11.07.2025 · IWW-Abrufnummer 249041
Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 03.06.2025 – 14 U 226/24
1. Die Störung des Intermediärs der Justiz stellt eine dem Verantwortungsbereich des Gerichts zuzuordnende Verhinderung des fristgerechten Zugangs von Schriftsätzen, die über das beA eingereicht werden müssen, dar.
2. Ist wegen einer technischen Störung auf Seiten der Justiz keine Kommunikation mit dem Gericht möglich, besteht wegen einer darauf beruhenden Fristversäumnis ein Wiedereinsetzungsgrund. Der Absender muss dann auch keine andere Art der Einreichung wählen.
3. Eine gesetzliche Pflicht zur fristgemäßen Ersatzeinreichung bei Vorliegen einer vorübergehenden technischen Störung lässt sich aus § 130 d S. 2 ZPO jedenfalls dann nicht ableiten, wenn die Störung - wie hier - nicht der Partei des Rechtsstreits, sondern dem Gericht zuzurechnen ist.
Gründe
I.
Für die Beklagte und Berufungsbeklagte lief die Frist zur Berufungsbegründung am 20.02.2025 ab. Der Intermediär des Oberlandesgericht Celle - wie auch die gesamte Justiz in Niedersachsen - war zwischen dem 20.02.2025 um 21:56 Uhr und 13:08 Uhr am 21.02.2025 nicht erreichbar. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten und Berufungsklägerin versuchte vergeblich zu folgenden Zeiten die Berufungsbegründung entsprechend den Vorgaben des § 130 d ZPO mittels des beA an das Oberlandesgericht zu übersenden um 21:56 Uhr, 22:36 Uhr, 23:06 Uhr, 23:50 Uhr und 23:58 Uhr. Die Störung war vor Ablauf der Berufungsbegründungsfirst nicht behoben., Der Prozessbevollmächtigte erhielt die folgende Nachricht:
"Oberlandesgericht Celle (29221 Celle) F001 Die Nachricht konnte nicht an den Intermediär des Empfängers übermittelt werden Fehlerhaft"
Eine beA-Störung des EGVP-Servers des Oberlandesgericht Celle wurde auf keinem der üblichen Portale ausgewiesen, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat am Abend des Fristablaufs weitere beA-Nachrichten bei anderen Gerichten erfolgreich einreichen können. Ausweislich der vorgelegten Ausdrucke wurde die Störung der Justiz-IT bei dem OLG Celle erst seit dem 21.02.2025 ausgewiesen; dort hieß es:
"ACHTUNG: Eingeschränkte Erreichbarkeit der Justiz in Niedersachsen seit 20.02.2025, 20:44 Uhr
Ursache: Störung der Justiz-IT
Seit 20.02.2025, 20:44 Uhr treten Einschränkungen beim Versand an Gerichte und Behörden in Niedersachsen auf.
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten musste an dem in Rede stehenden Abend mehr als einen Schriftsatz an das OLG Celle übersenden. Der Prozessbevollmächtigte hat ausgeführt, dass er Schriftsätze mit Umfängen von 75 Seiten in der einen Sache und 112 Seiten im Parallelverfahren hat übermitteln müssen. Die übliche Fax-Zeit würde 30 sec. pro Seite betragen. Daher sei ihm eine Ersatzeinreichung per Telefax (insbesondere bei mehr als einem Verfahren) nicht fristwahrend möglich gewesen, nachdem auch um 23:06 Uhr die Einreichung per beA aufgrund einer Störung des Intermediärs der Justiz in Niedersachsen unmöglich war.
II.
Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, weil sie gemäß § 233 Satz 1 ZPO ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.
1.
Die Störung des Intermediärs der Niedersächsischen Justiz am Abend des 20.02.2025 stellte eine Verhinderung des fristgerechten Zugangs dar, der dem Verantwortungsbereich des Gerichts zuzuordnen ist. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten war daher nicht in der Lage, gemäß § 130 d S. 1 ZPO den relevanten Schriftsatz fristgereicht einzureichen. Zwar normiert § 130 d S. 2 ZPO, dass in diesen Fällen die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig bleibt - eine gesetzliche Pflicht zur fristgemäßen Ersatzeinreichung bei Vorliegen einer vorübergehenden technischen Störung lässt sich daraus jedoch dann nicht ableiten, wenn die Störung - wie hier - nicht der Partei des Rechtsstreits, sondern dem Gericht zuzurechnen ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19.05.2023, V ZR 14/23 - juris). Ist wegen einer technischen Störung auf Seiten der Justiz keine Kommunikation mit dem Gericht möglich, besteht wegen einer darauf beruhenden Fristversäumnis ein Wiedereinsetzungsgrund (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 01.08.1996 - 1 BvR 121/95, NJW 1996, 2857). Der Absender muss dann auch keine andere Art der Einreichung wählen (BT-Drs. 17/12634, S. 27).
Ob eine Ersatzeinreichung möglich, zumutbar und deshalb geboten ist, ist nach dem Verschuldensmaßstab des § 233 ZPO und den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen. Zudem sind die Gerichte nach dem aus Art. 2 Abs 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip in zivilrechtlichen Streitigkeiten verbürgten Recht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gehalten, bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Anforderungen an das, was der Betroffene zur Fristwahrung veranlasst haben muss, nicht zu überspannen (vgl BVerfG, Beschluss vom 02.03.1993, 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118, 123ff; BVerfG, Beschluss vom 30.05.1997 - 1 BvR 200/96 -, juris)
2.
Vorliegend resultierte die Störung eindeutig aus dem Bereich des Gerichts. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat nach seinem glaubhaft gemachten Vortrag noch bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist versucht, den relevanten Schriftsatz auf dem gesetzlich vorgeschriebenen, elektronischen Wege über das beA einzureichen. Der Prozessbevollmächtigte war auch nicht gehalten, frühzeitig eine Ersatzeinreichung im Sinne des § 130 d S. 2 ZPO zu beginnen, denn zum einen durfte er die Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum Ende ausschöpfen, zum anderen durfte er darauf vertrauen, dass die Störung der gerichtlichen Erreichbarkeit bis zum Ablauf der Frist behoben sein würde. Ferner ist in die Betrachtung einzubeziehen, dass die Störung des Intermediärs noch nicht auf den üblichen Portalen gemeldet war - dies erfolgte erst am Folgetag bei Anhalten der technischen Störung - und es daher für den Parteivertreter offen war, ob er das Vorliegen der nur vorübergehenden technischen Störung im Verantwortungsbereich des Gerichts würde beweisen können, was für die Zulässigkeit einer wirksamen Ersatzeinreichung nach § 130 d S. 2 ZPO erforderlich gewesen wäre.
Bei einer ex-ante-Betrachtung aller Umstände des hier zu betrachtenden Einzelfalls war daher von einem unverschuldeten Versäumen der Frist auszugehen, sodass der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.