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  • · Fachbeitrag · Mahnpraxis

    Verzug ohne Mahnung und Mahnkosten

    | Tägliche Praxis: Der Gläubiger versendet eine Rechnung, auf der ein konkretes Zahlungsdatum genannt wird. Das Datum verstreicht und der Gläubiger mahnt die Rechnungssumme an. Mit der Mahnung des Gläubigers oder einer von ihm beauftragten Abrechnungsstelle werden zugleich Mahnkosten geltend gemacht, meist zwischen 1,50 EUR und 5 EUR ‒ in Einzelfällen sogar darüber. Aber: Ist das alles so richtig? |

     

    • Beispiel

    A. rechnet tierärztliche Leistungen gegenüber den Tierhaltern und Vertragspartnern der Tierärzte ab. Sie hat die gesetzliche Regelung bisher wie folgt verstanden: Setzt sie auf die Rechnung eine Frist, die vor den gesetzlichen 30 Tagen nach § 286 Abs. 3 S. 1 BGB abläuft, kann sie laut § 286 Abs. 2  Nr. 1 BGB auch schon für die erste Mahnung Mahngebühren verlangen. Also erstellt A. am 1.9.17 eine Rechnung. Auf dieser Rechnung steht „zahlbar bis zum 21.9.17”. Sie meint, dass Schuldner S. dann bei Nichtzahlung ab bzw. mit diesem Datum in Verzug gesetzt wird. Für jede Mahnung, die A. in solchen Fällen versendet, berechnet sie 3,50 EUR Mahngebühren.

     

    1. Fälligkeit und Verzug unterscheiden

    Zunächst muss beachtet werden, dass zwischen der Fälligkeit einer Forderung und dem Verzug wie folgt zu unterscheiden ist:

     

    • Die Fälligkeit der Forderung ist in § 271 BGB geregelt: Ist eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen, kann der Gläubiger die Leistung sofort verlangen, der Schuldner sie sofort bewirken. Eine Leistung ist also sofort fällig, wenn nicht etwa der geschlossene Vertrag eine andere abweichende Fälligkeitsregelung voraussetzt. Dass eine Leistung fällig ist, bedeutet aber nicht, dass der Schuldner danach auch in Verzug ist.

     

    • Die Voraussetzungen des Verzuges bestimmen sich nach §§ 280, 286 BGB. Hier ist die Fälligkeit nur eine unter mehreren Voraussetzungen.

     

    Checkliste / Voraussetzungen des Verzugs

    Die Voraussetzungen des Verzugs ‒ hier besteht die Pflichtverletzung in der verspäteten Leistung ‒ als Grundlage für den Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens sind:

     

    • 1. Bestehen eines Schuldverhältnisses: Hier kommen alle Verträge, aber auch gesetzliche Schuldverhältnisse, in Betracht. Im Fall der Leserin ist diese Voraussetzung mit dem tierärztlichen Behandlungsvertrag gegeben.

     

    • 2. Leistung ist noch möglich: Soweit die Leistung i. S. d. § 275 BGB nicht mehr möglich ist, handelt es sich um den Fall der anfänglichen oder nachträglichen Unmöglichkeit, die anderen Regelungen folgt. Eine Geldleistung ist aber immer noch möglich.
    • 3. Der Schuldner hat nicht geleistet: Hier muss insbesondere geprüft werden, ob der Schuldner nicht in anderer Weise, etwa durch eine Gutschrift oder eine Aufrechnung, geleistet hat. Ansonsten ist es ein rein tatsächlicher Umstand.
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    • 4. Der Anspruch ist fällig: Die Fälligkeit einer Leistung bestimmt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen oder den Umständen. Im Zweifel ist die Leistung sofort fällig, § 271 BGB.
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    • 5. Der Anspruch wurde angemahnt oder die Mahnung ist entbehrlich: Die Mahnung stellt sich als „ernsthafte und unmissverständliche Leistungsaufforderung“ dar. Die Mahnung ist in verschiedenen Fällen allerdings entbehrlich, wenn
      • die Leistungszeit nach dem Kalender bestimmt ist, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB (z. B. 1.9.17, s. o.); „Bestimmung“ bedeutet dabei vertragliche Vereinbarung. Eine einseitige Leistungsbestimmung genügt nicht (BGH NJW 08, 50);
      • die Leistungszeit in Abhängigkeit von einem Ereignis nach dem Kalender bestimmt ist, § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB (z. B. zwei Wochen nach Ostern);
      • der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB (z. B. „Ich werde auf gar keinen Fall außerhalb einer gerichtlichen Verurteilung Zahlungen leisten ...“);
      • aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist, § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB (z. B., wenn der Schuldner sich dem Zugang einer Mahnung durch fortlaufenden Aufenthaltswechsel entzieht, ohne seinen Meldepflichten ordnungsgemäß nachzukommen);
      • der Schuldner nicht binnen 30 Tagen ab dem Zugang der Rechnung zahlt, § 286 Abs. 3 BGB; bei einem Verbraucher gilt dies aber nur, wenn er hierauf hingewiesen wurde.
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    • 6. Die Nichtleistung beruht auf Verschulden: „Geld muss man haben“. Geld als solches ist immer vorhanden. Es ist allgemein anerkannt, dass das subjektive Unvermögen des Schuldners, das notwendige Geld zu leisten, sein Verschulden begründet.
     

