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  • · Fachbeitrag · BGH zum Schadenersatz

    Deliktshaftung verantwortlicher Personen eines „Schwindelunternehmens“

    | Sogenannte „Anlagefälle“ nehmen rasant zu, denn die niedrigen Zinsen verleiten auch „Otto-Normal-Verbraucher“ dazu, sein Vermögen in risikoreicheren Projekten anzulegen. Der BGH musste sich nun mit denjenigen beschäftigen, die diese Anlagebereitschaft betrügerisch ausnutzen. Da bei den Betrugsfirmen wegen Insolvenz meist nichts zu holen ist, macht die Entscheidung des BGH Mut, es bei den handelnden Personen persönlich zu versuchen. Dabei bewirkt sie nicht nur eine bessere Anspruchsgrundlage. Ansprüche können auch leichter durchgesetzt werden. |

    Sachverhalt

    Die Klägerin begehrt Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien einer nicht börsennotierten Schweizer Aktiengesellschaft. Der Beklagte zu 1.) war seit der Gründung der Gesellschaft bis 18.2.10 Mitglied des Verwaltungsrats und Geschäftsführer. Der Beklagte zu 2.) war bis zum 27.11.08 Präsident des Verwaltungsrats. Geschäftsgegenstand der Gesellschaft, die 22 Mio. vinkulierte Namensaktien zu einem Nennwert von 0,01 Schweizer Franken ausgegeben hatte, war das Factoring. Den Großteil ihrer Umsätze erzielte sie indes durch den Verkauf ihrer eigenen Aktien sowie der Aktien einiger ihrer Altaktionäre. Bei der Gesellschaft angestellte Telefonverkäufer verkauften diese u. a. in Deutschland an Privatanleger. Auf der Internetseite der Gesellschaft war ein von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gebilligter und hinterlegter Wertpapierprospekt veröffentlicht. In gedruckter Form wurde der Prospekt potenziellen Anlegern nur auf Anforderung übersandt.

     

    Dem Anspruch der Klägerin liegt der Erwerb von 20.000 Namensaktien zu einem Preis von 62.500 EUR zugrunde, wobei die Transaktion über deutsche Konten abgewickelt wurde. Am 18.6.10 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Aktien sind inzwischen wertlos. Die Klägerin macht geltend, die Gesellschaft habe ihr operatives Geschäft ‒ bei dem es sich um ein Minimalgeschäft mit Alibifunktion gehandelt habe ‒ nicht ernsthaft betrieben. Es habe nur dazu gedient, den Anlegern ein florierendes Unternehmen vorzutäuschen und sie damit zum Kauf von Aktien zu bewegen. Während das LG den Beklagten noch verurteilt hat, hat das OLG die Klage gegen beide Beklagte abgewiesen. Der BGH bejaht wie die Vorinstanzen die internationale Zuständigkeit. Auch sei deutsches Recht anzuwenden. In der Sache hat der BGH die Haftung ganz anders als das OLG bewertet:

     

    • Leitsatz: BGH 14.7.15, VI ZR 463/14

    Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer oder (faktische) Geschäftsleiter einer Gesellschaft haften nach § 826 BGB auf Schadenersatz, wenn das von ihnen ins Werk gesetzte Geschäftsmodell der Gesellschaft von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden angelegt ist, es sich mithin um ein „Schwindelunternehmen“ handelt (Abruf-Nr. 180832).

     

    Relevanz für die Praxis

    Zunächst musste der BGH prüfen, welches Gericht örtlich zuständig und welches Recht anzuwenden war. Anschließend konnte er zum Kern des Problems kommen, der Frage, inwieweit die handelnden Personen haften.

     

    Zuständigkeiten

    Die internationale Zuständigkeit besteht nach Art. 5 Nr. 3 i. V. m. Art. 63 Abs. 1 des „Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 30.10.07“ (ABl. EU L 339 S. 3; LugÜ II). Die dortige Wortwahl „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, ist so zu verstehen, dass sie sowohl den Ort des ursächlichen Geschehens (Handlungsort) als auch den Ort der Verwirklichung des Schadenerfolgs (Erfolgsort) meint (st. Rspr., EuGH NJW 15, 1581). Da die Überweisungen in Deutschland ausgeführt und verbucht wurden, liegt ein Tatort in Deutschland.

     

    MERKE | Die Rechtsmittelgerichte dürfen nach § 513 ZPO zwar die vom Erstgericht angenommene örtliche Zuständigkeit nicht mehr prüfen, sehr wohl aber die internationale Zuständigkeit. Sie ist sogar von Amts wegen zu prüfen. Anderes kann nur gelten, wenn beide Zuständigkeiten ‒ die internationale wie die örtliche ‒ von denselben Voraussetzungen abhängen (BGH NJW 97, 397). Eine weitere Ausnahme kommt in Betracht: Besteht eine Prüfungskompetenz, wenn die örtliche Zuständigkeit willkürlich angenommen wurde? Dies ist aber noch nicht höchstrichterlich entschieden worden. Auch jetzt lässt der BGH das offen.

