Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Ehegattenunterhalt

    Altersvorsorgeunterhalt zum Ausgleich ehebedingter Nachteile

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    Ein ehebedingter Nachteil, der darin besteht, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nachehelich geringere Versorgungsanrechte erwirbt als er bei hinweggedachter Ehe erwerben würde, wird ausgeglichen, wenn er Altersvorsorgeunterhalt erlangen kann (BGH 26.2.14, XII ZB 235/12, FamRZ 14, 823, Abruf-Nr. 141087).

     

    Sachverhalt

    Die Beteiligten streiten im Scheidungsverbund über nachehelichen Unterhalt. Ihre im Juli 01 geschlossene Ehe ist auf den am 5.6.07 zugestellten Scheidungsantrag seit November 11 rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe ist ein im Juli 03 geborener Sohn hervorgegangen, der seit der Trennung im Frühjahr 06 bei der Ehefrau (Antragsgegnerin) lebt und von ihr betreut wird. Das AG hat den Ehemann (Antragsteller) verpflichtet, an die Ehefrau monatlichen Unterhalt zu zahlen. Auf seine Beschwerde hat das OLG der Ehefrau auf der Grundlage einer zumutbaren Erwerbstätigkeit von einer 3/4-Stelle Erwerbseinkünfte zugerechnet und den Unterhalt ermäßigt. Auf die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat der BGH den Unterhalt weiter herabgesetzt und die Entscheidung im Übrigen aufgehoben und zurückverwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Der Betreuungsunterhaltsanspruch ist grundsätzlich nicht zu befristen. Denn die Billigkeitsabwägung, die dazu führt, den Betreuungsunterhalt zu verlängern, gibt in gleicher Weise bei der Billigkeitsabwägung des § 1578b BGB den Ausschlag gegen eine Unterhaltsbegrenzung. Allerdings will der Betreuungsunterhaltsanspruch nur die Einkommenseinbußen ausgleichen, die durch die Kinderbetreuung entstanden sind. Ein darüber hinausgehender Unterhaltsanspruch, der darauf beruht, dass der Unterhaltsberechtigte mit einem Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit seinen eheangemessenen Bedarf nicht sicherstellen könnte, beruht auf § 1573 Abs. 2 BGB. Um festzustellen, welcher Teil des Unterhalts Betreuungs- und welcher Aufstockungsunterhalt ist, müsste zunächst geprüft werden, welches Einkommen die Ehefrau aus vollschichtiger Tätigkeit erzielen könnte. Dies ergibt sich aus der Entscheidung nicht. Von daher lässt sich der Anteil des Unterhalts, der auf § 1570 und § 1573 BGB beruht, nicht feststellen. Der BGH hat hervorgehoben, dass der Teil des Unterhalts, der auf § 1573 Abs. 2 BGB beruht, begrenzt werden kann, da die Billigkeitsabwägung des § 1570 BGB hier unbedeutend ist.

     

    Der Unterhalt kann auf den angemessenen Lebensbedarf herabgesetzt werden. Denn die Ehefrau hat keine ehebedingten Nachteile erlitten. Fraglich ist, welche Auswirkungen der Betreuungsunterhalt auf ihre spätere Altersversorgung hat und ob sich daraus ehebedingte Nachteile ergeben:

     

    • Bis zur Zustellung des Scheidungsantrags regelt der Versorgungsausgleich (VA) die ehebedingten Nachteile abschließend.

     

    • Ab Zustellung des Scheidungsantrags greift der VA nicht mehr. Die Betreuung des Kindes und die damit verbundene eingeschränkte Erwerbsobliegenheit kann dazu führen, dass in der Altersversorgung Lücken entstehen, die als ehebedingter Nachteil anzusehen sind. Allerdings sind diese Lücken durch Altersvorsorgeunterhalt (AVU) gemäß § 1578 Abs. 3 BGB zu schließen. Dieser Nachteil wird dadurch ausgeglichen, dass der betreuende Ehegatte - wie hier - zum Zweck der freiwilligen Erhöhung seiner Altersrente und Invaliditätsabsicherung einen über den Elementarunterhalt hinausgehenden Vorsorgeunterhalt gemäß § 1578 Abs. 3 BGB erlangen kann. Dadurch wird der Unterhaltsberechtigte hinsichtlich der Altersvorsorge so behandelt, als ob er aus einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit zusätzliche Nettoeinkünfte in Höhe des ihm zustehenden Elementarunterhalts hätte. Die Bemessung erfolgt durch Anknüpfung an den laufenden Unterhalt, und zwar sowohl bei voller Unterhaltsbedürftigkeit als auch, wenn dem Unterhaltsberechtigten - wie hier - nur ein ergänzender Unterhalt zusteht. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass in Höhe des zugerechneten eigenen Einkommens des Unterhaltsberechtigten eine in der Höhe dieses Einkommens entsprechende Altersvorsorge begründet wird, sodass auch der zuzubilligende Vorsorgeunterhalt grundsätzlich nur der Vervollständigung einer durch die Erwerbstätigkeit bereits erzielten Altersvorsorge dient.

