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  • 08.01.2015 · IWW-Abrufnummer 143561

    Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 29.04.2014 – 5 U 316/14

    1. Die Behauptung des Arbeitnehmers, der Kündigungsschutzprozess wäre zu seinen Gunsten entschieden worden, wenn der Prozessbevollmächtigte nicht zu dem tatsächlich abgeschlossenen Minimalvergleich geraten hätte, ist im Regressprozess gegen den Anwalt unerheblich, wenn sich Inhalt und finanzielle Folgen eines Urteils über die Kündigungsschutzklage nicht feststellen lassen. Beweisbelastet ist der Arbeitnehmer.

    2. Auch die Behauptung, bei frühzeitiger Aufnahme des insolvenzbedingt unterbrochenen Kündigungsschutzprozesses wäre ein höherer Vergleichsbetrag erzielbar gewesen, muss im Regressprozess gegen den Anwalt der Arbeitnehmer beweisen.

    3. Bei der Berechnung der Sechsmonatsfrist des § 54 Abs. 5 Satz 3 ArbGG bleibt die Zeitspanne unberücksichtigt, in der der Kündigungsschutzprozess bereits vor der Güteverhandlung insolvenzbedingt gemäß § 240 PO unterbrochen war.


    Oberlandesgericht Koblenz

    Beschl. v. 29.04.2014

    Az.: 5 U 316/14

    In dem Rechtsstreit

    - Klägerin und Berufungsklägerin -

    Prozessbevollmächtigte:

    gegen

    - Beklagte und Berufungsbeklagte -

    Prozessbevollmächtigte:

    hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach, den Richter am Oberlandesgericht Weller und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Menzel am 29.04.2014 beschlossen:
    Tenor:

    1.

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 11.02.2014 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
    2.

    Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht von der Gegenseite Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages gestellt wird.

    Gründe

    Die Entscheidung ergeht gemäß §§ 522 Abs. 2, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Ihre sachlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils, dem Senatsbeschluss vom 31.03.2014 und ergänzend aus dem Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des streitigen arbeitsgerichtlichen Verfahrens, die das Landgericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat) im Übrigen. In dem Beschluss vom 31.03.2014 hat der Senat mitgeteilt:

    I. "1. Die Klägerin war langjährig bei einer GmbH beschäftigt, die kunststoffverarbeitend tätig war und dabei namentlich die Automobilindustrie belieferte. Nach Verlusten und Umsatzrückgängen nahm die GmbH zu Beginn des Jahres 2009 einen Personalabbau vor. Dabei kündigte sie auch das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis. Das Kündigungsschreiben wurde am 26.03.2009 übergeben und sah als Vertragsende den 30.09.2009 vor.

    Daraufhin beauftragte die Klägerin die Beklagte mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Nach deren Einreichung beraumte das Arbeitsgericht einen Gütetermin auf den 9.06.2009 an, hob diesen dann jedoch kurzfristig auf, weil das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet und der Prozess damit unterbrochen worden war. Die Beklagte nahm das Verfahren schließlich mit Schriftsatz vom 15.06.2011 gegenüber dem Insolvenzverwalter auf. Der Rechtsstreit endete mit einem am 18.01.2013 festgestellten Vergleich, demzufolge der Insolvenzverwalter der Klägerin "für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung von 4.000 €" zahlte.

    Vor diesem Hintergrund nimmt die Klägerin nunmehr die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch. Sie hat vorgetragen, die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung sei unwirksam gewesen, dann aber rechtsverbindlich geworden, weil die Beklagte den unterbrochenen Kündigungsschutzprozess nicht alsbald wieder aufgerufen habe. Wäre dies geschehen, hätte sie im Vergleichsweg eine Abfindung von 25.000 € statt von nur 4.000 € erhalten. Im Hinblick darauf hat sie eine Forderung von 21.000 € geltend gemacht und begleitend dazu den Ausgleich vorgerichtlicher Anwaltskosten von 523,48 € verlangt.

