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  • · Fachbeitrag · Energiepreisänderungen

    Der BGH begründet die „Drei-Jahres-Lösung“

    | Die Energiepreisexplosion bringt die Energieversorgungsunternehmen unter Zugzwang. Höhere Einkaufspreise an den Märkten werden an Unternehmen und Verbraucher weitergegeben. Dabei sind die Energieversorger an rechtliche Bedingungen gebunden. Zum einen kommt es auf die vertraglichen Vereinbarungen mit den Kunden an (FMP 22,175). Zum anderen muss die Preisgestaltung so sein, dass sie sowohl die Kostenentwicklung bei Erzeugung und Bereitstellung der Energie als auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Energiemarkt angemessen berücksichtigt. Dabei sind die maßgeblichen Berechnungsfaktoren vollständig und allgemein verständlich auszuweisen (s. o., S. 201 ff., in dieser Ausgabe). Soweit die Versorger diese Voraussetzungen nicht berücksichtigen, ist die Preisänderung unwirksam. Welche Folgen hat das für betroffene Kunden und die Energieversorger? Der BGH hat das jetzt in zwei Entscheidungen geklärt, die Sie kennen müssen. |

     

    Sachverhalt

    Die Kläger hatten mit dem beklagten Energieversorger in 2009 bzw. 2010 Versorgungsverträge geschlossen und dabei in den AGB eine Klausel akzeptiert, nach der der Energieversorger unter bestimmten Voraussetzungen den vereinbarten Preis anpassen kann. Das LG hat in 2019 die Unwirksamkeit dieser Klausel festgestellt. Daraufhin haben die Kläger die Preisänderungen gegenüber ihrem Vertragspartner moniert und verlangten, die in den Abrechnungsjahren 2015 bis 2018 überzahlten Entgelte zurückzuzahlen. Bei Vertragsschluss lagen die vereinbarten Entgelte bei 5,9 ct/KW/h bzw. 6,81 ctKW/h. Seit 2014 hat sich die Preisgestaltung wie folgt entwickelt: 2014: 8,38 ct/KW/h, 2015: 8,36 ct/KW/h, 2016: 8,33 ct/KW/h, 2017: 8,30 ct/KW/h und 2018: 8,36 ct/KW/h.

     

    Entscheidungsgründe

    Der BGH hat zunächst die Unwirksamkeit der hier entscheidungserheblichen Preisänderungsklausel bestätigt. Dann stellte sich aber die Frage, welcher Preis nun für die weiteren Abrechnungen angesetzt werden kann, wenn die Preisänderungen aufgrund der fehlerhaften Änderungsklausel unwirksam sind. Ferner hat der BGH die Frage aufgeworfen, wie lange der Anspruch auf Rückzahlung der überzahlten Entgelte noch geltend gemacht werden kann.

     

    • Leitsatz: BGH 6.7.22, VIII ZR 28/21 und VIII ZR 155/21

    Eine unwirksame Preiserhöhung in einem Energielieferungsvertrag kann nur geltend gemacht werden, wenn der Kunde sie innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung beanstandet hat (Abruf-Nr. 230724 und 230827).

     

    Eine unwirksame Preisanpassungsklausel in einem Energielieferungsvertrag führt zu einer Lücke im Regelungsplan der Parteien, die nach der gefestigten BGH-Rechtsprechung im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 133 BGB zu schließen ist, wenn es sich um ein langjähriges Vertragsverhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und er nun auch für länger zurückliegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht.

     

    Die ergänzende Vertragsauslegung führt dazu, dass der Kunde die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (BGH, a. a. O.; 24.9.14, VIII ZR 350/13; 1.6.22, VIII ZR 287/20). Diese sog. Drei-Jahres-Lösung hat zur Folge: Statt des wegen der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel auf dem Niveau des bei Vertragsschluss verharrenden (Anfangs-)Preises gilt nun die letzte Preiserhöhung des Versorgungsunternehmens, der der Kunde nicht rechtzeitig widersprochen hat, als vereinbart. Mithin tritt der danach maßgebliche Preis endgültig an die Stelle des Anfangspreises. Dabei muss der Kunde die Gründe weder mitteilen noch führt deren Nennung dazu, dass sich der Widerspruch auf diese beschränkt.

     

    Es bedarf auch keiner Angaben, ob und inwieweit der Kunde mit dem Widerspruch frühere Preiserhöhungen beanstanden will. Die ergänzende Vertragsauslegung in Fällen langjähriger Versorgungsverhältnisse, in denen der Kunde den Preiserhöhungen über lange Zeit nicht widersprochen hat und nun auch für länger zurückliegende Zeitabschnitte die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen geltend macht, setzt für die Anknüpfung an die Drei-Jahres-Frist nur voraus, dass der Kunde dem Energieversorger gegenüber zum Ausdruck bringt, er beanstande den derzeit geforderten aktuellen Preis der Höhe nach.

     

    MERKE | Fordert der Kunde in einem Energielieferungsverhältnis wegen einer unwirksamen Preisänderungsklausel Zahlungen zurück, entsteht der Rückforderungsanspruch nicht bereits mit der Leistung einzelner Abschlagszahlungen, sondern erst mit Erteilung der (Jahres-)Abrechnung. Die Jahresabrechnungen erfolgen i. d. R. im Folgejahr der Leistungserbringung. Erst dann entsteht der Anspruch.

