wieder auftretenden Defekten dies nicht mehr sicher stellte. Die Anschaffung war danach zumindest auch beruflich veranlasst und insgesamt sowohl angemessen als auch gegenüber der Erstattung der Prozesskosten vorrangig.

    2. Unter Berücksichtigung der monatlich erfolgenden Ratenzahlungen des Klägers in Höhe von 500,00 Euro verbleibt kein Einkommen, aus dem der Kläger eine Rate gemäß § 115 Abs.2 ZPO zu leisten hätte.

    3. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht