02.07.2025 · IWW-Abrufnummer 248913
Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 04.06.2025 – 9 W 13/25
Die versehentliche Übersendung eines signierten Urteilsentwurfs mit einem bereits ausformulierten Tenor kann aufseiten der danach unterliegenden Partei geeignet sein, den Eindruck hervorzurufen, die Einzelrichterin habe sich in ihrer Entscheidung bereits festgelegt und das weitere Verfahren diene nur noch dazu, dieses Ergebnis besser begründen zu können.
OLG Frankfurt 9. Zivilsenat, Beschluss vom 04.06.2025, Az. 9 W 13/25
Auf die Beschwerde der Beklagten zu 2) wird der Beschluss des Landgerichts vom 5.5.2025 abgeändert.
Das Ablehnungsgesuch gegen Vorsitzende Richterin am Landgericht A wird für begründet erklärt.
Gründe
I.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Räumung und Herausgabe eines Gartengrundstücks.
Die abgelehnte Vorsitzende Richterin hat als Einzelrichterin im Verhandlungstermin vom 26.11.2024 Verkündungstermin auf den 21.1.2025 bestimmt. Mit Verkündungsprotokoll vom 22.4.2025 (richtig wohl 21.1.2025) wurde den Parteien ein unvollständiger Urteilsentwurf zugestellt. Neben dem Urteilskopf und einem vollen Rubrum enthält der Entwurf einen vollständig ausformulierten Hauptsachetenor, nach dem die Beklagten verurteilt werden, das von ihnen innegehalten Gartengrundstück zu räumen und an den Kläger herauszugeben. Im nachfolgenden Kostentenor werden den Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Es schließen sich ein fragmentarischer Tatbestand und ebensolche Entscheidungsgründe an. Wegen des genauen Inhalts wird auf Bl. 325 ff. d. eAkte verwiesen. Sowohl das Verkündungsprotokoll als auch der Urteilsentwurf sind von der abgelehnten Vorsitzenden Richterin signiert.
Unter dem 24.1.2025 (Bl. 348 d. eAkte) teilte die abgelehnte Richterin den Parteien mit, dass es sich hierbei um ein Versehen handele; tatsächlich sei - wie auch im Verkündungsprotokoll vermerkt - dem anwesenden Kläger ein Beschluss mit einem neuen Termin verkündet worden. Das übersandte Urteil, das erkennbar nur ein unvollständiger Entwurf sei, sei zu ignorieren.
Mit Schriftsatz vom 2.4.2025 (Bl. 568 d. eAkte) hat der Beklagtenvertreter zu 2) die Vorsitzende Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Zur Begründung beruft er sich auf den versehentlich übersandten Urteilsentwurf, mit dem der Klage stattgegeben worden sei. Darüber hinaus stützt er das Gesuch auf die seiner Meinung nach „völlig sachfremden Erwägungen“ in dem anschließend übersandten Beschluss, die zu einer überflüssigen Beweisaufnahme führten. Schließlich lehnt er die Vorsitzende Richterin auch deshalb ab, weil sie einen Antrag nach § 128a ZPO aus „willkürlichen Erwägungen“ abgelehnt habe.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 5.5.2025 (Bl. 625 d. eAkte), auf den wegen der Begründung verwiesen wird, hat das Landgericht den Ablehnungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Der hiergegen von der Beklagten zu 2) mit am 13.5.2025 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 641 d. eAkte.) eingelegten und gleichzeitig begründeten sofortigen Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen. Auf die - im Wesentlichen die bereits mit dem Ablehnungsantrag vorgebrachten Gründe wiederholende - Beschwerdebegründung und den Beschluss vom 21.5.2025 (Bl. 652 d. eAkte) wird verwiesen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2) gegen den angefochtenen Beschluss, mit dem das Landgericht das Ablehnungsgesuch gegen Vorsitzende Richterin A zurückgewiesen hat, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 46 Abs. 2, 2. Halbsatz, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Ablehnungsgesuch ist begründet.
Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsführung des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Hierbei kommen nur solche objektiven Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer vernünftigen Partei die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (Zöller/Vollkommer ZPO, 35. Auflage, § 42 Rn. 8 und 9 m.w.N.). Unerheblich ist demgegenüber, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist oder sich für befangen hält (BVerfGE 73, 335; 99, 56).
Auf dieser Grundlage erweist sich das Ablehnungsgesuch nach Auffassung des erkennenden Senats aus einem der vor der Beklagten zu 2) vorgebrachten Gründe als begründet, weshalb der angefochtene Beschluss abzuändern war.