     

    Deutsches Recht

    Anlageobjekt war eine Schweizer Aktiengesellschaft, sodass auch zu fragen war, ob überhaupt deutsches Recht anzuwenden sein kann. Das war vorliegend gesplittet zu beantworten:

     

    • Für die deliktischen Handlungen vor dem 11.1.09 war Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB einschlägig. Ansprüche aus unerlaubter Handlung unterliegen danach dem Recht des Staates, in dem der Ersatzpflichtige gehandelt hat. Will man dies nicht darin sehen, dass der Kaufpreis in Deutschland gezahlt wurde, gilt nach S. 2: Der Verletzte kann verlangen, dass anstelle dieses Rechts das Recht des Staates angewandt wird, in dem der Erfolg eingetreten ist.

     

    • Für die deliktischen Handlungen ab dem 11.1.09 gilt Art. 4 Abs. 1 der an diesem Tag in Kraft getretenen „Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.07 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ (Rom II-Verordnung), wonach auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem der Schaden eintritt. Dies gilt unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Der Schaden ist bei der Klägerin in Deutschland eingetreten.

     

    Haftung der handelnden Person

    Für die Praxis von besonderer Relevanz ist dann die Frage, wie die handelnden Personen persönlich haften, d.h. ob die durch die gewählte Form der Kapitalgesellschaft begründete begrenzte Haftung durchbrochen werden kann. Wird dies bejaht, ist eine vorsätzlich unerlaubte Handlung gegeben. Diese erlaubt nach § 850f Abs. 2 ZPO (privilegierte Pfändung), Arbeitseinkommen und Guthaben auf einem Konto zu pfänden, ohne die Pfändungsschutzgrenzen anzuwenden. Zudem ist nach § 302 InsO die „Flucht in die Insolvenz“ abgeschnitten.

     

    Geschäftsführer, (faktische) Geschäftsleiter oder Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft haften nach § 826 BGB auf Schadenersatz, wenn das von ihnen ins Werk gesetzte Geschäftsmodell der Gesellschaft von vornherein darauf angelegt ist, Kunden zu täuschen und zu schädigen, es sich mithin um ein „Schwindelunternehmen“ handelt (BGH WM 89, 1047; WM 15, 819). Es liegt dann eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung vor.

     

    Der BGH hat hinreichende Indizien gesehen, dass das operative Geschäft der Gesellschaft von den Beklagten nicht ernsthaft betrieben wurde, sondern nur dazu diente, den Anlegern ein florierendes Unternehmen vorzutäuschen und sie damit zum Kauf von Aktien zu bewegen. Dem muss das OLG nach der Aufhebung und Zurückverweisung jetzt nachgehen. Die Praxis kann die Indizien als Checkliste nutzen, ein „Schwindelunternehmen“ zu erkennen:

     

    Checkliste / Hier sieht der BGH Indizien für ein „Schwindelunternehmen“

    • Obwohl das Unternehmen erst gegründet war, wurden die Aktien zum 160 bis 520-fachen Nennwert veräußert. Umstände, die ein Aufgeld in dieser Höhe als gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, waren und sind nicht ansatzweise erkennbar (tatsächliche Erträge und Ertragschancen).
    • Der Umsatz aus dem Kerngeschäft betrug in den letzten beiden Jahren nur 1,6 bzw. 3,1 Prozent des Gesamtumsatzes, während der gesamte restliche Umsatz allein aus der Veräußerung der eigenen Aktien resultierte.
    • Eine professionelle Inkassosoftware war nicht vorhanden.
    • Obwohl notleidende Forderungen erworben wurden, wurden sie zum Nennwert bilanziert.
    • Es handelte sich nicht um eine Neuemission, sondern um eine Weiterveräußerung, sodass auch noch die Altaktionäre partizipierten, was nicht offengelegt war.
    • Die Zuflüsse aus dem Aktienverkauf wurden nicht für das operative Geschäft genutzt, sondern zumindest in erheblichen Teilen ausgeschüttet.
    • Die Gesellschaft hat im Internet ‒ den handelnden Personen zurechenbar ‒ damit geworben, die Investition biete eine außergewöhnliche Sicherheit und die Bonität der Gesellschaft sei besser als diejenige mancher deutscher Banken.
    • Auch wurde im Internet und in Newslettern behauptet, die binnen drei Jahren erzielten Dienstleistungserträge seien um das Hundertfache gestiegen, ohne dass diese Erträge aus dem operativen Geschäft stammten.
    • Das Wertpapierprospekt wurde nicht übersandt.
     

     

    PRAXISHINWEIS | Werden Sie mit dem Fall eines Anlagebetrugs konfrontiert, dürfen Sie sich künftig nicht allein darauf konzentrieren, ob die Gesellschaft haftet oder es sich lohnt, sich an einem Insolvenzverfahren zu beteiligen. Sie müssen jetzt verstärkt die Frage stellen, ob die Handelnden persönlich haften. Aber: Es wird schwierig sein, den Nachweis der sittenwidrigen Schädigung zu führen.

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2016 | Seite 32 | ID 43802512