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  • · Fachbeitrag · Elternunterhalt

    Leistungsfähigkeit: Wert einer selbst genutzten Immobilie bleibt unberücksichtigt

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    • 1. Der Wert einer selbst genutzten Immobilie bleibt bei der Bemessung des Altersvorsorgevermögens eines auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen grundsätzlich unberücksichtigt.
    • 2.Sonstiges Vermögen in einer Höhe, die sich aus der Anlage von fünf Prozent des Jahresbruttoeinkommens ergibt, braucht vor dem Bezug der Altersversorgung regelmäßig nicht zur Zahlung von Elternunterhalt eingesetzt zu werden.
    • 3.Zum sogenannten Notgroschen, der dem Pflichtigen gegenüber der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt zusätzlich zusteht.

    (BGH 7.8.13, XII ZB 269/12, n.v., Abruf-Nr. 132721)

     

    Sachverhalt

    Der Antragsteller A ist Sozialhilfeträger und macht aus übergegangenem Recht Ansprüche auf Elternunterhalt für Juli 2008 bis Februar 2011 geltend. Die 1926 geborene Mutter M des Antragsgegners, des Sohns S, lebt in einem Altenpflegeheim. Da sie die Heimkosten aus ihren Einkünften/den Leistungen der Pflegeversicherung nicht vollständig aufbringen konnte, gewährte ihr A Sozialhilfe. A verständigte S mit Rechtswahrungsanzeige vom 15.7.08 hiervon. S ist als Elektriker tätig und erzielte 2008 ein Jahresbruttoeinkommen von rund 27.500 EUR. Ihm entstanden Kosten für die Pkw-Fahrt zur Arbeitsstelle. Zudem hatte er Versicherungsbeiträge zu zahlen.

     

    S bewohnt eine 1996 zu Alleineigentum erworbene Eigentumswohnung. Da sein Einkommen nach Auffassung des A auch unter Berücksichtigung eines Wohnvorteils unter dem Selbstbehalt lag, forderte A Unterhaltsleistungen aus dem Vermögen des S. Das bestand neben der Eigentumswohnung aus einem Sparguthaben (zum 30.11.09 rund 6.500 EUR) und aus drei Lebensversicherungen (Gesamtwert rund 63.000 EUR). Außerdem ist S mit seiner Schwester Miteigentümer eines Hauses in Italien. Eine der Lebensversicherungen (Wert rund 30.000 EUR) hat er aufgelöst, um Verbindlichkeiten in Italien zurückzuführen. S hat drei Schwestern. Zwei leben in Italien. Die dritte Schwester wohnt bei S in Deutschland und hat Renteneinkünfte, die den Selbstbehalt nicht übersteigen. A hat S auf Zahlung von rund 17.000 EUR in Anspruch genommen. Das AG hat ihn verpflichtet, für Januar bis November 2009 Unterhalt in Höhe von rund 5.500 EUR zu zahlen unter Abweisung des weitergehenden Antrags. Die Beschwerde des A hat das OLG zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des S hat es den Antrag insgesamt abgewiesen. Die Rechtsbeschwerde des A führt zur Aufhebung und Rückverweisung.

     

    Entscheidungsgründe

    Der Bedarf der M ergibt sich aus den Heimkosten und dem Barbetrag aus § 35 Abs. 2 S. 1 SGB XII. M benötigt zur Deckung ihrer persönlichen Bedürfnisse, die von den Leistungen der Einrichtung nicht erfasst sind, bare Mittel.

     

    Im Rahmen der Leistungsfähigkeit sind vom Einkommen des S die Sozialabgaben und die Leistungen für die Lebensversicherungen mit rund 75 EUR als angemessene Altersversorgung abzuziehen. Zu beanstanden ist, dass das OLG die geltend gemachten Fahrtkosten für die Fahrten von/zum Pflegeheim von rund 70 EUR nicht berücksichtigt hat. Solche Aufwendungen entsprechen einer sittlichen Verpflichtung. Der Wohnwert ergibt sich nicht nach der erzielbaren objektiven Marktmiete, sondern bemisst sich auf der Grundlage der ersparten Miete einer angemessenen Wohnung. Bedenkenlos ist, dass das OLG einen angemessenen Wohnwert von rund 340 EUR angesetzt hat.

     

    Im Ergebnis wurde der damalige Selbstbehalt nicht gewahrt. Die Leistungsfähigkeit des S aus seinem Vermögen wurde nicht rechtsbedenkenfrei ermittelt. Grundsätzlich besteht zwar die Pflicht, sein Vermögen zur Bestreitung des Unterhalts einzusetzen. Die Grenze ergibt sich aber daraus, dass auch die sonstigen Verpflichtungen des Pflichtigen zu berücksichtigen sind und er seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden braucht. Eine Verwertung des Vermögensstamms kann nicht verlangt werden, wenn sie ihn von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Erfüllung anderer berücksichtigungswürdiger Verbindlichkeiten und Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötigt. Daher wird das Vermögen ausgeklammert, das zur Sicherstellung einer angemessenen Altersversorgung erforderlich ist. Dies steht mit der bisherigen Rechtsprechung in Einklang. S durfte von Beginn seiner beruflichen Tätigkeit an fünf Prozent seines jetzigen Bruttoeinkommens zurücklegen. Ausgegangen wird von einer jährlichen Kapitalverzinsung von vier Prozent. Bedenken begegnet es, dass das OLG nur drei Prozent in Ansatz gebracht hat. In Bezug auf eine langjährige Rendite darf der Renditerückgang der letzten Jahre nicht zu einer derart gravierenden Verkürzung des Durchschnittszinses führen. Es ergibt sich ein Betrag von über 100.000 EUR, der dem Vermögen des S gegenübergestellt wird.

