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  • · Fachbeitrag · Musterfall

    Grundstücksschenkung unter Nießbrauchsvorbehalt und Pflichtteilsergänzungsanspruch

    von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster

    | Der Pflichtteilsanspruch einer pflichtteilsberechtigten Person ( § 2303 BGB ) errechnet sich grundsätzlich aus dem Bestand und dem Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls ( § 2311 BGB ). Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, kann der Pflichtteilsberechtigte allerdings zur Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird ( §§ 2325 ff. BGB ). Ist ein Grundstück unter Nießbrauchsvorbehalt geschenkt worden, sind für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanpruchs einige Besonderheiten zu beachten. |

    1. Musterfall

    Der am 2.9.13 im Alter von 84 Jahren verstorbene verwitwete E hat durch Testament seinen Sohn S und seine zwei Töchter T und U zu Erben eingesetzt. S soll 2/3, T und U sollen je 1/6 des Nachlasses als Erben erhalten. Der Nachlasswert beträgt unstreitig 3.000.000 EUR.

     

    Mit notariellem Vertrag vom 22.12.02 hatte E bereits ein Mietwohngrundstück im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich auf seinen Sohn S unter dem Vorbehalt des lebenslänglichen Nießbrauchs übertragen. Zu diesem Zeitpunkt war E 74 Jahre alt. Gemäß dem Übergabevertrag erfolgte der wirtschaftliche Eigentumsübergang am 1.1.03. Die Eintragung des S im Grundbuch erfolgte erst später am 22.2.03. Der Jahresertrag des Grundstücks soll für die Jahre 2002 und 2003 mit 87.000 EUR angenommen werden.

     

    Das Mietwohngrundstück hatte im Zeitpunkt der Schenkung einen Verkehrswert von 1.750.000 EUR; unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwunds soll das einem Wert von 2.000.000 EUR entsprechen. Der tatsächliche Verkehrswert des Mietwohngrundstücks im Zeitpunkt des Todes betrug 2.300.000 EUR.

     

    Die Kinder T und U sind mit ihrem Erbanteil nicht zufrieden und fragen an, ob und gegebenenfalls welche Ansprüche ihnen über den Erbteil hinaus zustehen.

    2. Folgen einer Ausschlagung der Erbschaft

    T und U könnten wegen der Zurücksetzung gegenüber S zunächst überlegen, die Erbschaft auszuschlagen und ihren Pflichtteil als Geldanspruch geltend zu machen. Davon wäre jedoch unbedingt abzuraten. Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 S. 2 BGB). Da die gesetzliche Erbquote der drei Kinder gemäß § 1924 BGB je Kind 1/3 beträgt, ermittelt sich der Pflichtteilsanspruch der drei Kinder demnach mit einer Quote von 1/6. Dies entspricht der Erbquote von T und U. Der Pflichtteilsberechtigte kann den Erbteil aber nur ausschlagen und stattdessen den Pflichtteil beanspruchen, wenn die Voraussetzungen des § 2306 BGB erfüllt sind. Da T und U aber laut Testament keinen Beschränkungen und Beschwerungen i.S. des § 2306 BGB unterliegen, steht ihnen im Falle der Ausschlagung auch kein Pflichtteilsanspruch zu.

    3. Zusatzpflichtteil/Pflichtteilsrestanspruch

    Ein Zusatzpflichtteil, der auch Pflichtteilsrestanspruch genannt wird (§ 2305 BGB), steht T und U wegen der Zurücksetzung gegenüber S ebenfalls nicht zu. Da sich der Pflichtteilsanspruch der drei Kinder mit einer Quote von 1/6 errechnet, haben sie als testamentarische Erben aus dem Nachlass genau das erhalten, was ihrem Pflichtteil entspricht.