     

    2. Ohne Vereinbarung keine Entbehrlichkeit der Mahnung

    Wie sich aus der vorstehenden Checkliste ergibt, genügt also die Bestimmung einer Zahlungsfrist auf einer Rechnung nicht, um den Schuldner ohne Mahnung in Verzug zu bringen. Es fehlt an der vertraglichen Vereinbarung, die nicht durch eine einseitige Bestimmung des Gläubigers unterlaufen werden kann (BGH NJW 08, 50; Lorenz, in: Beck‘scher OK-BGB, § 286 Rn. 30). Auch § 286 Abs. 3 BGB bliebe dann ohne Sinn. Im Gegenteil ‒ es muss die Gefahr der einseitigen Fristbestimmung gesehen werden: Die Zahlungsfrist kann auch dahingehend verstanden werden, dass die Fälligkeit hinausgeschoben werden soll.

     

    PRAXISHINWEIS | Am ehesten lässt sich der Verzug ohne Mahnung begründen, wenn der Gläubiger beim Vertragsabschluss mit dem Schuldner vereinbart, dass die Zahlung in Abhängigkeit vom Zugang der Rechnung (Ereignis) an einem nach dem Kalender bestimmten Tag zu zahlen ist (z. B. „Zehn Tage nach Zugang der Rechnung“).

     

    Fehlt es ‒ wie im Fall der Leserin - an einem der Ausnahmetatbestände nach § 286 Abs. 2 und 3 BGB, muss der Gläubiger den Schuldner mahnen, um den Verzug zu begründen. Damit fehlt es auch an einer Grundlage für die Erstattungsfähigkeit der Mahnkosten des Gläubigers für die Erstmahnung (BGH NJW 85, 320). Erst für die Zweitmahnung können dann Kosten angesetzt werden.

     

    PRAXISHINWEIS | Für die Erstmahnung können dann Mahnkosten erhoben werden, wenn dies vertraglich vereinbart wurde.

     

    3. Die Höhe der Mahnkosten

    Die Höhe der Mahnkosten sind nach dem tatsächlichen Sachaufwand zu bestimmen. Personalkosten müssen dabei unberücksichtigt bleiben.

     

    MERKE | Der BGH (zuletzt am 20.9.16, VIII ZR 239/15, Abruf-Nr. 189408) geht in jahrzehntelanger st. Rspr. (so auch BAG 23.1.92, 8 AZR 246/91) davon aus, dass ein Geschädigter seinen bei der Schadensermittlung und außergerichtlichen Abwicklung seines Schadenersatzanspruchs anfallenden Arbeits- und Zeitaufwand selbst tragen muss. Dies gelte, auch wenn er hierfür besonderes Personal einsetzt oder die Tätigkeiten extern erledigen lässt, bei einer am Schutzzweck der Haftungsnorm sowie an Verantwortungsbereichen und Praktikabilität orientierten Wertung, sofern der im Einzelfall erforderliche Aufwand ‒ wie im Streitfall ‒ die im Rahmen des Üblichen typischerweise zu erbringende Mühewaltung nicht überschreitet.

     

    Vor diesem Hintergrund dürften Mahnkosten des Gläubigers über 1,50 EUR je Mahnung für Porto, Papier, Umschlag etc. nur schwer zu begründen sein (OLG München 28.7.11, 29 U 634/11; OLG Koblenz 30.6.16, 2 U 615/15).

     

    PRAXISHINWEIS | Für die Praxis ist allerdings festzustellen: In wettbewerbsrechtlichen Verfahren oder bei Abmahnungen nach dem Unterlassungsklagengesetz werden strenge Maßstäbe angelegt. Hingegen machen sich Gerichte im Einzelfall bei Mahnkosten bis 2,50 EUR je Mahnung regelmäßig nicht die Mühe, diese Kosten zu bestanden, wenn der Schuldner keine Einwendungen erhebt.

     

    4. AGB-Grenze für die Vereinbarung von Mahnkosten

    Höhere Mahnkosten können wegen § 309 Nr. 5 BGB in AGB nicht vereinbart werden. Danach ist es unwirksam, in AGB einen pauschalierten Anspruch des Verwenders auf Schadenersatz oder Ersatz einer Wertminderung zu vereinbaren, wenn „die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden oder die gewöhnlich eintretende Wertminderung übersteigt oder dem anderen Vertragsteil nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet wird, ein Schaden oder eine Wertminderung sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale“.

     

    WICHTIG | Für Individualvereinbarungen gilt diese Grenze nicht. Allerdings dürfte es kaum Fälle geben, in denen von einer Individualvereinbarung auszugehen ist.

     
    Quelle: Ausgabe 09 / 2017 | Seite 155 | ID 44807989