     

    S durfte eine Lebensversicherung auflösen, um in Italien eine Geldbuße wegen Nichteinhaltung bauordnungsrechtlicher Bestimmungen zu begleichen. Geldbußen sind abzugsfähig. Gleiches gilt für die Steuern/Abgaben, die S in Italien gezahlt hat. Aufgrund des Wertes des Hauses in Italien von 60.000 EUR wird von einem Gesamtvermögen von rund 99.000 EUR ausgegangen. Wie hoch der sogenannte Notgroschen beim Elternunterhalt ist, hängt vom Einzelfall ab, vor allem von den Einkommensverhältnissen und sonstigen Unterhaltspflichten. Dem alleinstehenden kinderlosen S mit einem Einkommen unterhalb des Selbstbehalts sind 10.000 EUR als allgemeiner Freibetrag zu belassen. Weitere 5.000 EUR mussten S für Verbindlichkeiten in Italien zur Verfügung stehen. Eine Vermögensverwertungspflicht scheidet aus, da sich ein Gesamtvermögen von rund 84.000 EUR ergibt, das unter dem Vermögen für eine angemessene Altersvorsorge von 100.000 EUR liegt.

     

    Wichtig |Selbst genutztes Immobilieneigentum kann bei der Vermögensverwertung berücksichtigt werden. Eine Verwertungspflicht besteht jedoch nicht, wenn es sich um angemessenes Wohneigentum handelt und der Pflichtige auf den Wohnvorteil angewiesen ist. Der Pflichtige muss im Rahmen des Elternunterhalts keine spürbare/dauerhafte Senkung seines berufs-/einkommenstypischen Unterhaltsniveaus hinnehmen.

     

    Zu berücksichtigen ist, dass S im Alter keine Mietkosten zu bestreiten hat und seinen Lebensstandard mit geringeren Einkünften aus Einkommen/Vermögen sichern kann. Nach einer Schätzung mittels einer Prognose ist davon auszugehen, dass S mit einer Rente von rund 1.320 EUR rechnen kann, wenn er im November 2021 die Regelaltersgrenze erreicht und er weiterhin entsprechende Beträge entrichtet. S ist daher auf den Wohnvorteil angewiesen, um den Selbstbehalt von 1.600 EUR zu erreichen.

     

    Praxishinweis

    Der Kernpunkt der Entscheidung befasst sich mit der Vermögensverwertung. Von dem für Unterhaltszwecke einzusetzenden Vermögen ist der Betrag in Abzug zu bringen, der für eine angemessene Altersvorsorge notwendig ist. Dabei gestattet der BGH dem Unterhaltspflichtigen, ab Beginn seines beruflichen Werdeganges fünf Prozent des letzten Bruttoeinkommens für die angemessene Altersvorsorge zurückzulegen. Dies ist deswegen interessant, weil der Pflichtige anfangs, insbesondere während der Ausbildung sicherlich nicht über die Einkünfte verfügt hat, die er nunmehr erzielt. Dennoch gestattet der BGH ihm, fünf Prozent des letzten Bruttoeinkommens für die Altersvorsorge zurückzustellen. Der auf diese Weise errechnete Betrag ist zudem zu verzinsen. Der BGH legt derzeit einen Zinssatz von vier Prozent zugrunde. Das auf diese Weise errechnete Vermögen ist mit dem tatsächlichen Vermögen zu vergleichen, um festzustellen, ob sich ein Überschuss ergibt, der für Unterhaltszwecke einzusetzen ist.

     

    In diesem Zusammenhang hat der BGH sich insbesondere mit der Frage befasst, ob von dem verbleibenden Vermögen noch ein weiterer Schonbetrag als Notgroschen in Abzug zu bringen ist. Dabei zitiert er die Auffassungen, die von drei Nettomonatsgehältern ausgehen (Hauß, Elternunterhalt, 4. Aufl., Rn. 514) bis hin zu 26.000 EUR (Soyka in Scholz/Kleffmann/Motzer, Praxishandbuch Familienrecht, 2013, Teil J Rn. 44). Der BGH geht davon aus, dass die Umstände des Einzelfalls maßgebend sind. Im vorliegenden Fall hat er einen Betrag von 10.000 EUR als ausreichend angesehen, weil einerseits das Erwerbseinkommen des Antragsgegners unter dem Selbstbehalt lag, er zum anderen aber alleinstehend und kinderlos war.

     

    Außerdem hat der BGH sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob die selbst genutzte Immobilie für eine Vermögensverwertung in Betracht kommt. Vom Grundsatz her geht der BGH davon aus, dass selbst genutztes Immobilieneigentum nicht grundsätzlich berücksichtigt werden kann. Letztlich entscheidet aber, ob der Pflichtige insbesondere im Alter auf die Immobilie angewiesen ist, weil er dadurch Mietkosten erspart. Der BGH hat die Rente des Pflichtigen in Ansatz gebracht und ermittelt, dass diese voraussichtlich bei rund 1.320 EUR liegen wird, während der Selbstbehalt zur Zeit 1.600 EUR beträgt. So geht der BGH zu Recht davon aus, dass die Mietersparnis aufgrund der eigengenutzten Immobilie erforderlich ist, um S im Alter den Selbstbehalt zu sichern. Unklar ist allerdings, inwieweit der BGH das für die Altersvorsorge zurückgelegte Vermögen berücksichtigt. Er geht nämlich davon aus, dass ab Rentenbeginn die bis dahin angesparte Altersversorgung aufzulösen und für den Unterhalt im Alter einzusetzen ist. Dazu fehlen Ausführungen in der Entscheidung.

     

    Quelle: Ausgabe 10 / 2013 | Seite 164 | ID 42303630