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  • · Fachbeitrag · Insolvenzanfechtung

    Rechtsprechung ändert sich zum Vorteil von Gläubigern

    | Betreibt der Gläubiger die Zwangsvollstreckung und wird ‒ zumindest teilweise ‒ befriedigt, fragt es sich, ob die empfange Leistung in einem folgenden Insolvenzverfahren des Schuldners angefochten werden kann. Während die Befriedigung im Wege der Vollstreckung die Tatbestandsvoraussetzung einer Rechtshandlung des Schuldners ausschließt, kommt eine Anfechtung nach der bisherigen Rechtsprechung in Betracht, wenn jedenfalls kausal eine Handlung des Schuldners zum Vollstreckungserfolg beigetragen hat. Das hat die Anfechtungsmöglichkeiten zulasten des Gläubigers für den Insolvenzverwalter verbessert. Genau hier setzt nun eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung an, die neben den gesetzlichen Änderungen weitere Vorteile für den Gläubiger mit sich bringt. |

    Sachverhalt

    Die Gläubigerin pfändete 2007 das Geschäftskonto der Schuldnerin. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Pfändung wies das Konto ein Guthaben aus. Anschließend gingen weitere Zahlungen von Kunden der Schuldnerin auf dem Konto ein, sodass es zu mehreren Auskehrungen an die Gläubigerin kam. 2009 stellte die Schuldnerin Insolvenzantrag, worauf Anfang 2010 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Insolvenzverwalter begehrt nun den Pfändungserlös von der Gläubigerin nach § 133 InsO zurück, weil die Schuldnerin nach Kenntnis von den Kontenpfändungen rückdatierte Rechnungen unter Angabe des gepfändeten Kontos versandt habe. Auch habe sie es unterlassen, ein neues Konto zu eröffnen oder die Kunden anzuweisen, bar oder per Scheck zu zahlen.

     

     

    Die Vorinstanz hat in dem Verhalten der Schuldnerin keine Rechtshandlung gesehen, jedenfalls aber müsse der Benachteiligungsvorsatz verneint werden, weil deren Ziel nur darin bestanden habe, die Vollstreckungsmaßnahmen gegen sie bei den Kunden nicht offenbar werden zu lassen.

    Entscheidungsgründe

    Der BGH hat im Ergebnis zwar dem OLG widersprochen, in der Sache aber eine Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung begründet. In Zukunft ist nicht nur entscheidend, ob eine kausale Rechtshandlung vorliegt, sondern auch, ob diese eine Verhaltensänderung gegenüber der bisherigen Praxis darstellt. Der BGH fasst seine Sicht wie folgt zusammen:

     

    • Leitsatz: BGH 1.6.17, IX ZR 48/15
    • 1. Eine vom Anfechtungsgegner durch Zwangsvollstreckung bewirkte Vermögensverlagerung kann nur auch als Rechtshandlung des Schuldners gewertet werden, wenn der Schuldner einen Beitrag zum Erfolg der Vollstreckung geleistet hat, der ein der Vollstreckungstätigkeit des Gläubigers vergleichbares Gewicht hat.
    • 2. Die vom Anfechtungsgegner durch eine Vollstreckungsmaßnahme bewirkte Vermögensverlagerung gilt nicht zugleich als Rechtshandlung des Schuldners, wenn sich der Schuldner angesichts einer bevorstehenden oder bereits eingeleiteten berechtigten Vollstreckungsmaßnahme nicht anders verhält, als ohne die Vollstreckung und sich damit darauf beschränkt, die Vollstreckung hinzunehmen.
     

    Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO muss das Gericht unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls prüfen. Die Kontrolle des BGH ist hier beschränkt. Gleichwohl hat der BGH einen Rechtsfehler in der Annahme des OLG gesehen, die Schuldnerin habe nicht den Vorsatz gehabt, ihre Gläubiger zu benachteiligen.

     

    Checkliste / Anforderungen an den Benachteiligungsvorsatz

    • Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH genügt für den in § 133 Abs. 1 InsO vorausgesetzten Benachteiligungsvorsatz des Schuldners bedingter Vorsatz.

