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  • · Elternunterhalt

    So bemisst der BGH den Selbstbehalt beim Elternunterhalt

    Bild: © bilderstoeckchen - stock.adobe.com

    von RiOLG Eva Bode, Hamm

    | Der BGH hat in drei Entscheidungen Stellung zur Bemessung des angemessenen Selbstbehalts des Unterhaltspflichtigen beim Elternunterhalt genommen und dabei wichtige Vorgaben für die Praxis gemacht. |

     

    Sachverhalt

    Die Antragstellerin ST macht als Sozialhilfeträgerin gegen den Antragsgegner S Elternunterhalt aus übergegangenem Recht geltend. Sie leistete für die Mutter M des S in 2020 Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII i. H. v. insgesamt knapp 7.000 EUR. Der verheiratete S erzielte 2020 ein Einkommen aus nicht selbstständiger Tätigkeit von rund 118.000 EUR (monatlich netto rund 5.800 EUR). Seine Ehefrau F verfügte über ein Einkommen in ähnlicher Größenordnung. Die unterhaltsberechtigte volljährige Tochter T lebte im elterlichen Haushalt, einem lastenfreien Einfamilienhaus. Der S hat zwei Geschwister, die von der ST nicht auf Unterhalt in Anspruch genommen werden. Die ST hat beantragt, den S zu verpflichten, gerundet 6.200 EUR zu zahlen. Das AG hat den Antrag abgewiesen und das OLG hat den S antragsgemäß verpflichtet zu zahlen. Die dagegen gerichtete und zugelassene Rechtsbeschwerde des S hat der BGH zurückgewiesen (BGH 7.5.25, XII ZB 563/24, Abruf-Nr. 248932).

     

    Entscheidungsgründe

    Die M hatte in 2020 einen offenen Bedarf i. H. v. knapp 7.000 EUR. Der Anspruch der M gegen den S ist auf die ST übergegangen; der Anspruchsübergang ist nicht nach § 94 Abs. 1a SGB XII ausgeschlossen, da der S über ein Jahresbruttoeinkommen von mehr als 100.000 EUR verfügte.

     

    Der S ist leistungsfähig gem. § 1603 Abs. 1 BGB, den Elternunterhalt zu zahlen. Nach dem Angehörigen-Entlastungsgesetz vom 10.10.19 wurde der Übergang von Ansprüchen unterhaltsberechtigter Eltern auf den Träger der Sozialhilfe gem. § 94 Abs. 1a SGB XII auf Fälle begrenzt, bei denen das Bruttoeinkommen des unterhaltspflichtigen Kindes die Jahreseinkommensgrenze von 100.000 EUR übersteigt. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz hat aber die bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflichten von Kindern gegenüber ihren Eltern ‒ als Ausdruck der familiären Beziehungen und Bindungen ‒ unberührt gelassen. Es ist weiterhin ein berechtigtes Unterhaltsinteresse hilfebedürftig gewordener Eltern anzuerkennen, das in einen angemessenen Ausgleich mit den Interessen der unterhaltspflichtigen Kinder zu bringen ist. Die durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz geschaffene Rechtslage zielt nicht darauf ab, Angehörige zu begünstigen, die mit ihren Einkünften die Jahreseinkommensgrenze von 100.000 EUR überschreiten.

     

    Damit ist der Umfang der sozialhilferechtlichen Rückgriffsmöglichkeiten nicht unmittelbar dafür maßgeblich, welchen Umfang die zivilrechtliche Unterhaltspflicht hat. Denn der Regress knüpft daran an, dass ein Unterhaltsanspruch besteht. Das ist umgekehrt nicht der Fall. Überschreitet das unterhaltspflichtige Kind mit seinen Einkünften die Jahreseinkommensgrenze des § 94 Abs. 1a S. 1 SGB XII, gehen nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes die gesamten Unterhaltsansprüche des Elternteils nach § 94 Abs. 1 SGB XII auf den Sozialhilfeträger über, also nicht nur der Teil, der sich auf das über 100.000 EUR liegende Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes bezieht.

     

    Es ist nicht erforderlich, den unterhaltsrechtlichen Mindestselbstbehalt an der Einkommensgrenze des § 94 Abs. 1a S. 1 SGB XII auszurichten, um Ungleichbehandlungen von Kindern mit Einkünften knapp oberhalb und unterhalb der 100.000-EUR-Grenze zu vermeiden. Kinder, die durch diese Einkommensgrenze privilegiert sind, werden in die Haftungsquote gem. § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB einbezogen, auch wenn deren Anteil dem Sozialhilfeträger auferlegt wird. Die Rechtsprechung des Senats erfordert keine Anpassung der Mindestselbstbehalte an diese Einkommensgrenze.

     

    Vielmehr ist der angemessene Eigenbedarf anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der besonderen Lebensverhältnisse, die bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt vorliegen, zu ermitteln. Danach werden von den Einkünften des Kindes die vorrangigen Unterhaltspflichten sowie die ‒ nach den großzügigen Maßstäben des Elternunterhalts ‒ berücksichtigungswürdigen Belastungen und vermögensbildenden Aufwendungen abgezogen. Dem Kind ist von dem bereinigten Einkommen ein individuell bemessener Betrag zu belassen: Dem Mindestselbstbehalt ist ein Bruchteil des diesen Freibetrag übersteigenden Einkommens hinzuzurechnen.