     
    • Beispiel

    Kunde K. erhält am 15.3.22 die Jahresabrechnung für 2021. Der Anspruch ist mit Zugang der Abrechnung entstanden. Widerspricht K. dann dieser Jahresabrechnung und den früheren Preiserhöhungen, wirkt dies auch für alle Preisveränderungen innerhalb der drei Jahre zuvor, also auch für die Abrechnungen für die Kalenderjahre 2020, 2019 und 2018. Maßgeblich ist dann der Preis, der außerhalb der Drei-Jahres-Regelung als unbeanstandet zu werten ist, also der Preis für das Kalenderjahr 2017.

     

    In Anwendung dieser Grundsätze hat der BGH in den beiden vorliegenden Fällen für die Abrechnungszeiträume 2015 bis 2018 einen Rückzahlungsanspruch für überzahlte Arbeitspreise verneint. Ausgehend von der erstmaligen Beanstandung der Preiserhöhungen durch das Schreiben der Kläger aus 2019 war der für 2014 von der Beklagten verlangte Arbeitspreis der nach der Drei-Jahres-Lösung maßgebliche Preis, da die Kläger der folgenden Jahresabrechnung für 2015 sowie allen weiteren Abrechnungen rechtzeitig binnen drei Jahren widersprochen haben.

     

    Der Arbeitspreis für das Jahr 2014 ist im Streitfall endgültig an die Stelle des Anfangspreises getreten und rechtlich wie ein zwischen den Parteien vereinbarter Preis zu behandeln. Preissenkungen, die dazu führen, dass sich die Preise in späteren Abrechnungszeiträumen niedriger als der nun geltende Ausgangspreis entwickeln, ist in der Weise Rechnung zu tragen, dass anstelle des Ausgangspreises (hier: 8,38 ct/kWh) der für den jeweiligen Abrechnungszeitraum anfallende niedrigere Preis (hier: 8,36 ct/kWh für 2015; 8,33 ct/kWh für 2016; 8,30 ct/kWh für 2017; 8,36 ct/kWh für das Jahr 2018) maßgebend ist.

     

    Denn im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung ist davon auszugehen, dass redliche, auf eine Ausgewogenheit der Vertragsbeziehungen bedachte Parteien, wenn sie den Umstand möglicher späterer Preissenkungen bei Vertragsschluss bedacht hätten, allein schon aus Gründen der Fairness übereingekommen wären, dass ein Kunde für die Zeiträume der Preisunterschreitungen nur die geringeren Entgelte hätte entrichten müssen. Da die Beklagte den Arbeitspreis aber bis einschließlich 2017 jedes Jahr gesenkt und nur diese Preise verlangt hat (s. o.), kommen Rückzahlungsansprüche der Kläger also für diesen Zeitraum nicht in Betracht. Der Umstand, dass der Arbeitspreis für 2018 (wie auch in den Vorjahren) infolge von späteren Preissenkungen geringer als der Arbeitspreis für das Jahr 2014 ausgefallen ist, ist zwar bei der Preisbemessung zugunsten des Kunden zu berücksichtigen, jedoch nach dem BGH nicht in der vom LG vorgenommenen Weise.

     

    Relevanz für die Praxis

    Dasselbe gilt nach Ansicht des BGH auch hinsichtlich des von der Beklagten für das Abrechnungsjahr 2018 angesetzten Arbeitspreises von 8,36 ct/kWh. Die Beklagte hat den Arbeitspreis in diesem Zeitraum gegenüber dem im Vorjahr 2017 in Ansatz gebrachten Preis von 8,30 ct/kWh erstmals wieder erhöht. Der Arbeitspreis für 2018 bleibt aber nach wie vor hinter dem infolge des Widerspruchs des Klägers nach der Drei-Jahres-Lösung des Senats maßgeblichen Preis ‒ dem Arbeitspreis für das Jahr 2014 von 8,38 ct/kWh ‒ zurück.

     

    Nachträgliche Preissenkungen verändern nicht dauerhaft den nach der DreiJahres-Lösung infolge des Widerspruchs des Kunden maßgeblichen neuen Ausgangspreis. Das hätte ansonsten zur Folge, dass der Energieversorger nach einer vorübergehenden Kostensenkung endgültig an eine Preissenkung gebunden bliebe und keine Preiserhöhungen geltend machen könnte, die sich noch bis im Rahmen des neuen Ausgangspreises bewegen. Eine solche Preiserhöhung stützt sich nach Auffassung des BGH nicht auf die unwirksame Preisänderungsklausel. Vielmehr ergibt sie sich aus der Drei-Jahres-Lösung.

     

    An diese Vorgaben hat sich die Beklagte bei ihren Abrechnungen gehalten. Für 2018 hat sie zutreffend einen Arbeitspreis von 8,36 ct/kWh angesetzt und bewegt sich dabei noch unterhalb des neuen Anfangspreises aus dem Jahre 2014 (8,38 ct/KW/h). Daher kann der Beklagte auch in 2018 den angesetzten Preis geltend machen. Der BGH hat daher im Ergebnis beide Klagen abgewiesen.

     

    PRAXISTIPP | Macht der Kunde gegenüber dem Energieversorgungsträger unzulässige Preiserhöhungen geltend, muss also i. S. d. vorstehenden Grundsätze der Preisverlauf für die vergangenen Abrechnungsperioden nachvollzogen und dann nachgerechnet werden.

     
    Quelle: Ausgabe 12 / 2022 | Seite 214 | ID 48709975