Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Nachricht · Streitwertecke Teil 2 (2/2021)

    Beim Gegenstandswert fängt die Vergütung an ...

    von VRiOLG Frank-Michael Goebel, Koblenz

    | Hat der Gesetzgeber mit dem KostRÄG 2021 die gesetzlichen Gebühren des Rechtsanwalts um linear 10 Prozent an der Grenze des noch Hinnehmbaren nach fast acht Jahren erhöht, hat er sie für die Inkassodienstleistungen ab dem 01.10.2021 um 20 bis 75 Prozent gesenkt. Vor diesem Hintergrund muss die Optimierung aller Gebühren wieder verstärkt in den Fokus rücken. Die Berechnung jeder Vergütung beginnt beim Gegenstands- oder Streitwert. Der folgende Beitrag Teil 2 zeigt neun wichtige Entscheidungen hierzu auf und gibt praktische Hinweise zum Umgang damit. |

    1. Gehörsrüge: Die COVID-19-Pandemie bewahrt nicht vor Gerichtskosten

    Bei der Erhebung von Kosten für ein gerichtliches Verfahren handelt es sich nicht um „Mahngebühren“, die wegen der COVID-19-Pandemie dem Bürger nicht aufzuerlegen sind. Das musste das OVG Saarbrücken entscheiden (1.12.20, Az. 2 F 343/20, Abuf-Nr. 219896).

     

    Die Kostenschuldnerin hatte eine Gehörsrüge erhoben, die zurückgewiesen wurde. Dafür wurde seitens des Gerichts eine Festgebühr von 60 EUR angesetzt. Hiergegen richtete sich die Erinnerung mit der Auffassung, dass vom Gesetzgeber vorgesehen sei, in der Corona-Krise dem Bürger keine Mahnungen und Mahngebühren aufzuerlegen. Doch dem folgte das OVG nicht.

     

    Beachten Sie | Wird eine Anhörungsrüge im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zurückgewiesen, fällt gemäß § 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 5400 KV GKG eine Festgebühr an. Bis zum 31.12.20 betrug die Festgebühr 60 EUR und seit dem 1.1.21 beträgt diese Gebühr 66 EUR.

    2. Verwaltungsrecht: Bei fehlenden Anhaltspunkten für einen Streitwert ist der Auffangstreitwert anzusetzen

    Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf den Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG von 5.000 EUR abzustellen. Der BayVGH hebt hervor, dass dieser Auffangstreitwert für den Regelfall eine praktikable Handhabung der Streitwertfestsetzung erlaubt, ein einer Nebenentscheidung nicht angemessenes, umständliches Differenzieren vermeidet und das Prozessrisiko für die Beteiligten überschaubar hält (26.11.20, Az. 9 C 20.2739, Abruf-Nr. 219897).

     

    Beachten Sie | In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist der Streitwert nach § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Will der Bevollmächtigte schon im eigenen betriebswirtschaftlichen Interesse einen höheren Streitwert erreichen, muss er zu dem 5.000 EUR übersteigenden Interesse auch vortragen.

    3. Verwaltungsrecht: Die Baugenehmigung für Umbauten ist einen Bruchteil der Rohbaukosten oder der Bodenwertsteigerung wert

    Nach Nr. 9.1.2.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist der Streitwert bei Klagen auf die Erteilung einer Baugenehmigung für sonstige, nicht unter 9.1 aufgezählte bauliche Anlagen je nach Einzelfall nach einem Bruchteil der geschätzten Rohbaukosten oder der Bodenwertsteigerung zu bemessen (BayVGH 11.11.20, Az. 9 C 20.1774, Abruf-Nr. 219900) .

     

    In dem zugrundeliegenden Fall wollte die Klägerin eine Baugenehmigung für Umbauten an einem Hotel. Sie erhob eine Untätigkeitsklage, als die Behörde eine Entscheidung verweigerte. Daraufhin wurde die Genehmigung erteilt und das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt. Das VG und der BayVGH setzten den Gegenstandswert auf 10 Prozent der im Bauantrag genannten Baukosten fest.

