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  • 05.09.2013 · IWW-Abrufnummer 140145

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 26.11.2012 – 3 K 319/12

    - Zwischen den Parteien eines Zivilprozesses streitige Ansprüche können wegen des staatlichen Gewaltmonopols regelmäßig nur
    gerichtlich durchgesetzt oder abgewehrt werden.
    - Zivilprozesskosten sind demgemäß zwangsläufig und können daher als agB abgezogen werden.


    Tatbestand
    Streitig ist die Frage, ob Kosten im Zusammenhang mit einem Zivilprozess als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden können.
    Die Kläger sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
    In ihrer Einkommensteuererklärung 2010 machten sie Fahrtkosten im Zusammenhang mit einem behinderten Kind in Höhe von 4.500,-
    € als außergewöhnliche Belastung geltend.
    Der Beklagte veranlagte die Kläger mit Einkommensteuerbescheid 2010 vom 21. November 2011 zur Einkommensteuer. Dabei berücksichtigte
    der Beklagte die außergewöhnliche Belastung erklärungsgemäß. Diese wirkte sich allerdings nicht aus, da sich die zumutbare
    Belastung auf 7.373,- € beläuft.
    Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch ein und begehrten unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH vom 12. Mai 2011
    VI R 42/10 den Abzug von Kosten im Zusammenhang mit einem Zivilprozess als außergewöhnliche Belastung. Konkret geht es zum
    einen um die Kosten für die Anfertigung eines Gutachtens zur Ermittlung von Baumängeln bei der Durchführung von Baumaßnahmen
    an dem Eigenheim der Kläger, welches der Vorbereitung eines Bauprozesses dient. Für dieses Gutachten hat das Ingenieurbüro
    … den Klägern durch Rechnung vom 4. Januar 2010 einen Betrag in Höhe von 4.855,09 € in Rechnung gestellt, welchen die Kläger
    im Streitjahr 2010 bezahlt haben.
    Auf der Grundlage des Gutachtens haben die Kläger, vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei … beim Landgericht G ein selbständiges
    Beweissicherungsverfahren initiiert, durch das die Kläger die Feststellung der Verantwortung des seinerzeit beauftragten Architekten
    sowie diverser Bauhandwerker für eine Vielzahl von Baumängeln begehren. In dem Antrag auf Durchführung des Beweissicherungsverfahrens
    wird auf das Gutachten … Bezug genommen. Für ihre Tätigkeit im Rahmen des Beweissicherungsverfahrens haben die Anwälte … den
    Klägern unter dem Datum des 1. September 2010 eine Vorschussrechnung über einen Betrag in Höhe von 2.677,38 € erteilt, den
    die Kläger am 7. September 2010 beglichen haben.
    Die Kläger haben wegen der Baumängel Inzwischen beim Landgericht G Klage erhoben; das Klageverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
    Eine Rechtsschutzversicherung, die die Kosten des Verfahrens übernimmt, haben die Kläger nicht.
    Daneben haben die Kläger ihren Einspruch auch auf einen anderen, für dieses Verfahren nicht erheblichen Punkt gestützt.
    Der Beklagte hat mit Teileinspruchsbescheid vom 26. April 2012 allein über den Abzug der Prozesskosten entschieden und den
    Einspruch insoweit als unbegründet zurückgewiesen.
    Die Kläger meinen, dass die Aufwendungen für das Gutachten sowie die Rechtsanwaltskosten als außergewöhnliche Belastung abziehbar
    seien. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BStBl II 2011, 1035) seien Kosten für
    einen Prozess als zwangsläufig anzusehen, weil der Bürger seine Ansprüche im Verfassungsstaat nicht eigenmächtig durchsetzen
    könne, sondern den Rechtsweg beschreiten müsse. Die Gutachterkosten seien Teil der Kosten des Zivilprozesses und für die Durchsetzung
    der Ansprüche notwendig. Aufwendungen seien nur dann nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige sich mutwillig oder
    leichtfertig auf den Prozess eingelassen habe. Davon sei im Streitfall nicht auszugehen.
    Die Kläger beantragen,
    unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2010 vom 21. November 2011 und der Einspruchsentscheidung vom 26. April 2012
    die Einkommensteuer auf 37.032,- € herabzusetzen.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Der Beklage hält die neuere Rechtsprechung des BFH nicht für überzeugend. Es sei nicht schlüssig, aus dem staatlichen Gewaltmonopol
