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  • · Fachbeitrag · VKH

    Rechtzeitige Vorlage der erforderlichen Unterlagen für Wiedereinsetzung notwendig

    von VRiOLG Dr. Jürgen Soyka, Düsseldorf

    Einem Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von VKH beantragt hat, ist Wiedereinsetzung grundsätzlich nur zu gewähren, wenn er innerhalb der Frist die für die VKH erforderlichen Unterlagen vorlegt (BGH 9.10.13, XII ZB 311/13, MDR 13, 1478, Abruf-Nr. 133500).

     

    Sachverhalt

    Die anwaltlich vertretene Antragsgegnerin begehrt Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist. Mit dem ihr am 25.2.13 zugestellten Beschluss hat das AG sie verpflichtet, Kindesunterhalt zu zahlen. Die Rechtsmittelbelehrung enthält u.a. folgende Angaben: „Die Beschwerde soll begründet werden“. Gegen den Beschluss hat die Antragsgegnerin am 13.2.13 Beschwerde eingelegt und VKH für das Verfahren beantragt. Das OLG hat sie am 9.4.13 darauf hingewiesen, dass sie das Rechtsmittel noch nicht begründet hat. Sie hat am 10.4.13 ihr Begehren in der Sache begründet. Sie hat erneut VKH beantragt und dem Antrag eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigelegt. Nachdem das OLG sie darauf hingewiesen hat, dass die Beschwerdebegründungsfrist versäumt sei, hat sie am 19.4.13 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Kanzleikraft ihrer Anwältin sei aufgrund der Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung davon ausgegangen, dass keine Begründungsfrist existiere und somit auch nicht notiert werden müsse. Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde blieb erfolglos.

    Entscheidungsgründe

    Ein Verschulden der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin liegt darin, dass sie es ihrer Kanzleiangestellten überlassen hat, sich an die Rechtsbehelfsbelehrung zu halten, ohne eine Offensichtlichkeitskontrolle anzustellen. Die Verfahrensbevollmächtigte hätte bei Vorlage der Akte prüfen müssen, ob die Begründungsfrist zutreffend notiert worden ist. Zwar war die Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Hinweis, dass die Beschwerde begründet werden „soll“ unrichtig. Es fehlt jedoch an der Kausalität zwischen dem Belehrungsmangel und dem Fristversäumnis. Beim anwaltlich vertretenen Beteiligten entfällt die Kausalität, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung - wie hier - offenkundig falsch ist und bei den beim Anwalt vorauszusetzenden Grundkenntnissen des Verfahrensrechts und des Rechtsmittelsystems nicht einmal den Anschein der Richtigkeit erwecken kann.

     

    Es ist unerheblich, dass das OLG nicht auf den VKH-Antrag der Antragsgegnerin eingegangen ist. Hat ein Rechtsmittelführer vor Ablauf der Rechtsmittelfrist VKH beantragt, gilt: Er gilt so lange schuldlos an der rechtzeitigen Vornahme der Frist wahrenden Handlung als verhindert, als er nach den Umständen vernünftigerweise nicht damit rechnen musste, dass sein Antrag abgelehnt wird, weil er sich für bedürftig halten durfte, § 76 Abs. 1 FamFG i.V. mit § 114 ff. ZPO. Er hat aus seiner Sicht alles Erforderliche getan, wenn aufgrund der eingereichten Unterlagen, ohne Verzögerung über sein VKH-Gesuch entschieden werden kann. Diese Voraussetzung liegen hier aber nicht vor, weil die Antragsgegnerin die für ihre VKH-Bewilligung erforderlichen Unterlagen erst nach Ablauf der Begründungsfrist eingereicht hat. Deshalb konnte sie auf die VKH-Bewilligung vor Begründung des Rechtsmittels nicht vertrauen, sodass ihr dieser Umstand nicht weiterhilft.

    Praxishinweis

    Die Entscheidung betrifft eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung sowie die Bedeutung eines VKH-Antrags für Versäumnisse von Verfahrenshandlungen.

     

    Auswirkungen einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung

    Gemäß § 17 Abs. 2 FamFG wird das Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Diese Vorschrift gilt für FG-Familiensachen, nicht aber für Familienstreitsachen. Dennoch wendet der BGH diesen Grundsatz auch bei Familienstreitsachen an. Allerdings kann die Ursächlichkeit zwischen der zu beanstandenden Rechtsbehelfsbelehrung und dem Versäumnis der Frist fehlen, wenn der Beteiligte anwaltlich vertreten ist. Mit der Neuregelung des § 39 FamFG hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BGH zum Verfassungsgebot einer Rechtsmittelbelehrung in Wohnungseigentumssachen und zu § 44 S. 2 StPO aufgegriffen, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumnis erfordert (BGHZ 150, 390 = NJW 02, 2171): Eine Wiedereinsetzung ist ausgeschlossen, wenn die Rechtsmittelbelehrung den Beteiligten wegen Kenntnis über seine Rechtsmittel nicht unterstützen muss (BGH FamRZ 10, 1425). Eine fehlende Rechtsmittelbelehrung ist für anwaltlich Vertretene unerheblich. Gleiches gilt, wenn die Rechtsmittelbelehrung unvollständig ist. Entscheidend ist, ob der Anwalt hinsichtlich der von ihm zu verlangenden Rechtskenntnisse den Fehler erkennen konnte.

