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  • · Fachbeitrag · Gewaltschutz

    Häusliche Gewalt in den Zeiten von Corona

    von VRiOLG i.R., RA Dieter Büte, Bad Bodenteich

    | Häusliche Gewalt nimmt in der Corona-Krise vermutlich zu. Quarantäne, Ausgangsbeschränkungen, geschlossene Schulen und Kitas, Homeoffice, Kurzarbeit und Zukunftsangst. Viele Familien stehen vor großen Herausforderungen: Man kann sich nicht aus dem Weg gehen, Konflikte drohen zu eskalieren. Abhilfe bietet eine einstweilige Anordnung nach § 214 FamFG. |

    1. Zulässigkeit

    Das Gewaltschutzverfahren ist ein Antragsverfahren. Es ist notwendig, den Antrag zu begründen und glaubhaft zu machen, § 23 Abs. 1, § 31, § 51 FamFG). Das Verfahren ist gem. § 114 Abs. 4 Nr. 1 FamFG vom Anwaltszwang ausgenommen. Bei Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG) handelt es sich um Familiensachen (§ 111 Nr. 6, § 210 FamFG), sodass unabhängig von der Art der persönlichen Beziehung das FamG zuständig ist, § 23a Abs. 1, § 23b Abs. 1 GVG. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 50 Abs. 2, § 211 FamFG.

    2. Begründetheit

    Bei der Begründetheit ist Folgendes zu beachten:

     

    a) Anordnungsanspruch

    Schutzanordnungen nach dem GewSchG kommen bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit in Betracht. Die Voraussetzungen entsprechen denen des § 823 Abs. 1 BGB (Johannsen/Henrich/Götz, Familienrecht, 6. Aufl., § 1 GewSchG Rn. 5). § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GewSchG erstreckt die Möglichkeit gerichtlicher Schutzanordnungen in Fällen, in denen die Gewalt noch nicht i. S. v. § 1 Abs. 1 GewSchG ausgeübt worden ist, auf die widerrechtliche Drohung mit einer Verletzung der in Abs. 1 genannten Rechtsgüter. Nicht geschützt ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht (OLG Hamm FamRZ 12, 1950; 13, 569). Eine Verletzung des Körpers liegt vor bei einem unbefugten Eingriff in die körperliche Integrität. Unter Gesundheitsverletzung wird jedes Hervorrufen oder Steigern eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustandes verstanden, unabhängig davon, ob Schmerzen oder tief greifende Veränderungen der Befindlichkeit auftreten. Körper- und Gesundheitsverletzungen gehen ineinander über. Psychische Gewalt wird als Körper- und Gesundheitsverletzung erfasst, wenn sie sich beim Opfer psychisch auswirkt, wobei die Beeinträchtigung eine gewisse Erheblichkeit erreichen muss (OLG Karlsruhe FamRZ 12, 460). Zusätzlich müssen bei sämtlichen Tatbeständen folgende weitere Tatbestandsmerkmale erfüllt sein:

     

    • Widerrechtlichkeit, die durch eine Verletzungshandlung regelmäßig indiziert wird
    • Verschulden, wobei Vorsatz erforderlich ist
    • Wiederholungsgefahr, die durch die Verletzungshandlung indiziert wird (OLG Hamm FamRZ 12, 880).

     

    b) Anordnungsgrund

    Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Dies liegt i. d. R. vor, wenn eine Tat nach § 1 GewSchG begangen wurde oder im Fall der Bedrohung i. S. v. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GewSchG aufgrund konkreter Umstände mit einer Begehung zu rechnen ist (Keidel/Giers FamFG, 20. Aufl., § 214 Rn. 3, 4).

     

    c) Glaubhaftmachung

    Der Anordnungsgrund ist glaubhaft zu machen und auf präsente Beweismittel beschränkt, § 31, § 51 Abs. 1 S. 2, § 214 FamFG. Insoweit reicht die Benennung von Zeugen in Verfahren eines einstweiligen Rechtsschutzes nicht aus. Trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes ist das FamG nicht verpflichtet, benannte Zeugen zu laden (OLG Bremen FamRZ 12, 142). Es sind schriftliche Erklärungen der Zeugen vorzulegen oder eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers / der Antragstellerin. Dafür reicht die Bezugnahme auf eine vom Verfahrensbevollmächtigten verfasste Antragsschrift nicht aus, selbst wenn in der Erklärung die Richtigkeit des Antragsinhalts bestätigt wird (BGH NJW 88, 2045; Zöller/Greger ZPO, 32. Aufl., § 294 Rn. 4). Notwendig ist eine selbstständige Sachdarstellung. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Anordnung von Maßnahmen nach dem GewSchG (noch) vorliegen, ist der Zeitpunkt der Entscheidungsreife.