     

    • Da so ehebedingte Nachteile verhindert werden können, ist eine Herabsetzung des Unterhalts auf den angemessenen Lebensbedarf in Betracht zu ziehen. Da das OLG dies abgelehnt hat und die dazu erforderliche Billigkeitsabwägung nicht angestellt hat, ist die Entscheidung aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.

    Praxishinweis

    Es ist zwischen Betreuungs- und Aufstockungsunterhalt zu differenzieren. Der BGH geht zu Recht davon aus, dass die Aufgabe des Betreuungsunterhalts nur darin besteht, die Erwerbseinbußen auszugleichen, die wegen der Kinderbetreuung entstanden sind. Soweit dem betreuenden Elternteil ein Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit zugerechnet wird und er dennoch einen Unterhaltsanspruch hat, hat dieser nichts mit der Kinderbetreuung zu tun. Vielmehr beruht er ausschließlich darauf, dass dieser Ehegatte nicht in der Lage ist, seinen eheangemessenen Bedarf durch ein vollschichtiges Einkommen zu decken. Dabei handelt es sich um Aufstockungsunterhalt.

     

    Einkommen aus vollschichtiger Tätigkeit ermitteln

    Um also den Betreuungs- vom Aufstockungsanteil zu unterscheiden, ist zunächst erforderlich festzustellen, welches Einkommen der betreuende Elternteil durch Ausübung einer vollschichtigen Tätigkeit erzielen könnte. Die Differenz zu dem tatsächlich erzielten Einkommen, das ohne Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit im Hinblick auf die Kinderbetreuung erzielt wird, stellt die Einkommenseinbußen dar, die durch die Kinderbetreuung verursacht worden sind. Nur in dieser Höhe bewegt sich der Betreuungsunterhalt. Der darüber hinausgehende Unterhalt ist Aufstockungsunterhalt.

     

    • Beispiel

    F arbeitete während der Ehe und arbeitet immer noch halbtags. Sie verdient 750 EUR netto im Monat. Bei vollschichtiger Erwerbstätigkeit kann sie 1.400 EUR verdienen. M verdient netto bereinigt monatlich 4.000 EUR. F betreut den 9-jährigen Sohn, für den Unterhalt in Höhe von 470 EUR zu zahlen ist.

     

    Bedarf der F

    Einkommen des M

    4.000,00 EUR

    abzüglich Kindesunterhalt

    ./. 470,00 EUR

    abzüglich Einkommen der F

    ./. 750,00 EUR

    2.780,00 EUR

    3/7 = (gerundet)

    1.191,43 EUR

     

     

    Davon beruhen 650 EUR auf § 1570 BGB (1.400 EUR ./. 750 EUR =) 650 EUR und 541,43 EUR auf § 1573 Abs. 2 BGB.

     

     

    Bis zum dritten Lebensjahr keine Differenzierung erforderlich

    Beruht der Unterhalt auf § 1570 BGB, also bis zum 3. Lebensjahr des Kindes, ist nicht zwischen Aufstockungs- und Betreuungsteil zu differenzieren. Bei § 1572 BGB, bei dem grundsätzlich die gleiche Differenzierung greift, gilt Folgendes: Beruht der Unterhalt vollständig auf § 1572 BGB, unterbleibt die Differenzierung zwischen Aufstockungs- und Krankenunterhalt. Insoweit ist dem BGH zuzustimmen. Ist ein Ehegatte vollständig erwerbsunfähig, lässt sich nur spekulieren, welches Einkommen er durch eine vollschichtige Tätigkeit ohne Erwerbsbeeinträchtigung erzielen könnte. Es ist gerechtfertigt, den Unterhalt voll auf Krankenunterhalt zu stützen. Demgegenüber dürfte es beim Betreuungsunterhalt jedoch anders liegen. Beim Betreuungsunterhalt lässt sich feststellen, welches Einkommen der Unterhaltsberechtigte durch eine vollschichtige Tätigkeit erzielen könnte, selbst wenn noch gar keine Erwerbsobliegenheit zu einer vollschichtigen Tätigkeit besteht. Anzuknüpfen ist insoweit an die Tätigkeit, die er bis zur Geburt des Kindes ausgeübt hat. Im Hinblick darauf ist nicht einsichtig, warum bei Nichtbestehen einer Erwerbsobliegenheit bei § 1570 BGB keine Differenzierung zwischen Betreuungs- und Aufstockungsunterhalt möglich sein soll.

