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  • · Fachbeitrag · Strafverteidigung

    Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers macht Kanzleidurchsuchung rechtswidrig

    von RA und FA StR Dr. Philipp Gehrmann, Berlin

    Die Anordnung der Durchsuchung von Kanzleiräumen des Strafverteidigers eines Angeklagten ist unverhältnismäßig und verletzt den Rechtsanwalt in seinem Grundrecht auf Schutz der räumlichen Privatsphäre, wenn voraussichtlich auch Erkenntnisse zu erwarten sind, über welche jener das Zeugnis verweigern dürfte (BVerfG 6.11.14, 2 BvR 2928/10, Abruf-Nr. 144325).

     

    Sachverhalt

    Vor dem AG München wurde gegen einen Zahnarzt wegen des Verdachts des Abrechnungsbetrugs und der Körperverletzung ein Strafverfahren geführt. In öffentlicher Hauptverhandlung hielt der Verteidiger einem Sachverständigen und einem Zeugen Patientenunterlagen vor, die noch nicht Gegenstand des Strafverfahrens gewesen waren. Das AG erließ einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss für die Kanzleiräume des Strafverteidigers, da die Annahme bestehe, die Durchsuchung würde zum Auffinden von Patientenunterlagen führen. Diese seien nicht beschlagnahmefrei gemäß § 97 StPO. Es handele sich nicht um schriftliche Mitteilungen zwischen dem Zahnarzt und seinem Verteidiger, sondern lediglich um „sonstige Geschäftsunterlagen“. In der anschließenden Durchsuchung wurden Kopien zweier Patientenkarteien, in denen der Arzt die Behandlung ausführlich schildert und deren handschriftliche Fassung, die er zur besseren Lesbarkeit abgetippt hatte, sowie die Kopie einer kommentierten Rechnung beschlagnahmt.

     

    Der Angeklagte und sein Verteidiger legten gegen die Durchsuchung Beschwerde ein und verlangten die Herausgabe der Unterlagen. Das AG erließ einen Nichtabhilfebeschluss, unter anderem mit der Begründung, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufgrund der Schwere des Tatvorwurfs nicht verletzt und spezifisches Verteidigungsmaterial nicht betroffen sei. Auch das LG verwarf die Beschwerde. Nach erfolgloser Gegenvorstellung und ebenso erfolgloser Beantragung der nachträglichen Gewährung rechtlichen Gehörs erhoben beide Betroffenen Verfassungsbeschwerde. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hielt die Verfassungsbeschwerde für unbegründet: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei angesichts des potenziellen Schadens von 27.500 EUR gewahrt. Die Unterlagen seien nicht für einen Außenstehenden als Verteidigungsunterlagen gekennzeichnet gewesen.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Denn die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Strafverteidiger in seinen Grundrechten aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG und Art. 12 Abs. 1 GG sowie den Angeklagten in seinem Recht auf effektive Verteidigung aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG.

     

    Der Eingriff in die durch Art. 13 GG geschützte räumliche Unversehrtheit der Kanzlei ist bereits mangels Geeignetheit unzulässig. Die Durchsuchung bei einem Nichtbeschuldigten muss regelmäßig höheren Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit genügen. Hinzu tritt, dass die Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger diesen in der Sphäre seiner Berufsausübung betrifft. Daten von mit dem Strafverfahren in keinem Zusammenhang stehenden Dritten (etwa Mandanten) können Ermittlungsbehörden zur Kenntnis gelangen, obwohl diese Betroffenen sich gerade in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers sicher wähnen dürfen. Der Schutz dieser Vertrauensbeziehung zwischen Mandant und Anwalt wird im Interesse der Allgemeinheit gewährt. Diese Belange müssen bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zusätzlich besonders beachtet werden.

     

    Der Gesetzgeber hat zum Schutz dieser Belange eine gesetzliche Regelung in § 160a Abs. 1 S. 1 StPO getroffen, die das Zeugnisverweigerungsrecht in § 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO flankiert: Ermittlungsmaßnahmen gegen einen Strafverteidiger als Unverdächtigen sind generell unzulässig, wenn voraussichtlich auch Erkenntnisse zu erwarten sind, über welche der Betroffene als Berufsgeheimnisträger das Zeugnis verweigern darf. Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nach § 160a Abs. 1 S. 2 StPO nicht verwertet werden. Gemessen an diesen Maßstäben waren die Durchsuchungsmaßnahmen zur Aufklärung des Tatvorwurfs ungeeignet und unverhältnismäßig. Gewonnene Erkenntnisse hätten ohnehin keine Verwendung finden können. Das AG hat sich mit allen Erwägungen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und des § 160a StPO in keiner Weise auseinandergesetzt. Eine Angemessenheitsprüfung hat nicht stattgefunden.