     

    • Ein Benachteiligungsvorsatz ist deshalb nicht nur gegeben, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO) die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt hat, sondern auch, wenn er lediglich die Benachteiligung als mutmaßliche Folge ‒ sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines an sich erstrebten anderen Vorteils ‒ erkannt und gebilligt hat.

     

    • Ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in der Regel mit Benachteiligungsvorsatz, denn er weiß, dass sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen.

     

    • Dies gilt auch, wenn eine kongruente Leistung angefochten wird (BGH WM 14, 1868).
     

    Davon geht auch das OLG aus. Es verneint den Vorsatz aber, weil die weitere Rechnungsstellung unter Angabe des gepfändeten Kontos dadurch motiviert gewesen sei, dass die Schuldnerin die Pfändung nicht habe offenlegen wollen und ein Schreiben an jeden Kunden ein zu großer Verwaltungsaufwand gewesen wäre. Das ist nach Ansicht des BGH denkgesetzwidrig. Die beschriebene Motivation der Schuldnerin mindere das Gewicht des Beweisanzeichens der erkannten Zahlungsunfähigkeit nicht. Das Ziel eines Schuldners, Zahlungsschwierigkeiten zu verheimlichen und sich Arbeitsaufwand zu ersparen, ändere nichts daran, dass er meist eine Benachteiligung seiner Gläubiger in Kauf nimmt, wenn er sich trotzdem für ein Verhalten entscheidet, das zur Befriedigung eines einzelnen Gläubigers beiträgt. Daran konnte die Anfechtung also nicht scheitern.

     

    Es kam also darauf an, ob eine anfechtungsrechtlich relevante Rechtshandlung der Schuldnerin vorlag. Das konnte der BGH hier nicht feststellen, sodass das OLG noch einmal in die Sachverhaltsaufklärung einsteigen muss. Die Kriterien des BGH zeigen aber unmittelbar den Wandel seiner Rechtsprechung.

     

    Die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Rechtshandlung

    Bisher galt: Die Anfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO setzt eine Rechtshandlung des Schuldners und damit dessen willensgeleitetes, verantwortungsgesteuertes Handeln voraus, ob er eine Leistung erbringt oder verweigert. Grundsätzlich fehlt es an einer solchen Rechtshandlung, wenn der Gläubiger eine Befriedigung mittels Zwangsvollstreckung erlangt, es sei denn, wenn dazu zumindest auch eine selbstbestimmte Rechtshandlung des Schuldners beigetragen hat. Fördert der Schuldner eine Vollstreckungsmaßnahme, kann dies die Qualifizierung der Vermögensverlagerung als Rechtshandlung des Schuldners rechtfertigen (BGHZ 155, 75, 79; 162, 143, 147 ff; BGH WM 11, 501; WM 13, 2074; WM 14, 272). Eine durch Vollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers erlangte Zahlung kann daher der Vorsatzanfechtung unterliegen, wenn eine Schuldnerhandlung oder eine dieser gleichstehende Unterlassung kausal zum Erfolg der Vollstreckungsmaßnahme beigetragen hat.

     

    Erlangt der Gläubiger Vermögen des Schuldners durch eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung, hält der BGH an dieser Rechtsprechung jetzt nur noch eingeschränkt fest. Nicht jeder auch nur entfernte Mitwirkungsbeitrag des Schuldners genügt danach, die vom Gläubiger durch eine Vollstreckungsmaßnahme erwirkte Vermögensverlagerung auch als Rechtshandlung des Schuldners zu werten. Sonst wäre für die Pfändung künftiger Forderungen, die selten ohne eine Mitwirkung des Schuldners entstehen, regelmäßig der Anwendungsbereich des § 133 Abs. 1 InsO eröffnet. Dies stünde nicht im Einklang mit dem Zweck dieser Norm, außerhalb des Zeitraums von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die prinzipiell gleichen Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger auch durch Maßnahmen der Zwangsvollstreckung zu gewährleisten.

