· Fachbeitrag · Baugerichtstag 2025
Ein Planer klagt an: So klaffen Soll- und Istzustand bei der Objektüberwachung auseinander
| Beim 10. Baugerichtstag beraten Experten vom 23.-24.05. in Hamm u. a. darüber, ob es angezeigt ist, das vor allem von der Rechtsprechung geprägte Thema „Umfang der Überwachungspflicht von Architekten und Ingenieuren“ gesetzlich zu präzisieren. Warum das notwendig ist, wird aus den „Thesen“ deutlich, die der „Praktiker“ Markus Ernst, Gründer und Vorstand von ERNST2 Architekten dort vorträgt. Sie sind jetzt schon im „Thesenband“ zum Baugerichtstag nachlesbar und zeigen auf, wie weit Soll- und Istzustand bei der Objektüberwachung derzeit auseinanderklaffen. |
Die Aufgabe von Markus Ernst als „Thesensteller“
Markus Ernst hat von der Leitung des Arbeitskreises IV „Architekten- und Ingenieurrecht“ des Baugerichtstags die Aufgabe übertragen bekommen, aus Sicht des erfahrenen Praktikers ‒ aber juristischen Laien, der seit über 25 Jahren vorrangig im Bereich der Ausschreibung/Vergabe und Objektüberwachung tätig ist,
- die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Leistungserbringung der Objektüberwachung sowie
- die sich inzwischen festzusetzenden Realitäten und Erwartungen an die Objektüberwachung zu beschreiben.
Dazu hat Markus Ernst versucht, die aus seiner Sicht möglicherweise gesetzlich oder juristisch anzupassenden Themenbereiche zu definieren, gerade im Hinblick auf die resultierenden Haftungsfolgen bei Ausführungsmängeln vor und nach der Abnahme/Fertigstellung der Bauleistung.
Die Ausgangsbasis nach BGB und HOAI
Nach seiner ‒ auch von der PBP-Redaktion bestätigten ‒ Analyse sind die Anforderungen an die Objektüberwachung sowohl im BGB als auch in der HOAI nur knapp und wenig detailliert oder differenziert beschrieben. Es bildet sich daher ein „weites Feld der Leistungs-Erwartungsmöglichkeiten der Leistungserbringung“. Beide Vorgaben eint das Ziel der Übergabe eines mängelfreien Bauvorhabens an den Bauauftraggeber.
Die Thesen: So klaffen Soll und Ist in der Lph 8 auseinander
Da selten konkrete Überwachungsziele im Sinne von § 650p BGB, gleichwohl aber die Grundleistungen der Anlage 10 zur HOAI als zu erbringend vereinbart sind, verpflichtet sich der Architekt folglich im Regelfall theoretisch und praktisch zur Überwachung auf Grundlage der öffentlich-rechtlichen Genehmigung, den Verträgen (Leistungsverzeichnissen) der gewerblichen Auftragnehmer sowie den einschlägigen Vorschriften und den allgemein anerkannten Regeln der Technik.
Daraus resultieren für den Objektüberwacher oder das Bauleitungsteam folgende Anforderungen (Wunsch- bzw. Soll-Zustand), dem Ernst dann in seinen Thesen den Ist-Zustand gegenüberstellt.