Durch die versehentliche Übersendung des Urteilsentwurfs kann aus Sicht einer vernünftig denkenden Partei in der Rolle der Beklagten zu 2) zu Recht die Besorgnis hervorgerufen werden, die abgelehnte Richterin sei ihr gegenüber voreingenommen, weil sie sich bereits entschlossen habe, der Klage stattzugeben, wie aus dem (entworfenen) Urteilstenor zu entnehmen ist. Selbst, wenn die Beklagte zu 2) jedenfalls durch die nachfolgende Klarstellung erkannt haben mag, dass es sich nur um einen Urteilsentwurf gehandelt hat und ein weiterer Verhandlungstermin mit Beweisaufnahme stattfinden sollte, bleibt der nicht wieder rückgängig zu machende objektive Eindruck, die abgelehnte Richterin habe sich bereits darauf festgelegt, der Klage stattzugeben, und das weitere Verfahren diene nur noch dazu, dieses Ergebnis besser begründen zu können. Es kommt hinzu, dass die abgelehnte Richterin als Einzelrichterin tätig war, so dass dem Urteilsentwurf auch nicht nur die Funktion eines kammerinternen verfahrensbegleitenden Vorschlags hätte zukommen können. Das hierdurch erzeugte Misstrauen aufseiten der Beklagten zu 2) kann weder durch die entsprechenden dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richterin beseitigt werden noch durch den Umstand, dass der Urteilsentwurf keine rechtlichen Wirkungen entfalten konnte.
Dass die abgelehnte Richterin tatsächlich nicht befangen und die Erstellung von internen Entscheidungsentwürfen freilich nicht unüblich ist, ist hier unerheblich. Keine Rolle spielt auch, dass nicht sie selbst, sondern ihre Geschäftsstelle für die fehlerhafte Versendung verantwortlich ist. Entscheidend ist allein, dass die versehentliche Übersendung des - zudem bereits signierten - Urteilsentwurfs mit schon ausformuliertem Tenor objektiv geeignet war, aufseiten der Beklagten zu 2) Misstrauen in eine unparteiliche Amtsausübung der abgelehnten Richterin zu rechtfertigen.
Bei diesem Sach- und Streitstand mögen die weiteren Gründe, die die Beklagte bzw. ihr Prozessbevollmächtigter für die Befangenheit der abgelehnten Richterin vorbringt, auf sich beruhen. Klarstellend weist der Senat jedoch darauf hin, dass die Ablehnung der Anträge auf eine Verhandlung im Wege des § 128a ZPO nicht zum Erfolg des Gesuchs geführt hätten. Weder beruhen die von der abgelehnten Richterin in den entsprechenden Beschlüssen vorgebrachten Argumente auf sachfremden Erwägungen noch kann die Unanfechtbarkeit eines Ablehnungsbeschlusses nach § 128 Abs. 3 S. 2 ZPO durch einen in diese Richtung zielenden Ablehnungsantrag umgangen werden.
Eine Kostenentscheidung ist im Ablehnungsverfahren bei erfolgreicher Beschwerde entbehrlich, da es sich insoweit bei den Kosten um solche des Rechtsstreits handelt (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO, 35. Auflage, § 46 Rn. 22).
Tenor
Das Ablehnungsgesuch gegen Vorsitzende Richterin am Landgericht A wird für begründet erklärt.
Gründe
I.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Räumung und Herausgabe eines Gartengrundstücks.
Die abgelehnte Vorsitzende Richterin hat als Einzelrichterin im Verhandlungstermin vom 26.11.2024 Verkündungstermin auf den 21.1.2025 bestimmt. Mit Verkündungsprotokoll vom 22.4.2025 (richtig wohl 21.1.2025) wurde den Parteien ein unvollständiger Urteilsentwurf zugestellt. Neben dem Urteilskopf und einem vollen Rubrum enthält der Entwurf einen vollständig ausformulierten Hauptsachetenor, nach dem die Beklagten verurteilt werden, das von ihnen innegehalten Gartengrundstück zu räumen und an den Kläger herauszugeben. Im nachfolgenden Kostentenor werden den Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Es schließen sich ein fragmentarischer Tatbestand und ebensolche Entscheidungsgründe an. Wegen des genauen Inhalts wird auf Bl. 325 ff. d. eAkte verwiesen. Sowohl das Verkündungsprotokoll als auch der Urteilsentwurf sind von der abgelehnten Vorsitzenden Richterin signiert.
Unter dem 24.1.2025 (Bl. 348 d. eAkte) teilte die abgelehnte Richterin den Parteien mit, dass es sich hierbei um ein Versehen handele; tatsächlich sei - wie auch im Verkündungsprotokoll vermerkt - dem anwesenden Kläger ein Beschluss mit einem neuen Termin verkündet worden. Das übersandte Urteil, das erkennbar nur ein unvollständiger Entwurf sei, sei zu ignorieren.