    Hilfsweise hat sie beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 39.798,70 € zu verurteilen und deren weitergehende allmonatliche Haftung in Höhe von 1.800 € für die Zeit ab dem 1.09.2013 festzustellen. Das hat sie darauf gestützt, dass sie im Falle der frühzeitigen Aufnahme des Kündigungsschutzprozesses durch die Beklagte vor dem Arbeitsgericht obsiegt hätte. Dann hätte sie ihre angestammte Tätigkeit dauerhaft zu den alten Bedingungen ausüben können, da der Betrieb - mittlerweile unter geänderte Inhaberschaft - fortgeführt worden sei, und hätte entsprechende Mehreinnahmen gehabt.

    Die Rechtsungültigkeit ihrer Kündigung ergebe sich schon aus formalen Erwägungen, weil die Kündigungsfrist im Hinblick auf die Dauer der Arbeitsverhältnisses zu kurz bemessen worden sei, die GmbH die Agentur für Arbeit, die wegen des Ausmaßes der damaligen Entlassungen hätte benachrichtigt werden müssen, nicht informiert habe und die Zustimmung des - ohnehin unzulänglich unterrichteten - Betriebsrats nicht vorgelegen habe. Außerdem habe es an der von der GmbH reklamierten sozialen Rechtfertigung der Kündigung durch betriebliche Erfordernisse gefehlt. Die Auswahl, die ihr zugrunde gelegen habe, sei aus einem zu eng gezogenen Kreis von Mitarbeitern erfolgt. Darüber hinaus sei innerhalb dieses Kreises falsch abgewogen worden, weil Personen, die nach den mit dem Betriebsrat vereinbarten Auswahlrichtlinien weniger schutzwürdig gewesen seien, hätten weiter arbeiten dürfen.

    Das Landgericht hat Zeugenbeweis zu der von der Klägerin - für den Fall einer anderen Prozessführung durch die Beklagte vor dem Arbeitsgericht - behaupteten Möglichkeit einer höheren Abfindung erhoben. Sodann hat es die Klage abgewiesen. Es ist zwar davon ausgegangen, dass der Klägerin wegen der späten Aufnahme des Verfahrens durch die Beklagte verwehrt gewesen sei, noch die Unwirksamkeit der Kündigung geltend zu machen. Aber es sei ungewiss, ob das die Höhe der eingeräumten Abfindung beeinflusst habe. Es stehe auch nicht fest, dass die Kündigung unberechtigt gewesen sei und die Klägerin deshalb grundsätzlich hätte weiter beschäftigt werden müssen. Insoweit habe diese ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht genügt.

    Das greift die Klägerin in Erneuerung ihres Begehrens mit der Berufung an. Sie rügt die Beweiswürdigung durch das Landgericht und meint zudem, dass es die Kündigung sowohl in formaler als auch in materieller Hinsicht als unwirksam hätte behandeln müssen.

    2. Diese Angriffe scheitern letztlich. Die Klage ist im Ergebnis zu Recht abgewiesen worden.

    a) Streitgegenstand des hiesigen Verfahrens ist eine Schadensersatzhaftung der Beklagten deshalb, weil sie den Kündigungsschutzprozess nicht zügig geführt habe. Die Klägerin meint, das habe ihr die zunächst vorhandene Möglichkeit genommen, die grundsätzlich unberechtigte Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses in Frage zu stellen.

    Die Argumentation knüpft an § 54 Abs. 5 ArbGG an. Die Vorschrift lautet:

    "Erscheinen oder verhandeln beide Parteien in der Güteverhandlung nicht, ist das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Auf Antrag einer Partei ist Termin zur streitigen Verhandlung zu bestimmen. Dieser Antrag kann nur innerhalb von sechs Monaten nach der Güteverhandlung gestellt werden. Nach Ablauf der Frist ist § 269 Abs. 3 bis 5 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden."

    Das vorgenannte Fristversäumnis führt mithin dazu, dass der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen ist. Das impliziert gemäß § 7 KSchG die Rechtswirksamkeit der im Raum stehenden Kündigung.

