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  • 26.08.2009 | Abstammung

    Die Regelung gemäß § 1598a BGB zur Klärung der leiblichen Abstammung

    von RA Michael Nickel, FA Familienrecht, Hagen

    Seit 1.4.08 regelt § 1598a BGB die wechselseitigen Ansprüche zwischen (Schein-)Verwandten, die das Bestehen oder Nichtbestehen eines Abstammungsverhältnisses feststellen lassen wollen. Die Regelungen beschränken sich allerdings auf verschiedene Mitwirkungshandlungen und dienen damit nicht der unmittelbaren Korrektur verwandtschaftlicher Verhältnisse (vgl. Helms, FamRZ 08, 1033). Der Beitrag erläutert, welche Bedeutung der Vorschrift in der gerichtlichen Praxis zukommen wird.  

     

    Übersicht zum Anspruch gemäß § 1598a BGB

    Ausgangslage  

    Bis 31.3.08 war sowohl dem materiellen als auch dem prozessualen Recht eine Verpflichtung für einen Beteiligten zur Mitwirkung an der Feststellung einer Vaterschaft unbekannt (BGH NJW 07, 912; Hammermann, FamRB 08, 150). Daher ließen von Zweifeln geplagte Väter zunehmend Vaterschaftstests bei entsprechenden Instituten durchführen, die zunehmend im Internet angeboten wurden („Papacheck“ u.Ä.; vgl. BT-Drucks. 16/6561, S. 8; Helms a.a.O., 1035). Da sie sich dabei heimlich in den Besitz des erforderlichen DNA-Materials brachten, erachtete zunächst der BGH (BGH NJW 05, 497; BGH FamRZ 06, 686) und später auch das BVerfG (BVerfG NJW 07, 753) diese Tests für rechtswidrig und ihre Ergebnisse gegen den Willen des Kindes oder dessen gesetzlichen Vertreters für im Prozess nicht verwertbar. Dieser Umstand wurde als ausgesprochen misslich empfunden. In der Entscheidung vom 13.2.07 hat das BVerfG (FamRZ 07, 441 ff.) dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31.3.08 ein gesetzliches Verfahren bereitzustellen, in dem die Abstammung eines Kindes von seinem rechtlichen Vater unabhängig von einer Anfechtung der Vaterschaft geklärt werden kann (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; BVerfG NJW 03, 2151).  

     

    Neuregelung  

    Auf diese Entscheidung hat der Gesetzgeber mit dem Entwurf des „Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren“ reagiert (BT-Drucks. 16/6561 v. 4.10.07; vgl. Hammermann: a.a.O.), das am 26.3.2008 vom Bundestag beschlossen wurde und am 1.4.08 in Kraft getreten ist (BGBl 08 Teil I Nr. 11 v. 31.3.08). Hierdurch wurde § 1598a BGB eingefügt, darüber hinaus wurden die §§ 194, 1600b und 1629 BGB geändert. Weitere Änderungen betrafen namentlich in der ZPO § 621a ZPO a.F. (neu: § 113 FamFG), § 621e ZPO a.F. (neu: § 58 FamFG), § 640 ZPO a.F. (neu: § 169 FamFG) und § 641i ZPO a.F. (neu: § 185 FamFG) sowie weitere Bestimmungen des FGG, der KostO und des EGBGB.  

     

    Mitwirkungsverpflichtungen  

    Nach § 1598a Abs. 1 S. 1 BGB kann der Vater jeweils von Mutter und Kind (Nr. 1), die Mutter jeweils von Vater und Kind (Nr. 2) sowie das Kind jeweils von beiden Elternteilen (Nr. 3) die Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung verlangen. Die zur Einwilligung Verpflichteten müssen die Entnahme einer Probe dulden, die für die Untersuchung geeignet ist. Damit ermöglicht die Vorschrift - über den Wortlaut des Gesetzes vom 26.03.08 hinaus - auch die Klärung der Mutterschaft (vgl. Schwab, FamRZ 08, 23; Wellenhofer, NJW 08, 1185; Borth, FPR 07, 381). Angesichts jedenfalls im Ausland zumindest möglicher Fälle von Ei- und Embryonenspenden reicht § 1591 BGB hierzu nicht mehr aus.  