     

    Ehebedingte Nachteile durch Lücken in der Altersversorgung

    Bis zur Zustellung des Scheidungsantrags ist es Aufgabe des VA, ehebedingte Nachteile abschließend zu regeln, sodass selbst bei verbleibenden ehebedingten Nachteilen diese nicht nach § 1578 Abs. 2 BGB auszugleichen sind.

     

    Ab Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags greift der VA nicht mehr. Ehebedingte Nachteile durch Lücken in der Altersversorgung bei einer Herabsetzung des Unterhalts auf den angemessenen Lebensbedarf lassen sich aber dadurch schließen, dass der Unterhaltsberechtigte AVU geltend macht.

     

    Im vorliegenden Fall kann der unterhaltsberechtigte Ehegatte wegen Kinderbetreuung Betreuungsunterhalt verlangen. Auch dies hindert ihn, eine vollschichtige Tätigkeit auszuüben. Die dadurch entstandenen Lücken in der Altersversorgung können ebenfalls durch AVU geschlossen werden.

     

    Offen bleibt, ob AVU in Anspruch genommen werden muss

    Fraglich ist allerdings - und dies gilt für beide Fälle des AVU -, ob der unterhaltsberechtigte Ehegatte verpflichtet ist, AVU in Anspruch zu nehmen, um den ehebedingten Nachteil zu vermeiden.

     

    Zu diesem wichtigem Punkt ist die Entscheidung des BGH leider unklar. Die Formulierung des BGH könnte Schlüsse auf eine Obliegenheit, AVU in Anspruch zu nehmen, zulassen. Klar ist dies nicht. Der BGH formuliert dahingehend, dass der Nachteil ausgeglichen wird, wenn der betreuende Ehegatte AVU geltend machen kann. Dies deutet darauf hin, dass der betreuende Ehegatte verpflichtet ist, AVU in Anspruch zu nehmen. Dafür spricht auch, dass das nach dem Sachverhalt des vorliegenden vom BGH entschiedenen Falls AVU nicht in Anspruch genommen worden ist. Letztlich hätte der BGH dies wesentlich klarer zum Ausdruck bringen müssen.

     

    Dies ist auch wesentlich für die Frage, ob bei einer Herabsetzung des Unterhalts auf den angemessenen Lebensbedarf AVU in Anspruch genommen werden muss, um spätere Lücken in der Altersvorsorge zu vermeiden.

     

    Ferner ist unklar, ob dann auch fiktive Einkünfte wegen Nichtgeltendmachung des AVU zugerechnet werden können, eine völlige Änderung der BGH-Rechtsprechung. Hier besteht dringender Klärungsbedarf.

     

    Diese Entscheidung wird präzisiert durch die BGH-Entscheidung vom 14.5.14, XII ZB 301/12 (NJW 14, 2192), die im nächsten Heft besprochen werden wird. In dieser Entscheidung stellt der BGH klar, dass eine Obliegenheit besteht, AVU geltend zu machen, um ehebedingte Nachteile zu beseitigen und sogar, um sich gegen Erwerbsunfähigkeit abzusichern, was in § 1578 Abs. 3 BGB ausdrücklich vorgesehen ist. Bemerkenswert ist, dass der BGH eine Obliegenheitsverletzung für einen Zeitraum angenommen hat, in dem der Unterhalt aufgrund der damaligen Rechtslage gar nicht begrenzt werden konnte. Aus dieser Entscheidung lässt sich auch insbesondere entnehmen, dass es nicht nur ausreicht, AVU geltend zu machen, sondern auch Vorsorgeunterhalt für den Fall der Erwerbsunfähigkeit, was bisher unüblich ist.

     

    Weiterführende Hinweise

    • BGH FamRZ 13, 109, die besprochene Entscheidung knüpft hieran an
    • BGH 26.314, XII ZB 214/13, dazu dass ein betriebsbedingter Arbeitsplatzverlust zum ehebedingten Nachteil führen kann
    Quelle: Ausgabe 09 / 2014 | Seite 146 | ID 42744133