Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Rechtsverfolgungskosten

    Für verzögerte Zahlungen muss der Schuldner umfänglich einstehen

    | Ein „Klassiker“ aus dem Geschäftsleben: Der Gläubiger stellt seine Leistung in Rechnung, der Schuldner zahlt jedoch nicht. Der Gläubiger mahnt ein erstes und ein zweites Mal, ohne dass der Schuldner reagiert. Jetzt beauftragt er einen Rechtsanwalt, worauf der Schuldner nun zwar die Hauptforderung, aber nicht die Anwaltskosten zahlt. Begründung: Der Gläubiger habe gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen, weil er einen Rechtsanwalt beauftragt hat. Doch der Gläubiger handelt in solchen Fällen nicht vorschnell ‒ wie jetzt der BGH klargestellt hat. |

    Sachverhalt

    Der Kläger verlangt von dem Beklagten aus abgetretenem Recht seiner Mandantin (Zedentin) Rechtsanwaltskosten unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadenersatzes erstattet. Nachdem der Beklagte der Zedentin Restbeträge aus zwei Rechnungen für die Reparatur eines Kfz schuldig geblieben war und auf eine Zahlungsaufforderung sowie eine Mahnung nicht reagiert hatte, beauftragte die Zedentin den Kläger, ihre Interessen außergerichtlich wahrzunehmen.

     

    Mit anwaltlichem Mahnschreiben forderte der Kläger den Beklagten zunächst auf, die eine Rechnung nebst einer 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer auszugleichen. Mit weiterem anwaltlichen Mahnschreiben verlangte der Kläger Entsprechendes mit Blick auf die andere Rechnung. Der Beklagte beglich zwar die Rechnungen der Zedentin, die eingeforderten Rechtsanwaltskosten zahlte er aber nicht. Während AG und LG dem Kläger nur eine 0,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV RVG zubilligten, verlangt der Kläger eine 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG jeweils zuzüglich der Auslagen.

    Relevanz für die Praxis

    Der BGH (17.9.15, IX ZR 280/14, Abruf-Nr. 180835) hat deutlich gesprochen: Auch in rechtlich einfach gelagerten Fällen darf ein Gläubiger einen Rechtsanwalt beauftragen, wenn er den Schuldner verzugsbegründend gemahnt hat. Er muss das Mandat nicht auf ein einfaches Schreiben beschränken. Für die Praxis der Forderungsbeitreibung, aber auch die Zahlungsmoral hat das Urteil des BGH exorbitante Bedeutung. Es erstreckt sich dabei auch auf die Tätigkeit von Inkassodienstleistern.

     

    Rechtsanwalt darf beauftragt werden

    Hier bedurfte es nur eines Rückgriffs auf die nachgewiesene ständige Rechtsprechung des BGH: Danach muss der Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Maßgeblich ist die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt.

     

    Ein Schadensfall in diesem Sinne liegt nach dem BGH auch vor, wenn der Schuldner einer Entgeltforderung in Zahlungsverzug gerät. Um eine solche Forderung beizutreiben, ist es dann regelmäßig selbst in einfach gelagerten Fällen erforderlich und zweckmäßig, einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Das seinerseits Erforderliche tut der Gläubiger dadurch, dass er den Schuldner in Verzug setzt. Er muss nicht hinnehmen, dass sich die Erfüllung seiner Forderung weiter verzögert. Vielmehr kann er seinem Erfüllungsverlangen dadurch Nachdruck verleihen, dass er einen Rechtsanwalt einschaltet.

     

    MERKE | Eine klare Aussage des BGH: Sie muss auch von denen gehört werden, die meinen, der Gläubiger müsse immer weiter mahnen, eine weitere Inanspruchnahme seiner personellen und sachlichen Ressourcen hinnehmen und die damit verbundenen Kosten tragen (vgl. in diesem ‒ jetzt zurückgewiesenen ‒ Sinn etwa AG Dortmund WuM 15, 78; AG Essen-Steele 18.12.14, 12 C 141/14).

     

    Ausgehend von diesen Grundsätzen bleibt es unerheblich, ob der Gläubiger einen Rechtsanwalt oder einen Inkassodienstleister mit der vorgerichtlichen Forderungsbeitreibung beauftragt. Beide sind gleichermaßen ‒ der Inkasso-dienstleister nach dem RDG ‒ befugt, diese Rechtsdienstleistung zu erbringen.