     

    Die Probe nach Abs. 1 S. 2 muss nach den anerkannten Grundsätzen der Wissenschaft entnommen werden. Hierfür können z.B. die „Richtlinien der Bundesärztekammer für die Erstattung von Abstammungsgutachten“ aus dem Jahr 2002 (FamRZ 02, 1159 f.) herangezogen werden. Danach soll in der Regel eine Blutprobe als Untersuchungsmaterial dienen, da nur diese optimale Analysemöglichkeiten bietet. Nur in begründeten Ausnahmefällen kann ein Mundschleimhautabstrich verwendet werden. Die zu untersuchenden Personen müssen sich u.a. bei der Probenentnahme durch gültige amtliche Ausweise mit Lichtbild (bei Kindern ggf. Geburtsurkunde) legitimieren, d.h. zur Erfüllung des Anspruchs muss in jedem Fall ein Arzt oder ein Labor aufgesucht werden, von dem die Identitätsprüfung vorgenommen und dokumentiert wird. Nicht ausreichend ist daher die Selbstabnahme einer Probe (vgl. BT-Drucks. 16/6561, 13).  

     

    Ersetzung der Einwilligung, Duldung der Probenentnahme  

    Wird die Einwilligung durch den Verpflichteten verweigert, hat sie das Familiengericht nach Abs. 2 auf Antrag eines Klärungsberechtigten zu ersetzen und die Duldung der Probenentnahme anzuordnen. Für das minderjährige Kind kann der Antrag nur durch einen Ergänzungspfleger gestellt werden, da in einem gerichtlichen Verfahren nach § 1598a BGB weder Vater noch Mutter das Kind vertreten können (vgl. Helms a.a.O., 1034). Der Antrag bedarf keiner besonderen Begründung. Im Interesse einer zügigen Abwicklung hat die Ersetzung der Einwilligung die gleiche Wirkung wie die Einwilligung des Betroffenen selbst, was zusätzlichen Vollstreckungsaufwand vermeidet (vgl. Helms a.a.O., S. 1035). Eine Vollstreckung ist nur erforderlich, wenn die Abgabe einer genetischen Probe verweigert wird. Sie erfolgt nach § 56 Abs. 4 S. 3 FGG oder nach allgemeinen Grundsätzen (§ 56 Abs. 4 S. 4, § 33 FGG), ab 1.9.09 nach § 96a FamFG.  

     

    Qualitätsanforderungen für die Untersuchung der genetischen Probe sieht das Gesetz nicht vor. Derartige Regelungen, die sich an die Untersuchungslabore richten müssten, wollte der Gesetzgeber dem Regelungsbereich eines noch zu schaffenden Gendiagnostikgesetzes vorbehalten (BT-Drucks. 16/6561, 13).  

     

    Aussetzung des Verfahrens  

    Abs. 3 berechtigt das Gericht zur Aussetzung des Verfahrens, wenn und solange die Klärung der leiblichen Abstammung eine erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls begründen würde, die auch unter Berücksichtigung der Belange des Klärungsberechtigten für das Kind unzumutbar wäre. Damit trägt das Gesetz dem vom BVerfG in seiner Entscheidung vom 13.2.07 (FamRZ 07, 441 ff., Teil B Absch. I Nr. 3 b aa) geforderten Schutz des Kindes in besonderen Lebenslagen und Entwicklungsphasen Rechnung, der für eine begrenzte Zeit die Eröffnung eines Verfahrens ausschließen kann. Dadurch soll sichergestellt werden, dass das Recht des zweifelnden Antragstellers auf Kenntnis der Abstammung jedenfalls zeitweise hinter einem besonderen Schutzbedürfnis des Kindes zurücktritt, allerdings nur in extremen Ausnahmefällen (s. hierzu Helms a.a.O., 1036).  

     

    Zwar hat das BVerfG a.a.O. grundsätzlich den Interessen des Klärungsberechtigten den Vorrang vor den unter Umständen gegenteiligen Interessen des Kindes eingeräumt, jedoch sollen sich in besonderen Ausnahmesituationen entgegenstehende Kindesinteressen durchsetzen können. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „erheblichen Beeinträchtigung“ des Kindeswohls betont den Ausnahmecharakter des Ausschlussgrundes und soll Fällen Rechnung tragen, in denen das Abstammungsgutachten aufgrund außergewöhnlicher Umstände atypische, besonders schwere Folgen für das Kind auslöst. In Betracht kommen vor allem psychische und physische Gründe in der Person des Kindes, die dazu führen können, dass das Ergebnis des Gutachtens das Kind außergewöhnlich belastet (z.B. Suizidgefahr oder Gefahr der gravierenden Verschlechterung einer bereits bestehenden schweren Krankheit; BT-Drucks. 16/6561, 13). Die Dauer der Aussetzung ist vom Einzelfall abhängig. Ist der Aussetzungsgrund entfallen, hat das Gericht das Verfahren wieder aufzunehmen. Eine Befristung der Aussetzung wegen unzumutbarer Beeinträchtigung des Kindeswohls kann insbesondere in Betracht kommen, wenn sich ihre Dauer aus einem Gutachten ergibt, das zur Feststellung der Voraussetzungen des § 1598a Abs. 3 BGB eingeholt worden ist (BT-Drucks. 16/6561, 13).  

