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  • · Fachbeitrag · Kindesunterhalt

    Die gesteigerte Unterhaltspflicht in der Praxis

    von VRiOLG Dieter Büte Bad Bodenteich/Celle

    | Minderjährige unverheiratete und privilegiert volljährige Kinder stehen unterhaltsrechtlich auf dem ersten Rang, § 1609 Nr. 1 BGB. Unterhaltspflichtige sind ihnen gegenüber gesteigert unterhaltspflichtig, § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB. Dazu im Einzelnen: |

    1. Eltern müssen alle verfügbaren Mittel einsetzen

    Eltern sind verpflichtet, alle verfügbaren Mittel bis zum notwendigen Eigenbedarf einzusetzen. Aktuell beträgt der notwendige Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Kindern bei Erwerbstätigkeit 1.000 EUR, sonst 800 EUR (Anmerkung A 5 zur Düsseldorfer Tabelle (DT), Stand 1.1.13, FamRZ 13, 96, 97). Den Minderjährigen gleichgestellt sind gem. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, die sich in allgemeiner Schulausbildung befinden und im Haushalt eines Elternteils leben (BGH FamRZ 08, 137). Dabei ist der Begriff der allgemeinen Schulausbildung unter Heranziehung der zu § 2 Abs. 1 BAföG entwickelte Grundsätze auszulegen und in drei Richtungen einzugrenzen (BGH FamRZ 02, 815):

     

    • Das Ausbildungsziel muss auf den Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses als Zugangsvoraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung oder den Besuch einer (Fach-)Hochschule gerichtet sein.

     

    • Die Schulausbildung muss die Zeit und die Arbeitskraft des Schülers voll oder zumindest überwiegendin Anspruch nehmen, wobei eine Unterrichtszeit von 20 Stunden unter Berücksichtigung der erforderlichen Vor- und Nacharbeiten und der Fahrzeiten i.d.R. ausreicht (BGH FamRZ 01, 1068).

     

    • Die Organisationsstruktur der Schule muss auf einen kontrollierten Unterricht gerichtet sein; die Teilnahme darf nicht der freien Entscheidung des Schülers überlassen bleiben.

    2. Besondere Einkommensbestandteile zählen dazu

    Bei gesteigerter Unterhaltspflicht muss der Pflichtige auch solche Einkünfte für den Kindesunterhalt einzusetzen, die wegen ihrer besonderen sozialpolitischen Funktionen sonst unterhaltsrechtlich nicht zum Einkommen zählen:

     

    Checkliste / Besondere Bestandteile des Einkommens

    • Sockelbetrag des Elterngeldes (§ 11 S. 4 BEEG),
    • Betreuungsgeld (§ 4d Abs. 1 S. 1 BEEG; ab 1.1.14 150 EUR),
    • weitergeleitetes Pflegegeld (§ 13 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 SGB XI),
    • aus überobligationsmäßiger Tätigkeit und Nebentätigkeit erzieltes Einkommen,
    • vorhandenes Vermögen
     

     

    PRAXISHINWEIS | Voraussetzung für den Einsatz dieser Leistungen ist, dass der Pflichtige sie nicht vorrangig benötigt, um den eigenen notwendigen Bedarf zu decken (Botur in: Büte/Poppen/Menne, Unterhaltsrecht, 2. Aufl. § 1603 Rn. 82).

     

    Geht es um die Leistungsfähigkeit gegenüber einem minderjährigen Kind, ist die Höhe des Wohnwerts grundsätzlich mit der bei einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete zu bemessen (BGH FamRZ 13, 1563; 14, 923). Denn bei gesteigerter Unterhaltspflicht besteht neben der besonderen Verpflichtung zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft auch die Pflicht, die Vermögenswerte Ertrag bringend zu nutzen (hier: Vermietung).

     