     

    Beachten Sie | Der BayVGH hat den Prozentsatz als Teil der tatrichterlichen Entscheidung nicht als ermessensfehlerhaft angesehen. Es besteht jedoch kein Grundsatz, dass stets von 10 Prozent auszugehen sein wird. Insoweit mag beispielsweise auch berücksichtigt werden, wie lange die Baugenehmigung für die Umbauten schon verweigert wird.

    4. Urheberrecht: Der Gegenstandswert in erstinstanzlich einheitlichen Urheberrechtsverletzungsverfahren wird nicht vervielfacht

    Bei einem erstinstanzlich einheitlichen Unterlassungsantrag ist zu berücksichtigen, dass der Angriffsfaktor im Regelfall unverändert und deshalb eine Vervielfachung des Streitwerts des Hauptanspruchs grundsätzlich nicht gerechtfertigt ist. Das OLG Hamburg (11.11.20, Az. 5 U 33/19, Abruf-Nr. 219898) folgt damit der grundsätzlichen Sichtweise des BGH (12.9.13, Az. I ZR 58/11). Liegen einem einheitlichen Unterlassungsantrag mehrere Ansprüche i. S. d. § 45 Abs. 1 S. 2 GKG zugrunde, die zusammenzurechnen sind, erfolgt keine schematische Erhöhung des Streitwerts. Vielmehr ist der Streitwert für den Hauptanspruch festzusetzen und für die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche ist der Streitwert angemessen zu erhöhen.

     

    Beachten Sie | Diese Sichtweise bewahrt den Inanspruchgenommenen vor einem erheblichen Prozesskostenrisiko, wenn die zu beanstandende Handlung aus mehreren Rechtsgründen angreifbar ist. Solche Konstellation können entstehen, wenn ein Anspruch auf Unterlassung primär aus dem Urheberrecht, sodann aber auch auf eine unlautere Handlung nach dem UWG und letztlich eine Vereinbarung zwischen den Parteien gestützt wird.

    5. Streitwert: Gegen die vorläufige Streitwertfestsetzung geht nichts

    Die im eigenen Namen erhobene Beschwerde des Prozessbevollmächtigten einer Partei gegen eine vorläufige Gegenstandswertfestsetzung ist auch dann unzulässig, wenn infolge eines Anwaltswechsels der Gebührenanspruch gegen den Mandanten fällig geworden ist. Das OLG Dresden bekräftigt damit die Auffassung der herrschenden Auffassung, dass die Beschwerde eines Bevollmächtigten gegen die vorläufige Festsetzung des Gegenstandswerts nach § 63 Abs. 1 S. 1 GKG unzulässig ist (6.10.20, Az. 4 W 678/20, Abruf-Nr. 219901).

     

    Zur Begründung führten die Richter aus: Es fehle an einer beschwerdefähigen Entscheidung. Die Beschwerde des § 68 GKG sei allein gegen die endgültige Gegenstandswertfestsetzung gemäß § 63 Abs. 2 GKG statthaft. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG greife nicht weiter. Nichts anderes gelte, wenn ein Anwaltswechsel stattfinde. So bleibe dem Bevollmächtigten nur die Gegenvorstellung beim Ausgangsgericht.

     

    Beachten Sie | Nach § 63 Abs. 2 S. 1 GKG darf das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren erst dann endgültig festsetzen, wenn eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt hat (OLG Brandenburg, 11.4.19, Az. 13 WF 81/19; OLG Frankfurt, AGS 07, 256ff; OLG Koblenz NJW-RR 09, 499; OLG Jena, MDR 10, 1211).

    6. Erbrecht: Der Streit um die Erfüllung des Vermächtnisses richtet sich nach dem Verkehrswert

    Der Wert des Anspruchs des Vermächtnisnehmers gegen den Erben auf Zustimmung zur Auflassung eines vermachten Grundstücks richtet sich nach dessen Verkehrswert. Das leitet der BGH aus § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i. V. m. § 6 ZPO her und stellt für den Verkehrswert auf den Grundstücks- und den Gebäudewert ab (1.10.20, Az. IV ZR 79/20, Abruf-Nr. 218598).

