27.02.2025 · IWW-Abrufnummer 246862
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Beschluss vom 30.01.2025 – 8 S 1106/24
1.
Bei Versendung fristgebundener Schriftsätze aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) hat ein Rechtsanwalt eine Kontrolle der nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO übermittelten automatisierten Eingangsbestätigung sicherzustellen. Diese hat sich nicht nur auf die Überprüfung zu erstrecken, ob der Sendevorgang als solcher erfolgreich war und wann die Übersendung erfolgt ist, sondern auch darauf, ob der richtige Schriftsatz (vollständig) an das richtige Gericht übermittelt worden ist.
2.
Zu einer Weiterleitung einer entgegen § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO bei ihm eingereichten Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nur im ordentlichen bzw. ordnungsgemäßen Geschäftsgang verpflichtet. Dieser erfordert es nicht, einen Schriftsatz bereits unverzüglich nach seinem Eingang weiterzuleiten.
- Kläger -
- Antragsteller -
prozessbevollmächtigt:
gegen
Landeshauptstadt Stuttgart - Baurechtsamt -,
vertreten durch den Oberbürgermeister,
Eberhardstraße 33, 70173 Stuttgart
- Beklagte -
- Antragsgegnerin -
wegen Baueinstellungen, Gebühren, Versiegelung und Herausgabe beschlagnahmter Baugerätschaften
hier: Antrag auf Zulassung der Berufung
hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
am 30. Januar 2025 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 23. Mai 2024 - 2 K 285/22 - wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren und das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht - insoweit unter Änderung der dortigen Festsetzung - jeweils auf EUR 15.792,10 festgesetzt.
Gründe
Der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sowie grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig. Denn er ist nicht innerhalb von zwei Monaten nach der am 18.06.2024 erfolgten Zustellung des angegriffenen, mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen Urteils gegenüber dem beschließenden Gerichtshof begründet worden (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 u. 5 VwGO).
Denn die zutreffend an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO), tatsächlich jedoch an das Verwaltungsgericht Stuttgart übermittelte Antragsbegründung ist nach der von dort unter dem 20.08.2024 verfügten Weiterleitung erst am 23.08.2024 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Dass sie beim Verwaltungsgericht noch am letzten Tag der Frist - am 19.08.2024, einem Montag - um 08.05 Uhr eingegangen ist, war nach dem klaren Wortlaut des § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO nicht geeignet, die gesetzliche Frist zu wahren.
Dem Kläger kann auf seinem Antrag vom 27.08.2024 auch nicht Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsbegründungsfrist gewährt werden, da die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 VwGO nicht vorliegen. Denn er war nicht ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO einzuhalten. Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO liegt vor, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war; dabei muss er sich das Verschulden - ggf. auch ein Organisationsverschulden - seines Bevollmächtigten nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.06.2022 - 2 C 12.21 -, Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 101, juris Rn. 24 m. w. N.), nicht jedoch ein schuldhaftes Verhalten von dessen Hilfspersonen, insbesondere seines Büropersonals (vgl. dazu BayVGH, Beschl. v. 14.05.2013 - 11 B 12.1522 -, juris Rn. 11).
Danach war die Versäumung der Antragsbegründungsfrist hier verschuldet, weil es der Prozessbevollmächtigte des Klägers sorgfaltswidrig unterlassen hat, sich über den richtigen Empfänger der von ihm signierten Antragsbegründung zu vergewissern (1.), und darüber hinaus auch nicht dargetan ist, dass er eine ordnungsgemäße Postausgangskontrolle durch das damit beauftragte Kanzleipersonal sichergestellt hätte (2.). Das dem Kläger zurechenbare Verschulden seines Prozessbevollmächtigten war auch für die Versäumung der Antragsbegründungsfrist ursächlich (3.).
1. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers ergibt sich schon daraus, dass er - der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags zufolge - seinen, die Antragsbegründung enthaltenden Schriftsatz "anschließend" signierte, nachdem seine "stets sorgfältig und zuverlässige arbeitende" Bürovorsteherin das Verwaltungsgericht Stuttgart bereits als Empfänger ausgewählt hatte. Weil auf der Benutzeroberfläche für den Postausgang des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) in der Spalte des Empfängers lediglich ,"Verwaltung ...' "abgebildet" gewesen sei, sei die (vorgesehene) fehlerhafte Versendung nicht erkennbar gewesen.