Mit Schriftsatz vom 2.4.2025 (Bl. 568 d. eAkte) hat der Beklagtenvertreter zu 2) die Vorsitzende Richterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Zur Begründung beruft er sich auf den versehentlich übersandten Urteilsentwurf, mit dem der Klage stattgegeben worden sei. Darüber hinaus stützt er das Gesuch auf die seiner Meinung nach „völlig sachfremden Erwägungen“ in dem anschließend übersandten Beschluss, die zu einer überflüssigen Beweisaufnahme führten. Schließlich lehnt er die Vorsitzende Richterin auch deshalb ab, weil sie einen Antrag nach § 128a ZPO aus „willkürlichen Erwägungen“ abgelehnt habe.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 5.5.2025 (Bl. 625 d. eAkte), auf den wegen der Begründung verwiesen wird, hat das Landgericht den Ablehnungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Der hiergegen von der Beklagten zu 2) mit am 13.5.2025 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag (Bl. 641 d. eAkte.) eingelegten und gleichzeitig begründeten sofortigen Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen. Auf die - im Wesentlichen die bereits mit dem Ablehnungsantrag vorgebrachten Gründe wiederholende - Beschwerdebegründung und den Beschluss vom 21.5.2025 (Bl. 652 d. eAkte) wird verwiesen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2) gegen den angefochtenen Beschluss, mit dem das Landgericht das Ablehnungsgesuch gegen Vorsitzende Richterin A zurückgewiesen hat, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 46 Abs. 2, 2. Halbsatz, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Ablehnungsgesuch ist begründet.
Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiliche Amtsführung des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Hierbei kommen nur solche objektiven Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer vernünftigen Partei die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (Zöller/Vollkommer ZPO, 35. Auflage, § 42 Rn. 8 und 9 m.w.N.). Unerheblich ist demgegenüber, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist oder sich für befangen hält (BVerfGE 73, 335; 99, 56).
Auf dieser Grundlage erweist sich das Ablehnungsgesuch nach Auffassung des erkennenden Senats aus einem der vor der Beklagten zu 2) vorgebrachten Gründe als begründet, weshalb der angefochtene Beschluss abzuändern war.
Durch die versehentliche Übersendung des Urteilsentwurfs kann aus Sicht einer vernünftig denkenden Partei in der Rolle der Beklagten zu 2) zu Recht die Besorgnis hervorgerufen werden, die abgelehnte Richterin sei ihr gegenüber voreingenommen, weil sie sich bereits entschlossen habe, der Klage stattzugeben, wie aus dem (entworfenen) Urteilstenor zu entnehmen ist. Selbst, wenn die Beklagte zu 2) jedenfalls durch die nachfolgende Klarstellung erkannt haben mag, dass es sich nur um einen Urteilsentwurf gehandelt hat und ein weiterer Verhandlungstermin mit Beweisaufnahme stattfinden sollte, bleibt der nicht wieder rückgängig zu machende objektive Eindruck, die abgelehnte Richterin habe sich bereits darauf festgelegt, der Klage stattzugeben, und das weitere Verfahren diene nur noch dazu, dieses Ergebnis besser begründen zu können. Es kommt hinzu, dass die abgelehnte Richterin als Einzelrichterin tätig war, so dass dem Urteilsentwurf auch nicht nur die Funktion eines kammerinternen verfahrensbegleitenden Vorschlags hätte zukommen können. Das hierdurch erzeugte Misstrauen aufseiten der Beklagten zu 2) kann weder durch die entsprechenden dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richterin beseitigt werden noch durch den Umstand, dass der Urteilsentwurf keine rechtlichen Wirkungen entfalten konnte.
Dass die abgelehnte Richterin tatsächlich nicht befangen und die Erstellung von internen Entscheidungsentwürfen freilich nicht unüblich ist, ist hier unerheblich. Keine Rolle spielt auch, dass nicht sie selbst, sondern ihre Geschäftsstelle für die fehlerhafte Versendung verantwortlich ist. Entscheidend ist allein, dass die versehentliche Übersendung des - zudem bereits signierten - Urteilsentwurfs mit schon ausformuliertem Tenor objektiv geeignet war, aufseiten der Beklagten zu 2) Misstrauen in eine unparteiliche Amtsausübung der abgelehnten Richterin zu rechtfertigen.
Bei diesem Sach- und Streitstand mögen die weiteren Gründe, die die Beklagte bzw. ihr Prozessbevollmächtigter für die Befangenheit der abgelehnten Richterin vorbringt, auf sich beruhen. Klarstellend weist der Senat jedoch darauf hin, dass die Ablehnung der Anträge auf eine Verhandlung im Wege des § 128a ZPO nicht zum Erfolg des Gesuchs geführt hätten. Weder beruhen die von der abgelehnten Richterin in den entsprechenden Beschlüssen vorgebrachten Argumente auf sachfremden Erwägungen noch kann die Unanfechtbarkeit eines Ablehnungsbeschlusses nach § 128 Abs. 3 S. 2 ZPO durch einen in diese Richtung zielenden Ablehnungsantrag umgangen werden.
Eine Kostenentscheidung ist im Ablehnungsverfahren bei erfolgreicher Beschwerde entbehrlich, da es sich insoweit bei den Kosten um solche des Rechtsstreits handelt (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO, 35. Auflage, § 46 Rn. 22).
RechtsgebieteBesorgnis der Befangenheit, UrteilsentwurfVorschriften§ 42 ZPO