     

    Beachten Sie | Der Grundstückswert kann regelmäßig aus der Bodenrichtwertkarte entnommen werden. Aufgrund des zurückliegenden Bewertungszeitpunkts kann hierbei eine Anpassung erforderlich sein. Für den Gebäudewert hat der BGH im vorliegenden Fall auf die Wertermittlung des Finanzamts im Erbschaftssteuerverfahren abgestellt. Tatsächlich wird der Wert dort in der Regel eher zu niedrig angegeben. Es kann deshalb sachgerecht sein, auf vergleichbare Kaufangebote im Internet oder auf Kaufpreissammlungen der Kommunen abzustellen.

    7. Dieselfälle: Zug um Zug ‒ Die Gegenleistung zählt für den Streitwert nicht mit

    Bei einem auf Zug-um-Zug-Verurteilung gerichteten Klageantrag bleibt die Gegenleistung für die Bemessung des Gebührenstreitwerts außer Betracht. Das meint jedenfalls das OLG Saarbrücken in den „Dieselfällen“ (28.9.20, Az. 2 W 23/20, Abruf-Nr. 219902). Auch wenn der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer bestimmten Geldsumme Zug um Zug gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung beantrage, zähle die Gegenleistung ‒ die gegenzurechnende Nutzungsentschädigung ‒ nicht mit.

     

    Beachten Sie | Die Streitwertfestsetzung in den Dieselfällen ist bunt. Es wird durchaus auch vertreten, dass der Streitwert nur in Höhe der Differenz des ursprünglichen Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung zu bestimmen ist, wenn sich der Kläger ‒ wie selten ‒ den Nutzungsvorteil von Anfang an hat anrechnen lassen (OLG Bamberg MDR 19, 1190; OLG Karlsruhe 24.3.20, Az. 17 U 122/19; OLG Koblenz 30.6.20, Az. 3 U 1869/19).

    8. Dauerbrenner der Zukunft: Streitwert für Klage wegen Löschung eines Facebook-Eintrags ist nach billigem Ermessen im Einzelfall festzulegen

    Löscht die Internetplattform einen Eintrag und sperrt die Möglichkeit, weitere Einträge zu verfassen, so bestimmt sich der Streitwert als nicht vermögensrechtliche Streitigkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach billigem Ermessen. Der Umfang und die Bedeutung der Sache und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien sind dabei besonders zu berücksichtigen. Grundlage dafür ist nach dem OLG Braunschweig § 48 Abs. 2 GKG (28.9.20, Az. 1 W 3/20, Abruf-Nr. 219903).

     

    Bei der konkreten Bemessung geht das OLG davon aus, dass der Auflösung des gesamten Nutzungsvertrages der Auffangstreitwert von 5.000 EUR zuzuordnen wäre. Die teilweise Einschränkung der Nutzung könne deshalb nur einen Bruchteil wert sein.

     

    Beachten Sie | Obwohl sich der Streit um die Löschung von Einträgen in den sozialen Medien inzwischen als Alltagsangelegenheit darstellt, hat sich noch keine einheitliche Praxis der Streitwertfestsetzung herausgebildet. Es sind Streitwerte zwischen 1.000 und 15.000 EUR je gelöschtem Eintrag zu finden. Für die Parteien verbirgt sich dahinter ein erhebliches Kostenrisiko, über das der Bevollmächtigte aufklären muss.

    9. Kostenfestsetzung: Bei der Kostenentscheidung aus § 91a ZPO nach einem Vergleich können die Kosten reduziert werden

    Können sich die Parteien über die Hauptsache, nicht aber über die Kostenentscheidung einigen, stellt sich die Frage nach der Höhe der Kosten. Oft wird in solchen Fällen ein Vergleich geschlossen und das Gericht gebeten, über die Kosten nach § 91a ZPO zu beschließen. Das kommt auch in Betracht, wenn eine oder beide Parteien rechtsschutzversichert sind und die Versicherung zum Vergleichsabschluss kurzfristig nicht erreicht werden kann oder der avisierten Kostenregelung nicht zustimmt.