     

    PRAXISTIPP | Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/6308, 250) soll in Gewaltschutzverfahren ein Antragsteller durch den Amtsermittlungsgrundsatz entlastet werden. Reicht die Begründung des Antrags allein für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht aus, ist das FamG vor einer Entscheidung zur Amtsermittlung verpflichtet, z. B. durch eine Anfrage bei der zuständigen Polizeibehörde. Folgt aus dem ‒ als richtig unterstellten ‒ Vortrag des Antragstellers, dass eine Maßnahme nach den §§ 1, 2 GewSchG nicht gerechtfertigt ist, kann der Antrag sofort abgelehnt werden (Keidel/Giers, a.a.O., § 51 Rn. 10). Bei Glaubhaftmachung sind alle „zur Abwehr weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen“, insbesondere eine solche auf Unterlassung von Handlungen der in § 1 Abs. 1 S. 3 GewSchG beschriebenen Art, gerechtfertigt. Das FamG ist nicht an den Antrag gebunden. Die Auswahl einzelner Unterlassungspflichten ist nur von deren Geeignetheit und Erforderlichkeit abhängig, eine Gefährdung der geschützten Rechtsgüter abzuwehren. Sie setzt hingegen nicht voraus, dass eine Wiederholungs- oder Begehungsgefahr gerade hinsichtlich der untersagten Verhaltensweise festgestellt ist (OLG Celle FamRZ 15, 263).

     

    d) Mögliche Arten von Schutzanordnungen nach § 1 Abs. 1 S. 3 GewSchG

    Das Verbot, die Wohnung der verletzten Person zu betreten, wird häufig im Zusammenhang einer Überlassungsanordnung nach § 2 GewSchG verhängt, kann aber auch isoliert ergehen (OLG Köln FamRZ 03, 319).

     

    Durch das Verbot, sich in einem bestimmten Umkreis um die Wohnung des Opfers aufzuhalten, kann i. d. R. die notwendige Distanz zwischen Opfer und Täter sichergestellt und weiteren Rechtsverletzungen vorgebeugt werden (OLG Stuttgart FamRZ 04, 876). Die genaue Distanz richtet sich nach den jeweiligen Verhältnissen (von Pechstaedt, NJW 07, 1233 mit zahlreichen Einzelnachweisen). Notwendig ist aber eine genaue Angabe der Distanz in Metern.

     

    Dem Täter kann auch verboten werden, bestimmte Orte aufzusuchen, an denen sich das Opfer regelmäßig aufhält. Die Möglichkeit erlangt eine größere Bedeutung nach einer Lockerung der coronabedingten Beschränkungen und könnte vorsorglich mitbeantragt werden. Dazu gehören

    • die Arbeitsstelle der verletzten Person;
    • der Kindergarten, die Kita oder die Schule, die ihr Kind besucht, das von ihr dort hingebracht oder abgeholt wird;
    • die Wohnung des neuen Partners oder von Verwandten;
    • öffentlich zugängliche Einrichtungen, wie Restaurants, Sport- und Freizeiteinrichtungen, wobei zeitliche Einschränkungen geboten sind.

     

    Das Verbot, mit der verletzten Person in Verbindung zu treten, umfasst jede Form der Kommunikation, auch Fernkommunikationsmittel, also Briefe, Telefaxe, Anrufe, SMS, E-Mails oder Kommunikationsforen im Internet.

     

    Das Verbot verhindert Versuche, an Orten, die von einem Näherungsverbot nicht erfasst sind, mit dem Opfer in Kontakt zu treten. Es sollte auch eine Regelung für zufällige Zusammentreffen getroffen werden, z. B. dass der Täter in diesem Fall sogleich einen bestimmten Abstand zum Opfer herstellen und einhalten muss.

    3. Entscheidung des Gerichts

    Sofern das Gericht ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden annimmt, muss es nach pflichtgemäßem Ermessen prüfen, ob aufgrund einer glaubhaft gemachten Gefahrenlage von einer mündlichen Verhandlung abzusehen ist (BT-Drucksache 16/6308). Eine Bindung an den Antrag besteht nicht, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten (BGH FamRZ 14, 825) und die einstweilige Anordnung nach §§ 1, 2 GewSchG zu befristen (OLG Celle FamRZ 09, 1751; OLG Saarbrücken FamFR 10, 497). Eine Verlängerung der Frist ist möglich, setzt aber die Glaubhaftmachung einer Zuwiderhandlung gegen die Anordnung während ihrer ursprünglichen oder bereits verlängerten Geltungsdauer voraus (OLG Bremen FamRZ 13, 1828).

     

    Mit Ablauf der im Beschluss gesetzten Frist tritt die einstweilige Anordnung gem. § 56 Abs. 1 S. 1 FamFG außer Kraft.