    einen Schluss auf den existenznotwendigen Bedarf abzuleiten. Der Beklagte verweist auf kritische Stimmen zu der BFH-Entscheidung
    vom 12. Mai 2011 im Schrifttum sowie die Entscheidung des FG Hamburg 1 K 195/11 vom 24. September 2012, welches ausdrücklich
    von der Rechtsprechung des BFH abweicht.
    Die Verfahrensbeteiligten haben mit Schriftsätzen vom 23. November 2012 (Kläger) und 13. November 2012 (Beklagter) auf mündliche
    Verhandlung verzichtet.
    Gründe
    Die Klage ist begründet.
    Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
    Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird
    auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG).
    Bei den Kosten eines Zivilprozesses, die wie im Streitfall nicht als Werbungskosten der Kläger beurteilt worden sind, handelt
    es sich nach neuer Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BStBl II 2011, 1015) entgegen früherer Rechtsansicht
    um zwangsläufig entstandene Aufwendungen. Denn zwischen den Parteien des Zivilprozesses streitige Ansprüche könnten wegen
    des staatlichen Gewaltmonopols, das der Verwirklichung des inneren Friedens dient (Josef Isensee, Gemeinwohl im Verfassungsstaat,
    in: Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 71 Rz 76; Roman Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit,
    in: Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 72 Rz 38; Bardo Fassbender, Wissen als Grundlage staatlichen Handelns,
    in: Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, § 76 Rz 26), regelmäßig nur gerichtlich durchgesetzt oder abgewehrt
    werden. Dies folge aus dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) allgemein niedergelegt ist
    und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet (Helmuth
    Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band I, 2. Aufl. 2004, Art. 19 IV Rz 35). Es sei ein zentraler
    Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen grundsätzlich zu verwehren.
    Die Parteien würden zur gewaltfreien Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten der Staatsbürger (Roman Herzog,
    a.a.O., § 72 Rz 26) vielmehr auf den Weg vor die Gerichte verwiesen (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni
    1980 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 292; vom 13. März 1990 2 BvR 94 u.a./88, BVerfGE 81, 347, 356). Zivilprozesskosten erwüchsen
    Kläger wie Beklagtem deshalb unabhängig vom Gegenstand des Zivilrechtsstreits aus rechtlichen Gründen zwangsläufig (vgl. Kanzler
    in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG Rz 117; Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rz C 57).
    Entgegen der bisherigen Rechtsprechung sei für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten nicht auf die Unausweichlichkeit
    des der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen.
    Denn der Steuerpflichtige müsse, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten.
    Dieser Unausweichlichkeit stehe nicht entgegen, dass mit den Kosten eines Zivilprozesses in der Regel nur die unterliegende
    Partei (§ 91 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung) belastet ist. Denn der Einwand, der Unterliegende hätte bei gehöriger
    Prüfung seiner Rechte und Pflichten erkennen können, der Prozess werde keinen Erfolg haben, wird der Lebenswirklichkeit nicht
    gerecht. Vorherzusagen wie ein Gericht entscheiden wird, ist „riskant” (Tipke, Steuer und Wirtschaft 2008, 377, 380). Denn
    nur selten finde sich der zu entscheidende Sachverhalt so deutlich im Gesetz wieder, dass der Richter seine Entscheidung mit
    arithmetischer Gewissheit aus dem Gesetzestext ablesen könne. Nicht zuletzt deshalb biete die Rechtsordnung ihren Bürgern
    ein sorgfältig ausgebautes und mehrstufiges Gerichtssystem an.
    Als außergewöhnliche Belastungen seien Zivilprozesskosten jedoch nur zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht
    mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen habe. Er müsse diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für
    und Wider - auch des Kostenrisikos - eingegangen sein (vgl. Stöcker in Lademann, EStG, § 33 EStG Rz 495). Demgemäß seien Zivilprozesskosten
