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  • 23.08.2022 · IWW-Abrufnummer 230879

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 28.07.2022 – III ZB 65/21


    Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Juli 2022 durch die Richter Dr. Remmert und Reiter, die Richterin Dr. Böttcher sowie die Richter Dr. Herr und Liepin
    beschlossen:

    Tenor:

    Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart - 2. Zivilsenat - vom 12. August 2021 - 2 U 9/21 - wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

    Streitwert: 11.900 €



    Gründe



    I.

    1


    Der Kläger beauftragte den Beklagten als Inhaber einer Detektei mit Recherchearbeiten zu seinem früheren Arbeitgeber. Mit der vorliegenden Klage macht er Ansprüche auf Rückzahlung des Honorars geltend.


    2


    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Am 1. März 2021 ist um 17.21 Uhr beim Oberlandesgericht über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) ein Berufungsbegründungsschriftsatz eingegangen, der mit einer ungültigen qualifizierten elektronischen Signatur des Prozessbevollmächtigten des Klägers versehen gewesen ist. Im Prüfprotokoll der Empfangsstelle heißt es:


    "Die mathematische Prüfung der Signatur ist fehlgeschlagen. Die Inhaltsdaten oder die Signatur wurden nach der Signatur verändert."

    3


    Nachdem der Kläger hierauf hingewiesen worden war, hat er mit Schriftsatz vom 1. Juni 2021 wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung begründet. Zur Begründung des Antrags hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass die Fristversäumung auf einem Versehen einer bis dahin stets zuverlässigen, regelmäßig geschulten und stichprobenartig überprüften Kanzleiangestellten beruhe. Diese habe nach der Signierung des Schriftsatzes durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers die Datei mit der Berufungsbegründung mitsamt der dazugehörigen, übereinstimmend bezeichneten Signaturdatei über die Anwaltssoftware WINMACS per besonderem elektronischem Anwaltspostfach (beA) an das Gericht versandt und anschließend den Sendebericht abgerufen und kontrolliert. Aus dem Bericht sei ersichtlich, dass die Datei "Berufungsbegründung [2].pdf" sowie die Signaturdatei "Berufungsbegründung [2].pdf.p7s" übersandt worden seien. Einen Fehler habe der Sendebericht nicht angezeigt.


    4


    Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es unter anderem ausgeführt:


    5


    Bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 1. März 2021 sei keine den gesetzlichen Anforderungen genügende Berufungsbegründung eingereicht worden. Die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers per EGVP am 1. März 2021 eingereichte Berufungsbegründungsschrift genüge den Vorgaben für eine wirksame Einreichung der Berufungsbegründung als elektronisches Dokument gemäß § 520 Abs. 5 in Verbindung mit § 130a Abs. 1 und 3 ZPO nicht. Gemäß § 130a Abs. 3 ZPO müsse das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und von dieser auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Hieran fehle es. Die Übermittlung per EGVP sei kein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 130a Abs. 4 ZPO und das Dokument sei im vorliegenden Fall auch nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen worden. Diese sei ausweislich des Prüfprotokolls ungültig, weil die Inhaltsdaten oder die Signatur nach deren Erzeugung verändert worden seien.


    6


    Der Wiedereinsetzungsantrag sei unbegründet. Nach § 233 ZPO sei einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert gewesen sei. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten werde ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet. Fehlendes Verschulden sei von der Partei darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Misslinge die Glaubhaftmachung und bleibe die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung verschuldet gewesen sei, sei der Antrag zurückzuweisen.


    7


    Danach sei dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen, weil ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nach dem von ihm vorgetragenen und glaubhaft gemachten Sachverhalt nicht ausgeschlossen sei. Dies ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass nach seinem Vortrag die Fristversäumung zwar auf einem Versehen einer Kanzleiangestellten beruhe, aus dem weiteren Vortrag jedoch nicht ersichtlich werde, worin dieses Versehen bestehen solle. Denn sowohl nach dem Vortrag im Wiedereinsetzungsantrag als auch nach der eidesstattlichen Versicherung der Kanzleiangestellten habe diese alle internen Anweisungen zur Fristenkontrolle und zur Benutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs befolgt, ohne dass ihr die fehlerhafte Signatur habe auffallen müssen. Damit bleibe unklar, aus welchen Gründen es zu der fehlerhaften Signatur gekommen sei. Insbesondere bleibe unklar, wer dafür verantwortlich sei, dass zwischen der Erzeugung der Signatur und dem Versand des elektronischen Dokuments noch Veränderungen am Dokument oder an der Signatur vorgenommen worden seien. Dies gehe zulasten des Klägers, weil ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden könne.