     

    Auswirkungen  

    Mit § 1598a BGB hat der Gesetzgeber erstmals eine Anspruchsgrundlage geschaffen, die den Eltern eines Kindes sowie dem Kind selbst die Möglichkeit eröffnet, die anderen Beteiligten zur Klärung leiblicher Abstammungsfragen mit Hilfe moderner Gendiagnostik zu verpflichten. Der klärungswillige (Schein-) Verwandte kann die Klärung von Abstammungsverhältnissen jederzeit herbeiführen. Im Gegensatz zur Vaterschaftsfeststellung nach §§ 1599 ff. BGB gelten für die Einleitung eines Verfahrens nach § 1598a BGB keine besonderen Voraussetzungen, insbesondere weder eine Frist zur Geltendmachung des Klärungsanspruchs noch eine Verjährungsfrist. Eine allgemeine Grenze findet sich lediglich im Falle unzulässiger Rechtsausübung (BT-Drucks. 16/6561, 12; vgl. Helms a.a.O., 1034). Nach wie vor enthält das Gesetz keine Regelungen für einen Mann, der nicht Vater i.S. von § 1592 BGB ist und lediglich herausfinden möchte, ob ein bestimmtes Kind von ihm abstammt.  

     

    Probleme in der Praxis  

    Zwar wurde erwartet, dass die Klärung der Abstammung durch ein Privatgutachten häufig das Anfechtungsverfahren entbehrlich machen wird, weil die Abstammungsuntersuchungen die Vaterschaft regelmäßig d.h. in etwa 80 Prozent der durchgeführten Privatgutachten bestätigen (BT-Drucks. 16/6561, 2). Gleichwohl bedeutet die Einführung des Klärungsverfahrens ein zusätzliches Verfahren für die Gerichte, weshalb bereits diskutiert wird, ob es nicht einfacher gewesen wäre, im Anfechtungsverfahren schlicht auf die Darlegung eines Anfangsverdachts zu verzichten (Helms a.a.O., 1036). Dessen ungeachtet wurde erwartet, dass das Verfahren mit Abstand am häufigsten von skeptischen Vätern in Anspruch genommen und erhebliche praktische Bedeutung erlangen wird (vgl. BT-Drucks. 16/6561, 8). Ob sich diese Erwartung erfüllt, erscheint allerdings eher zweifelhaft, da Verfahren vor dem Familiengericht und damit auch Abstammungsstreitigkeiten mit einem ausgesprochen hohen PKH-Anteil geführt werden.  

     

    Die Wahl der Untersuchungsmethode und des Untersuchungsinstituts steht dem Klärungsberechtigten frei, da die Abstammungsuntersuchung von ihm und nicht vom Gericht in Auftrag gegeben wird (Helms a.a.O., 1035). Aus demselben Grund allerdings befreit die Gewährung von PKH (ab 1.9.09: Verfahrenskostenhilfe, § 76 FamFG) für das Gerichtsverfahren den Anspruchsteller nicht von den Kosten der Untersuchung. Dieses Ergebnis macht die Durchführung eines Verfahrens nach § 1598a BGB vor allem in Fällen ratenfreier PKH unattraktiv. Bei Beauftragung eines seriösen Instituts entstehen immerhin Kosten von ca. 400 EUR. Zwar „geht es auch billiger“; ob jedoch mehr oder weniger phantasievoll betitelte Discount-Angebote im Internet den Anforderungen nach § 1598a Abs. 1 S. 2 BGB entsprechen und damit im Ernstfall verwertbar sind, erscheint zumindest fraglich. Da im Gegensatz dazu bei Durchführung einer Anfechtungsklage die Kosten für das einzuholende Gutachten zu den (von der PKH gedeckten) Gerichtskosten zählen, darf angenommen werden, dass der kostenarme Beteiligte nach wie vor die Anfechtungsklage bevorzugen wird. Selbstzahler hingegen brauchen § 1598a BGB nicht, denn sie werden aus denselben Kostengründen ihre Einwilligung erteilen und die erforderlichen Mitwirkungshandlungen regelmäßig ohne Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe vornehmen.  

     

    Ausblick

    Das Ergebnis erscheint paradox: Zwar hat der Gesetzgeber eine durchaus erforderliche und sinnvolle Regelung geschaffen. Jedoch werden sich die Gerichte damit kaum zu beschäftigen haben. Bei Juris war ein Jahr nach In-Kraft-Treten der Bestimmung noch keine einzige einschlägige Entscheidung dokumentiert.  

     

    Quelle: Ausgabe 09 / 2009 | Seite 162 | ID 129488