    4. Geltungsbereich und Konkurrenz (§ 3 GewSchG)

    § 3 GewSchG regelt das Konkurrenzverhältnis des GewSchG zu anderen Vorschriften und ist bei einem Übergriff auf ein minderjähriges Kind bedeutsam. Sofern die verletzte oder bedrohte Person im Zeitpunkt der Tat nach § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 S. 1 GewSchG unter elterlicher Sorge steht, findet das GewSchG keine Anwendung. Insoweit sind die Regelungen über die elterliche Sorge oder den Umgang vorrangig. Das FamG muss die nach §§ 1666, 1666a BGB möglichen Maßnahmen ergreifen (OLG Bamberg FamRZ 12, 459; KG FPR 04, 267). Nach § 1666 Abs. 3 BGB kommt die Wegweisung des gewalttätigen Elternteils aus der Wohnung in Betracht, sofern diese Maßnahme geeignet ist, eine bestehende Gefährdung zu beseitigen. § 1666 Abs. 3 Nr. 4 BGB sieht exemplarisch Maßnahmen vor, wie sie in § 1 GewSchG vorgesehen sind.

     

    Sofern die Gewalt oder Drohung gegenüber dem Kind durch nicht sorgeberechtigte Personen, z. B. den Lebensgefährten der Mutter oder Stiefvater, ausgeübt wird, ist die Anwendung des GewSchG durch § 1 Abs. 1 GewSchG nicht ausgeschlossen. Da nach den §§ 1666, 1666a BGB auch Maßnahmengegen Dritte in Betracht kommen, ist in diesen Fällen ein zweispuriger Gewaltschutz möglich (OLG Karlsruhe FamRZ 12, 460, 461; Johannsen/Henrich Götz, a.a.O., § 3 GewSchG Rn. 5).

    5. Spannungsfeld Gewaltschutz zu Sorge und Umgangsrecht

    Wird durch eine einstweilige Anordnung z. B. ein Kontaktverbot zur Mutter in jeglicher Form angeordnet, erschwert dies die Wahrnehmung der gemeinsamen elterlichen Sorge erheblich. Angesichts der nach Gewalt gegen die Mutter fehlenden tragfähigen sozialen Beziehung (dazu BVerfG FamRZ 18, 266; BGH FamRZ 16, 1439) dürfte es i. d. R. aber an den Voraussetzungen einer gemeinsamen elterlichen Sorge fehlen. Der Titel ist gem. § 1696 BGB abzuändern.

     

    Bedeutsamer ist es, dass ein Näherungs- oder Kontaktverbot zum Schutz der Mutter in der Praxis einem Umgangsausschluss mit dem Kind gleichkommt. Nach § 1 Abs. 1 letzter Hs. GewSchG ist eine einstweilige Anordnung nur zulässig, als die untersagte Handlung nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist. Das FamG wird deshalb die Interessen des Umgangsberechtigten abwägen müssen gegen die Interessen des durch das GewSchG geschützten Opfers.

    6. Vollstreckung

    Bei der Vollstreckung sind in Corona-Zeiten die Besonderheiten der Allgemeinverfügungen pp. zu beachten. Grundsätzlich aber gilt Folgendes:

     

    Nach § 214 Abs. 2 S. 1 FamFG erfolgt die Zustellung des Beschlusses von Amts wegen. Im Fall einer ohne mündliche Erörterung (§ 32 FamFG) erlassenen einstweiligen Anordnung gilt der Antrag auf deren Erlass zugleich als Auftrag zur Vollstreckung (§ 753 ZPO). Damit wird ein Auftrag an den Gerichtsvollzieher fingiert. Der fingierte Auftrag erfolgt unter Vermittlung der Geschäftsstelle des Familiengerichts als Prozessgericht i. S. d. § 192 ZPO (Keidel/Giers, a.a.O., § 214 FamFG Rn. 5). Gem. § 53 Abs. 2 S. 1 FamFG ist eine Vollstreckung auch schon vor der Zustellung möglich. Diesem Verlangen des Antragstellers hat der Gerichtsvollzieher zu entsprechen (Keidel/Giers, a.a.O., § 214 Rn. 7). In Gewaltschutzsachen erscheint im Hinblick auf einen effektiven Rechtsschutz ein derartiges Vorgehen regelmäßig als geboten.

    7. Mitteilung nach § 216a FamFG an die Polizeibehörde

    Gem. Ziffer XI Abs. 2 der Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi)sind die Mitteilungen unverzüglich nach Erlass der Entscheidung durch Übersendung einer abgekürzten Ausfertigung ohne Entscheidungsgründe der Polizei zu übersenden. Diese benötigt die Mitteilung, um bei Verstößen gegen die Anordnung Ermittlungen wegen einer Straftat (§ 4 GewSchG) einleiten zu können.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2020 | Seite 105 | ID 46533845