    8


    Mit seiner hiergegen erhobenen Rechtsbeschwerde begehrt der Kläger, ihm unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.




    II.

    9


    Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Denn die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. In Sonderheit verletzt der angefochtene Beschluss nicht den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch des Klägers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).


    10


    1. Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei erkannt hat und auch die Rechtsbeschwerde nicht infrage stellt, hat es der Kläger bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 1. März 2021 an der Einreichung einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Berufungsbegründung fehlen lassen, weil der an diesem Tag um 17.21 Uhr per EGVP übermittelte Berufungsbegründungsschriftsatz nicht mit der hier erforderlichen qualifizierten elektronischen Signatur versehen (worden) ist. Die qualifizierte elektronische Signatur, welche die gleiche Rechtswirkung hat wie eine handschriftliche Unterschrift (BGH, Beschluss vom 8. März 2022 - VI ZB 78/21, MDR 2022, 585 Rn. 11), ist ausweislich des Prüfprotokolls ungültig, weil die Inhaltsdaten oder die Signatur nach deren Erzeugung verändert worden sind.


    11


    2. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Recht zurückgewiesen.


    12


    a) Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen das Fristversäumnis beruht und auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist (BGH, Beschlüsse vom 3. Juli 2008 - IX ZB 169/07, NJW 2008, 3501 Rn. 15; vom 10. Januar 2013 - I ZB 76/11, AnwBl 2013, 233 Rn. 7 und vom 11. November 2015 - XII ZB 257/15, MDR 2016, 110 Rn. 10). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei glaubhaft gemachten Tatsachen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von der Partei beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war (zB Senat, Beschluss vom 26. August 2021 - III ZB 9/21, NJW-RR 2022, 204 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 20. August 2019 - VIII ZB 19/18, NJW 2019, 3310 Rn. 15).


    13


    b) Dies zugrunde gelegt, kann dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden.


    14


    So lässt der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers in seinem Schriftsatz vom 1. Juni 2021 eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen vermissen. Denn darin wird einerseits darauf abgestellt, dass "die Fristversäumung auf einem Versehen einer bis dahin stets zuverlässigen Kanzleiangestellten, Frau G. K. , beruht", andererseits - wie vom Berufungsgericht zutreffend erkannt - aber nicht deutlich, worin das Versehen der Kanzleiangestellten bestanden haben soll. Des Weiteren hebt die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vom 1. Juni 2021 - anders als die Rechtsbeschwerdebegründung - nicht darauf ab, "dass es im Bereich der technischen Vorgänge zu Fehlfunktionen kommen kann, die für den Benutzer nicht ersichtlich sind". Eine im Verantwortungsbereich des Berufungsgerichts liegende oder eine anderweitige, dem Übermittlungsmedium immanente, technische Ursache kann jedoch nicht einfach unterstellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 - VIII ZB 9/20, NJW 2021, 2201 Rn. 54). Infolgedessen bleibt Raum für die Möglichkeit, dass den Prozessbevollmächtigten des Klägers ein (Mit-)Verschulden daran trifft, dass - entsprechend dem Prüfprotokoll - "die Inhaltsdaten oder die Signatur ... nach der Signatur verändert", mithin zwischen der Erzeugung der Signatur und dem Versand des elektronischen Dokuments noch Veränderungen am Dokument oder an der Signatur vorgenommen worden sind, deswegen die mathematische Prüfung der Signatur fehlgeschlagen und die Berufungsbegründung (nur) mit einer ungültigen qualifizierten elektronischen Signatur versehen gewesen ist.


    15


    c) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, steht der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts nicht im Widerspruch zu dem Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 18. November 2020 (NJW 2021, 1604 Rn. 35 ff). Die dortige Konstellation eines für den Prozessbevollmächtigten erkennbaren, bei der OCR-Umwandlung des zu versendenden Schriftsatzes erfolgenden Warnhinweises liegt nicht vor. Aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig können auch keine für den vorliegenden Fall relevanten Rückschlüsse gezogen werden, wie es entschieden hätte, wenn der Warnhinweis nicht angezeigt worden wäre.


    Remmert
    Reiter
    Böttcher
    Herr
    Liepin

    Vorschriften