    4. Pflichtteilsergänzungsanspruch dem Grunde nach

    Wegen der Schenkung des Grundstücks an S kommt allerdings ein Pflichtteilsergänzungsanspruch für T und U nach § 2325 BGB in Betracht. Hat der Erblasser einem Dritten eine Schenkung gemacht, kann der Pflichtteilsberechtigte gemäß § 2325 Abs. 1 BGB als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Die Schenkung bleibt jedoch gemäß § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB unberücksichtigt, wenn seit der Leistung des verschenkten Gegenstands 10 Jahre verstrichen sind. Das Gesetz erkennt in § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB nur für einen Fall eine längere Frist an. Bei einer - hier nicht vorliegenden - Schenkung an den Ehegatten beginnt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe. Entsprechendes gilt gemäß § 10 Abs. 6 LPartG für Lebenspartner im Sinne dieses Gesetzes.

     

    Nach Auffassung des BGH beginnt die 10-Jahresfrist zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten mit dem endgültigen Eintritt des Leistungserfolgs. Bei einer Grundstücksschenkung beginnt die Frist daher grundsätzlich erst mit der Umschreibung im Grundbuch und nicht etwa bereits mit dem Erwerb einer Anwartschaft (BGH 2.12.87, IVa ZR 149/86, NJW 88, 821). Da die Eintragung des S im Grundbuch am 22.2.03 erfolgt ist, würde die 10-Jahresfrist daher mit diesem Tag beginnen und mit Ablauf des 22.2.13 enden. Eine Berücksichtigung der Grundstücksschenkung für die Pflichtteilsberechnung von T und U wäre danach ausgeschlossen, da E erst nach Ablauf dieser Frist, nämlich am 2.9.13 verstorben ist.

     

    Erfolgt eine Schenkung jedoch unter Vorbehalt eines Nießbrauchs- oder Wohnrechts, wird der Vollzug der Schenkung differenzierter gesehen. Der BGH will im Falle eines Nießbrauchsvorbehalts Schenkungen innerhalb und außerhalb der 10-Jahresfrist gleich behandeln. Zur Begründung führt er an, dass ein Erblasser, der sich den Nießbrauch vorbehält, die Schenkung noch nicht i.S. von § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB vollzogen habe.

     

    PRAXISHINWEIS | Noch nicht vom BGH geklärt ist hingegen die Frage, ob und inwieweit ein vorbehaltenes Wohnrecht den Beginn der 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB hindert. Die Einräumung eines Wohnungsrechts dürfte die 10-Jahresfrist jedenfalls dann nicht auslösen, wenn es sich auf den Zuwendungs-

    gegenstand insgesamt bezieht (BFH 27.4.94, IV ZR 132/93, NJW 94, 1791). Problematisch sind aber Fälle, in denen das vorbehaltene Wohnrecht sich nicht auf das gesamte Gebäude, sondern nur auf eine Teilfläche hiervon beschränkt.

     

    Das LG Weiden hat in einem Urteil vom 23.11.11 (22 S 43/09, ErbR 13, 290) entschieden, dass ein vorbehaltenes Wohnrecht den Lauf der 10-Jahres-Frist dann nicht hindert, wenn der Schenker die Ausübung des Wohnrechts Dritten nicht überlassen darf. In diesem Fall kann er nämlich die vom Wohnrecht betroffenen Räumlichkeiten nicht vermieten, mit der Folge, dass sich der Schenker des „Genusses“ des Hausanwesens mit seiner Übertragung nahezu vollständig entäußert hat. Dieses Urteil folgt der wohl überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (OLG Bremen 25.2.05, 4 U 61/04, NJW 05, 1726; OLG Düsseldorf 28.2.97, 7 U 45/96, FamRZ 97, 1114; OLG Düsseldorf 18.12.98, 7 U 78/98, FamRZ 99, 1546; OLG München 25.6.08, 20 U 2205/08, ZEV 08, 480; OLG Karlsruhe 15.1.08, 12 U 124/07, ZEV 08, 244).

     

    Vor einer geplanten Übergabe sollte also stets geprüft werden, ob dem Schenker ein umfassendes Nießbrauchs- oder Wohnrecht eingeräumt wird und hierdurch Pflichtteilsergänzungsansprüche auch noch nach Ablauf von 10 Jahren ausgelöst werden, oder ob sich der Schenker mit einer Teilnutzung der Immobilie zufrieden gibt.