Gerade dies und der weitere Umstand, dass auf dieser Benutzeroberfläche als "Zeichen Empfänger" das Aktenzeichen des Verwaltungsgerichts ("2 K 285/22") und nicht dasjenige des Verwaltungsgerichtshofs (8 S 1106/24) angezeigt war (vgl. zum Ganzen den vom Prozessbevollmächtigten selbst vorgelegten "Screenshot", AS 71), hätten ihn jedoch jedenfalls veranlassen müssen, sich Gewissheit zu verschaffen, ob der bereits von seiner Bürovorsteherin ausgewählte Empfänger auch dem von ihm auf dem signierten Schriftsatz angegebenen Adressaten entsprach. Insoweit gilt dasselbe wie beim Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen, die in jedem Fall dann eigenverantwortlich vom Prozessbevollmächtigten zu prüfen sind, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.03.1995 - 9 C 390.94 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 194, juris Rn. 12; Urt. v. 26.06.1986 - 3 C 46.84 -, BVerwGE 74, 289, juris Rn. 33). Der Prozessbevollmächtigte durfte vor diesem Hintergrund gerade nicht "davon ausgehen, dass eine ordnungsgemäße Versendung an das richtige Gericht erfolgt".
2. Hinzukommt, dass die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) denjenigen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (vgl. BGH, Beschl. v. 14.02.2022 - VIa ZB 6/21 -, juris Rn. 10) und daher eine Überprüfung des Versandvorgangs erfordern (vgl. BGH, Beschl. v. 11.05.2021 - VIII ZB 9/20 -, NJW 2021, 2201 Rn. 21). Dazu gehört die Überprüfung der nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO übermittelten automatisierten Eingangsbestätigung und zwar auch daraufhin, ob der fristgebundene Schriftsatz (vollständig) an das richtige Gericht übermittelt worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 30.11.2022 - IV ZB 17/22 -, NJW-RR 2023, 351, juris 10; Beschl. v. 31.08.2023 - VIa ZB 24/22 -, NJW 2023, 3434, juris Rn. 12).
Dem entsprechend hat ein Rechtsanwalt, wenn er fristgebundene Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an ein Gericht versendet, das ggf. mit der Postausgangskontrolle beauftragte Kanzleipersonal dahingehend anzuweisen, dass die erhaltene automatisierte Eingangsbestätigung nicht nur daraufhin zu überprüfen ist, ob der Sendevorgang als solcher erfolgreich war und wann die Übersendung erfolgt ist, sondern auch daraufhin, ob der richtige Schriftsatz (vollständig) an das richtige Gericht übermittelt worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 11.05.2021, a.a.O., juris Rn. 24).
Dass eine entsprechende, eindeutige, ein Organisationsverschulden ausschließende Anweisung erfolgt wäre, die geeignet gewesen wäre, eine ordnungsgemäße Postausgangskontrolle sicherzustellen, lässt sich dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags indes nicht entnehmen, zumal der Empfänger (jedenfalls) nicht (ohne Weiteres) vollständig auf der Benutzeroberfläche angezeigt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 31.08.2023, a.a.O., juris Rn. 13 zur Verwendung eines ungeeigneten Dateinamens). So wird in der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags insoweit nur ausgeführt, dass darauf hingewiesen worden sei, "dass stets die Übermittlungsprotokolle und automatisch generierten Eingangsbestätigungen kontrolliert werden müssen". Anderes lässt sich auch der eidesstattlichen Versicherung seiner Bürovorsteherin, Frau Rechtsfachwirtin R., vom 27.08.2024 nicht entnehmen. Deren Aussage legt vielmehr nahe, dass sie tatsächlich nur zur Überprüfung angehalten war, ob der Sendevorgang (für sie erkennbar) erfolgreich war. Denn in ihrer eidesstattlichen Versicherung heißt es lediglich, sie habe, wie dies in der Kanzlei vorgegeben gewesen sei, überprüft, ob die Nachricht ordnungsgemäß versandt wurde, und dann das Protokoll gedruckt und zur Akte genommen, nachdem für sie aus dem Übermittlungsstatus "ersichtlich gewesen" sei, dass die "Nachricht erfolgreich versandt" worden sei. Dabei sei ihr nicht aufgefallen, dass der (nicht vollständig angezeigte) Empfänger nicht mit dem Empfänger des Schriftsatzes übereingestimmt habe.