     

    Eine Kostenersparnis kann sich in diesen Fällen ergeben, wenn ausdrücklich mit dem Vergleichsabschluss und der erbetenen Entscheidung nach § 91a ZPO auf die Begründung und Rechtsmittel gegen die Entscheidung verzichtet wird. Ob in diesen Fällen die Gerichtskosten nach Nr. 1211 KV GKG ermäßigt werden können, ist umstritten. Aktuell hat allerdings das LG Kiel dies angenommen (16.11.20, Az. 6 O 245/19, AbrufNr. 219904).

     

    Eine Sichtweise in Rechtsprechung und Literatur lehnt die entsprechende Anwendung von Nr. 1211 KV GKG auf die geschilderte Fallkonstellation ab (OLG Hamm 26.7.19, Az. 25 W 189/19; OLG Braunschweig NJW-Spezial 15, 635; OLG Oldenburg NJW-RR 12, 1467; OLG Düsseldorf NJW-RR 16, 1472; Schneider, NJW-Spezial 16, 765). Es fehle an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe sich bei der Neufassung von Nr. 1211 KV GKG durch das KostRModG mit dem vorliegenden Problem auseinandergesetzt und die entsprechende Regelung bewusst getroffen, ohne einen Ermäßigungstatbestand für diese Konstellation zu schaffen. Auch im 2. KostRModG 2013 sei keine Anpassung vorgenommen worden.

     

    Die andere Sichtweise ‒ vor allem der Instanzgerichte und der Kommentarliteratur ‒ sieht die Voraussetzungen einer planwidrigen Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage (OLG Celle NJW-RR 11, 1293, 1294; OLG Zweibrücken 6.3.08, Az. 2 UF 135/07; LG Itzehoe 10.12.19, Az. 6 O 380/18; LG Kleve 29.3.16, Az. 4 O 73/14; MüKo, ZPO, 6. Aufl., § 91a, Rn. 142; Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 91a ZPO, Rn. 59; Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 4. Aufl., GKG KV 1211, Rn. 28). Die Gesetzesbegründung des KostRModG sei nicht eindeutig, sondern enthalte nur einen missverständlichen Verweis (BT-Drucksache 15/1971, S. 159). Der Gesetzgeber habe mit der in Nr. 1211 KV GKG vorgesehenen Gebührenermäßigung diejenigen Fälle kostenrechtlich privilegieren wollen, bei denen es aufgrund des Prozessverhaltens der Parteien zu einer spürbaren Arbeitsentlastung der Gerichte kommt. Zwingende Voraussetzung sei daher jeweils, dass durch die Parteierklärungen das gesamte Verfahren beendet wird. Genau das werde durch die Prozesserklärungen erreicht. Wie sich aus Nr. 1211 Ziff. 2 Var. 3 KV GKG ergebe, genüge es dem Gesetzgeber für die Privilegierung, dass das Gericht die Rechtslage geprüft habe und von der Belastung befreit werde, das Prüfungsergebnis zu dokumentieren. Dieses Ergebnis werde durch rechtssystematische Überlegungen unterstrichen und durch rechtspolitische Erwägungen gestützt. Ziel des Zivilprozesses sei immer zuerst eine gütliche Einigung.

     

    Beachten Sie | In der Praxis sollten Sie in solchen Konstellation im Protokoll der mündlichen Verhandlung festhalten lassen, dass das Gericht und die Parteien von einer entsprechenden Gebührenprivilegierung ausgehen. Das vermeidet regelmäßig eine abweichende Entscheidung des Kostenbeamten, weil dieser damit rechnen muss, mit dem Kostenansatz von „seinem“ Richter oder „seiner“ Kammer korrigiert zu werden.

    Quelle: ID 47064958