     

    Aus gleichem Grund verletze die Beschlagnahme der Unterlagen den Verteidiger in seiner Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Auch hinsichtlich der Beschlagnahme ist eine Angemessenheitsprüfung vollständig unterblieben. Der Angeklagte ist zudem durch die Beschlagnahme in seinem Recht auf effektive Verteidigung aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Unterlagen, die ein Angeklagter erkennbar für seine Verteidigung fertigt, können weder beschlagnahmt noch gegen seinen Widerspruch verwertet werden.

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung des BVerfG ist vorbehaltlos zu begrüßen und setzt die strikte Linie fort, die das Gericht seit einiger Zeit im Bereich der Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen gegen unverdächtige Dritte, insbesondere Berufsgeheimnisträger, vertritt. Allerdings macht die Entscheidung auch nachdenklich, da erkennbar wird, wie wenig ausgeprägt bei Gerichten nach wie vor das Bewusstsein für die Schwere des Eingriffs einer Hausdurchsuchung ist, obgleich sich das BVerfG seit Jahren durch verschiedene Entscheidungen bemüht, das Problembewusstsein auch bei Gerichten und Strafverfolgungsbehörden zu schärfen.

     

    Eine pikante Note erhält die Entscheidung durch die Tatsache, dass vor der Entscheidung des BVerfG offenbar allen Verfahrensbeteiligten die Vorschrift des § 160a StPO verborgen geblieben war, obgleich diese zum damaligen Zeitpunkt bereits über ein Jahr in Kraft war.

     

    Auch der Strafverteidiger hatte ‒ ausweislich der Urteilsgründe ‒ die Verletzung des einfachen Rechts wohl ebenso wenig erkannt wie das AG, LG und Landesjustizministerium. Nach der Reform des § 160a StPO schützt dieser nicht nur den Strafverteidiger, sondern jeden Rechtsanwalt vor Ermittlungsmaßnahmen, die der Ermittlung von Erkenntnissen dienen, für die ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO besteht. Unterlagen aus der Verteidigungssphäre waren bisher auch bereits nach § 97 Abs. 1 StPO beschlagnahmefrei. Die Reichweite des § 97 StPO lässt sich leicht bestimmen durch den Grundsatz:

     

    Wichtig | „Was der Mund nicht sagen braucht, darf der Hand nicht entrissen werden“. § 160a StPO stärkt diese Sphäre der Vertraulichkeit zwischen Rechtsanwalt und Mandant, indem bereits die Ermittlungsmaßnahme an sich für unzulässig erklärt wird (Gehrmann, AK 13, 44).

     

    Der Schutzbereich des § 160a StPO wird allerdings dort durchbrochen, wo Verfahren gegen den Rechtsanwalt als Beschuldigten geführt werden und die Durchsuchungsmaßnahme folglich auf § 102 StPO gestützt wird. Ebenso ist eine Durchsuchungsmaßnahme nach Ansicht des LG Mannheim dort zulässig, wo der begründete Verdacht besteht, ein Beweismittel sei in den Gewahrsam eines Rechtsanwalts allein mit dem Ziel verbracht worden, es vor dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu verstecken („Beweismittelasyl“, LG Mannheim wistra 12, 400; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 160a Rn. 3a).

     

    Die Entscheidung gibt schließlich Anlass, nochmals hervorzuheben, dass Dokumente im Gewahrsam des Beschuldigten, die allein der Verteidigung dienen, gemäß §§ 97, 148 StPO beschlagnahmefrei und damit besonders geschützt sind. Es finden die oben skizzierten Grundsätze Anwendung.

     

    MERKE | Auch Kopien von Urkunden, die mit Notizen des Verteidigers oder des Beschuldigten versehen sind, werden durch §§ 97, 148 StPO geschützt. Um Missverständnisse zu vermeiden, beziehungsweise keine Auslegungsspielräume zu eröffnen, sollten diese Dokumente stets in physische oder elektronische Ordner genommen werden, die deutlich mit „Verteidigungsunterlage“ gekennzeichnet sind. Gerade für Personen, die überwiegend elektronische Kommunikationsmittel nutzen, ist dies allerdings mit einigem Aufwand verbunden. Es ist Aufgabe des Rechtsanwalts, an die Einhaltung dieser Schutzmaßnahmen zu erinnern (Gehrmann, AK 13. 70).

     

    Weiterführende Hinweise

    • AK 13, 70: Was tun, wenn die Kanzlei durchsucht wird? 20 „goldene Regeln“ zur Durchsuchung und Beschlagnahme
    • AK 13, 44: Wenn die Ermittler dreimal klingeln ...
    Quelle: Ausgabe 05 / 2015 | Seite 78 | ID 43276496