3. Das dem Kläger danach jedenfalls zuzurechnende Verschulden seines Prozessbevollmächtigten kann hier auch nicht deshalb außer Betracht bleiben, weil es sich auf seine Versäumung der Antragsbegründungsfrist nicht mehr ausgewirkt hätte. Denn solches käme aufgrund der prozessualen Fürsorgepflicht nur in Betracht, wenn die Antragsbegründung so zeitig beim Verwaltungsgericht eingegangen wäre, dass eine fristgerechte Weiterleitung an den beschließenden Gerichtshof im ordentlichen bzw. ordnungsgemäßen Geschäftsgang ohne weiteres zu erwarten gewesen wäre (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 20.06.1995 - 1 BvR 166/93 -, BVerfGE 93, 99, juris Rn. 48; BVerwG, Beschl. v. 15.07.2003 - 4 B 83.02 -, Buchholz 310 VwGO Nr. 248, juris Rn. 9; BFH, Beschl. v. 22.08.2023 - VIII B 76/22 -, juris Rn. 3 ff.; BAG, Beschl. v. 05.06.2020 - 10 AZN 53/20 -, BAGE 171, 28, juris Rn. 39; BSG, Beschl. v. 10.12.1974 - GS 2/73 -, BSGE 38, 248 [BSG 10.12.1974 - GS - 2/73], juris Rn. 27; BGH, Beschl. v. 30.11.2022, a.a.O., juris Rn. 15). Davon kann hier indes keine Rede sein.
Bereits im Hinblick darauf, dass der die Antragsbegründung enthaltende Schriftsatz vom 19.08.2024 erst am letzten Tag der Frist beim Verwaltungsgericht eingegangen ist, was er freilich nicht ohne Weiteres erkennen ließ, konnte nicht erwartet werden, dass er noch am gleichen Tage und damit noch rechtzeitig beim beschließenden Gerichtshof eingehen werde. Vielmehr entsprach es dem ordentlichen bzw. ordnungsgemäßen Geschäftsgang, dass die Weiterleitung des Schriftsatzes erst nach Vorlage an die erkennende Kammer unter dem 20.08.2024 verfügt wurde (vgl. insbesondere BVerwG, Beschl. v. 15.07.2003, a.a.O., Rn. 9; BayVGH, Beschl. v. 23.01.2003 - 20 ZB 02.1325 -, NVwZ-RR 2003, 531, juris Rn. 7; OVG NRW, Beschl. v. 22.02.2022 - 2 A 2940/21 -, BauR 2022, 913, Rn. 10; BFH, Beschl. v. 22.08.2023, a.a.O., juris Rn. 3 ff.). Da die Frist für die Begründung des Zulassungsantrags zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war, konnte die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO mit einer Weiterleitung freilich jedenfalls nicht mehr gewahrt werden. Insofern mag dahinstehen, ob anderenfalls - vor dem Hintergrund des inzwischen weitgehend eingeführten elektronischen Rechtsverkehrs - eine elektronische Weiterleitung anstelle einer Weiterleitung auf dem Postweg angezeigt gewesen wäre. Dass das Verwaltungsgericht demgegenüber gehalten gewesen wäre, den hier in Rede stehenden Schriftsatz bereits unverzüglich nach Eingang weiterzuleiten, weil er nicht an das Verwaltungsgericht, sondern an den beschließenden Gerichtshof adressiert war, trifft nicht zu. Der Kläger konnte nur eine Weiterleitung im ordentlichen bzw. ordnungsgemäßen Geschäftsgang erwarten, der jedoch gerade keine unverzügliche (vgl. demgegenüber den in § 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO geregelten Fall eines zur Bearbeitung nicht geeigneten elektronischen Dokuments) oder doch beschleunigte Weiterleitung erforderte (vgl. BFH, Beschl. v. 22.08.2023, a.a.O., juris Rn. 3; BayOblG, Beschl. v. 08.01.2025 - 204 VAs 418/24 -, juris Rn. 66). Denn unter einem ordentlichen Geschäftsgang ist eine Verfahrensweise zu verstehen, die einerseits jede unnötige Verzögerung vermeidet, andererseits aber auch auf außergewöhnliche Beschleunigungsmittel wie Eilvermerke, Telefax oder Anrufe beim Rechtsmittelführer verzichtet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.07.2003, a.a.O., juris Rn. 9; BayVGH, Beschl. v. 23.01.2003, a.a.O., juris Rn. 7; OVG NRW, Beschl. v. 03.07.1997 - 16 A 1968/97 -, NVwZ 1997, 1235, juris Rn. 22). Denn das unzuständige Gericht braucht den Beteiligten und ihren Prozessbevollmächtigten nicht die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien abzunehmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.07.2003, a.a.O., juris Rn. 9; BayObLG, Beschl. v. 08.01.2025, a.a.O., juris Rn. 65).
Vor diesem Hintergrund mag dahinstehen, ob bzw. inwieweit der Zulassungsantrag in der Sache möglicherweise Erfolg gehabt hätte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 u. 3 Satz 1 Nr. 1, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1, 2 u. 3, 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.1.1, 9.4, wobei sich freilich an dem anwendbaren Gebührenrahmen "bis 16.000 EUR" nichts ändert.