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  • · Fachbeitrag · Ehevertrag

    Sittenwidrigkeit aufgrund einer Gesamtwürdigung

    von VRiOLG a.D. Dr. Jürgen Soyka, Meerbusch

    | Der BGH hat aktuell entschieden: Selbst wenn die Scheidungsfolgen jeweils für sich nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit rechtfertigen, kann ein Ehevertrag aber bei einer Gesamtwürdigung sittenwidrig sein, wenn das Zusammenwirken aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen erkennbar darauf abzielen, einen Ehegatten einseitig zu benachteiligen. |

    Sachverhalt

    Die Beteiligten (M und F) sind rechtskräftig geschieden. Sie streiten noch um nachehelichen Unterhalt und den VA. Sie schlossen nach der Geburt ihrer Tochter T einen notariellen „Ehevertrag und Erbverzicht“. Darin verzichteten sie gegenseitig auf nachehelichen Unterhalt, ausgenommen des Betreuungs- und Krankenunterhalts. Außerdem regelten sie, dass mit Abschluss der Kinderbetreuung der Verzicht wieder in Kraft tritt. Der Betreuungsunterhalt endet, wenn das jüngste der gemeinschaftlichen Kinder das 18. Lebensjahr vollendet hat. Außerdem begrenzten sie die Höhe eines etwaigen nachehelichen Unterhalts. Ferner schlossen sie den ZGA und den VA aus. Hintergrund war eine Umstrukturierung des der Mutter des M gehörenden Unternehmens. Nach Angaben des M hatte seine Mutter die Übertragung von Geschäftsanteilen vom Abschluss des Ehevertrags abhängig gemacht.

     

    Die 1969 geborene F absolvierte nach Erwerb des qualifizierten Hauptschulabschlusses eine Lehre zur Bürokauffrau und übte den Beruf bis zu ihrer Eheschließung aus. Danach arbeitete sie zeitweise im Familienunternehmen überwiegend in Teilzeit als Sekretärin. Aufgrund einer nach der Eheschließung diagnostizierten Multiplen Sklerose ist sie zu 100 Prozent erwerbsbehindert (Pflegestufe II). Sie bezieht eine Erwerbsminderungsrente. Der 1963 geborene M erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen. Er leistet Unterhalt an die volljährige T, die Studentin ist.

     

    Das AG hat die Ehe geschieden, den Unterhaltsantrag abgewiesen und zudem ausgesprochen, dass kein VA stattfindet. Auf die von der F hinsichtlich der Folgesache VA und nachehelicher Unterhalt eingelegte Beschwerde hat das OLG den VA durchgeführt und den M zu gestuften Unterhaltszahlungen verpflichtet. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des M ist erfolglos.

     

    • a) Zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags aufgrund einer Gesamtschau der zu den Scheidungsfolgen getroffenen Regelungen im Fall der sogenannten Unternehmerehe.
    • b) Zum Erfordernis eines bestimmten Antrags der Beschwerdebegründung in einer Unterhaltsfolgesache.
     

    Entscheidungsgründe

    Die Rechtsbeschwerde gegen die VA-Entscheidung ist unzulässig, weil es an einer nach § 70 Abs. 1 FamFG erforderlichen Zulassung durch das OLG fehlt. Zwar enthält die Zulassung der Rechtsbeschwerde keine Einschränkungen. Solche Beschränkungen können sich aber aus den Entscheidungsgründen ergeben. Aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses ergibt sich, dass die Rechtsbeschwerde nur zum Verfahrensgegenstand des nachehelichen Unterhalts zugelassen worden ist.

     

    Rechtsbeschwerde betreffend den nachehelichen Unterhalt ist zulässig

    Innerhalb der Zulassung betreffend den nachehelichen Unterhalt gibt es aber keine weiteren Beschränkungen der Rechtsbeschwerde. Eine Beschränkung ist nur auf einen tatsächlichen und rechtlichen selbstständigen Teil des Gesamtstreitstoffs möglich, nicht aber auf einzelne Rechtsfragen. Daher ist es nicht möglich, die Zulassung auf die Frage der Zulässigkeit eines Rechtsmittels zu beschränken. Der Beschwerdeantrag ist auch hinreichend bestimmt. Die F verlangt nur nachehelichen Unterhalt, ohne diesen zu beziffern. Dies ist allerdings unerheblich, weil sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, dass die F ihren in erster Instanz gestellten Antrag weiterverfolgen will. Daraus ergibt sich eindeutig, in welchem Umfang und mit welchem Ziel die erstinstanzliche Entscheidung angefochten werden soll. Es ist kein Grundurteil begehrt worden, weil der Begründungsantrag ausdrücklich auf die Zuerkennung von Unterhalt gerichtet ist.