    Die in § 54 Abs. 5 ArbGG beschriebene Situation war jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es hatte nämlich keine Güteverhandlung stattgefunden. Vielmehr war der insoweit auf den 9.06.2009 bestimmte Termin aufgehoben worden, nachdem das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet worden war. Die damit eingetretene Unterbrechung des Prozesses ließ den Lauf jedweder Frist aufhören, und aus einem nachfolgenden Zuwarten konnten insoweit keine Nachteile entstehen (§ 240 Abs. 1 ZPO). Folglich befand sich die Klägerin, als die Beklagte den Rechtsstreit mit ihrem Schriftsatz vom 15.06.2011 aufnahm, unbeschadet im alten Stand.

    b) Damit ist dem Klagevorwurf, die Beklagte sei pflichtwidrig länger als sechs Monate passiv geblieben, freilich nur insoweit der Boden entzogen, als die Klägerin geltend macht, in der Konsequenz sei die Rechtslage dahin gestaltet worden, dass die grundsätzlich unwirksame Kündigung rechtsverbindlich geworden sei und sie deshalb das Arbeitsverhältnisses nicht habe fortsetzen können. Das betrifft allein den Hilfsantrag, der mit einem aufgrund der Wirksamkeit der Kündigung eingetretenen Lohnausfall begründet worden ist, lässt aber den Hauptantrag unberührt, weil dieser Antrag nicht entscheidend auf die durch die Kündigungserklärung der GmbH geschaffene Rechtslage, sondern auf ein Verhalten des Insolvenzverwalters abhebt. Nach der Auffassung der Klägerin ist nämlich durch die späte Verfahrensaufnahme dessen Bereitschaft entfallen, eine höhere Abfindung als den tatsächlich geleisteten Betrag von 4.000 € zu gewähren.

    Von einem solchen Kausalzusammenhang hat sich das Landgericht jedoch nicht zu überzeugen vermocht. Es hat dieserhalb den Zeugen C. befragt, der seinerzeit als Beauftragter des Insolvenzverwalters auftrat und stellvertretend rechtsverbindlich handelte. Er hatte dem Landgericht bereits vorab schriftlich mitgeteilt: "Ob eine höhere Abfindung gezahlt worden wäre, wenn (die Beklagte) den gemäß § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreit zeitnah wieder aufgenommen hätte, kann ich weder ausschließen noch bestätigen." Bei seiner mündlichen Vernehmung hat er dann erklärt: "Ich habe dann nachgefragt, welches Budget für eine Abfindung zur Verfügung steht; das waren 4.000 € als Maximalbetrag. Ich habe schon gesehen, dass die Sechsmonatsfrist nicht eingehalten ist. Das spielte für mich aber keine Rolle. ... Ich kann weder bestätigen noch ausschließen, dass in dem Falle, dass die Kündigungsschutzklage innerhalb der Sechsmonatsfrist wieder aufgenommen worden wäre, ein anderer Betrag gezahlt worden wäre."

    Im Hinblick darauf ist das Landgericht zu der Auffassung gelangt, es fehle - auch mit Blick auf § 287 Abs. 1 ZPO - eine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass der Klägerin bei einem weniger zögerlichen Vorgehen der Beklagten eine höhere Abfindung gewährt worden wäre. Diese Würdigung begegnet keinen rechtserheblichen Zweifeln. Sie bindet daher für die Berufungsinstanz (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

    c) Ein anderes Fehlverhalten der Beklagten als eine verspätete Aufnahme des unterbrochenen Kündigungsschutzprozesses moniert die Klägerin nicht. Es kann deshalb dahinstehen, ob sich ein Fehlverhalten daraus herleiten ließe, dass die Beklagte nicht von dem Abfindungsvergleich abriet und sich nicht bemühte, eine gerichtliche Entscheidung über die Kündigungsschutzklage herbeizuführen. Denn das wurde nie thematisiert und ist nicht Streitgegenstand. Die Frage könnte daher allenfalls Grundlage eines neuen Rechtsstreits sein. Würde sie die Klägerin jetzt in den Prozess einführen, vollzöge sie eine Klageänderung, die am Zulässigkeitshindernis des § 533 ZPO scheitern würde, weil dazu neue, bisher unerörterte Tatsachen vorgetragen werden müssten.