Thesen zum Wunsch- bzw. Soll-Zustand der Lph 8 | Thesen zum Ist-Zustand der Lph 8 | ||
1. | Die Mitarbeiter der örtlichen Bauleitung haben während Ihres Studiums detaillierte Kenntnisse von rund 30‒40 Gewerken in Bezug auf Werk- und Detailplanung/Koordination von Bauabläufen und Baustellen/Baurecht/VOB-Teil A-C/Ausschreibung und Vergabe usw., erhalten, da diese vom Leistungsumfang der Tätigkeit eines Architekten nach der Honorarbewertung durch die HOAI rund 70 % umfassen. | Die meisten Architekten und Bauingenieure haben während ihres Studiums keinerlei Wissen oder detaillierte Kenntnisse in Bezug auf Werk- und Detailplanung/Koordination von Bauabläufen und Baustellen/Baurecht/ VOB- Teil A-C/Ausschreibung und Vergabe usw., vermittelt bekommen, obwohl dies vom Leistungsumfang der Tätigkeit eines Architekten nach der Honorarbewertung der HOAI rund 70 % umfassen, die Objektüberwachung davon ein gutes Drittel. Viele Absolventen der Architektur (Bauingenieurwesen) haben während ihres Studiums keinerlei Kontakt zur Ausführung/Baustelle gehabt, sind in jeder Hinsicht in Bezug auf die Ausführung ahnungslos und müssen erst in den Büros mühsam ausgebildet werden. | |
2. | Die örtliche Bauüberwachung prüft die Ausführungsplanung des planenden Architekten sowie die von den ausführenden Unternehmen erstellte und vom planenden Architekten freigegebene Montageplanung auf die inhaltliche und technische Richtigkeit sowie auf die Anforderungen aus Brandschutz, Bauphysik, Genehmigungen, Rechtsvorschriften usw. | Die örtliche Bauüberwachung kann maximal stichprobenhaft die Ausführungs- und Montage-Planung vor Ausführung prüfen, da die Planung im Regelfall baubegleitend und damit „just in time“ erfolgt. | |
3. | Die örtliche Bauüberwachung prüft und vergleicht die vom planenden Architekten erstellten und dem ausführenden Unternehmer beauftragten Leistungsverzeichnisse auf Übereinstimmung mit der zur Ausführung freigegebenen Ausführungs- und Montageplanung, die ja zudem von ihm selbst auf alle Grundlagen/technische Regelungen geprüft wurden, dies für im Regelfall 30‒40 Einzelgewerke. | Die Grundlage zur Erstellung der Leistungsverzeichnisse ist im Regelfall keine koordinierte, abgestimmte und abgeschlossene Ausführungsplanung, sondern der zu diesem Zeitpunkt vorliegende, regelmäßig dahinter zurückbleibende Planungsstand. | |
4. | Die örtliche Bauüberwachung prüft die Ausführungsplanung und Schalplanung der Architekten und Tragwerksplaner auf grundsätzliche Übereinstimmung mit den Ausführungs- (Montage?) -Plänen der technischen Fachgewerke, im Regelfall vier bis acht Gewerke. | Die Planung der technischen Gewerke ist im Regelfall unkoordiniert, entspricht nicht den Anforderungen an eine Ausführungsplanung gemäß Lph 5, eine Prüfung auf grundsätzliche Übereinstimmung mit den Ausführungs- (Montage?)-Plänen der technischen Fachgewerke ist nicht möglich. | |
5. | Die Vergabe/Beauftragung der Leistungen erfolgt bei öffentlichen Aufträgen konsequent nach VOB (A+B) nach Eignung und Wirtschaftlichkeit. Ungeeignete Bieter oder Bieter mit unangemessen niedrigem Angebot werden genau überprüft und ggf. innerhalb des Vergaberechts von der Vergabe ausgeschlossen. | Die Vergabe/Beauftragung der Leistungen bei öffentlichen Vergaben erfolgt im Grunde konsequent in einem reinen Preiswettbewerb. Dies ermöglicht ungeeigneten Bietern über den Angebotspreis oder spekulativer Preisbildung Aufträge zu akquirieren. | |
6. | Die örtliche Bauüberwachung führt und protokolliert die Startgespräche mit den ausführenden Gewerken und koordiniert/stimmt die Feintermine und Abläufe ab und bereitet einen möglichst störungsfreien Ablauf vor. (Teilnehmer: Fachbauleiter Auftragnehmer, Auftraggeber, projektleitender Architekt/Planer, örtliche Bauüberwachung). | Die Auftragnehmer sind oft reine Dienstleister, die mit Material und Menschen (Arbeiter) handeln und strenggenommen gar keine eigene handwerkliche Leistung erbringen. | |