     

    Ehevertrag ist sittenwidrig

    Der Ehevertrag ist gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig. Der Betreuungsunterhalt gehört zum Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts. Er unterliegt nicht der freien Disposition der Ehegatten, was allerdings nicht bedeutet, dass er jeglicher Modifikation entzogen ist. Bezüglich des Betreuungsunterhalts ist der Ehevertrag nicht sittenwidrig, weil der Betreuungsunterhalt nicht ausgeschlossen ist und die Beschränkung der Höhe nach die F nicht daran hindert, die Kindesinteressen ausreichend zu berücksichtigen.

     

    Auch der Unterhalt wegen Alters und Krankheit gehört zu den Kernbereichen. Dessen Ausschluss begründet aber keine Sittenwidrigkeit, wenn im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht absehbar ist, ob, wann und unter welchen wirtschaftlichen Gegebenheiten ein Ehegatte wegen Alter oder Krankheit unterhaltsbedürftig werden könnte. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war noch nicht vorhersehbar, dass die F wegen Alter oder Krankheit unterhaltsbedürftig werden würde. Die Erkrankung an Multipler Sklerose wurde erst 1997 festgestellt. Wann eine Unterhaltsbedürftigkeit wegen Alter entstehen würde, war bei der seinerzeit 26-jährigen F zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ebenfalls noch nicht abzusehen.

     

    Der Ausschluss des VA ist nicht nachteilig für die F, da sie während der Ehezeit höhere Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben hat als der M. Dieser hat nur ein Anrecht aus einer auf Kapitalisierung gerichteten betrieblichen Altersversorgung erworben, das nicht dem VA unterfiel.

     

    Der Ausschluss des ZGA ist ebenfalls nicht sittenwidrig. Der Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts umfasst den ZGA nicht. Dies gilt auch, wenn bei Unternehmerehen der selbstständig erwerbstätige Ehegatte seine Altersversorgung nicht durch die Bildung von Vorsorgevermögen i. S. d. § 2 VersAusglG, sondern im Wesentlichen dadurch aufbaut, dass er privates Vermögen ansammelt. Es ist ein legitimes Interesse des Erwerbstätigen, das Vermögen seines selbstständigen Erwerbsbetriebs durch die Vereinbarung der Gütertrennung einen möglichen existenzbedrohenden Zugriff eines Ehegatten im Scheidungsfall zu entziehen und damit nicht nur für sich, sondern auch für die Familie die Lebensgrundlage zu erhalten. Daher rechtfertigen die ehevertraglichen Einzelregelungen nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit.

     

    Sittenwidrigkeit aber aufgrund einer Gesamtschau

    Der Ehevertrag ist aber bei einer Gesamtwürdigung aufgrund eines Zusammenwirkens aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen sittenwidrig. Aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen kann nur auf eine weiterhin erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten M geschlossen werden, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt.

     

    Ehevertrag ist objektiv sittenwidrig

    Zwar kann ein unausgewogener Vertragsinhalt ein gewisses Indiz für eine unterlegende Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten sein. Gleichzeitig müssen aber in der Vertragsurkunde verstärkende Umstände vorhanden sein, die auf eine subjektive Imparität hindeuten, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit. Im Hinblick auf eine einseitige Benachteiligung in objektiver Hinsicht ist zu beachten, dass mit dem Alters- und Krankenvorsorgeunterhalt Unterhaltstatbestände ausgeschlossen sind, die zum Kernbereich gehören und insoweit schon bei Vertragsabschluss mit höherer Wahrscheinlichkeit aufseiten der wirtschaftlich schwächeren und insoweit unzureichend abgesicherten Ehefrau eine spezifische Bedürfnislage absehbar war. Mit den ehebedingten Einkommens- und Versorgungsnachteilen war nur aufseiten der F zu rechnen, die die Kinderbetreuung und Haushaltsführung übernahm. Außerdem stand fest, dass der M seine Altersversorgung nahezu ausschließlich auf eine private Vermögensbildung stützte, an der die F aufgrund des Ausschlusses des ZGA nicht partizipieren konnte.