    des Klägers wie des Beklagten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht
    eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.
    Nach diesen Maßstäben liegen im Streitfall außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG vor, weil der von den
    Klägern angestrebte Bauprozess nach den vorliegenden Unterlagen keineswegs als mutwillig oder leichtfertig verursacht angesehen
    werden kann. Gerade der Umstand, dass sich die Kläger vor Klageerhebung durch die Einholung eines Privatgutachtens eines Bausachverständigen
    darüber abgesichert haben, dass die aufgetretenen Baumängel tatsächlich auf den früher tätigen Architekten bzw. auf die mit
    der Ausführung der Baumaßnahme betrauten Bauhandwerker zurückzuführen sind und vor Erhebung der eigentlichen Klage ein Beweissicherungsverfahren
    eingeleitet haben, macht deutlich, dass die Kläger bei der Vorbereitung des Prozesses mit Umsicht zu Werke gegangen sind.
    Da das Privatgutachten … mangelhafte Bauleistungen des von den Klägern beauftragten Architekten und der Handwerker auflistet,
    besteht bei überschlägiger Betrachtung eine zumindest ebenso hohe Wahrscheinlichkeit für einen Prozesserfolg wie für einen
    Misserfolg.
    Die Kosten des Prozesses stellen für die Kläger schließlich auch eine wirtschaftliche Belastung dar, weil sie über keine Rechtsschutzversicherung
    verfügen, die das entsprechende Kostenrisiko übernimmt.
    Der Entscheidung des BFH hält zwar das FG Hamburg in seinem Urteil 1 K 195/11 vom 24. September 2012, juris, der Sache nach
    überzeugend entgegen, dass der BFH in seiner Entscheidung sich nur mit der Frage der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen beschäftigt,
    das Urteil aber jede Auseinandersetzung mit der Frage vermissen lässt, inwieweit die Aufwendungen für den Steuerpflichtigen
    „außergewöhnlich” sind und einem atypischen und außerhalb der allgemeinen Lebensführung liegenden Bedarf entspringen. Denn
    in einem Zeitalter der allgemeinen Prozessflut stellt es ein alltägliches Ereignis dar, in einen Prozess verwickelt zu werden.
    Warum der BFH aus einer unendlichen Vielzahl von Aufwendungen, die tragen zu müssen zum allgemeinen Lebensrisiko gehört, ausgerechnet
    die Prozesskosten herausgreift (Warum kein Abzug der Kosten für eine Baugenehmigung, die zu erteilen ebenfalls auf einem Entscheidungsmonopol
    des Staates beruht? Warum nicht auf einem staatlichen Anschluss- und Benutzungszwang beruhende Abwassergebühren? Warum nicht
    die Kosten der Hauptuntersuchung eines Kraftfahrzeuges, auf die der Steuerpflichtige ohne den staatlichen Zwang einer Untersuchungspflicht
    nach § 29 StVZO ebenfalls gerne verzichten würde?), erscheint willkürlich und rational nicht recht nachvollziehbar. Dem lässt
    sich auch nicht allein mit dem Hinweis auf die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG begegnen, da in den Fällen, in denen
    die zumutbare Belastung bereits durch andere außergewöhnliche Belastungen ausgeschöpft ist, die neue Rechtsprechung des BFH
    den Abzug auch betragsmäßig kleiner Kostenrechnungen aus einem Prozess vom ersten Euro an ermöglicht.
    Letztlich folgt das erkennende Gericht aber dennoch der Rechtsprechung des VI. Senats des BFH, weil der BFH die höchste Instanz
    in Steuersachen darstellt und das Gericht die sich daraus ergebenden Machtverhältnisse zur Kenntnis nimmt.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 ZPO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
    Das Gericht sieht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen. Die streitige Rechtsfrage ist höchstrichterlich geklärt. Unerheblich
    für das Gericht ist in diesem Zusammenhang auch, dass es derzeit Bestrebungen des Gesetzgebers gibt, § 33 EStG zu ändern,
    den Abzug von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung nicht zuzulassen und dieses Gesetz rückwirkend in Kraft zu setzen.
    Das Gericht kann nur auf der Grundlage der aktuellen Gesetzeslage entscheiden; ob es tatsächlich zu einer Gesetzesänderung
    kommt, ist derzeit spekulativ.

    VorschriftenEStG § 33 Abs. 1

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