7. | Die örtliche Bauüberwachung führt und protokolliert regelmäßige und vorausschauende Bau- und Koordinationsgespräche mit den ausführenden Gewerken. | Bei Startgesprächen mit Gewerken sind die Auftragnehmer oft nicht mit den späteren an der Durchführung beteiligten Mitarbeitern vertreten. Oft ist zudem noch nicht bekannt, welcher Subunternehmer vor Ort tätig sein wird. Es sind meist inhaltslose, sinnlose Gespräche, im Regelfall sind die Teilnehmer des Auftragnehmers in keiner Weise vorbereitet. | |
8. | Die örtliche Bauüberwachung überprüft und begleitet zusätzlich zu der Fachbauleitung der Gewerke die komplette gewerbliche Ausführung, auch die rein technische und handwerkliche Durchführung kontinuierlich, bei Ausführungen von besonders überwachungsbedürftigen Ausführungen (wie oder von wem auch immer diese Einstufung festgelegt wird). Dies bedeutet, dass die örtliche Bauüberwachung detaillierte Fachkenntnisse bis hinein in die Tiefe der Herstellung/Ausführung und aktuellen Vorschriften und DIN- und sonstigen bautechnischen Normen einschließlich Herstellerrichtlinien (auch die in Vorbereitung) von über 30 bis 40 Gewerken haben muss, wobei die meisten Gewerke mehrjährige Ausbildungsberufe sind. | Die ausführende Firma versucht im Regelfall, den geschuldeten Terminplan/Ablaufplan nicht erstellen oder abgeben zu müssen, oder gibt einen nicht annehmbaren, von den Vertragsterminen weit abweichenden Terminablauf ab. | |
9. | Bei vertragsabweichender Ausführung/Mängel/Verzug von Terminen usw. leitet die örtliche Bauleitung in Abstimmung und tatkräftiger Unterstützung durch und mit dem Auftraggeber die gemäß VOB/BGB möglichen Maßnahmen ein und setzt die möglichen Konsequenzen konsequent und mutig um (z. B. Vertragskündigung, Ersatzmaßnahmen). Dieses konsequente Handeln wird von den ausführenden Firmen klar wahrgenommen. Dies bedeutet für die ausführenden Firmen/Gewerke: | Die Teilnahme der Fachbauleiter an den Bauund Koordinationsgespräche der örtlichen Bauleitung erfolgt ungenügend, unvorbereitet und selten vorausschauend. Der Koordinationsgedanke ist gering, Eigeninteresse und vordringliches Aufzeigen von angeblichen Problemen und Behinderungen steht im krassen Widerspruch zu Lösungsideen. Dazu kommen zwischenzeitlich auch erhebliche Sprachbarrieren. | |
10. | Die Fachbauleitung jedes Gewerkes stellt anhand der eigenen Arbeitsvorbereitung, der rechtzeitigen Abstimmung der Ausführung mit den planenden Architekten und der örtlichen Bauleitung und den anderen Gewerken sowie eines vorausschauenden Abrufes der Lieferungen und den erforderlichen Hebezeugen einen reibungslosen Ablauf der Ausführung sicher. Sie nimmt hierzu an den Koordinationsund Abstimmungsterminen der Baustellen regelmäßig und vorbereitet teil. | Die örtliche Bauüberwachung rutscht aufgrund der nachfolgend beschriebenen Abwesenheit der Fachbauleitung in die Fachbauleitung/Anleitung der Gewerke bis hinein zur gewerblichen Ausführung. Auf Grund des sich daraus ergebenden zeitlichen Aufwandes können eigentliche Aufgaben der örtlichen Bauleitung nur begrenzt wahrgenommen werden. Oft müssen den ausführenden Firmen Ausführungsdetails, Arbeitsschritte usw. detailliert erklärt werden. | |
11. | Die Fachbauleitung jedes Gewerkes ist gemäß Vergabe fachkundig, koordiniert die Arbeitsvorbereitung und Personaleinsatz, prüft die Vorleistung und beherrscht gemäß Vertragsbedingungen die deutsche Sprache mündlich und schriftlich. | Bei vertragsabweichender Ausführung/Mängel/ Verzug von Terminen usw. sind die Auftraggeber im Regelfall nur im äußersten Notfall und mit umfangreicher Absicherung gegenüber allen anderen Beteiligten bereit, mit Hilfe der örtlichen Bauleitung die gemäß VOB/BGB möglichen Maßnahmen einzuleiten, wie z. B. Vertragskündigung, Ersatzmaßnahmen. Dieses führt bei etlichen, regelmäßig vertragswidrigen tätigen Auftragnehmern dazu, dass Verzugsanzeigen, Mängelanzeigen usw. ignoriert werden und parallel die Auftraggeber konsequent unter Druck gesetzt werden. Realität der Fachbauleitung bei den ausführenden Firmen/Gewerken. | |