     

    Im Unterschied zu einem vor der Eheschließung abgeschlossenen Ehevertrag hat die F hier auf in der bestehenden Ehe bereits erlangte Rechtspositionen verzichtet, ohne dass der M dies kompensiert hat.

     

    Der Ausschluss des VA mag aus der damaligen Sicht zwar in beschränktem Ausmaß für sie vorteilhaft gewesen sein. Dies ändert aber nichts daran, dass ihr durch die Übernahme der Familienarbeit Versorgungsnachteile entstanden sind, die durch Kindererziehungszeiten nicht hinreichend kompensiert wurden.

     

    Ehevertrag ist auch subjektiv sittenwidrig

    Auch in subjektiver Hinsicht liegt Sittenwidrigkeit vor. Grund: Die F war in die Verhandlungen, die dem Abschluss der Verträge vorausgingen, nicht eingebunden. Sie hatte keinen Einfluss auf die Vertragsgestaltung und ihr wurde vor dem Abschluss des Ehevertrags kein Entwurf zur Verfügung gestellt. Im Notartermin wurde der Vertrag zwar vorgelesen. Er wurde von ihr unterschrieben, ohne diesen Vertrag zum Durchlesen in der Hand gehabt zu haben. Daraus ist abzuleiten, dass die F gegenüber dem M und dessen Verwandten in einer unterlegenen Verhandlungsposition gewesen ist und eine nur passive Rolle hatte. Die Konstellation beruhte auf der wirtschaftlichen und sozialen Überlegenheit des M, die dieser bei Vertragsabschluss ausgenutzt hat. Beim Notartermin war das einen Monat alte Kind dabei. Ebenfalls ist nachvollziehbar, dass die F deswegen den Beurkundungstermin möglichst schnell beenden wollte. Im Termin ist hauptsächlich die Umwandlung des Unternehmens beurkundet worden, an der die F nicht beteiligt war. Insgesamt war eine subjektive Imparität infolge der Ausnutzung der sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeit der F gegeben.

     

    Unerheblich ist, dass der F die Regelung egal gewesen sei und sie den Vertrag zuvor hätte lesen können. Für die subjektive Imparität ist insbesondere nicht erforderlich, dass der Benachteiligte den Vertrag nur mit Bedenken oder quasi widerwillig abschließt. Er ist durch § 138 Abs. 1 BGB auch und gerade geschützt, wenn er dem Verlangen des Überlegenen widerstandslos Folge leistet.

     

    Unerheblich ist ferner, dass die Mutter des M die Übertragung der Geschäftsanteile von dem Abschluss eines Ehevertrags abhängig gemacht hat. Dies rechtfertigt insbesondere keinen Unterhaltsverzicht.

    Relevanz für die Praxis

    Die Regelung der einzelnen Scheidungsfolgen begründet keine Sittenwidrigkeit im Hinblick auf die Kernbereichslehre:

     

    • Der Betreuungsunterhalt ist nicht ausgeschlossen. Hier hätte der BGH prüfen müssen, ob überhaupt ein Eingriff in den Betreuungsunterhalt vorliegt. Dieser will nur die Einkommenseinbußen durch Unterhalt ersetzen, die durch die Kinderbetreuung eingetreten sind. Wenn der Unterhaltsberechtigte mit einer vollschichtigen Tätigkeit nicht mehr verdienen kann, als den vereinbarten Unterhalt, handelt es sich bei der Unterhaltsbeschränkung nur um einen Eingriff in den Aufstockungsunterhalt, der nicht schützenswert ist.