    3. Erwerbsobliegenheit ist gesteigert

    Die Verschärfung der Unterhaltspflicht bewirkt insbesondere eine Steigerung der Erwerbsobliegenheit. Der Unterhaltspflichtige muss seine Arbeitskraft so gut wie möglich einsetzen (vollschichtige Tätigkeit) und sich daraus erzielbare Einkünfte zurechnen lassen (BGH FamRZ 13, 616 und 1378). Sie soll den Kindern nicht nur den notwendigen Bedarf sichern, sondern auch den angemessenen Lebensbedarf. Sie geht allerdings bei gesichertem Mindestunterhalt auch nicht soweit, dass über die Regelaltersgrenze hinaus eine Erwerbstätigkeit unverändert beibehalten werden muss. Dabei ist es unerheblich, ob der Unterhaltspflichtige abhängig beschäftigt oder selbstständig ist (BGH FamRZ 11, 454). Gleiches dürfte für eine nach Eintritt der gesetzlichen Regelaltersgrenze ausgeübte Nebentätigkeit gelten (BGH FamRZ 13, 191). Eine vollschichtige Tätigkeit kann auch durch mehrere Teilzeitstellen erbracht werden (OLG Hamm FamRZ 08, 1271; OLG Saarbrücken NJW-RR 09, 942). Er muss grundsätzlich auch Tätigkeiten annehmen, die unter seinem Ausbildungsniveau liegen (BVerfG FamRZ 10, 183) oder ausbildungsfremd sind, sofern er damit den Unterhalt sichern kann (BGH FamRZ 94, 372). Im zumutbaren Rahmen kann auch ein Ortswechsel verlangt werden (BGH FamRZ 98, 1501; OLG Frankfurt FamRZ 09, 888; OLG Dresden FamRZ 08, 173), so bei sonst hohen Fahrtkosten.

     

    Unterlässt ein Unterhaltspflichtiger eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, sind auch fiktiv erzielbare Einkünfte zuzurechnen (BGH FamRZ 09, 314; 11, 1041; 13, 1378). Für die Feststellung, dass für einen Unterhaltsschuldner keine reale Beschäftigungschance besteht, sind bei der gesteigerten Unterhaltspflicht strenge Maßstäbe anzulegen. Dass ein Unterhaltsschuldner aus dem Ausland stammt, rechtfertigt allein noch nicht die Schlussfolgerung, dass für ihn keine reale Beschäftigungschance im Hinblick auf eine sozialversicherungspflichtige Vollzeittätigkeit besteht (BGH FamRZ 14, 637).

     

    Aufwendungen eines gesteigert Unterhaltspflichtigen für eine zusätzliche Altersversorgung und eine Zusatzkrankenversicherung sind unterhaltsrechtlich nicht berücksichtigungsfähig, wenn der Mindestunterhalt nicht aufgebracht werden kann (BGH FamRZ 13, 616).

     

    PRAXISHINWEIS | Soweit diese Aufwendungen unterhaltsrechtlich nicht berücksichtigt werden, bleibt auch die aufgrund der Aufwendungen erzielte Steuerersparnis außer Betracht (BGH FamRZ 13, 616).

     

    4. Einkünfte aus überobligatorischer Tätigkeit ansetzen

    Beim Kindesunterhalt werden Einkünfte aus einer - gemessen an § 1603 Abs. 1 BGB - überobligationsmäßigen Erwerbstätigkeit i.d.R. nur vollständig angesetzt, wenn der Unterhaltspflichtige einer gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB unterliegt (BGH FamRZ 13, 1558). Gleiches dürfte für ein Einkommen aus einer nach Eintritt in das Rentenalter überobligationsmäßig ausgeübten Nebentätigkeit gelten (BGH FamRZ 13, 191).

     

    PRAXISHINWEIS | Soweit es um eine Eingruppierung in eine höhere Einkommensgruppe der DT geht, ist die Anrechenbarkeit eines überobligationsmäßigen Einkommens bereits bei der Ermittlung des angemessenen Lebensbedarfs nach § 1610 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen (BGH FamRZ 11, 454; 91, 182). Soweit es danach nicht mit Treu und Glauben zu vereinbaren wäre, das überobligatorische Einkommen voll zu berücksichtigen, ist schon der Bedarf nur aufgrund des reduzierten Einkommens zu berücksichtigen (BGH FamRZ 11, 454; 13, 1558).

     

    5. Vermögen ist ertragreich anzulegen

    Dem Unterhaltspflichtigen obliegt es auch, vorhandenes Vermögen in zumutbarem Rahmen so ertragreich wie möglich anzulegen, ggf. umzuschichten oder erforderlichenfalls zu verwerten (BGH FamRZ 93, 1065). Verletzt er diese Obliegenheit, wird er so behandelt, als habe er die Obliegenheit erfüllt. Besteht die Obliegenheit darin, dass der Unterhaltspflichtige einen ihm zustehenden Pflichtteil geltend machen muss, hat die Verletzung dieser Obliegenheit zur Folge, dass er fiktiv so zu behandeln ist, als habe er den Anspruch geltend gemacht.

     

    PRAXISHINWEIS | Es besteht jedoch kein einklagbarer Anspruch auf Rückforderung einer Schenkung oder Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs (BGH FamRZ 13, 278).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Wönne, FF 13, 476, zur Erwerbsobliegenheit und ausreichenden Bewerbungsbemühungen
    • Viefhues, FuR 14, 198, zur Obliegenheit zur Ausübung einer Nebentätigkeit im Unterhaltsrecht 
    Quelle: Ausgabe 11 / 2014 | Seite 196 | ID 42769188