     

    Mandat ist nicht zu beschränken

    Gerät er in Verzug, ist der Schuldner meist entweder nicht willens oder nicht in der Lage, zu zahlen. Der Fall ist klar, wenn der Schuldner etwas gegen die Forderung einwendet oder auf seine Zahlungsunfähigkeit hinweist. Unklar bleibt der Grund für die Nichtzahlung, wenn er nicht reagiert, obwohl der Gläubiger ihn gemahnt hat. Stets ist aber eine rechtliche Beratung erforderlich und zweckmäßig, die sich zunächst mit dem weiteren Vorgehen befassen muss:

     

    • Ist der Schuldner zahlungsunfähig oder liegt eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung vor, sind außergerichtliche Zahlungsaufforderungen durch den Rechtsanwalt meist nicht erfolgversprechend und daher nicht zweckmäßig. Es kommt in Betracht, die Forderung sofort zu titulieren.

     

    • Der Versuch, die Angelegenheit außergerichtlich unter Zuhilfenahme des Rechtsanwalts zu erledigen, kann sich nur anbieten, wenn der Schuldner weitere Verhandlungsbereitschaft signalisiert oder gar nicht reagiert hat.

     

    MERKE | Der BGH rückt damit den wesentlichen Aspekt in den Fokus: Der Schuldner setzt die Ursache für die missliche Situation, wenn er nach Erhalt der Rechnung den Gläubiger nicht kontaktiert, um den mangelnden Forderungsausgleich zu begründen. Würde er um einen Zahlungsaufschub bitten, wäre auch die Beauftragung eines Rechtsdienstleisters entbehrlich, folglich nicht „notwendig“. Der Gläubiger muss den Schuldner in dieser Weise nicht zwischenfinanzieren.

     

     

    Sachgerechtes Vorgehen bedarf rechtlicher Beratung

    Doch welcher Auftragsumfang kommt mit welchen Kosten in Betracht? Einen gesonderten Gebührentatbestand für eine Zweckmäßigkeitsberatung kennt das RVG nicht. Es setzt den informierten Mandanten voraus, der sich von vornherein mit einem bestimmten Auftrag, etwa zur isolierten Beratung, zur außergerichtlichen oder gerichtlichen Vertretung an den Anwalt wendet.

     

    Aus dem Fehlen eines gesonderten Gebührentatbestands darf aber nicht geschlossen werden, der Rechtsanwalt müsse die Zweckmäßigkeitsberatung kostenlos erbringen. Sie ist Bestandteil sowohl eines unbeschränkten Auftrags zur außergerichtlichen Vertretung im Sinne der Nr. 2300 VV RVG als auch eines solchen zur gerichtlichen Vertretung, der die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG auslöst. Beide Gebühren entstehen für das Betreiben des (jeweiligen) Geschäfts einschließlich der Information (Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 und 3 Abs. 2 VV RVG). Im Ergebnis ist damit nach dem BGH immer zumindest der Auftrag im Rahmen der Nr. 2300 VV RVG erteilt.

     

    PRAXISHINWEIS | Wegen der niedrigen Gebühr von 0,3 müssen Sie nicht beurteilen, ob ein Schreiben einfacher Art ausreichend und zweckmäßig ist, die Rechte des Gläubigers zu wahren. Will der Mandant in der Angelegenheit umfassend vertreten werden, geht die Verantwortung weiter. Das gilt auch für den Umfang der zu entfaltenden Tätigkeit, mögen Sie es nach außen auch bei einem einfachen Schreiben belassen. Dann ist Nr. 2301 VV RVG nicht anzuwenden (BT-Drucksache 15/1971 S. 207 zu Nr. 2402-E).

     

     

    Geschäftsleute als Gläubiger

    Ist der Gläubiger ausnahmsweise nicht auf eine Beratung über das weitere Vorgehen angewiesen, weil er selbst ‒ z.B. als erfahrener Geschäftsmann ‒ über entsprechende Kenntnisse verfügt und sie auf den konkreten Fall anzuwenden weiß, ist die Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine außergerichtliche Anwaltstätigkeit nicht auf eine Gebühr nach Nr. 2301 VV RVG beschränkt.

     

    Wird ein Anwalt beauftragt, den Gläubiger außergerichtlich i. S. d. Nr. 2300 VV RVG zu vertreten, soll dies den Konflikt schnell und einvernehmlich regeln. Dies ist zweckmäßig, wenn der Versuch einer außergerichtlichen Beitreibung nicht schon von vornherein ausscheidet (z. B. wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung). Da der Gläubiger, wenn er den Auftrag erteilt, nicht absehen kann, wie sich der Schuldner verhalten wird, ist der Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung aus der ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person regelmäßig erforderlich.