     

    Da E sich ein umfassendes Nießbrauchsrecht am Mietwohngrundstück vorbehalten hat, ist die 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB im vorliegenden Fall durch die Schenkung im Jahre 2003 nicht ausgelöst worden. Das Grundstück ist daher für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanpruchs weiterhin zu berücksichtigen.

    5. Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

    Fraglich ist, wie sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch der Höhe nach berechnet. Werden unter Nießbrauchsvorbehalt geschenkte Grundstücke in die Pflichtteilsberechnung einbezogen, ist für den maßgebenden Stichtag gemäß dem in § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB postulierten Niederstwertprinzip eine Vergleichsrechnung nötig. Diese hat bei unter Nießbrauchsvorbehalt geschenkten Grundstücken zweistufig zu erfolgen (BGH 8.3.06, IV ZR 263/04, NJW-RR 06, 877).

     

    • Zunächst ist gemäß dem Niederstwertprinzip zu prüfen, ob der Schenkungsgegenstand ohne Berücksichtigung des Nießbrauchsrechts im Zeitpunkt der Übertragung unter Berücksichtigung des Kaufpreisschwunds (also inflationsbereinigt) weniger wert war als beim Erbfall.

     

    • Ergibt der Wertvergleich, dass der maßgebliche Stichtag der Zeitpunkt der Schenkung ist, kann der Wert des vorbehaltenen Nutzungsrechts nach Auffassung des BGH vom Wert des übertragenen Vermögensgegenstands in Abzug gebracht werden.

     

    Diese Rechtsprechung des BGH hat in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und insbesondere in der Literatur teilweise heftige Kritik erfahren. Der Ansatz des BGH, dass bei einem vorbehaltenen Nutzungsrecht der Wert des kapitalisierten Nutzungsrechts vom Wert des übertragenen Vermögensgegenstands abgezogen werden müsse, könne in konsequenter Anwendung des Niederstwertprinzips nur bedeuten, dass der Wert des übertragenen Vermögensgegenstands sowohl zum Zeitpunkt der Schenkung als auch zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers unter Abzug des kapitalisierten Nutzungsrechts zu ermitteln und zu vergleichen sei.

     

    Dieser Kritik ist der BGH jedoch in einem Urteil vom 8.3.06 (a.a.O. - entgegen der Auffassung des OLG Celle als Vorinstanz) klar entgegengetreten. Der entscheidende Senat verweist darauf, dass er in ständiger, seit langem gefestigter Rechtsprechung davon ausgeht, dass unter Beachtung des Niederstwertprinzips in § 2325 Abs. 2 BGB die Schenkung eines Grundstücks unter Nießbrauchsvorbehalt lediglich in dem Umfang ergänzungspflichtig ist, in dem der Grundstückswert den Wert des dem Erblasser verbliebenen Nießbrauchs übersteigt.

     

    Kommt es danach auf den Stichtag der Grundstücksübertragung an, weil der für den Zeitpunkt des Schenkungsvollzugs - zunächst ohne Berücksichtigung des Nießbrauchsrechts - ermittelte Wert des Grundstücks unter dessen Wert im Zeitpunkt des Erbfalls liegt, ist der Wert des Nießbrauchsrechts bei der Ermittlung des ergänzungspflichtigen Schenkungswerts in Abzug zu bringen. Der BGH geht gemäß einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise davon aus, dass der Pflichtteilsberechtigte so gestellt werden muss, als sei das Grundstück zur Zeit des Schenkungsvollzugs in Geld umgesetzt worden, sodass nur der dabei hypothetisch erzielbare Erlös dem Nachlass hinzuzurechnen sei.

     

    PRAXISHINWEIS | § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB zwingt allerdings nach Auffassung des OLG Oldenburg (10.11.98, 5 U 91/98, ZEV 99, 185) nicht stets dazu, rechtsgeschäftlich vereinbarte Belastungen (im Streitfall lebenslanges Wohnrecht) wertmindernd zu berücksichtigen. Ein Zeitraum von nur 14 Monaten zwischen Schenkung und Erbfall rechtfertigt nach dem Grundsatz eines billigen Interessenausgleichs keine Wertminderung.

