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  • · Fachbeitrag · Öffentliche Aufträge

    Ein Bauamtsleiter zieht Bilanz: „In Bezug auf Honorardumping bei öffentlichen Planungsaufträgen bin ich kläglich gescheitert“

    | „Wir würden die Planungsaufträge ja gern zu angemessenen Honoraren vergeben, nur wir bekommen regelmäßig Unterangebote, so dass wir das nicht immer können bzw. dürfen“. Dieses Statement von Ralf Wulf beim 11. Vergabetag Bayern am 09.11.2023 ging dem Redakteur nicht mehr aus den Sinn. Er griff zum Hörer, um das Gesagte vom Leiter der Hauptabteilung Ingenieurbau im Baureferat der Landeshauptstadt München bestätigt zu bekommen. Das Telefonat mündete in ein Interview, in dem Ralf Wulf, der sich seit seiner Verabschiedung aus dem Dienst am 13.12. im Urlaub befindet und offiziell am 01.02.24 in den passiven Teil des Vorruhestands eintritt, in diesem Teilaspekt eine ernüchternde Bilanz seiner Tätigkeit gezogen hat: „In Bezug auf Honorardumping bei öffentlichen Planungsaufträgen bin ich kläglich gescheitert“. |

     

    Redaktion: Herr Wulf, wie kommen Sie zu der Bilanz?

     

    Ralf Wulf: Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe 17 Jahre die Hauptabteilung Ingenieurbau im Baureferat der Landeshauptstadt München geleitet. Wir sind zuständig für den Wasser- und U-Bahn-Bau. Das heißt, dass wir bei allen Brücken, Tunneln, Unterführungen, Stützmauern, Lärmschutzwänden und den Fließgewässern für Bau, Betrieb und Unterhalt verantwortlich sind. Ich habe unzählige VgV-Vergaben miterlebt und weiß, wovon ich spreche.

     

    Redaktion: War das schon immer so oder ist das ein neues Phänomen?

     

    Ralf Wulf: Das Honorar war natürlich immer schon ein Thema bei Vergabeverfahren. Aber so krass wie zuletzt habe ich es noch nie erlebt. Bei Brückeninstandsetzungen hatte ich es z. B mit Honorarangeboten zu tun, die sich auf ca. 40 Prozent des Basishonorarwerts der HOAI belaufen haben.

     

    Redaktion: Können Sie als Vergabestelle nicht gegensteuern?

     

    Ralf Wulf: Schwierig. In meinem Bereich hatte ich vor allem das Problem, dass die meisten Projekte, die wir ausschreiben, große Volumina haben und lange dauern. Das sind immer einzigartige Projekte, bei denen eine Honorarkalkulation und Auskömmlichkeitsbewertung ganz ganz schwierig ist. Die Kollegen, die Hochbauten vergeben, haben es da einfacher. Sie verfügen über eine Reihe von Erfahrungswerten und können (z. B. bei Schulbauten) vorab gut einschätzen, welches Honorar im konkreten Fall „noch auskömmlich“ ist und ab wo es Probleme geben wird.

     

    Redaktion: Wovon haben Sie sich prinzipiell bei Vergaben von Planungsleistungen leiten lassen?

     

    Ralf Wulf: Das ist eigentlich ganz einfach: Die Objekte, die wir planen, bauen oder instandsetzen lassen, sollten von Generationen nutzbar sein. Damit das der Fall ist, kommt es entscheidend auf die Qualität der Planung an. Das ist das A und O. Das Preisthema für die Ingenieurleistung sollte eine untergeordnete Rolle spielen. Doch die Realität sieht halt anders aus., denn leider glauben viel zu viele Leute, dass niedrige Planungskosten auch niedrige Projektkosten bedeuten würden. Das Gegenteil ist meiner Erfahrung nach wesentlich wahrscheinlicher. Außerdem muss man bedenken: Wir planen und verbauen Steuergelder. Also hat der Steuerzahler einen Anspruch darauf, dass sparsam gebaut wird. Einen Stadtrat davon zu überzeugen, dass es trotzdem sinnvoll sein kann den Auftrag nicht dem Büro mit dem niedrigsten Preis zu geben, ist eine Herausforderung. Vor allem auch die Medien haben immer ein Auge drauf, dass keine Steuergelder verschwendet werden. Dann kommt noch das mittlerweile unsäglich formalisierte Vergaberecht dazu. Der Preis ist dabei  ein meist gewichtiges Wertungskriterium, das grundsätzlich aber sehr einfach und eindeutig beschreibbar ist. Wenn alle bietenden Büros präqualifiziert sind, also grundsätzlich die fachliche Eignung nachweisen können, ist der Preis manchmal sogar das einzige Kriterium, das sicher einer Nachprüfung standhalten wird.

     

    Redaktion: Gibt es also keine Alternative zum „der Niedrigstanbieter gewinnt“?

     

    Ralf Wulf: Schwierig. Ich bin ja auch im Vorstand der Bayerischen Ingenieurkammer. Dort haben wir uns intensiv Gedanken gemacht, wie wir das „Dumpingthema“ dadurch in den Griff bekommen, in dem der „optimale Preis“ bei einem Projekt die meisten Punkte bekommt. Dieses „Fair-Preis-Modell“ stellt sich ‒ kurz gesagt ‒ so dar, dass die Vergabestelle für sich selbst ein zu erwartendes Honorar berechnet. Dann werden die Honorarangebote aller bietenden z.B  fünf Büros  genommen die es in das Verhandlungsverfahren geschafft haben. Die Gesamt-Honorarsumme wird durch fünf geteilt und mit dem von der Vergabestelle ermittelten Honorar addiert. Dieser Honorarbetrag wird dann durch zwei geteilt. Es ergibt sich das „optimale Honorar“. Das Büro bekommt die maximale Punktzahl, dessen Honorarangebot am „optimalen Honorar“ am nähesten dran ist. Leider hat ein Rechtsgutachten einer bekannten Kanzlei mittlerweile aber ergeben, dass dieses Honorarwertungsmodell wohl vergaberechtlich angreifbar ist. Es wird nicht einfacher, aber wir von der Kammer aus bleiben dran

     

    Redaktion: Sind andere Vertragsgestaltungen ein Ausweg? Stichwort „IPA“ oder „Mehrparteienvertrag“?

     

    Ralf Wulf: Die bis dato diskutierte Problematik der „Dumpingangebote“ entsteht ja grundsätzlich nicht durch den vorbereiteten Vertrag an sich, sondern durch das Auswahlverfahren des Vertragspartners ‒ das VgV-Verfahren. Projektabwicklungen mit Verträgen zu nicht auskömmlichen Honoraren bergen aber vielfältige Risiken wie: mangelhafte Qualität des Bauprodukts, unsägliches Claim-Management (von allen Beteiligten), ggf. Büroinsolvenzen - vor allem bei den bis dato zum Glück noch vorhandenen kleinen und mittelständigen Ingenieurbüros. Da wir die für uns lebenswichtige Infrastruktur nur gemeinsam (Bauherr,  Planer, Bauausführende) nachhaltig entwickeln und erhalten können, sollten wir offen sein für neue Vertragsmodelle. Nur in Ausnahmesituationen der richtige Ansatz für mich sind hierbei Überlegungen Richtung General-Unternehmer oder General-Übernehmer, da der Bauherr hierbei am gemeinsamen Tisch „auf seiner Seite“ dann ganz allein sitzt.

     

    Redaktion: Herr Wulf, vielen Dank für Ihre offenen Worte.

    Quelle: ID 49351697