     

    Dies gilt vor allem, wenn der Schuldner auf Mahnungen des Gläubigers nicht reagiert hat. Der Gläubiger muss deshalb seinen Auftrag nicht auf ein einfaches Schreiben beschränken und dieses ggf. erweitern. Der Schuldner ist ausreichend geschützt: über den weiten Gebührenrahmen der Nr. 2300 VV RVG, der am unteren Ende nah an die 0,3 Gebühr der Nr. 2301 VV RVG heranreicht.

     

    MERKE | Auch hier verteilt der BGH die Rollen wieder eindeutig: Der Schuldner allein hat es in der Hand, sich vertragstreu zu verhalten und so den materiellen Kostenerstattungsanspruch des Gläubigers gar nicht erst entstehen zu lassen.

     

    Ersatz der 1,3-Geschäftsgebühr nicht stets gerechtfertigt

    Wurde der Rechtsdienstleister beauftragt und war dies zweckmäßig und erforderlich, stellt sich die Frage: Ist damit bereits der Ersatz einer 1,3-Geschäftsgebühr gerechtfertigt? Diese Frage verneint der BGH zu Recht und verweist deshalb die Sache zurück.

     

    Ersetzen muss der Schuldner nämlich nur den Schaden. Folglich war zu klären, ob der Gläubiger einen unbeschränkten Auftrag zur vorgerichtlichen Vertretung erteilt hatte. Das LG hatte diese Frage offengelassen. Im konkreten Fall stellte sich auch noch die Frage, ob angesichts zweier beizutreibender Rechnungen ein einheitlicher Auftrag erteilt wurde (dann eine Geschäftsgebühr aus dem addierten Streitwert) oder zwei getrennte Aufträge mit jeweils einer Geschäftsgebühr aus dem niedrigeren Einzelstreitwert erteilt wurden. Letzteres könnte tatsächlich gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen.

     

    • Beispiel

    Es sollen zwei Forderungen von 850 EUR und 1.090 EUR beigetrieben werden. Eine 1,3-Geschäftsgebühr aus dem Streitwert von 1.940 EUR beträgt 195 EUR. Die 1,3-Geschäftsgebühren aus den Einzelwerten betragen 124 EUR und 149,50 EUR (= 273,50 EUR).

     

    Diese Frage stellt sich aber nur, wenn die Forderungen zeitlich zusammenhängend entstanden sind. Entstehen verschiedene Forderungen zeitlich versetzt und befinden sich deshalb in unterschiedlichen Mahnabläufen, müssen diese auch nicht gemeinsam an einen Rechtsdienstleister übergeben werden. Je nach dem weiteren Verlauf der Forderungsbeitreibung muss aber in jedem neuen Schritt die Zusammenfassung bedacht werden.

     

    Die Höhe der Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG bemisst sich nach § 14 Abs. 1 RVG, wonach der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen bestimmt. Dabei ist zunächst nur der Rahmen einer 0,5 bis 1,3-Geschäftsgebühr eröffnet. Die 1,3-Schwellengebühr darf nur überschritten werden, wenn die konkrete Angelegenheit schwer oder umfangreich ist.

     

    Hierfür trägt der Anwalt die Darlegungs- und Beweislast. Der Schuldner muss geltend machen, dass dies unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG „nicht verbindlich, wenn…“). Den Gläubiger und seinen Anwalt trifft aber eine sekundäre Beweislast, da der Schuldner nicht zu allen Kriterien des § 14 RVG etwas sagen kann.

     

    Letztlich unterscheidet der BGH nicht zwischen dem materiellen und dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG. Insbesondere setzt die Vorschrift keine gerichtliche Kostengrundentscheidung voraus. Das mit dem anwaltlichen Bestimmungsrecht und der aus diesem ‒ auch gegenüber ersatzpflichtigen Dritten ‒ folgenden eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung verfolgte Ziel, Streitigkeiten über geringfügige Beträge zu vermeiden, ist auch im Rechtsstreit über einen materiellen Kostenerstattungsanspruch zu beachten (BGH NJW 11, 1603). Daraus, dass der V. Zivilsenat die Vorschrift auf den prozessualen Kostenerstattungsanspruch angewandt hat (BGH RVGreport 11, 145), lässt sich kein Gegenschluss für materielle Kostenerstattungsansprüche ziehen. Auch der X. Zivilsenat hält nicht an seiner gegenteiligen Ansicht (GRUR 14, 206) fest.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2016 | Seite 77 | ID 43982259