     

    Ist dagegen der Grundstückswert im Zeitpunkt des Erbfalls der maßgebliche Wert, kommt ein Abzug nicht mehr in Betracht. In diesem Zeitpunkt ist das Nutzungsrecht nicht mehr werthaltig, es ist erloschen (BGH 8.3.06, a.a.O.).

     

    5.1 Anwendung des Niederstwertprinzips

    Gemäß dem Niederstwertprinzip ist im vorliegenden Fall der Wert im Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung und unter Berücksichtigung des Kaufkraftschwunds mit 2.000.000 EUR anzusetzen, da dieser niedriger als der Wert im Erbfall ist.

     

    5.2 Abzug des Werts des Nutzungsrechts

    Wird der Wert des Nutzungsrechts im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH vom Wert der Schenkung im Zeitpunkt ihres Vollzugs abgezogen, stellt sich weiter die Frage, wie der abziehbare Nutzungswert zu kapitalisieren ist. Nach der von der herrschenden Meinung vertretenen abstrakten Berechnungsmethode ist für die Kapitalisierung vorbehaltener Nutzungsrechte die statistische Lebenserwartung des Berechtigten zum Zeitpunkt des Vollzugs der Zuwendung zugrunde zu legen.

     

    Für die Berechnung kann - für die Jahre vor 2009 - auf Anlage 9 zu § 14 BewG zurückgegriffen werden, die mit dem ErbStRG 2009 durch - auch schon vorher ebenfalls anwendbare - jährlich aktualisierte und damit präzisere Sterbetafeln des statistischen Bundesamts ersetzt worden sind. Aus Vereinfachungsgründen soll für das Jahr 2003 hier mit den zu diesem Zeitpunkt noch anwendbaren Vervielfältigern gemäß Anlage 9 zu § 14 BewG gerechnet werden. Danach ergibt sich ein Vervielfältiger für einen 74-jährigen Mann von 6,310.

     

    • Berechnung Pflichtteilsergänzungsanspruch

    Nachlasswert

    3.000.000 EUR

    zzgl. Wert der Schenkung

    2.000.000 EUR

    abzgl. Nießbrauch 87.000 EUR x 6,310

    - 548.970 EUR

    Wert nach Hinzurechnung

    4.451.030 EUR

    Pflichtteilsanspruch 1/6 von 4.451.030 EUR

    741.838 EUR

    durch Erbfall erhalten

    - 500.000 EUR

    Pflichtteilsergänzungsanspruch

    241.838 EUR

     

    Schuldner des Anspruchs ist hier der Miterbe S. Nach § 2328 BGB braucht er aber nur so viel zu zahlen, dass ihm von seinem Erbteil wertmäßig mindestens das verbleibt, was er bei ergänztem Pflichtteil als Pflichtteilsberechtigter bekommen hätte (= ebenfalls 741.838 EUR).

     

    PRAXISHINWEIS | Sollte der Nachlass nicht hinreichend sein, hätten T und U einen Anspruch gegen den Beschenkten, also hier wiederum gegen S aus § 2329 BGB auf Herausgabe des Geschenks (hier des Grundstücks) zum Zwecke der Befriedigung. S könnte die Herausgabe dann aber durch Zahlung des fehlenden Betrags gemäß § 2329 Abs. 2 BGB abwenden.

     

     

    S würde im vorliegenden Fall auch nach Befriedigung der T und U zustehenden Pflichtteilsergänzungsansprüche deutlich mehr als 741.838 EUR aus dem Nachlass erhalten, sodass der Pflichtteilsergänzungsanspruch ihm gegenüber in voller Höhe besteht. Wird die Berechnungsmethode des BGH zugrunde gelegt, ergibt sich für T und U ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von jeweils 241.838 EUR, den S als Erbe erfüllen muss.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Slabon, Pflichtteilsergänzung: Beginn der 10-Jahres-Frist, ErbBstg 09, 11
    • Slabon, 10-Jahresfrist bei Pflichtteilsergänzungsanspruch, ErbBstg 08, 173
    Quelle: Ausgabe 10 / 2013 | Seite 261 | ID 42320793

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