     

    • Einen Eingriff in den Unterhalt wegen Krankheit und wegen Alters verneint der BGH, da hier entscheidend die Bedürfnislage bei Eintritt der Krankheit oder des Alters ist. Damit weicht der BGH von seiner eigenen Prüfungsstruktur ab. Entscheidend für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit sind danach die Umstände, die bei Vertragsabschluss gegeben waren und nicht Umstände, die sich später einstellen, wenn die Bedürfnislage eintritt. Gleichwohl hat der BGH in mehreren Entscheidungen auf letztere abgestellt.

     

    • Eine Beeinträchtigung durch den Ausschluss des VA sieht der BGH deswegen nicht, weil die F sogar ausgleichspflichtig wäre.

     

    • Auch mit dem Ausschluss des ZGA lässt sich keine Sittenwidrigkeit begründen. Dies gilt auch, wenn der begünstigte Ehegatte eine Altersversorgung betreibt, die voll in den ZGA fällt. Letztlich partizipiert der andere Ehegatte nicht daran. Dafür besteht bei Unternehmerehen aber ein vorrangiges Interesse, weil damit ggf. verhindert wird, dass im ZGA das Unternehmen zerschlagen wird. Die Ansicht des BGH trifft zu. Das Gesetz sieht als Güterstand die Gütertrennung vor. Dieser Güterstand wäre anderenfalls sittenwidrig. Dass ein Ehegatte den wirksamen Ausschluss nutzt, um weitere Vorteile zu ziehen, dürfte den Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht rechtfertigen.

     

    Der BGH bejaht aber Sittenwidrigkeit aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ehevertrags, also einer Gesamtschau der Eingriffe in die einzelnen Scheidungsfolgen. Es geht um den Ausschluss des Unterhalts wegen Krankheit und Alters, der schon bei Vertragsabschluss sehr wahrscheinlich aufseiten der wirtschaftlich schwächeren und insoweit unzureichend abgesicherten F bei einer Bedürfnislage eintritt, die durch ehebedingte Benachteiligungen geprägt ist.

     

    Es betrifft die Altersversorgung, an der die F wegen des Ausschlusses des ZGA nicht partizipiert, obwohl sie ehebedingte Nachteile in ihrer Versorgungslage haben wird, weil sie die Haushaltsführung und Kinderbetreuung in der Ehe übernommen hat. Aufgrund dieser Rollenverteilung bildet sie nur durch Kindererziehung eigene Versorgungsanwartschaften, die weit hinter denen zurückbleiben, die bei einer Erwerbstätigkeit zu erwarten wären. Außerdem wurde der Ehevertrag erst während der Ehe geschlossen. Dadurch hat F auf bestehende Rechtspositionen verzichtet, ohne dass M dies kompensiert hat. Dies genügt für die objektive Sittenwidrigkeit.

     

    Die subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit sind gegeben bei einer subjektiven Imparität infolge der Ausnutzung der sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeit des Benachteiligten. Hier verlangt der BGH neben den objektiven Umständen noch weitere, die außerhalb der Vertragsurkunde liegen und die den durch die objektiven Umstände hervorgerufenen Vorwurf der Sittenwidrigkeit verstärken. Hier hatte die F keinen Einfluss auf die Vertragsgestaltung. Ihr wurde der Vertrag erst im Notartermin vorgelesen, ohne dass sie ihn überprüfen konnte. Sie hat eine passive Rolle eingenommen. Denn beim Notartermin hatte sie auch noch das einen Monat alte Kind dabei.

     

    PRAXISHINWEIS | Als Verfahrensbevollmächtigter des Benachteiligten müssen Sie umfassend auch zu den subjektiven Umständen vortragen, die sich außerhalb der Vertragsurkunde ergeben. Alleine der Hinweis auf den Umfang der nachteiligen Wirkungen bei den einzelnen Scheidungsfolgen reicht nicht aus.

     

    Weiterführende Hinweise

    • FK 17, 91 ebenfalls zu dieser Entscheidung
    • BGH FK 15, 110; 116, die vorliegende Entscheidung knüpft daran an
    • BGH FK 13, 79; 112, die vorliegende Entscheidung knüpft daran an
    • BGH FK 13, 199, die vorliegende Entscheidung knüpft daran an
    Quelle: Ausgabe 07 / 2017 | Seite 112 | ID 44698444