     

    Die Höhe des Mindestselbstbehalts kann der Düsseldorfer Tabelle (DT Stand: 2020) für den Elternunterhalt i. H. v. 2.000 EUR entnommen werden. Der Tatrichter kann für Zeiträume nach dem Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes dem Unterhaltspflichtigen einen über die Hälfte hinausgehenden Anteil ‒ etwa 70 % ‒ des seinen Mindestselbstbehalt übersteigenden bereinigten Einkommens zusätzlich belassen. Bei verheirateten Unterhaltspflichtigen gelten die bisherigen Grundsätze, sodass neben dem Familienselbstbehalt eine Haushaltsersparnis zu berücksichtigen ist.

     

    Nach diesen Maßstäben ist dem S ein Selbstbehalt zu belassen, der durch den geforderten Unterhaltsbetrag nicht unterschritten wird. Schließlich ergibt sich auch aus dem für den Bruder des S zu veranschlagenden (geringen) Anteil am Elternunterhalt keine Unterschreitung der vom S geforderten Beträge; bei der Berechnung der Forderung gegen den S wurde ein entsprechender Haftungsanteil des Bruders abgezogen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Nach dem Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes, das den Anspruchsübergang für Elternunterhalt auf Kinder begrenzte, deren Jahresbruttoeinkommen 100.000 EUR übersteigt, war streitig, ob und wie sich dies auf die Bemessung des Selbstbehalts im zivilrechtlichen Verhältnis zwischen Eltern und Kind auswirkt.

     

    Es wurde vertreten, dass der angemessene Eigenbedarf auf eine Pauschale angehoben werden soll, die einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 EUR entspricht (Hammermann in: Erman, BGB, 17. Aufl., § 1603 BGB, Rn. 129). Daraus wurde nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben ein Selbstbehalt von 5.000 EUR bis 5.500 EUR für Alleinstehende und von 9.000 EUR für Verheiratete errechnet. Als Korrektiv für den pauschalierten Selbstbehalt wurde teils vorgeschlagen, das Einkommen nicht weiter wegen Kreditraten, Wohnvorteil, Aufwendungen für kostenträchtige Hobbys, Besuchsfahrten etc. zu bereinigen (Doering-Striening/Hauß/Schürmann, FamRZ 20, 137 ff.). Diese pauschale Bemessung wurde kritisiert (Schürmann, FamRB 21, 33 ff.; Niepmann/Denkhaus/Schürmann, FamRB 21, 348 ff.; Christl, NZFam 24, 730 ff.).

     

    Das OLG Düsseldorf hat den Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen mit 5.000 EUR und seiner Ehefrau mit 4.000 EUR angenommen und offengelassen, ob das Einkommen zu bereinigen ist, da es jedenfalls unterhalb des Selbstbehaltes lag (4.12.23, II-3 UF 78/23, FamRZ 24, 944). Der BGH hat diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (23.10.24, XII ZB 6/24, BGHZ 242, 123 = FK 25, 22 = FamRZ 25, 167 ff.). Das OLG München hat den Selbstbehalt mit 5.500 EUR monatlich angesetzt, der nicht weiter um die Hälfte des den Sockel-Selbstbehalt übersteigenden anrechenbaren Einkommens zu erhöhen ist (6.3.24, 2 UF 1201/23 e, FamRZ 24, 940). Der BGH hat auch diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (22.1.25, XII ZB 148/24, FamRZ 25, 853). Nach den drei Entscheidungen des BGH zum Selbstbehalt beim Elternunterhalt gilt nun Folgendes:

     

    • Der Selbstbehalt ist auch beim Elternunterhalt individuell nach durchschnittlichen Einkommensverhältnissen zu bilden. Von den Einkünften des Kindes sind die vorrangigen Unterhaltspflichten sowie die ‒ nach den großzügigen Maßstäben des Elternunterhalts ‒ berücksichtigungswürdigen Belastungen und vermögensbildenden Aufwendungen abzuziehen.

     

    • Der Selbstbehalt besteht aus einem Sockelbetrag (Mindestselbstbehalt) und einem Bruchteil des diesen Freibetrag übersteigenden Einkommens. Der Sockelbetrag dürfte sich ‒ entsprechend der in 2020 geltenden DT ‒ auf 2.000 EUR belaufen. Von über dem den Sockelbetrag hinausgehenden Einkommen dürfte dem Kind etwa 70 % zusätzlich zu belassen sein.
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    • PRAXISTIPP | Für die Folgejahre wird teilweise in den Leitlinien der OLGs kein Selbstbehalt für Elternunterhalt ausgewiesen. Der BGH geht davon aus, dass der Mindestselbstbehalt beim Elternunterhalt gegenüber dem Selbstbehalt beim (Ausbildungs-)Unterhalt für volljährige Kinder einen konstanten Zuschlag aufweisen muss, ohne zu diesem außer Verhältnis zu stehen.

       

      Der angemessene Selbstbehalt gegenüber volljährigen Kindern wurde bis Ende 2022 mit 1.400 EUR, in 2023 mit 1.650 EUR und ab 2024 mit 1.750 EUR beziffert. Daraus könnte ein Mindestselbstbehalt beim Elternunterhalt von 2.000 EUR bis Ende 2022, von 2.300 EUR in 2023 und von 2.400 EUR ab 2024 hergeleitet werden.

       

    Weiterführender Hinweis

    • Möller, BGH korrigiert Berechnung des Selbstbehalts beim Elternunterhalt, FK 25, 22
    Quelle: Ausgabe 10 / 2025 | Seite 167 | ID 50514633