     

    Angefochten und nach § 143 Abs. 1 InsO rückgängig gemacht wird nicht die Rechtshandlung selbst, sondern ihre gläubigerbenachteiligende Wirkung. Gegenstand der Anfechtung ist daher in Vollstreckungsfällen die vom Gläubiger mit Zwangsmitteln bewirkte Verlagerung von Schuldnervermögen und nicht nur ein dabei mitwirkender Verursachungsbeitrag des Schuldners. Die Mitwirkung des Schuldners kann es aber rechtfertigen, die Vollstreckung auch als seine Handlung anzusehen und sie einer freiwillig gewährten Befriedigung gleichzustellen.

     

    An die Annahme einer Rechtshandlung des Schuldners sind künftig also höhere Anforderungen zu stellen. Dabei liegt die Darlegungs- und Beweislast im Sinne des § 286 ZPO weiter beim Insolvenzverwalter. Der Beitrag des Schuldners zum Vollstreckungserfolg muss bei wertender Betrachtung dazu führen, dass die Vollstreckungstätigkeit zumindest auch als eigene, willensgeleitete Entscheidung des Schuldners anzusehen ist. Daran fehlt es, wenn er sich darauf beschränkt, die berechtigte Vollstreckung eines Gläubigers hinzunehmen, und sich angesichts einer Vollstreckungsmaßnahme nicht anders verhält, als er dies ohne die Vollstreckungsmaßnahme getan hätte. Dies ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner in Kenntnis der Vollstreckungsmaßnahme seinen Geschäftsbetrieb wie bisher fortsetzt. Der BGH gibt dafür auch Beispiele:

     

    Checkliste / Drei Beispiele des BGH

    • Die Pfändung und Einziehung von Arbeitslohn kann nicht als Rechtshandlung des Schuldners gelten, weil der Schuldner nach der Pfändung seine Arbeit fortsetzt (AG Essen ZInsO 16, 1215).

     

    • Ebenso kann es an einer Rechtshandlung des Schuldners fehlen, wenn er nach Pfändung seines Geschäftskontos ebenso wie zuvor an seine Kunden leistet und er sich zum Einzug der ihm daraus erwachsenen Forderungen des auch in der Vergangenheit hierfür verwendeten, nun gepfändeten Kontos bedient.

     

    • Weder die Leistungserbringung noch die Abrechnung oder die Rechnungsstellung können die Vermögensverlagerung als Rechtshandlung des Schuldners qualifizieren.
     

    Fazit: Beschränkt sich der Schuldner darauf, seine Geschäftstätigkeit in der bisher geübten Weise fortzusetzen, kommt es nicht darauf an, ob der Erfolg einer Kontenpfändung durch Einzahlungen von Drittschuldnern oder durch Einzahlungen des Schuldners selbst gefördert wird.

     

    Unterlassungshandlungen des Schuldners

    Wenn diese Sicht schon für aktive Handlungen des Schuldners gilt, ist sie in gleicher Weise anzuwenden, wenn es um ein Unterlassen geht. Das sagt schon § 129 Abs. 2 InsO. Das Unterlassen steht dem Tun gleich. Voraussetzung ist nur, dass die Unterlassung auf einer Willensbetätigung beruht, also bewusst und gewollt erfolgt. Nötig ist das Bewusstsein, dass das Nichthandeln irgendwelche Rechtsfolgen haben wird. Auch ein solches Unterlassen rechtfertigt nicht die Gleichstellung einer Vollstreckungsmaßnahme mit einer Rechtshandlung des Schuldners, wenn es sich in der bloßen Hinnahme einer berechtigten Vollstreckung erschöpft. Daher fehlt es an einer Schuldnerhandlung, wenn der Schuldner es lediglich unterlässt, seinen Forderungseinzug nach der Pfändung seines Geschäftskontos umzustellen, etwa auf einen Einzug über ein bestehendes oder neu zu eröffnendes anderes Bankkonto oder durch Bar- oder Scheckzahlung.

     

    MERKE | Diese Rechtsprechung ist konsequent und zu begrüßen. Sie vermeidet nämlich, dass sich der Schuldner zulasten des vollstreckenden Gläubigers in einer die Vollstreckung faktisch vereitelnden Art und Weise betätigen muss.