    Nach dem bisherigen Prozessstoff kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass der Vergleichsschluss für die Klägerin interessewidrig war. Die Beklagte hat dazu unwidersprochen vorgebracht, seinerzeit habe ein erhebliches Prozessrisiko bestanden. Das ist nach dem Erkenntnisstand, der im hiesigen Rechtsstreit vermittelt worden ist, nicht von der Hand zu weisen.

    Allerdings hat das Landgericht die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin, die im vorliegenden Regressverfahren grundsätzlich genauso wie im Kündigungsschutzprozess ausgestaltet ist (OLG Düsseldorf VersR 2003, 645 [OLG Düsseldorf 19.03.2002 - 24 U 172/01]), überspannt. So darf sich die bisher vorhandene Ungewissheit darüber, ob die GmbH den Vorschriften der §§ 17 Abs. 1 KSchG, § 102 BetrVG genügt hat, nicht zum Nachteil der Klägerin auswirken (BAG WM 1984, 673; Kiel in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl., § 17 KSchG Rn. 35). Indessen obliegt es der Klägerin darzutun und zu beweisen, dass die seinerzeit von der GmbH in der Krise vorgenommene betriebliche Umstrukturierung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich war (OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2012 - 24 U 69/09), oder, wenn das nicht gelingt, dass ihre Kündigung trotzdem aus den in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG genannten Gründen sozial ungerechtfertigt war (§ 1 Abs. 3 S. 3 KSchG; Oetker in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl., § 1 KSchG Rn. 369). Dabei kann die Klägerin zwar grundsätzlich auf einen Verstoß der GmbH gegen die in der Betriebsvereinbarung vom 29.01.2009 niedergelegten Auswahlkriterien verweisen (Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl., § 1 KSchG Rn. 781). Aber ein solcher Verstoß, den die Klägerin im Blick darauf geltend macht, dass sozial stärkere Kollegen von einer Kündigung ausgenommen worden seien, ist irrelevant, wenn die Klägerin jedenfalls zum Kreis derjenigen zahlreichen Mitarbeiter gehörte, die die GmbH unter korrekter Anlegung der Auswahlkriterien damals hätte entlassen dürfen (BAGE 120, 137; Kiel in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 4. Aufl., § 1 KSchG Rn. 739). "

    II. Mit Blick auf den Schriftsatz der Klägerin vom 08.04.2014 ist ergänzend zu bemerken:

    § 54 Abs. 5 ArbGG kann im vorliegenden Fall nicht herangezogen werden. Die Norm betrifft nach ihrem Wortlaut das Ruhen des Verfahrens im Anschluss an einen gescheiterten Gütetermin und nicht den Fall einer Unterbrechung des Rechtsstreits gemaß § 240 Abs. 1 ZPO oder einer vorübergehenden Abstandnahme von dessen Fortführung. Eine Analogie kommt insoweit nicht in Betracht (BAG NJW 2011, 1833 [BAG 25.11.2010 - 2 AZR 323/09]; vgl. auch BAG NJW 2009, 3471 [BAG 22.04.2009 - 3 AZB 97/08]).

    In der Konsequenz dessen hat auch das Arbeitsgericht dem Umstand, dass der bei ihm anhängige Kündigungsschutzprozess längerfristig nicht betrieben wurde, nicht die Rücknahmewirkung des § 269 Abs. 3 ZPO beigemessen. Es hat vielmehr weiter terminiert und am Ende einen das Verfahren beendigenden Vergleichsschluss festgestellt.

    Der Rechtsmittelstreitwert wird auf der Grundlage des Hilfsantrags der Klägerin (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG) auf bis zu 90.000 € festgesetzt (davon Feststellungsinteresse 50.000 € unter Berücksichtigung der Vorgabe des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG).

    RechtsgebieteBGB, KSchG, ZPOVorschriftenBGB § 249; BGB § 276; BGB § 280; BGB § 611; BGB § 675; ArbGG § 54 Abs. 5; KSchG § 1 Abs. 3; KSchG § 7; ZPO § 240; ZPO § 249; ZPO § 250; ZPO § 269; ZPO § 286; ZPO § 287