     

    Zur Bedeutung des VKH-Antrags

    Ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist VKH beantragt hat, gilt solange als schuldlos an der rechtzeitigen Vornahme der fristwahrenden Handlung - wie hier der Beschwerdebegründung - gehindert, als er vernünftigerweise nicht damit rechnen musste, dass sein Antrag abgelehnt wird, weil er sich für bedürftig halten durfte. Er hat aus seiner Sicht alles Erforderliche getan, damit über sein VKH-Gesuch entschieden werden kann.

     

    Holt eine Partei die Verfahrenshandlung nach Fristablauf aber vor Entscheidung über das VKH-Gesuch nach, gilt: Es ist anzunehmen, dass die Mittellosigkeit für die verspätete Verfahrenshandlung ursächlich ist (BGH FamRZ 12, 705). Eine Beschwerdebegründung kann auch ohne diese Erklärung ausbleiben, solange VKH noch nicht bewilligt worden ist. Die OLGe müssen erst über die VKH-Gesuche entscheiden, wenn sie aus einer verspäteten oder versäumten Begründung Konsequenzen für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ziehen wollen.

     

    MERKE | Geht eine Rechtsmittelbegründung nicht oder nicht rechtzeitig ein, ist davon auszugehen, dass die Mittellosigkeit die Ursache dafür ist, sodass nicht einmal Sachvortrag erforderlich ist, um die Verspätung oder das Ausbleiben der Rechtsmittelbegründungsschrift zu rechtfertigen.

     

     

    Problematisch wird es erst, wenn der Verfahrensbevollmächtigte individuelle Gründe seiner Büroorganisation angibt, um sein Verschulden auszuschließen. Dies ist unerheblich, wenn das OLG den Beschwerdeführer auf den Fristablauf hingewiesen hat. Da er keine Gründe darlegen muss, weshalb ein Rechtsmittel nicht vor Ablauf der Frist begründet werden konnte, ist auch unschädlich, wenn er etwas zur Organisation der Fristenkontrolle ausführt. Reicht der Anwalt noch während der offenen Rechtsmittelbegründungsfrist den Entwurf einer vollständigen Rechtsmittelbegründung ein, soll das wirtschaftliche Unvermögen als Ursache der Fristversäumung ausscheiden (BGH NJW 08, 2855; a.A. 4. Senat MDR 12, 1059). Damit übernimmt er noch nicht die Verantwortung für die Begründungsschrift. Kann die mittellose Partei glaubhaft machen, dass der Anwalt nicht bereit war, die Berufung ohne VKH-Bewilligung ordnungsgemäß und insbesondere fristgemäß zu begründen, schadet die bereits erbrachte Tätigkeit nicht. Dies entspricht damit auch der Linie des 12. Senats, sodass diese Rechtsansicht nun Bestand haben dürfte.

     

    MERKE | Der Verfahrensbevollmächtigte muss aber vorsichtig sein, wenn er versucht, die Fristversäumung mit Ausführungen zur Organisation der Fristenkontrolle zu entschuldigen. Dies könnte darauf schließen lassen, dass er auch ohne Bewilligung von VKH bereit war, weitere Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Dies wäre schädlich. Er sollte diesen Eindruck vermeiden.

     

    VKH-Anträge müssen auf jeden Fall mit der Einlegung der Beschwerde gestellt werden und nicht erst mit der Beschwerdebegründungsschrift. Denn diese muss ohne vorherigen VKH-Antrag fristgemäß eingehen. Wird die Beschwerde mit dem VKH-Antrag verbunden, muss das Gericht zunächst über den VKH-Antrag entscheiden.

     

    MERKE | Dies setzt voraus, dass die erforderlichen VKH-Unterlagen mit der Beschwerdeschrift eingereicht werden. Erst dann kann das Gericht über den VKH-Antrag entscheiden. Werden die Belege erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist vorgelegt, kann die mittellose Partei nicht davon ausgehen, dass ihr wegen des Fristversäumnisses VKH bewilligt würde. Dies hat der BGH nun bestätigt.

     

    Weiterführender Hinweis

    • BGH FamRZ 12, 705, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: PKH-Antrag vor Ablauf der Rechtsmittelfrist; Ursächlichkeit der Mittellosigkeit für die Fristversäumung
    Quelle: Ausgabe 04 / 2014 | Seite 62 | ID 42522995