Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Ausschluss des VA wegen grober Unbilligkeit

    Nach Faustschlägen erblindet: OLG schließt VA wegen schwerer Körperverletzung aus

    von RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, BGM Anwaltssozietät, Münster

    Nach § 27 VersAusglG findet ein VA ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. In einem Fall, in dem die Ehefrau aufgrund von Schlägen ihres Mannes ein Auge verloren hat, hat das OLG Stuttgart grobe Unbilligkeit bejaht. 

    Sachverhalt

    Die Ehe der Antragstellerin F und des Antragsgegners M, beide türkische Staatsangehörige, wurde rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe ist ein gemeinsamer Sohn S hervorgegangen. Die Folgesache VA wurde vom Scheidungsverbund abgetrennt. Der Scheidungsantrag der F wurde dem M zugestellt. Der M beantragte, dass der VA durchgeführt wird. Die Ehegatten leben seit 2014 voneinander getrennt. Die F hatte ein Anrecht bei der Deutschen Rentenversicherung Bund. M hatte keine Anrechte. Durch Beschluss hat das AG den VA zulasten der F durchgeführt. Gegen den Beschluss hat die F erfolgreich Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, den VA wegen grober Unbilligkeit auszuschließen. Sie trägt vor, dass der M während der Ehezeit nicht gearbeitet habe. Zunächst hätten die Ehegatten in der Türkei gelebt, wo er illegale Drogen wie Kokain oder Heroin konsumiert habe. Der M habe die F auf Fahrt zu einer Drogenentzugsklinik an einer Haltestelle aus dem Bus gezerrt und sie ins Gesicht geschlagen. Dadurch habe sie auf dem rechten Auge ihr Augenlicht verloren, woraufhin ihr ein Glasauge eingesetzt worden sei. Danach hätten die Ehegatten getrennt gelebt. Seit 2014 lebe sie in Deutschland, betreue S alleine und arbeite. Der M sei in Deutschland wegen verschiedener Delikte straffällig geworden und habe keinen Unterhalt gezahlt (OLG Stuttgart 27.1.25, 11 UF 222/24 Abruf-Nr. 251118).

     

    Entscheidungsgründe

    In Abänderung der Entscheidung des AG ist auszusprechen, dass ein VA nicht stattfindet. Denn ein VA zulasten der F wäre grob unbillig, § 27 VersAusglG.

     

    Straf- oder Untersuchungshaft eines Ehegatten kann den (Teil-)Ausschluss des VA wegen fehlender Lebens- und Versorgungsgemeinschaft rechtfertigen, da der Inhaftierte schuldhaft nicht zum Familienunterhalt beitragen kann (OLG Stuttgart FamRZ 12, 311; OLG Bamberg FamRZ 15, 932). Die Verletzung der Unterhaltspflicht muss über einen längeren Zeitraum erfolgt sein (§ 1587c Nr. 3 BGB a. F.); gelegentliche Fehlbeträge genügen nicht (BeckOGK/Maaß, VersAusglG § 27 Rn. 71). Bei Straftaten unter Ehegatten kann der VA nach § 27 VersAusglG auch rückwirkend für in der Vergangenheit erworbene Anrechte ausgeschlossen werden, wenn eine schwere Straftat gegen den Ehegatten oder eine ihm nahestehende Person vorliegt.

     

    Ein Rückgriff auf den für die Entziehung des Pflichtteils geltenden Maßstab, der bis 2009 für den Ehegattenpflichtteil in § 2335 BGB besonders geregelt war, ist nicht möglich, da die Voraussetzungen des § 27 VersAusglG nicht deckungsgleich sind. Für dessen Anwendung bedarf es einer Straftat im Nahbereich wie gefährliche Körperverletzung (OLG Brandenburg NJ 19, 344), Tötung eines nahen Angehörigen oder sexueller Missbrauch eines Kindes. Die Folgen der Tat müssen so erheblich sein, dass der VA unerträglich erscheint und die Teilhabe am Altersvorsorgevermögen hinter der Belastung des anderen zurücktritt (BeckOGK/Maaß, VersAusglG § 27 Rn. 85).

     

    Hier sind die Voraussetzungen mehrerer Fallgruppen erfüllt. Nach dem Vortrag der F ist sie aufgrund der Faustschläge des M auf dem rechten Auge vollständig erblindet. Der M hat diesen Vortrag nicht bestritten. Es handelt sich dabei um ein Verbrechen in Form einer schweren Körperverletzung, § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die F leidet bis heute an den Folgen dieser Tat. Dies lässt es unerträglich erscheinen, wenn der dafür verantwortliche M dennoch von dem Versorgungsanrecht der F durch den VA profitieren könnte.

    Seit dem Vorfall leben M und F unstreitig getrennt. Die Ehezeit betrug etwas mehr als zehn Jahre, wobei sie über sieben Jahre getrennt lebten. Dies kann es gebieten, § 27 VersAusglG anzuwenden. Die wirtschaftliche Verselbstständigung der Ehegatten ist gegeben, da der M unbestritten nie Unterhalt für F oder den S gezahlt hat. Laut Fragebogen zum VA sowie Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg hat er in Deutschland keine Erwerbstätigkeit ausgeübt und somit keine finanziellen Mittel für Unterhalt.

     

    Die lange Trennungsdauer rechtfertigt den vollständigen Ausschluss des VA. F hat bei der Deutschen Rentenversicherung Bund während der Ehezeit erst nach der Trennung, ab August 14, Anrechte erworben. Vor der Trennung während der Ehezeit erworbene Anrechte sind nicht vorhanden, an denen der M möglicherweise noch hätte partizipieren müssen.

    Nach dem unbestrittenen Vortrag der F hat sich der M seit 2014 mehrfach in Strafhaft in Deutschland befunden. In diesen Zeiten konnte der M schuldhaft, da er durch die begangenen Straftaten selbst für die entsprechenden Verurteilungen und Inhaftierungen verantwortlich war, nicht zum Familienunterhalt beitragen. Während der Zeiträume in Freiheit hätte der M eine Erwerbstätigkeit aufnehmen können und müssen, um so zumindest Kindesunterhalt für den S zahlen zu können. Dies hat er schuldhaft nicht getan, sodass auch diese Umstände für einen Ausschluss des VA sprechen.

    Die gem. § 27 VersAusglG erforderliche Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls führt hier daher zu dem Ergebnis, dass es gerechtfertigt ist, den VA insgesamt auszuschließen. Umstände, die für die Beibehaltung des Halbteilungsgrundsatzes sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.

    Relevanz für die Praxis

    In den meisten Fällen ist wegen des Ausnahmecharakters des § 27 VersAusglG nur ein Teilausschluss geboten (vgl. z. B. OLG Hamm NJW-RR 15, 1480 ‒ Begrenzung auf das Existenzminimum). Hier sprachen eine Reihe schwerwiegender Gründe dafür, den VA sogar vollständig auszuschließen.

    Quelle: ID 50634216