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  • · Fachbeitrag · Gemeinschaftliches Testament

    Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments hinsichtlich wechselbezüglicher Verfügungen

    von RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a. D., Vallendar

    | Im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens hatte sich das OLG Karlsruhe (3.1.23, 14 W 111/22, Abruf-Nr. 234291 mit der Wechselbezüglichkeit eines gemeinschaftlichen Testaments im Wege der Auslegung zu befassen. |

     

    Sachverhalt

    Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Feststellung, dass seitens des Amtsgerichts die Tatsachen für festgestellt erachtet werden, wonach die Beteiligten zu 1), 3) und 4) den Erblasser als Miterben zu je 1/3 beerbt haben. Diese sind die einzigen Abkömmlinge des Erblassers und seiner Ehefrau, die vorverstorben ist. Unter dem 5.11.00 errichteten der Erblasser und seine Ehefrau in einer Urkunde ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament, in dem es (u. a.) heißt:

     

    • Erstes Testament (Auszug)

    „Sollte Vati S geb. … oder Mutti S geb. … zuerst sterben, so geht das gesamte Vermögen an den Überlebenden! Die Kinder, S geb. …, G geb. …, H geb. … sind erst nach dem Tode beider Eltern erbberechtigt.“

     

    Es folgen die Zuweisungen einer Wohnung, eines Hauses und eines Grundstücks an die Kinder sowie die Anordnung, dass das Geld von der Bank für die Grabpflege; das restliche Geld für die Kinder von G und H zu verwenden sei.

     

    Unter dem 10.08.13 errichtete der Erblasser ein weiteres handschriftliches Testament, in dem es u. a. heißt:

     

    • Zweites Testament (Auszug)

    „Ich S, geboren am …, habe mit meiner verstorbenen Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Durch diese letztwillige Verfügung von Todes wegen bin ich nicht beschränkt …“

     

    In diesem Testament ordnete der Erblasser unter anderem eine Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten zu Ziffer 2 zum Testamentsvollstrecker.

     

    Unter dem 17.7.20 errichtete der Erblasser schließlich ein drittes Testament, in dem der Erblasser ausführte, in seiner Testierfähigkeit nicht beschränkt zu sein. In diesem Testament setzte er die Beteiligte zu 1), die ihn zuletzt aufopferungsvoll gepflegt und versorgt habe, als Alleinerbin ein.

     

    Der Beteiligte zu 4) beantragte einen Erbschein mit dem Inhalt, wonach der Erblasser von der Beteiligten zu 1), dem Beteiligten zu 3) und von ihm zu je 1/3 beerbt worden sei. Die Beteiligte zu 1) ist dem entgegengetreten. Die Beteiligten streiten über die Wechselbezüglichkeit des gemeinschaftlichen Testaments vom 5.11.00.

     

    Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 22.9.22 die für die Erteilungeines Erbscheins gemäß dem Antrag des Beteiligten zu 4) erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und zur Begründung ausgeführt, dass der Erblasser das gemeinschaftliche Testament wegen der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen nicht mehr habe ändern können. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1), der das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt hat. Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen.

     

    Entscheidungsgründe

    Das Nachlassgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass aufgrund der zugrunde zu legenden Tatsachen von einer wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1), 3) und 4) im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB durch die Ehefrau des Erblassers auszugehen ist. Nach dem Tod seiner Ehefrau sei der Erblasser an die gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Verfügungen gebunden gewesen und habe diese nicht mehr wirksam durch seine nachfolgenden Testamente widerrufen können, § 2271 Abs. 2 BGB. Eine ergänzende Testamentsauslegung dahin gehend, dass die Eheleute S dem überlebenden Ehegatten die Befugnis eingeräumt hätten, die Schlusserbfolge zumindest zugunsten des pflegenden/betreuenden Kindes zu modifizieren, komme nicht in Betracht, wie das Gericht ausführlich und lesenswert in den Rn. 47 bis 54 der Entscheidung begründet.

     

    Relevanz für die Praxis

    In dem lesenswerten Beschluss wird die bisherige Rechtsprechung zum Vorliegen der Wechselbezüglichkeit einschließlich der Auslegung unter Aufzeigen der Zweifelsregelung des § 2270 Abs. 2 BGB konsequent und unter Berücksichtigung des gegebenen Sachverhalts angewandt. Die Willensergänzung im Wege der ergänzenden Auslegung wird zu Recht abgelehnt, weil sie nur dann vorgenommen werden kann, wenn die für die Zeit der Testamentserrichtung anhand des Testaments, ggf. unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung, festzustellende Willensrichtung beider Parteien dafür eine genügende Grundlage bildet.

     

    MERKE | Die Entscheidung offenbart erneut die Nachteile der Bindungswirkung eines wechselbezüglichen gemeinschaftlichen Testaments, die dem testierenden Ehegatten/Lebenspartner im Regelfall in ihrer Tragweite nicht bekannt sind. Eine Änderung ist dem Letztversterbenden nicht möglich, was seinem Willen vorseinem Tod nicht entsprechen muss. Der Beschluss zeigt aber auch Lösungen zur Belohnung der Pflegetätigkeit durch einen der Schlusserben auf. Es hätte dem Erblasser freigestanden, die von ihm zuletzt als Alleinerbin eingesetzte Tochter für die erbrachten Pflegeleistungen im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zu entlohnen. Er hätte dann nicht zum „letzten Mittel“ der Enterbung der ihn nicht pflegenden Schlusserben greifen müssen. Schließlich gibt auch § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB dem pflegenden (Mit-)Erben die Möglichkeit, eine Ausgleichung für seine Pflegeleistungen zu erhalten.

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2023 | Seite 58 | ID 49249115