12. | Die Fachbauleitung jedes Gewerkes erstellt einen Ablaufterminplan ihrer Leistung und stimmt diese mit der örtlichen Bauleitung und den anderen Gewerken ab und stellt diese Termine sicher. Bei Störungen in Bezug auf die geplanten Termine meldet sie sich selbstständig und arbeitet konstruktiv an Lösungen mit. | Die Fachbauleitung der Auftragnehmer, insbesondere bei den Ausbaugewerken, findet nicht oder nur äußerst mangelhaft statt. Im Regelfall ist sie überlastet, fachlich und oft auch inhaltlich nur bedingt geeignet und dazu mit Sprachbarrieren zu der örtlichen Bauüberwachung wie auch zu den eigenen Nachunternehmern belastet. Eine eigene Arbeitsvorbereitung, die rechtzeitige Abstimmung der Ausführung mit den planenden Architekten und der örtlichen Bauleitung und den anderen Gewerken sowie ein vorausschauender Abruf der Lieferungen und der erforderlichen Hebezeuge für einen reibungslosen Ablauf der Ausführung existiert nicht. Die Materialien werden unkoordiniert abgerufen und geliefert, die Nachunternehmer kommen unvorbereitet, nicht eingewiesen und im Regelfall ohne Pläne auf die Baustelle und sind sich selbst überlassen. | |
13. | Die Fachbauleitung jedes Gewerkes führt alle eingesetzten Arbeiter und Nachunternehmer in die Durchführung der Arbeiten ein, versorgt diese mit Planunterlagen, weist auf Besonderheiten hin und garantiert die Fachkunde der führenden Mitarbeiter. | Die Fachbauleitungen nehmen nur unregelmäßig an den Koordinations- und Abstimmungsterminen der Baustellen, und wenn dann im Regelfall unvorbereitet, teil. | |
14. | Die Fachbauleitung jedes Gewerkes ist regelmäßig vor Ort, begleitet persönlich die besonders überwachungsbedürftigen Ausführungen und überprüft und dokumentiert die Ausführung fotografisch und schriftlich und kontrolliert/führt das Bautagebuch des Gewerks und übergibt dieses unaufgefordert jede Woche an die örtliche Bauleitung. | Die Fachbauleitung vieler Gewerke ist nicht (ausreichend) fachkundig, die eingesetzten Mitarbeiter weisen oft eine zu geringe Qualifikation auf. Die Schere zwischen planerischer Qualitätsanforderung und Ausführung geht immer weiter auf. | |
15. | Die Fachbauleitung jedes Gewerkes führt die eingesetzten Arbeiter und Nachunternehmer in die Durchführung der Arbeiten nicht ein, versorgt diese nicht mit Planunterlagen, weisen auf keine Besonderheiten hin und können wenig zur Fachkunde der führenden Mitarbeiter vor Ort sagen. | ||
16. | Die Fachbauleitung jedes Gewerkes ist zu wenig vor Ort, begleitet zu wenig oder überhaupt nicht, auch nicht die besonders überwachungsbedürftigen Ausführungen, und überprüft und dokumentiert auch nicht persönlich die Ausführung fotografisch. Es wird kein Bautagebuch des Gewerks geführt und folglich auch nicht abgegeben. Die Prüfung der Vorleistung erfolgt nicht oder zu spät. | ||
17. | Nachhaltig gefordert werden im Regelfall nach Ausführungen angebliche Erschwernisse oder angebliche zusätzliche Leistungen auf Nachweis. |
Sein Fazit: Alle Planer und ausführenden Firmen erstellen mühsam ein Werk mit erheblichen Mängeln oft außerhalb des Rahmens des ursprünglich vereinbarten Fertigstellungstermins. Wunsch- und Istzustand klaffen damit erheblich auseinander. Muss das für immer so bleiben oder kann man ‒ auch durch gesetzgeberische Eingriffe ‒ eine Wende zum Besseren herbeiführen? Das wird der Arbeitskreis in Hamm diskutieren.
Weiterführender Hinweis
- Den Thesenband des Baugerichtstags finden Sie hier: https://baugerichtstag.de/wp-content/uploads/2025/03/24515515_BauR-2025-Thesenheft.pdf. Die Thesen von Markus Ernst beginnen ab Seite 37.