     

    Bewirkt der Schuldner hingegen eine Vermögensverlagerung außerhalb der vom Gläubiger angedrohten oder bereits eingeleiteten Zwangsvollstreckung, sei es auch zu deren Abwendung, steht das Vorliegen einer Schuldnerhandlung außer Frage. Auch hier gibt der BGH wieder Beispiele: Eine anfechtungsrelevante Rechtshandlung liegt danach vor, wenn

    • der Schuldner dem Vollstreckungsbeamten einen Scheck überreicht,
    • er nach Einleitung der Zwangsvollstreckung Überweisungen veranlasst oder
    • eine Überweisung zulasten eines gepfändeten Kontos erfolgt.

     

    Wie der konkrete Fall zu entscheiden war, konnte der BGH aufgrund der festgestellten Tatsachen nicht beurteilen. Es war noch die Frage zu klären, ob bewusst Rechnungen vermehrt gestellt und die Zahlung auf das gepfändete Konto gelenkt wurden. Es war also genau zu untersuchen ‒ das OLG hatte das dahinstehen lassen ‒ ob die Praxis im Anfechtungszeitraum der bisherigen Praxis entsprach oder doch darüber hinaus ging.

    Relevanz für die Praxis

    Letztlich geht es um einen Wettstreit zwischen den Befriedigungsansprüchen des Pfändungspfandgläubigers oder der Insolvenzgläubigern (im letzteren Fall allerdings abzüglich der Aufwendungen des Insolvenzverwalters). Die angefochtenen Vermögensverlagerungen können die Insolvenzgläubiger benachteiligt haben (§ 129 Abs. 1 InsO), weil die Auszahlungen an den Pfändungsgläubiger das Vermögen der Schuldnerin verringert haben.

     

    Eine Gläubigerbenachteiligung läge nur nicht vor, wenn der Pfändungspfandgläubiger aufgrund eines Pfändungspfandrechts zur abgesonderten Befriedigung an dem jeweiligen Kontoguthaben berechtigt war. Ein Pfandrecht entstand, soweit sich die Pfändungsverfügung auf künftige Guthaben bezog, jedoch erst mit dem Entstehen des Guthabens. Falls die Auszahlung des gepfändeten Guthabens wegen der Mitwirkung der Schuldnerin als Rechtshandlung anzusehen sein sollte, gilt dies ebenso für das Entstehen des Pfandrechts mit der Folge, dass auch das Pfandrecht der Vorsatzanfechtung unterliegen kann (BGH WM 13, 48).

     

    Es gibt aber noch eine Hürde, die der Pfändungsgläubiger nutzen kann, um die Anfechtung zu verhindern: § 133 Abs. 1 S. 1 InsO setzt eine Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners voraus. Nach dem BGH muss sich diese Kenntnis auch darauf erstrecken, dass die Gläubigerbenachteiligung durch eine vom Schuldner ausgehende Rechtshandlung verursacht worden ist. Die Voraussetzungen einer solchen Kenntnis dürfen allerdings nicht überspannt werden. Der Anfechtungsgegner muss nicht alle Einzelheiten kennen, aus denen sich das Vorliegen einer Schuldnerhandlung ergibt. Es genügt, dass er einen solchen Sachverhalt im Allgemeinen erkannt hat. Dies ist der Fall, wenn er sich der Kenntnis nicht verschließen konnte, dass sein Vermögenserwerb auf einer die Gläubigergesamtheit benachteiligenden Rechtshandlung der Schuldnerin beruhte. Auch das ist im Einzelfall zu klären.

     

    Fazit: Die Reform des Anfechtungsrechts hat in § 133 InsO zunächst den Anfechtungszeitraum verkürzt. Die Vermutung der Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners ist seit dem 5.4.17 nicht schon begründet, wenn er Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit hatte, sondern die Kenntnis muss sich auf die Zahlungsunfähigkeit beziehen.

     

    PRAXISHINWEIS | Neben diese gesetzlichen Änderungen tritt nun eine positive Rechtsprechung, die nicht mehr jede Rechtshandlung des Schuldners genügen lässt, sondern solche außer Betracht lässt, die eine Fortsetzung der bisherigen Praxis darstellen. Das müssen Sie darlegen und ‒ ggf. durch Zeugnis des Schuldners ‒ unter Beweis stellen.

     

    Quelle: Ausgabe 12 / 2017 | Seite 205 | ID 44983341